Klimagipfel: Schöne Worte haben nichts mit Umweltpolitik Brasiliens gemein

Schöne Worte, aber die Realität sieht anders aus. So lautet das mehrheitliche Fazit brasilianischer Politiker, Umweltschützer und Wissenschaftler zur Rede des Präsidenten Jair Bolsonaro beim von Joe Biden einberufenen Klimagipfel. Während Bolsonaro versucht, im Ausland das Umweltimage Brasiliens zu verbessern und Geld für den Schutz Amazoniens einzutreiben, wird die Kritik im eigenen Land immer lauter.

Abholzung im Regenwald – Foto: Vinícius Mendonça/Ibama

In seiner Rede hat Bolsonaro Maßnahmen zur Verringerung der Ausstöße schädlicher Treibhausgase und bis 2050 eine Kohlendioxidneutralität versprochen sowie die Kahlschläge zu bekämpfen. Im Gegenzug hat er zu einer Beteiligung reicher Nationen an der Finanzierung der Umweltdienste seines Landes gefordert.

Kritiker, wie der Wissenschaftler Marcio Astrini vom Klimaobservatorium, sagen indes: “Das Problem Brasiliens ist nicht ein Mangel an Finanzmittel, sondern ein Mangel an Regierung und Engagement.“ Hervorgehoben wird dabei der Amazonien-Fonds, in dem seit Anfang 2019 knapp drei Milliarden Reais schlummern.

Blockiert wurden die Fondsmittel von Umweltminister Ricardo Salles selbst. Der hat unter anderem als eine seiner ersten Maßnahmen im Amt den technischen Rat des Fonds aufgelöst und für eine Blockierung des für Umweltprojekte und Kahlschlagskontrollen vorgesehenen Geldes gesorgt.

Auch die Ankündigung, die Haushaltsmittel der Umwelt-Kontrollbehörden Ibama und ICMBio zu verdoppeln wird kritisch gesehen. Unter der Regierung Bolsonaros haben die Haushaltsmittel der Umweltbehörden nach wiederholten Kürzungen den tiefsten Stand der vergangenen 20 Jahre erreicht. Für 2021 sind nach dem vorläufigen Haushaltsplan zudem weitere Kürzungen um 27,4 Prozent vorgesehen.

Wichtiger als eine internationale Finanzierung sei eine Rücknahme des kompletten Abbaus der Umweltpolitik, sagt Ex-Ibamachefin Suely Araújo. Durch die von Umweltminister Ricardo Salles in den vergangenen zwei Jahren erlassenen Regeln und Normen sind Kontrollen gegen Umweltvergehen mittlerweile nahezu unmöglich, bestätigen auch über 400 Mitarbeiter der Umweltbehörde Ibama. Angeprangert haben sie den Stillstand von Kontrollen in einem offenen Brief kurz vor Beginn des Klimagipfels.

Nichts Neues beim Klima-Abkommen

Beim Abkommen von Paris hatte sich Braslien 2015 dazu verpflichtet, bis 2030 alle illegalen Kahlschläge auf Null zu fahren. Bolsonaro hat diese Verpflichtung nun erneuert, nachdem er dies selbst Ende vergangenen Jahres ausgeschlossen hatte. Unter den gegebenen Umständen ist das Versprechen laut Spezialisten jedoch kaum möglich.

Sie verweisen auf den sprunghaften Anstieg der Rodungen. Unter Bolsonaros Regierung haben diese 2019 um 34 Prozent zugenommen und 2020 laut dem Warnsystem der Raumfahrtbehörde Inpe ebenso um über 30 Prozent. Eine Abschwächung ist nach den jüngsten Inpe-Daten nicht in Sicht. Vielmehr wird vom Gegenteil ausgegangen.Im März dieses Jahres wurde ein trauriger Kahlschlagsrekord der vergangenen zwölf Jahre registriert.

