Davi Kopenawa Yanomami

Zuletzt bearbeitet: 3. Mai 2023

Interview mit Davi Kopenawa Yanomami, vom Volk der Yanomami

Frage: Hast du schon andere schamanistische Rituale mit anderen Pflanzen durchgeführt – zum Beispiel mit der “Ayahuasca“?

Antwort: Ja, die Ayahuasca habe ich ausprobiert, war interessant, habe viel gelernt. Aber die ist sehr stark – man trinkt fünf Becher voll und steht dann lange Zeit unter dem Effekt des Halluzinogens. Mit der Yãkoãna geht es schneller, selbst wenn du zehn Mal inhalierst (die zu einem Puder gemahlene Pflanze wird von einer anderen Person mittels einem langen Röhrchen in die Nase des Schamanen geblasen). Inhaliert man eine zu grosse Menge, dann fällt man um, beginnt zu erbrechen und sich “vollzuscheissen“… (Lachen).

Frage: Morgen reist du ab, um an der RIO+20 teilzunehmen – was erwartest du von diesem Event?

Antwort: Eigentlich erwarte ich ein Wunder (er lacht). Die Regierung ist der grosse Chef, und wenn die Regierung keine Order gibt, den indigenen Völkern zu helfen, dann nützt alles nichts. Die Invasion unserer Ländereien ist mehr als 500 Jahre alt und geht weiter. (Nach “RIO+20“ sprachen wir erneut mit Davi Kopenawa, diesmal per Telefon. Er hatte an einigen Veranstaltungen und Meetings teilgenommen – eins sogar hinter verschlossenen Türen, zusammen mit dem Generalsekretär der UNO Ban-Ki-Moon und weiteren 12 brasilianischen Indio-Häuptlingen. Davi war allerdings nicht glücklich: “Um den Planeten zu retten, müssen die Weissen vollkommen umdenken und ihre Art zu handeln ändern. Ich war auf der RIO+20 weil die Völker des Waldes helfen könnten, diese Veränderung herbeizuführen. Aber nur wenige Leute waren daran interessiert, mir zuzuhören).

Frage: Die Indio-Territorien ergeben zusammen zirka 13% des nationalen Territoriums – praktisch die Hälfte der Fläche Amazoniens. Es gibt Meinungen, dass mit dem weltweiten Bevölkerungswachstum dieser grosse Raum von den Weissen zunehmend als Dorn im Auge angesehen wird… spürst du das?

Antwort: Darüber habe ich schon lange nachgedacht. Der Weisse … eigentlich möcht ich den Ausdruck “Weisser” nicht immer gebrauchen – lieber nenne ich ihn “Napë. Also der Napë wächst immer weiter, die Stadt wächst weiter, und es sind viele Leute von ausserhalb dazugekommen. In Europa gibt es kein Land mehr für sie, also kommen sie hierher, und nur das Volk der Nicht-Indios wächst. Wir sind besorgt, ist ein ernstes Problem. Viele Leute haben sich an das hier gewöhnt (er deutet auf den Ring des Reporters), sie wollen Gold, Silber und Edelsteine. Und auch gute Erde, um Ziegelsteine zu machen und Bäume abzuholzen… Was die Natur in die Erde hineingelegt hat, ist wie eine Jungfrau: Jeder will sie sehen, will sie verführen, will sie ausbeuten.

Und sie sagen, dass alles unter der Erde der Regierung gehört – aber die Regierung hat nicht gepflanzt, nein, es war die Natur, die diese Dinge geschaffen hat. Hier oben sollen wir Indios die Felder bearbeiten, Maniok, Bananen, Zuckerrohr pflanzen… für unsere Ernährung. Der Weisse jedoch will Waren aus der Erde holen – diese Gedanken sind mir seit langem bekannt. Napë möchte nicht die Natur erhalten, den Boden bearbeiten. Er will nur zerstören, Reichtum aus dem Wald holen, Holz an Länder verkaufen, die keins haben. Und er hat noch ein Problem mit der Biopiraterie und den illegalen Goldschürfern. Die haben meine “Verwandten“ getötet wegen Gold und Diamanten. Sie machen Ohrringe aus Edelsteinen, damit ihre Frauen schön aussehen, sie dekorieren ihre Häuser, ihre Geschäfte, alles mit Gold… ihre Gedanken kreisen nur darum, die ganze Welt der Weissen ist so!

