Das Polarlicht Aurora borealis gibt es in Brasilien nicht zu sehen. Ein besonderes Lichtphänomen kann aber doch beobachtet werden: „Praias iluminadas“, blau leuchtende Strände. In Wirklichkeit sind es nicht die Strände, die leuchten. Vielmehr ist es ein Plankton, das für den Leuchteffekt der Wellen verantwortlich ist. Dort, wo sich die Wellen brechen, sorgen spezielle Planktonarten für Milliarden von kleinen neonblau schimmernden Punkten, die zusammen das einzigartige Phänomen der leuchtenden Strände bilden. Zu sehen ist dieses vor allem in mondlosen Nächten.
Nicht nur die Strände leuchten dort, wo die gebrochenen Wellen den Sandstrand hinauf züngeln. Werfen Fischer in der Nacht ihre Netze aus, glitzern auch diese auf scheinbar geheimnisvolle Weise.
Als ich das Phänomen zum ersten Mal erleben durfte, habe ich auf dem Trapichi, dem Anlegesteg, liegend immer wieder meine Hände in das Wasser gestreckt. Im Nu waren diese vom Plankton umrundet, das meine Hände erscheinen ließ, als hätten ihnen unsichtbare Wasserfeen blau leuchtende Handschuhe übergestriffen. Auch Schwimmer hatten sie mit einen schimmernden Umriß versehen. Sie waren somit selbst in der dunklen Nacht als helle Flecken im Meereswasser erkennbar. Bei jeder Vorwärtsbewegung bildete sich bei ihnen noch dazu ein kleiner Schweif, der in Sekunden wieder verschwand.
Für Touristen und auch Einheimische sind die „leuchtende Strände“ immer wieder ein besonderes Spektakel. Zu sehen ist es aber nicht immer und auch nicht an allen Stränden Brasiliens.
Im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina sind es die Strände von Imbé und Tramandaí, an denen biolumniszierendes Plankton Wellen und Schwimmer in ein magisches Licht taucht. Im Bundesstaat Paraná kann es am Strand der Insel Ilha do Mel erlebt werden. Auch die im Süden des Bundesstaates São Paulo gelegene Ilha do Cardoso und der Strand Embaré sind für das nächtliche Lichtspektakel bekannt.
Wissenschaftler haben die dahinter steckende Magie längst entschlüsselt. Ausgelöst wird es von Plankton. Im Meer schwimmen tausende von Planktonarten. In der Regel sind sie mikroskopisch klein. Es gibt aber auch Plankton, das ein oder zwei Millimeter misst und ohne Mikroskop gesehen werden kann. Dort, wo sich das Plankton ansammelt, kann es zudem ohne Mikroskop ausgemacht werden. Zu den Ansammlungen kann es durch die Meeresströmungen kommen. Diese können vom Plankton nicht überwunden werden. So treibt die Strömung schließlich auch das Plankton an verschiedene Küstenbereiche Brasiliens.
Das gilt auch für viele Arten von Phytoplankton. Ähnlich wie Pflanzen kann das zu den Algen gehörende Phytoplankton mit Hilfe von Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser über einen Photosynthese-Prozess organisches Material erzeugen. Laut den Wissenschaftlern sind die Mikro-Algen oder eben das Phytoplankton für den Sauerstoffgehalt sowohl im Wasser als auch in der Atmosphäre von großer Bedeutung.
Zum Phytoplankton gehören auch die Mikro-Algen Dinoflagellaten. Unter denen gibt es wiederum einige Arten, die zur Biolumineszens fähig sind und damit leuchten können. Sie sind letztlich diejenigen, die an der Küste Süd- und Südostbrasiliens die Wellen in Küstennähe in ein neonblaues Licht tauchen.
Das Licht entsteht durch eine chemische Reaktion. Durch das Zusammentreffen von Sauerstoff und den biologischen Stoffen Luciferin und Luciferase ensteht Energie. Diese wird in Form von Licht abgegeben.
Ihre Bioluminesenz setzen die Mikro-Algen nicht immer ein. Vielmehr reagieren sie damit auf einen mechanischen Impuls, wie eben die Bewegungen der Wellen oder den Wellenbruch, wie Luciano Fernandes von der Universität Paraná (UFPR) erklärt.