In Frage stellen die Experten ebenso, wie das ehrgeizige Versprechen der Kohlendioxidneutralität bis 2050 erreicht werden soll. Es fehlt an konkreten Vorschlägen für Maßnahmen, wie dies geschehen soll, so die Kritiker.

Selbst die von Bolsonaro genannten Zahlen halten der Überprüfung der Experten nicht stand. Laut dem brasilianischen Staatchef hat das Land mit weniger als ein Prozent zu den historischen Emissionen beigetragen. Tatsächlich ist Brasilien derzeit weltweit der sechstgrößte Emittent von schädlichen Treibhausgasen.

Darüber hinaus hat die Coronavirus-Pandemie 2020 in den meisten Ländern zu einer Verringerung der Ausstöße geführt, während sie in Brailien aufgrund der verheerenden Brände im Pantanal und Amazonas-Regenwald gestiegen sind.

Er sei stolz darauf, dass 84 Prozent Amazoniens erhalten seien, sagte Bolsonaro beim Klimagipfel. Das wird unter anderem vom Klima- und Amazonienexperten Carlos Nobre widerlegt. Durch Kahlschläge völlig zerstört wurden bereits 20 Prozent des Amazonas-Regenwaldes. Hinzu kommen laut Expertenschätzungen weitere zehn bis 20 Prozent der Waldfläche, die durch den Eingriff der Menschen degradiert sind.

Es regt sich Widerstand

Spezialisten, Umweltschützer und Politiker sind sich einig, dass es für Veränderungen mehr als schöne Worte braucht. In Brasilien regt sich zudem Widerstand. Proteste gegen die Umweltpolitik der Regierung werden immer lauter. Öffentliche Kritik gibt es nicht nur von renommierten Wissenschaftlern und ehemaligen Umweltministern. Selbst Wirtschaftsvertreter und Banken Brasliens haben vor wenigen Wochen in einem offenen Schreiben ein Umdenken bei der Umweltpolitik gefordert.

Von verschiedenen Seiten wird mittlerweile auch der Rücktritt des Umweltministers Ricardo Salles gefordert. Der von Künstlern und Ex-Ministern ins Leben gerufene Hashtag #ForaSalles (Salles raus) hat vor wenigen Tagen für Rekorde bei den Tweets gesorgt. Von Bolsonaro-Anhängern gab es die Antwort “FicaSalles“ (Bleib Salles). Die Antwort hat allerdings für eine noch größere Sichtbarkeit des Ursprungstweets gesorgt.

Der Polizeichef von Amazonas hat zudem Ermittlungen gegen Salles beantragt. Unterstützt wurde er vom Staatsministerium, das eine einstweilige Suspendierung des Umweltministers fordert. Dem wird vorgeworfen sich für Unternehmer eingesetzt zu haben, die für illegale Holzentnahmen und die Invasion öffentlicher Waldflächen verantwortlich sein sollen.

Aufgedeckt wurde dies bei einer Megaoperation, bei der 131.000 Kubikmeter Edelholz sicher gestellt wurden. Salles hat die Freigabe des Holzes gefordert und soll in die Ermittlungen zugunsten der Holzunternehmer eingegriffen haben. Der Polizeichef wurde kurz nach seiner Anzeige entlassen.

Gefahr aus dem Kongress

Während sich in der Zivilgesellschaft Widerstand gegen die Umweltpolitik Bolsonaros regt, könnte der Umweltschutz durch Gesetzesveränderungen weiter untergraben werden. Im Kongress Brasiliens kursieren mehrere Gesetzesvorschläge von denen Invasoren öffentlicher Wälder, von Naturschutzgebieten und Indio-Territorien profitieren könnten.

Beispiele sind ein umstrittenes Landgesetz, die Freigabe von Indio-Territorien zur wirtschaftlichen Nutzung und Mineralausbeute sowie wesentliche Erleichterungen bei Umweltgenehmigungen.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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