(Unser Auto fährt am Eingangstor zu einer Fazenda im Yanomami-Territorium vorbei)

Frage: Was bedeutet die Nähe der Fazendas und der Weissen für die Indios?

Antwort: Hier gibt es viele Fazendeiros, Reis- und Sojapflanzer. Dort am Rio Xingu, zum Beispiel, ist das IT-Tikuna vollkommen eingekreist von Sojapflanzungen. Und Soja ist sehr schlecht für den Boden, macht die Quellen kaputt. Und die sind nicht nur wichtig für den Indio, Quellen sind wichtig für alle Menschen. Und jetzt wachsen die Kinder des Erdenvolkes nicht mehr heran wie einst, wollen nicht länger in den Kommunen leben. Am Xingu geschieht das bereits, sie verlassen ihre Dörfer und gehen in die Stadt. Dort bleiben sie eine Woche, gewöhnen sich schnell ein und wollen nicht mehr zurückkehren.

Frage: Warum wollen sie nicht mehr zurück – was lockt sie an der Stadt?

Antwort: Für uns sind die Dinge der Stadt sehr stark, sie manipulieren unsere Gedanken. Die portugiesische Sprache ist ein Gift. Ein Gift, das in den Kopf eindringt und die jungen Leute ihre Kommune vergessen lässt, auch ihre Mutter, ihren Vater… die Stadt zerstört die Gedanken an ihre Heimat. Und sie denken nicht mehr daran, wie es war zu jagen, an die Gemeinschaft im Dorf – an nichts dergleichen denken sie. Ein junger Indio interessiert sich nur noch für ein Handy, für Fernsehen, CDs, Spiel, Feste, Autos, Internet. All das manipuliert den Indio, seine Gedanken haften an Maschinen. Und wenn er einmal der Maschine verfallen ist, gibt es kein Zurück mehr. Ich weiss, was ich sage, denn mir wäre das beinahe auch passiert.

Frage: Und wie ist es dir gelungen, den Versuchungen der Stadt zu entgehen?

Antwort: Es gab eine Zeit, da wollte ich weiss sein. Ich dachte: “Ich bin in der Stadt, kann auf einer Strasse gehen, kann Fahrrad fahren und im Auto. Ich schaue Fernsehen, esse “Plastikkram“, benutze Gabel, Löffel und Messer – eben alles. Damals war ich 14 Jahre alt und hielt mich ein bis zwei Jahre in Manaus auf. Ich wohnte im Haus eines Freundes und es gefiel mir, ich wollte nicht mehr zurück in mein Dorf. Ich dachte sogar: “Ich werde mir eine weisse Frau suchen“. Aber mein Freund sagte: “Schau, Davi, hier in der Stadt ist alles anders, du darfst nicht einmal daran denken, hier zu heiraten. Eine weisse Frau ist schwierig, sie will ein eigenes Haus, ein Auto, ein Handy, einen Fernseher, neue Kleider, Geld auf der Bank…“

Frage: Aber hast du dich je mit einer weissen Frau eingelassen?

Antwort: Nein, niemals!

Frage: Und wie bist du in dein Dorf zurückgekommen?

