Tod mit 57: Sócrates verliert sein letztes Spiel

Ballkünstler, Kinderarzt, Alkoholiker: das Leben von Brasiliens Fußball-Legende Sócrates hatte viele Facetten. Nun ist das Idol einer ganzen Generation tot. Der 63-fache ehemalige Nationalspieler starb am Sonntag (4.) im Alter von 57 Jahren in einem Krankenhaus in São Paulo an den Folgen seines exzessiven Alkoholkonsums.

Es war 4:30 Uhr morgens, als das Herz des Ausnahmefußballers im Albert-Einstein-Krankenhaus in der brasilianischen Millionenmetropole schließlich aufhörte zu schlagen. Sócrates war bereits am Donnerstagabend mit einer Magenverstimmung eingeliefert worden. Umgehend kam er auf die Intensivstation, wo er bereits im August und September zweimal behandelt werden musste wurde.

Damals waren bei Sócrates innere Blutungen und eine Leberzirrhose diagnostiziert worden, zahlreiche der insgesamt 28 Tage im Spital musste er künstlich beatmet werden. In einem Interview bekannte er sich später zur Alkoholsucht und gelobte Besserung. Doch der Schaden in seinem Körper war schon zu groß, zwei Monate später sollte er der Krankheit erliegen.

Laut den Medizinern ist der 57-jährige, der bereits wenige Stunden später unter großer Anteilnahme beerdigt wurde, an einem „septischen Schock“ verstorben. Dieser wird durch eine generalisierte Infektion ausgelöst, bei der sich Mikroorganismen wie Giftstoffe verhalten. Der Blutdruck fällt immer weiter ab und der Organismus wird dadurch nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Die Sterblichkeitsrate in sollen Fällen wird von der Wissenschaft mit 70 Prozent angegeben.

Sócrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira hat dieses Match nicht gewinnen können. Unter diesem Namen wurde am 19. Februar 1954 in Belém in Pará im Norden Brasiliens geboren. Obwohl die Eltern im öffentlichen Dienst angestellt waren, lebte die Familie eher in ärmlichen Verhältnissen. Doch sein Vater arbeitete hart und bildete sich neben der Arbeit weiter, so dass Sócrates seine Jugendzeit in der Mittelklasse in Ribeirão Preto im Bundesstaat São Paulo verbrachte.

Dort lernte er das Fußballspiel und war so begabt, dass er gleich in zwei Jugendmannschaften trainierte. Mit 17 kam er in die Amateurmannschaft des Botafogo Futebol Clube von Ribeirão Preto, vier Jahre später wechselte er in die dortige Profimannschaft. 1978 unterschrieb er dann beim Traditionsverein Corinthians FC, wo er sechs Jahre blieb und noch heute als größtes Idol des Clubs gefeiert wird. In dieser Zeit schoss er in 297 Spielen insgesamt 172 Tore und beendete nebenbei sein Medizinstudium.

Mit dem Wechsel zu Corinthians begann für das 1,92 Meter große und nicht unbedingt athletisch gebaute Ausnahmetalent die Zeit in der Seleção, der Fußball-Nationalmannschaft. Sein Debüt feierte er am 17. Mai 1979 gegen Paraguay und zog seitdem im Mittelfeld die Fäden. Als Mannschaftskapitän der Seleção stand er sowohl bei der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien als auch vier Jahre später in Mexiko auf dem Platz.

Doch so sehr Sócrates auch mit dem Ball zaubern konnte, die ganz großen Titel blieben ihm verwehrt. Bei seinen zwei WM-Teilnahmen wurde Brasilien jeweils nur Fünfter, selbst bei der Copa Ámerica sprang 1979 nur Platz 3 und 1983 der undankbare zweite Platz heraus. Auch wurde die brasilianisch Ikone mit seinen Vereinen nie Landesmeister, lediglich drei Staatsmeisterschaften konnte er in seiner Zeit bei Corinthians gewinnen.

Höhepunkt und der Anfang vom Ende stellte für Sócrates mit Sicherheit die Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko dar. Er stand als einziger verbliebener Spieler der 82er-Mannschaft auf dem Rasen und machte seinem Namen als Ballzauberer alle Ehre. Allerdings verschoss er im Viertelfinale gegen Frankreich einen Elfmeter und besiegelte damit das Ausscheiden der Seleção. Dies war gleichzeitig sein letzter Auftritt im kanariengelben Trikot. Drei Jahre später beendete er im Alter von 35 Jahren auch seine Karriere als Vereinsspieler.

Nach seiner aktiven Fussball-Laufbahn arbeitete er als Kinderarzt in einem Krankenhaus von Ribeirão Preto und setzte sich zudem für Reformen und Regeländerungen beim Fußballspiel ein. So forderte er unter anderem, die Mannschaften auf neun Spieler zu reduzieren, um die Partien attraktiver zu machen. Zudem kritisierte er regelmäßig das immer defensivere Spiel der Seleção, welches er als „unbrasilianisch“ bezeichnete.

Keinesfalls als „unbrasilianisch“ darf man nun das dem Alkoholismus verschuldete frühe Ableben des ehemaligen Superstars bezeichnen. Der Tod der Fußball-Legende, welcher nach Bekanntwerden für spontane Versammlungen seiner Fans auf den Straßen zahlreicher Städte in Brasilien sorgte, rückt die Volkskrankheit „Alkohol“ erneut in den Öffentlichkeit. Auch wenn Brasilien im weltweiten Vergleich eher im Mittelfeld liegt, kritisieren soziale Organisationen beständig die niedrigen Preise für Hochprozentiges. So ist der beliebte Zuckerrohrschnaps „Cachaça“ bereits für weniger als 2 Euro der Liter erhältlich und damit teilweise günstiger als Bier.

Sócrates hatte sich in jungen Jahren durch Fleiß und Disziplin zwar die Grundlage für ein Leben nach dem Fußball geschaffen, diese jedoch nur teilweise genutzt. Denn der Ballkünstler von einst hat sein letztes großes Spiel abseits vom Rasen verloren – gegen den Alkohol.

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AutorIn: Dietmar Lang · Bildquelle: CBF

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