Roberto Burle Marx ist einer der bedeutendsten Landschaftsgestalter des 20sten Jahrhunderts. Mit seinen Arbeiten hat er in Brasilien aber auch zum Umdenken angeregt. Sein herausragendstes Schaffenswerk ist sein eigenes Anwesen bei Rio de Janeiro. Dort hat der 1994 verstorbene Allroundkünstler für seine Pflanzenexperimente eine vom Atlantischen Regenwald umgebene einzigartige Anlage mit einer magischen Atmosphäre geschaffen. Jetzt ist das Sítio Roberto Burle Marx von der Unesco zum Welterbe ernannt worden.
Wie kaum einer hat Burle Marx es verstanden, lebende Kunstwerke zu bilden, Grünanlagen, die wie ein Gemälde wirken. Seine Farbpalete waren verschiedenste Pflanzenarten der Tropen und Subtropen. Mit denen malte er Muster, Wellen und Formen auf die natürliche Leinwand, den Boden, und schuf so faszinierende Parkanlagen und Gärten. Seine wohl größte Arbeit ist aber sein eigenes Anwesen, das Sítio Roberto Burle Marx.
Das diente ihm als Labor, als Atelier, als Experimentierstation und als Aufzuchtstation für Pflanzenarten, die vor ihm keiner gärtnerisch genutzt hat. Entstanden ist ein ungewöhnlicher Staudensichtungsgarten in Parkform mit über 3.500 verschiedenen Pflanzenarten, von denen der Großteil aus den Tropen und Subtropen und aus dem eigenen Land, Brasilien, stammen. Durchwirkt ist er mit Seen, Teichanlagen, Kunstwerken, Gewächshäusern und architektonischen Besonderheiten.
Moderne tropische Landschaftsgestaltung
Noch heute basieren in vielen Grünanlagen Brasiliens Konzepte und Pflanzenmode auf europäischen Vorlagen. Hinzu gekommen ist jedoch ein tropisches Modell. Für das hat Roberto Burle Marx gesorgt. Der ist als junger Mann nicht in seiner Heimat, sondern ausgerechnet in Europa auf die tropische Pflanzenwelt gestoßen.
Eigentlich studierte Burle Marx an der Kunsthochschule in Rio de Janeiro Bildende Künste. Wegen Augenproblemen brachte sein Vater ihn jedoch 1928 nach Berlin zur Behandlung. Dort entdeckte er den Botanischen Garten mit seinen Tropenhäusern. In denen sorgten Pflanzen aus seiner Heimat für eine überschwengliche Welt der Formen und Farben. Die Entdeckung der Botanik Brasiliens ließ den jungen Studenten seitdem nicht mehr los.
Zurück in Brasilien widmete er sich zunächst weiterhin der Kunst, bis er diese auf Gärten und Parkanlagen ausweitete. In kürzester Zeit machte er sich weltweit einen Namen als Landschaftsarchitekt. Roberto Burle Marx war an der Gestaltung und Planung der Hauptstadt Brasília beteiligt, die in den sechziger Jahren in kürzester Zeit aus dem Nichts aus dem Boden gestampft wurde. Er zeichnet verantwortlich für den ”Calçadão” der berühmten Copacabana, dem kilometerlangen mit Ornamenten und Wellen aus Pflastersteinen überzogenen Gehweg, der mindestens genauso berühmt ist, wie der eigentliche Strand. Der Aterro do Flamengo in Rio de Janeiro geht auf ihn zurück und ebenso Parkanlagen, Gärten und Grünanlagen verschiedener Universitäten, privater und öffentlicher Einrichtungen und auch Dachgärten.
Was die Arbeiten Burle Marx so besonders macht? Schon seine Entwürfe für die Anlagen sind moderne, abstrakte Kunstwerke. Die setzte er dann mit hunderten gleicher Stauden und Blattpflanzen um. Dabei verwendete er nicht wie zu der Zeit üblich die Pflanzen, die in Europa oder anderswo gerade in Mode waren. Er bediente sich vielmehr der Artenvielfalt des eigenen Landes.
Ins Leben gerufen hat er damit die moderne, tropische Landschaftsgestaltung. Burle Marx holte heimische Pflanzenarten ins öffentliche Grün. In Parkanlagen und Gärten setzte er das ein, was bis dahin als “Mato“ (Unkraut) verpöhnt war. Was in den Regen- und Trockenwäldern, den Steppen und Feuchtgebieten Südamerikas wuchs fand mit ihm Eingang in die Landschaftsgestaltung. Philodendren, Helikonien, Bromelien und Begonien erhielten plötzlich einen neuen Stellenwert, wurden Teil moderner Grünanlagen und des öffentlichen Bewusstseins.
Ländliches Anwesen als Experimentierfeld
Einfach war dies allerdings nicht. Weder Philodendren noch Helikonien gab es in größeren Mengen zu kaufen. Zu wenig war auch darüber bekannt, wie sich die tropischen Pflanzen Brasiliens als Gartenelemente verhalten würden. Wachsen sie überhaupt außerhalb ihres natürlichen Lebensraumes, wie dem Regenwald, und wenn ja, wie? Würden sie Nachbarspflanzen zuwuchern? Wie ist der Blüteverlauf? Verändert sich das Grün der Blattpflanzen mit den Jahreszeiten? Wann müssen sie umgesetzt, geschnitten, gedüngt werden?
Burle Marx wartete nicht darauf, dass sich irgendwann jemand diesen Studien annehmen wird. Gemeinsam mit seinem Bruder Siegfried kaufte er 1949 eine ehemalige Fazenda, das Sítio Santo Antônio da Bica und begann seine eigenen Erfahrungen mit der heimischen Flora als Gestaltungsobjekte zu sammeln. Er legte Gärten an und für die Wasserpflanzen Teiche. In Gewächshäusern ließ er Pflanzen anbauen, Samen aussähen.
