Brasília: Feier und Frust bei Schließung größter Müllhalde Lateinamerikas

Müllhalde – Foto: Fotos Publicas
Nach fast 60 Jahren ist am Samstag (20.) die größte Müllhalde Lateinamerikas geschlossen worden. 2000 Familien haben von ihr gelebt. Nicht alle sind mit ihrer Schließung einverstanden. Sie sagen, dass sie ihren Lebensunterhalt verlieren.

Auf 201 Hektar ist im „Lixão da Estrutural” über Jahrzehnte hinweg ohne jegliche Regelungen und Umweltschutzmaßnahmen der Haushaltsmüll gekippt worden. 40 Millionen Tonnen sollen sich vor den Toren der Hauptstadt Brasília und unweit des Nationalparkes Brasília mit einem Trinkwasserreservoir des Hauptstadtdestriktes angesammelt haben. Die Rede ist von der zweitgrößten Müllkippe der Welt.

Von Anfang an hat die Müllhalde Menschen angezogen, die in den weggeworfenen Resten Verwertbares gesucht haben, um sich und ihre Familien damit über Wasser zu halten. Anliegende Grundstücke wurden vereinnahmt, Hütten und Häuser gebaut. Entstanden ist nach und nach eine neue Stadt, die Cidade Estrutural. In der leben heute über 35.000 Menschen.

Auf der Müllhalde selbst hat sich in den sechs Jahrzehnten nicht viel verändert. Hunderte Männer und Frauen und teilweise auch Kinder haben dort täglich Plastiksäcke und Müll durchstöbert. In Brasilien wird die Mülltrennung zwar seit Jahren gepredigt. Tatsächlich halten sich aber nur wenige daran. Selbst dann, wenn Wertstoffe fein säuberlich vom Restmüll gesondert werden, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht doch gemeinsam auf der Müllhalde landen.

In vielen Munizipen funktioniert die getrennte Müllsammlung nur teilweise oder überhaupt nicht. Lücken gibt es auch in Brasília. In nur 17 der 30 Verwaltungsregionen des Hauptstadtdestriktes wird der Restmüll getrennt vom Recyclingmaterial eingesammelt. Laut Gouverneur Rodrigo Rollemberg soll die getrennte Müllsammlung erst bis Ende 2018 im gesamten Gebiet erfolgen.

Der ”Lixão da Estrutural” war für viele mittellose Menschen ein Fundplatz. Aus den täglich angelieferten 2.800 Tonnen Müll haben sie Plastikflaschen, Bierdosen, Karton und alles, was sich irgendwie gebrauchen oder verkaufen lässt herausgezogen.

Das Wühlen im Müll zwischen Geiern, unter sengender Sonne und bei herausströmenden Gasen hat seinen Preis. Reportagen über die menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse sind um die Welt gegangen. Viele haben ohne jeglichen Schutz gearbeitet. Krankheiten und Unfälle waren beinahe an der Tagesordnung.

Nach Angaben der Stadtreinigungsunternehmens ”Serviço de Limpeza Urbana” des Hauptstadtdestriktes sind zwischen 2009 und 2017 mindestens 47 Unfälle registriert worden. Sie umfassen Schnittwunden, Verbrennungen, Abtrennungen von Fingern und anderen Gliedmaßen. Gekommen ist es ebenso zu Überfahrungen von Wertstoffsammlern durch die Mülllaster und auch zu Toten.

Immer wieder ist die Schließung des ”Lixão da Estrutural” verschoben worden. Zum Einen weil erst neue, abgesicherte Müllberge als Ersatz angelegt werden mussten. Zum Anderen auf Wunsch der „Catadores“ (Wertstoffsammler). Von der Regierung des Hauptstadtdestriktes wurde ein Programm aufgelegt, um die 2.000 ”Catadores“ in Kooperativen und Vereinigungen einzubinden.

Sie sollen künftig in überdachten Anlagen Recyclingmüll trennen. Ausgehandelt wurde ein Abschlag von 350 Reais (umgerechnet derzeit etwa 91 Euro) pro Tonne getrennten Mülls. Hinzu kommt der Erlös aus dem Verkauf der Wertstoffe. Außerdem sollten sie ein Übergangsgeld von 360,75 Reais erhalten. Laut Gouverneur Rodrigo Rollemberg sollte so ein Monatsgehalt von 1.200 Reais (etwa 311 Euro) zusammen kommen.

Von den Catadores gibt es indes Beschwerden. Nicht jeder erhält das ohnehin knapp berechnete Übergangsgeld, wie es vom Movimento Nacional dos Catadores heißt. Von der Müllhalde wurden sie dennoch bereits verwiesen. Statt der versprochenen 2.000 Plätze in den Trennanlagen, bieten diese zudem nur 1.300 Männern und Frauen Platz.

Bei der Feier zur Schließung der gigantischen Müllhalde hat der Gouverneur versprochen, mehr Trennanlagen zu schaffen, um irgendwann allen Catadores einen Platz zu bieten. Unbeantwortet bleibt die Frage, von was die Familien der Müllsammler in der Zwischenzeit leben sollen.

Was fehlt ist ebenso ein Programm für diejenigen, die den Müllberg hinter sich lassen wollen, um ihre Familien mit einer anderen Arbeit zu ernähren. Was bleibt ist hingegen ein Risiko für Mensch und Umwelt durch die 40 Millionen Tonnen Müll, durch ausströmende Gase und ungehindert ins Grundwasser sickerndes, verseuchtes Abwasser.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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