Antwort: Die FUNAI hat mich in mein Dorf zurückgebracht. Ich habe sie aufgesucht, hatte grosse Sehnsucht nach meinen Geschwistern, wollte unbedingt wieder zurück. Mein Freund half mir, mich auf meine Rückkehr zu konzentrieren. Später blieb ich eine Weile im Dorf und ein bisschen in der Stadt, weil ich Dolmetscher der FUNAI geworden war – haben mir einen Job gegeben, um mit meinem Volk zu arbeiten. Heute habe ich keine Zweifel mehr: Ich bin ein Yanomami. Ich kann Kleidung tragen und Schuhe, aber meine Seele ist nicht falsch“.

Frage: Davi, wir sprechen hier von Zerstörung, grossen Problemen… gibt es denn keinen Kompromiss um die Erde zu retten?

Antwort: Weil es keine andere Erde gibt, gibt es auch nur ein Volk – wir und ihr. Also müssen wir uns zusammensetzen und Gedanken austauschen. Zusammen diskutieren, wie wir unseren Planeten benutzen sollten und unser Land, das so reich ist, so schön und mit sauberem Wasser. Aber die Menschen in São Paulo, England und den USA wollen nichts davon hören, die Erde am Leben zu erhalten, den Wald stehen zu lassen. Sie wollen alles abholzen und Waren daraus machen. Man muss aber an die Zukunft denken, was mit den zukünftigen Generationen geschehen wird, oder in hundert Jahren wird unser Planet ein Fussballfeld sein – ohne Bäume, ohne Vögel ohne sauberes Wasser, hässlich und ohne Indios. Und wenn der Indio mit dem Wald verschwindet, das ist dann das Ende der Welt.

Jedoch der Stadtmensch wird ebenfalls sterben. Er wird anfangen zu leiden, dann wird er streiten und seine Angehörigen töten. Er wird Wald kaufen wollen, mit dem Traktor hierher kommen, und die Zerstörung wird alle verschlingen. Nicht nur der Indio wird sterben“!

Frage: Und wie stellst du dir das Leben der Indios in ein paar Jahrzehnten vor?

Antwort: Ich glaube, dass das Schlimmste geschieht. Die Menschen auf dieser Erde werden leiden. Die Indio-Völker sind umzingelt – weitere einhundert Jahre werden sie nicht mehr standhalten. Meine Söhne sind hier, aber meine Enkel werden die Weissen versuchen zu kaufen. Indios wissen nicht, wie man hintergeht, täuscht und lügt. Napë wird sich als Freund ausgeben, sagen, dass der Indio sich ändern muss, damit es besser wird. Lüge. Napë, der Geld hat, dem geht es gut. Wer es nicht hat, dem geht es schlecht. Ohne Führung und ohne Land wird der Indio noch mehr leiden als bisher, er wird anfangen Portugiesisch zu lernen und Gefallen an der Stadt finden. Der Indio fällt leicht um – hat keine Widerstandskraft, um seine Kultur zu verteidigen. Heute sind unsere Kinder bereits in der Schule, tragen Kleidung, schneiden ihre Haare so wie ihr, benutzen Parfum, Handy… Also sorge ich mich um die Zukunft.

Frage: Siehst du überhaupt keine Hoffnung?

Antwort: Ich habe ein bisschen Hoffnung – wenn ein traditioneller Führer auftauchen würde. Um unser Überleben zu garantieren, brauchen wir eine Führung im Dorf. Ein indigener Führer, der in der Stadt wohnt, kann sich nicht um sein Volk kümmern, auf keinen Fall! Meine Hoffnung ist es, dass es mehr von meiner Sorte geben wird, so wie Raoni, Aílton Krenak… Führer der Kommunen, um zu verteidigen, zu streiten und zu verbreiten.

Frage: Hast du diese anderen indigenen Führer kennengelernt, zum Beispiel den Häuptling Raoni?

Antwort: Ich betrachte Raoni als meinen Onkel. Ich bin ein Freund von ihm. Er wohnt in Altamira, ist ein Kaiapó. Hab’ ihn kennengelernt, als ich anfing zu kämpfen, und wurde zu einem Meeting der indigenen Führungsspitzen in Brasília eingeladen, und dort lernte ich andere Führer wie ihn kennen – Aílton Krenak, Álvaro Tucano, Paulinho Paiakan.