Entstanden ist ein einzigartiges Konglomerat. Später kamen weitere, anliegende Flächen hinzu. Heute umfasst das Anwesen 405.000 Quadratmeter, mehrere Gärten und Gewächshäuser, sieben Gebäude, sechs Seen, eine umfangreiche Sammlung von Volkskunstobjekten aus allen Regionen Brasiliens, eine Bibliothek mit über 4.000 Büchern aus dem Bereich der Botanik, dutzende von ihm und anderen Künstlern geschaffene Kunstwerke, Bilder, Skulpturen, Fliesenzeichnungen, Gravuren.
Über 3.500 Pflanzenarten wie Helikonien, Philodendren, Begonien, Orchideen, Kakteen und Farne hat Burle Marx auf seinem Anwesen vereint und damit eine der größten Sammlungen tropischer und subtropischer Pflanzen weltweit geschaffen. Der Sombral Margaret Mee beherbergt beispielsweise eine Sammlung von Anthurien und Bromelien. Margaret Mee war eine Freundin Burle Marx und eine Künstlerin, die sich botanischen Illustrationen widmete. Etliche davon sind auf Burle Marx Anwesen entstanden. Den Bereich der Gewächshäuser und beschatteten Gewächsflächen für Palmengewächse, Lianen und Philodendren hat Burle Marx Graziela Barroso gewidmet, eine Botanikerin, die sich mit der Bestimmung der brasilianischen Flora einen Namen gemacht hat.
Sammler, Naturliebhaber und Vorreiter
Woher all die Pflanzen stammen? Burle Marx war nicht nur leidenschaftlicher Künstler, Gärtner, Gestalter und Forscher, sondern auch Sammler und allen voran Naturliebhaber und Umweltschützer. Immer wieder hat er mit Mitarbeitern, Freunden, Botanikern, Gärtnern und Studenten mehrtägige Exkursionen in die Biome Brasiliens unternommen, in den Atlantischen Regenwald, die Caatinga, das Pantanal, Cerrado und Amazonas-Regenwald. Manchmal haben sie auch mehrere Wochen gedauert. Eine dieser Exkursionen ging 1983 nach Amazonien. Zu elft sind sie mit einem Kleinlaster und zwei Kombis aufgebrochen. 11.000 Kilometer haben sie dabei zurückgelegt und am Ende hunderte Pflanzen mit nach Rio de Janeiro gebracht.
Die Exkursionen waren allerdings eher Rettungsaktionen. Wurde etwa für den Bau einer Straße Vegetation abgeholzt und zur Seite geschoben, war Burle Marx mit seinem Team zur Stelle, um zu retten, zu sammeln und die Pflanzen später in Gewächshäusern und Gärten seines Sítios zu pflanzen und zu bewahren. Die Pflanzen wurden ebenso botanisch bestimmt. Etwa 50 Pflanzenarten gehen auf die Entdeckung Burle Marx zurück. Etliche von ihnen tragen seinen Namen, wie die Bromelie Orthophytum burle-marxii oder die auch in Europa als Topfpflanze erhältliche Korbmarante Calathea burle-marxii.
Burle Marx war in Vielem seiner Zeit voraus. Noch bevor über Recycling diskutiert wurde, hat er dies schon praktiziert. Als in Rio de Janeiro ein neoklassisches Gebäude abgerissen werden sollte, hat er schon in den 70er Jahren kurzerhand dessen Fassade erworben. Erst Jahre später hat er sie auf seinem Sítio wieder aufbauen lassen, als Fassade seines Ateliers. Andere gefundene und erstandene Abbruchelemente bilden vereint eine verspielte Mauer an einem der Teiche.
Geteilte Freude, geteiltes Wissen
Es lag Burle Marx fern, Wissen und Sammlungen nur für sich zu behalten. Noch zu Lebzeiten hat er sein Anwesen dem Staat vermacht, um eine Weiterführung zu garantieren und auch, damit es weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Vermittlung der Freude an der Natur und des Wissens lagen Burle Marx am Herzen. Auf seinem Sítio hat er nicht nur Freunde emfpangen, sondern ebenso Schüler, Studenten, Botaniker, Forscher und große und kleine Leute.
Auch heute noch hat sich das Sítio Burle Marx Schutz, Forschung und die Wissensverbreitung auf die Fahne geschrieben. Gearbeitet wird derzeit an einem Herbarium. Die Infrastruktur wurde für den Besucherverkehr verbessert und Sammlungen und Anlagen sind Forschern, Studenten und anderen Interessierten zugänglich. Empfangen werden Schulklassen, Besuchergruppen und ebenso Touristen. Es gibt Workshops, Kurse, Musikveranstaltung und andere Evente.
In der auf dem Anwesen befindlichen 200 Jahre alten Kapelle werden zudem die Traditionen der Region mit Hilfe der Bevölkerung aus der Nachbarschaft aufrecht erhalten. Dazu gehören auch Messen, Hochzeiten, Taufen und religiöse Zeremonien.
Für einen Besuch des Sítios ist jedoch eine Anmeldung erforderlich. Gewährt werden soll mit einem Besucherlimit von 140 Personen pro Tag eine nachhaltige Bewirtschaftung. Die Führungen in Gruppen dauern in etwa 1:30 Stunden. Für Besucher mit Fortbewegungsproblemen gibt es ein elektrisches Fahrzeug und für internationale Touristen Führungen in englischer Sprache. Schließlich soll das neue Welterbe allen Menschen der Welt offen stehen.