Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff muss den Hut nehmen. Sie ist am Mittwoch (31.) vom Senat mit einer absoluten Mehrheit von 61 zu 20 Stimmen ihres Amtes enthoben worden. Damit wird ihr bisheriger Vize, Michel Temer, die Präsidentschaft übernehmen. Ob sich damit die politischen Sturmwellen glätten werden, ist fraglich. Auch Temer ist keineswegs unumstritten. Laut Umfragen des Institutes Ipsos im Juli haben sich nur 14 Prozent der Bevölkerung dafür ausgesprochen, dass er bis 2018 als Präsident fungiert.
Mit Mammutsitzungen unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes (STF) Ricardo Lewandowski haben die Senatoren das bestätigt, was sich schon im Vorfeld abgezeichnet hat, die Amtsenthebung Rousseffs. In einer zweiten Abstimmung wurden ihr jedoch die Rechte gewährt, sich weiterhin politisch zu betätigen und öffentliche Ämter zu besetzen.
Doch was hat die einst beliebte Präsidentin zum Fall gebracht? Solange die Wirtschaft des südamerikanischen Landes am Wachsen war, hatte Dilma Rousseff unter Politikern und Bevölkerung breiten Rückhalt. Spätestens mit dem Aufkeimen der Wirtschaftskrise und des Korruptionsskandals “Lava Jato“ hat sich dann der Wind gedreht. Die Wiederwahl zur Präsidentin ist der ersten Frau an der Spitze des Landes im Oktober 2014 nur mit einer knappen Mehrheit gelungen.
Vor allem aus den Reihen der Oppositionspartei PSDB hat es die verschiedensten Versuche gegeben, den Wahlausgang anzuzweifeln, bis am 2. Dezember der damalige Präsident der Abgeordnetenkammer und mittlerweile wegen Korruptionsverdacht suspendierte Eduardo Cunha einen Antrag für ein Amtsenthebungsverfahren Rousseffs zugelassen hat. Der ist von zwei Anwälten gestellt worden, die von der PSDB dazu beauftragt worden sein sollen.
Als Rousseff im Januar 2015 ihre zweite Amtsperiode angetreten hat, fehlte ihr längst schon der politische Rückhalt und auch der in der Bevölkerung. Vor allem die reichere Mittelschicht protestierte in Massen bei Sonntags-Demonstrationen mit “Fora Dilma“ (Raus Dilma) und Töpfeklappern bei offiziellen Ansprachen Rousseffs gegen die Präsidentin. Demgegenüber standen wesentlich kleinere Proteste, zu denen soziale Bewegungen aufgerufen hatten.
Im Kongress fand sich die Regierung einer absoluten Blockadehaltung gegenüber. Keine einzige der vorgeschlagenen Maßnahmen wurde verabschiedet. Einstige Verbündete und Koalitionspartner bröckelten nach und nach weg und quittierten das nicht auf Dialog gesetzte Verhalten Rousseffs.
In den Rücken gefallen ist ihr letztlich ebenso ihr Vize, Michel Temer. Der ehemaligen Kämpferin gegen die Militärdiktatur fehlten aber nicht nur Mitstreiter, die das angeschlagene Boot wieder gemeinsam in stillere Gewässer bringen wollten, sondern ebenso überzeugende Vorschläge zur Rettung der Wirtschaft.
Die Wirtschaftskrise war es auch, die von etlichen Senatoren beim Endspurt des Amtsenthebungsverfahrens als Grund für ihre Ablehnung Rousseffs angegeben worden ist. Die offiziellen Argumente der Schönung des Haushaltsdefizits und der Aufnahme zusätzlicher Kredite am Kongress vorbei haben waren nur noch eine Nebenrolle, um dem Verfahren die notwendige Legalität zu verleihen.
Was bleibt ist trotz der Einhaltung aller per Gesetz vorgegebenen Regeln ein schaler Nachgeschmack eines abgekarteten Spiels. Rousseff ist nicht die erste, die ihr Amt vorzeitig niederlegen musste.
In der Geschichte der jungen Demokratie nach der Militärdiktatur (1964 bis 1985) hat es bisher nur vier vom Volk gewählte Präsidente gegeben. Gegen zwei von ihnen, Fernando Collor de Mello und Dilma Rousseff, wurde ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet.
Nur wenige Stunden nach dem Impeachment ist nun der ehemalige Vize und seit der Suspendierung Rousseffs als Interimspräsident fungierende Michel Temer bei einer von “Viva-Rufen“ begleiteten Zeremonie als neuer Präsident Brasiliens eingesetzt worden. Er wird bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2018 die Regierung führen, sofern nicht auch er über ein Amtsenthebungsverfahren stolpert.
Ein solches ist schon vor Monaten beantragt worden. Dem spröden und wenig charismatischen Temer begleiten aber auch Vorwürfe, die von zwei Kronzeugen im Korruptionsskandal “Lava Jato“ gegen ihn erhoben wurden. Auf Kritik stößt auch seine nach der Suspendierung Rousseffs im Mai eingesetzte Ministerriege, die ausschließlich aus weißen Männern besteht.
Noch hat Temer im Kongress, wenn auch eine wackelige, Mehrheit hinter sich, um dringend notwendige Reformen zur Ankurbelung der Wirtschaft durchzusetzen. Ähnlich wie Rousseffs ist aber auch sein bisheriger Führungsstil von widersprüchlichen Aussagen geprägt.
Die bisher bekannt gewordenen Maßnahmen sind wenig populär, sei es die Rentenreform mit einer Erhöhung des Mindesteintrittsalters oder eine Reform des Arbeitsrechts zu Gunsten der Arbeitgeber.
Für Polemik sorgt auch das bekannt gewordene Sparpaket. Mit dem will Temer ausgerechnet die Ausgaben für die ohnehin schon prekäre Sicherheit, Gesundheit und Bildung für die nächsten 20 Jahre einfrieren und mit dem eingesparten Geld Zinsen und Kredite bezahlen. Kritiker sehen darin einen Weg zur Verschärfung der Krise, während das Vorhaben von den Befürwortern als Rettung der angeschlagenen Wirtschaft eingestuft wird.
Ebenso umstritten sind die von der nun neoliberalen Regierung angestrebten Privatisierungen, die nicht nur die Förderung des Tiefsee-Öls umfassen, sondern auch den Energiebereich, Krankenhäuser und selbst das Trinkwasserreservoir “Guarani“.
Doch das sind die Aufgaben von Morgen. Noch am Mittwoch (31.) ist Temer erst einmal nach China gereist, um als neuer Präsident Brasiliens am G20-Gipfel teilzunehmen.