Frage: Ein Indio in der Politik, wie der Xavante-Häuptling Mário Juruna, fehlt der euch?

Antwort: Juruna war Abgeordneter der Regierung, aber er hat nicht viel bewirkt. Es waren die Weissen, die ihn gewählt haben. Wenn er von den Indios gewählt worden wäre, den Verwandten, hätte er länger durchgehalten. Ich glaube, dass man ihn mit Geld bestochen hat… Es wäre gut, mehr Indios in der Politik zu haben, aber das müssten wirkliche Indios sein, aus ihrem Dorf. Einige verwandte Macuxi und Wapixana haben versucht, sich wählen zu lassen, haben es jedoch nicht geschafft. Ich selbst habe daran gedacht zu kandidieren, aber ich hätte kein Geld um im Auto herumzufahren und eine Kampagne zu finanzieren. Ich würde mich für die PT entscheiden (Partido Trabalhista – Arbeiterpartei).

Frage: Denkst du daran, dich bei einer zukünftigen Wahl aufstellen zu lassen?

Antwort: Ich denke darüber nach, bin aber nicht besonders interessiert. Ich möchte durchaus ein Freund der Politiker sein, aber sie wollen nicht meine Freunde sein… also werde ich ihnen weiterhin auf den Wecker fallen (lacht).

Frage: Deine Geschichte ist ungewöhnlich und dein Alltag ebenfalls. Du bist an der Grenze zu Venezuela geboren, lebst dort bis heute, verbringst aber gewisse Zeiten in der Stadt, reist durch Europa. Wie bewahrst du dir deine Wurzeln?

Antwort: Meine Hütte steht am Demini (Gebirge im Territorium Yanomami, zwischen den Bundesstaaten Roraima und Amazonas), dort wohne ich. Ich halte mich zwei Monate pro Jahr in Boa Vista (Bundesstaat Roraima) auf. Aber nur, wenn es keine Probleme mit Goldsuchern, mit Krankheit und Invasion gibt. Sollte dies der Fall sein, bleibe ich in der Stadt, um die Probleme mit den entsprechenden Behörden zu lösen, aber ich kehr stets in mein Dorf zurück. Die “Hutukara“ repräsentiert unser Volk gegenüber den Weissen. Früher hat der weisse Mann auf uns herabgesehen, wenn er mit uns sprach, jetzt stehen wir uns Auge in Auge gegenüber, und dafür haben wir die “Hutukara Associação Yanomami“: um besser kämpfen zu können, mit Journalisten zu sprechen, im Fernsehen aufzutreten, Dokumente anzufertigen für die Behörden, und viele andere Sachen.

(Das Interview findet in Boa Vista statt)

Frage: Wie kommst du aus deinem Dorf hierher?

Antwort: Per “Monomotor“ (einmotoriges Flugzeug) – etwa zwei Stunden Flug. Und man kann auch per Motorboot hinkommen, wo ich wohne. Dazu muss man den Rio Branco bis Caracaraí hinunterfahren – weiter nach Barcelos am Amazonas – den Rio Negro hinauf bis zu meiner Hütte. Dauert zirka 10 Tage.

Frage: Du hast von der Sorge um die Zukunft deines Volkes gesprochen. Und die Zukunft der Menschen, die in der Grossstadt leben – wie stellst du dir die vor?

