Brasilien 2017: Korruptionsjahr mit Überraschungseffekt

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Die Enthüllungen im Korruptionsskandal Lava-Jato haben in Brasilien 2017 das Jahr geprägt. Gesprächsmitschnitte brachten Präsident Michel Temer in Bedrängnis, ein Fund von über 51 Millionen Reais in Koffern und Säcken den Ex-Minister Geddel Vieira Lima und die ”delação do fim do mundo” (Denunzierung vom Ende der Welt) dutzende Mächtige und Spitzenpolitiker.

Für Aufsehen sorgte ebenso der Absturz eines Kleinflugzeuges, bei dem im Januar der damalige am Obersten Gerichtshof STF für die Lava-Jato-Ermittlungen von Politikern zuständige Richter, Teori Zavascki, ums Leben gekommen ist. Schuld an dem Unfall sollen schlechte Sichtverhältnisse und menschliches Versagen eines eigentlich erfahrenen Piloten gewesen sein. Die Ermittlungen dazu sind noch am Laufen.

Nicht abgeschlossen sind auch die Ermittlungen zu den Korruptionsvorwürfen dutzender Politiker. Die wurden unter anderem durch die Kronzeugenaussagen von leitenden Angestellten des Bauriesens Odebrecht ins Rollen gebracht.

”Delação do fim do mundo” wurden sie betitelt. Auf sie hin hat der Nachfolger des verstorbenen Zavascki, Edson Fachin, die Eröffnung von 80 Ermittlungsprozessen angeordnet, gegen 24 Senatoren, 39 Abgeordnete, acht Minister der Regierung Michel Temers und ebenso drei Gouverneure.

Zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens stehen so viele Mächtige und Spitzenpolitiker gleichzeitig im Visier der Behörden und Gerichte. Aufgedeckt wurde aber auch ein Schema zur Bezahlung von Bestechungsgeld, das wohl schon seit Jahrzehnten funktioniert.

Großunternehmen haben sich öffentliche Aufträge gegenseitig zugeschachert und überteuert abgerechnet. In die Taschen der Politiker und Parteien ist im Gegenzug ein bestimmter Prozentsatz geflossen. Die Rede ist längst nicht mehr von Milliarden auf diese Weise abgezweigten Reais, sondern von Billionen.

Beinahe glaubten die Brasilianer, im Lava-Jato-Skandal schon alles gesehen zu haben. Der Glauben wurde durch das Auftauchen von Ton- und Bildaufnahmen erschüttert. Gemacht wurden sie unter anderem von Fleischbaron Joesley Batista, der damit seinen Kopf aus der Schlinge des Gesetzes ziehen wollte.

Auf den Aufnahmen war Präsident Temer zu hören, der Joesley Batista nachts unter falschem Namen empfangen hat, wohl um das Treffen geheim zu halten. ”Tem que manter isso, viu“ (Das musst du beibehalten) war Temer zu hören, nachdem Batista von Schweigegeldzahlungen an den inhaftierten Ex-Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha, gesprochen hat. Temer streitet ab.

Die von der Bundespolizei gemachten Videos zeigen hingegen Temers Ex-Assistent, Rodrigo Rocha Loures, mit einem Koffer Geld laufend, eine halbe Millionen Reais Schmiergeld, über das in anderen Tonaufnahmen gesprochen worden ist.

Zu einer Anklage Temers ist es nicht gekommen. Zweimal hat die Mehrheit der Abgeordneten ein Verfahren gegen ihn abgelehnt. Erkauft hat sich das Temer teuer, mit Zusagen an die Agrolobby und Geldern für Projekte der Abgeordneten in deren Wahlbezirken.

Dann kam ein spektakulärer ”Fund“ von Koffern und Säcken voll mit Gelscheinen. Die standen in einem von Ex-Minister Geddel Vieira Lima genutzten Apartment. 14 Stunden waren mehrere Fachkräfte und Maschinen damit beschäftigt, den Geldberg zu zählen. Das Ergebnis: über 51 Millionen Reais (umgerechnet derzeit etwa 13,2 Millionen Euro). Geddel Vieira Lima sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft.

Betroffen sind von den Anschuldigungen, Ermittlungen und Prozessen mittlerweile Politiker beinahe aller Parteien, ebenso Ex-Präsidentschaftskandidat Aécio Neves. Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wurde in erster Instanz von Lava-Jato-Richter Süergio Moro zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Vorgeworfen wurde ihm, vom Bauunternehmen OAS Schmiergeld in Form eines Apartments erhalten zu haben. Ein weiterer Prozess darüber wird in der zweiten Instanz im Januar 2018 erwartet.

Die Korruptionsskandale haben 2017 nicht nur Gerichte, Anwälte und Medien beschäftigt. Ende August ist der Film von Marcelo Antunez ”Polícia Federal: A Lei É para Todos“ (übersetzt etwa: ”Bundespolizei: Das Gesetz gilt für Alle“) in den Kinos angelaufen. Er dreht sich um Lava-Jato und hat in wenigen Tagen eine halbe Millionen Menschen in die Kinosäle gezogen.

Noch erscheint Lava-Jato wie ein Faß ohne Boden. Nach Angaben des Ministeriums der Bundespolizei sind seit Beginn der Ermittlungen im März 2014 bis Dezember 2017 insgesamt 1.765 Ermittlungsprozesse eröffnet und über 200 Haftbefehle ausgestellt worden. Geschlossen wurden 163 Abkommen zur Kollaboration, die gefürchtete ”colaboração premiada”.

Bei der packen Beteiligte aus und erhalten im Gegenzug einen Teilerlaß der Strafe. Geführt hat dies zu Prozessen gegen 289 Politiker, Unternehmer, Manager, Angestellte, Werbefachleute und andere, denen neben Korruption ebenso Geldwäsche, die Gründung von kriminellen Organisationen und in einigen Fällen auch Drogenhandel vorgeworfen wird.

Bisher sind 177 Urteile gesprochen und 113 Angeklagte verurteilt worden. Sie vereinen eine Haftstrafe von über 1.753 Jahren. Bußgelder und Rückzahlungsforderungen belaufen sich auf 38,1 Milliarden Reais (derzeit etwa 9,9 Milliarden Euro). Betroffen ist längst nicht nur Brasilien. 340 internationale Kooperationsanträge liegen aus dutzenden Ländern vor.

Ob 2018 mit ähnlichen Enthüllungen wie 2017 gerechnet werden darf, ist indes fraglich. Selbst von der Arbeitsgruppe Lava-Jato ist bereits ein ”baldiges Ende“ angekündigt worden. Seitens der brasilianischen Regierung sind im auslaufenden Jahr zudem die Fäden gezogen worden. Wichtige Posten wurden umbesetzt, dazu zählt auch der der Direktion der Bundespolizei.

Eins hat 2017 in Sachen Korruption aber gebracht. Die Bevölkerung ist aufmerksamer geworden, und vielleicht auch intoleranter. Ein Barometer dazu werden die Wahlen im Oktober 2018 sein, bei denen etliche der mutmaßlich in Korruption verstrickten Politiker wieder um ein Mandat antreten wollen.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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