Antwort: Sie werden sterben. In der Stadt werden Weisse gegen Weisse kämpfen. Schon jetzt bestehlen sie sich gegenseitig – es gibt dort keine Arbeit mehr, nichts zu essen. Sie werden anfangen zu leiden, sich bekriegen, sich gegenseitig töten. Und einige werden ein Stück Wald kaufen wollen, um sich nach hier auszubreiten. Das ist die Art und Weise der Tapë schon seit Hunderten von Jahren. Und sie werden denken: das Indio-Territorium ist viel zu gross, lasst es uns besetzen. Und dann kommen sie mit Traktoren, schweren Maschinen – wie eine grosse Schlange, die alles und alle verschlingt. Nicht nur die Indios werden sterben, nein, alle Brasilianer ebenfalls – die Zerstörung der Natur wird sie alle umbringen, und der Wald wird niedergewalzt sein. Kein Baum wird mehr stehen, kein Vogel wird mehr singen, kein sauberes Wasser wird es mehr geben, nichts… euer Kampf wird vor allem wegen des Wassers sein.

Frage: Viele Leute fragen sich, warum die Indios so viel Land brauchen?

Antwort: Ich weiss, auch mich fragen sie das immer wieder. Erst einmal müssen wir ja auch wachsen. Wenn die Regierung sich um unsere Gesundheit kümmert, dann wächst unser Volk. Zum zweiten sind wir Nomaden, das ist unsere Tradition. Als ich noch klein war, bewohnten wir vier Orte, an denen wir jeweils ein oder zwei Jahre blieben – wenn der Boden schwach wurde und die Jagd zurückging, sind wir umgezogen. Tapës ziehen nicht umher – lassen nur ihre Städte wachsen. Und sie sagen: “Indios haben so viel Land, für was? Sie produzieren nichts”! Aber unser Land muss nichts produzieren. Was sollten wir verkaufen? Und an wen, und wohin? Die Natur hat schon alles produziert: das Wild, die Fische, die Flüsse, die Bäume – alles ist da, was der Indio braucht – sogar Medizin ist da!

Frage: Die indigenen Völker leben schon immer im Wald. Habt ihr durch euer enges Zusammenleben mit den Tieren etwas von ihnen gelernt?

Antwort: Wir haben ein Dorf und jagen – sie jagen ebenfalls und haben einen Platz zum Leben. Um unsere Hütten zu bauen, nutzen wir traditionelle Kenntnisse – aus Holz, Lianen und Blättern konstruieren wir sie. Der Jaguar, zum Beispiel, sucht sich in den Felsen eine Höhle, um dort zu wohnen. Der Affe baut sich ein Nest aus Zweigen und Blättern. Und der Auerhahn? Er macht es sich auf den Ästen eines Baumes bequem, weil die Natur diesen Platz für ihn vorgesehen hat. Der Fisch genauso, er bleibt im Fluss. Die Schildkröte, der Hirsch, der Kaiman – jedes Tier lebt genauso, alle haben sie ihren Platz zum Leben in der Natur – so wie wir. Den habt ihr auch – aber er genügt euch nicht. Ihr braucht ein Bett, einen Kühlschrank, einen Freezer, Telefon und Toilette, um in eurem Haus zu stuhlen, Dusche, um in eurem Haus zu baden. Wir stuhlen in der Natur und baden im Fluss!

Frage: Und hast du irgendeine Veränderung des Klimas bemerkt?

Antwort: Sie sagen, dass die Welt verdreckt ist, dass die Klimaveränderung kommt, dass es zu wenig regnet oder zu viel, dass es heisser wird… Das alles ist euer Fehler, der sich da zeigt! Eure Bevölkerung wächst, die Menge der Autos nimmt zu, Flugzeuge, Fabriken, Öl. Auch hier in Boa Vista gab es vor wenigen Jahren eine Trockenheit wie nie zuvor. Viel Wald ist ausgetrocknet – und da haben sie die Bäume gefällt. Ich sehe zwei Alternativen: entweder werden wir sterben durch Feuer oder ertrinken im Wasser. Die Frau im Fernsehen sagt, wo es regnet und wo nicht, und sagt, dass das natürlich sei, aber die Leute glauben das nicht. Einmal, als der Fluss alles überschwemmt hatte, haben sie mich nach meiner Meinung gefragt. Ich habe dazu keine Meinung – ihr müsst eine Meinung dazu haben, denn es ist euer Fehler! Ich bin ein Yanomami und verteidige mein Land – ihr seid es, die die Luft vergiften!

Frage: Ich bin kein Indio und habe einen Sohn von 18 Monaten. Was soll ich ihm deiner Meinung nach beibringen?

Antwort: Ihr solltet eure kleinen Kinder lehren, welches der richtige Weg ist. Es gibt viele Wege, aber sie müssen lernen, wie sie ihr Land beschützen. Nicht ich und auch nicht du, sondern sie werden Brasilien beschützen. Also gib deinen Sohn in eine Schule mit einem guten Lehrer, damit er denken lernt und das zu tun, was gut ist für uns Indios und für euch Weisse ebenfalls.

Frage: Wir haben schon über den Alkohol gesprochen… ist er eins der Probleme, die durch die Nähe der Weissen entstanden sind?

Antwort: Die Trunksucht ist ein allgemeines Problem – nicht nur der Indios. Es ist eins der schlimmsten Probleme, die wir in der Stadt, in den Kommunen, einfach überall haben. Und das wird niemals aufhören. Das Volk der Erde hat diese Sitte angenommen – zuerst war es “Caxiri“ (alkoholisches Getränk der Indios auf Maniokbasis), jetzt ist es Bier und Cachaça.

Frage: Und andere Drogen, wie Marihuana, Kokain oder Crack, haben sie eure Dörfer erreicht?

Antwort: Vielleicht bei anderen Völkern. In meinem Gebiet noch nicht, aber es wird geschehen. Bei den Indios, die mit dem weissen Mann leben, wird es passieren.

Frage: Indios haben einen unterschiedlichen Zeitbegriff. Ich habe gelesen, dass du nicht genau weisst, wie alt du bist?

Antwort: Es kümmert mich nicht, wie alt ich bin. Wir zählen die Jahre nicht, ich weiss mein Alter nur ungefähr. Sie sagen, dass es 58 Jahre sind, aber das ist eine Schätzung.

Frage: Also feiert ihr keinen Geburtstag?

Antwort: Das gibt’s bei uns nicht – Geburtstag, Feier, Torte. Und das kümmert mich auch nicht – ich kümmere mich um meinen Sohn, meinen Enkel…

Frage: Was ist die bedeutendste Lehre, die wir Napës von der Natur lernen sollten?

Antwort: Ein grosser Teil der nicht-indigenen Bevölkerung hört bereits zu, lernt und beginnt über die Erhaltung der Natur zu reden. Aber noch sind es wenige. Der Indio muss mehr sprechen, und ihr müsst mehr zuhören. Wir müssen gemeinsam kämpfen. Das Wichtigste ist die Allianz, ohne Vorurteile, keine Feindschaft. Und daran denken, dass ein Baum kein Fleisch ist, dass man an ihm nichts verändern soll, nur ihn so lassen, wie er ist, die Natur hat ihn bereits konserviert…
(Plötzlich rennt ein Fuchs vor unserem Auto über die Piste und lenkt Davis Aufmerksamkeit ab – er bewundert das Tier).

Frage: Ist denn ein Fuchs auch gut zu essen, Davi?

Antwort: (Er lacht) Ein Fuchs ist kein guter Braten, nein – wir ziehen Tapir, Wildschwein, Auerhahn, Wasserschwein, Schildkröte, Gürteltier, Kaiman für den Grill vor – und natürlich Fische.

Frage: … und auch Schlangen?

Antwort: Wenn wir nichts anderes finden, essen wir auch Schlangen.

Frage: Und Jaguar?

Antwort: Klar! Jaguar ist besser als Hot-dog!!

Quelle: REVISTA TRIP/Lino Bocchini

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AutorIn: Klaus D. Günther

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