Auch wenn die Hand abrupt ins Wasser gesteckt wird oder ein Schwimmer die Beine bewegt, reicht dies als Schaltereffekt für das Aktivieren der Bioluminesenz. Dann leuchten blaue Punkte rund um die Beine oder die Hand herum auf, wird das Plankton, das uns im Wasser umhüllt sichtbar.
Für Nicht-Fotografen ist es schwierig, den Effekt mit der Kamera des Handys festzuhalten. Den Wissenschaftlern ist dies indes gelungen. Sie waren allerdings weniger an den Kameraeinstellung interessiert. Herausfinden wollten sie vielmehr, warum manche Planktonarten überhaupt mit der Bioluminesenz ausgestattet sind. Im Labor haben sie dazu verschiedene Experimente durchgeführt.
Das vom Phytoplankton abgestrahlte Licht, wird in einem bestimmten Wellenbereich ausgesendet. Der erscheint für uns Menschen bläulich. Für die Meeresbewohner ist dieser Wellenbereich weithin sichtbar. Dadurch könnte ein selektiver Vorteil bestehen, so die Vermutung der Forscher. Tatsächlich ist es ihnen in Experimenten gelungen, dazu einen Nachweis zu erbringen.
Sie haben verglichen, wie schnell leuchtende und nicht-leuchtende Arten erbeutet werden. Das leuchtende Phytoplankton war dabei im Vorteil. Es wurde weniger erbeutet, als gewöhnliches Plankton. Wahrscheinlich, so das Fazit der Forscher, werden Freßfeinde durch den Lichtblitz abgeschreckt, der bei einer schnellen Bewegung entsteht.
Leuchtalgen bevorzugen warme Sommermonate
Theoretisch treibt das Phytoplankton mit Biolumineszenz das ganze Jahr über im Meer. Das Phänomen der blau leuchtenden Wellen ist trotzdem nicht immer zu sehen. Bestimmte Faktoren, wie Strömungen, Wassertemperatur und Nährstoffangebot müssen zusammenpassen. Auch wird das Phänomen in Vollmondnächten von der Helligkeit des Mondes verdeckt. Deshalb kann es leichter in dunkleren Neumondnächten genossen werden.
Am größten ist die Wahrscheinlichkeit, das Leuchtphänomen des Planktons bewundern zu können, in den warmen Monaten: Im Süden und Südosten Brasiliens fallen diese auf den Zeitraum von September bis März.
Um die faszinierende Biolumineszenz bestaunen zu können, bieten einige Agenturen bereits nächtliche Ausflüge zu Fuß oder mit dem Kajak an. Für diejenigen, die das Phänomen auf eigene Faust erleben wollen, gibt es ein paar Tipps. Am Besten kann es fernab von störenden Lichtquellen der Häuser, Straßen oder öffentlichen Beleuchtung wahrgenommen werden. Einmal am Strand angekommen, sollten auch die Taschenlampen ausgeschaltet werden. Hat sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt, kann mit etwas Glück der magische Effekt der leuchtenden Mikroalgen gesehen werden.
Auf der Ilha do Mel stehen zwischen Farol und Forte die meisten Häuser mit eventuell störenden Streulichtern abseits des Strandes. Ein bisschen Glück ist trotzdem notwendig, weil es nicht jede Nacht auftritt. Ich durfte das einzigartige Schauspiel erleben, als ich mich auf der Ilha do Mel Einheimischen angeschlossen hatte, die nachts ihre Netze zum Fischen auswerfen wollten.
Klimawandel beeinflußt Leuchtplankton
Im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina hat eine Gruppe von Kajakfahrern das Naturspektakel dieses Jahr hingegen im eigentlich noch kühleren Winter bewundert. Sie ruderten im Juli dieses Jahres an der Küste von Florianópolis entlang, als sie in der Baía Norte um 6:15 Uhr morgens das neonblaue Lichterspiel des Planktons beobachten konnten. Auch von der Ilha do Mel gibt es in diesem Jahr Berichte des Phänomens aus dem Wintermonat August.
Alessandra Larissa D’Oliveira Fonseca von der Universität Santa Catarina (UFSC) verweist in dem Zusammenhang auf den Klimawandel. Auch wenn das Phänomen eigentlich eher in den wärmeren Sommermonaten auftritt, gibt es mittlerweile immer wieder wärmere Tage im Winter, an denen der Lichteffekt des Leuchtplanktons registriert und damit die Verzerrung der Jahreszeiten verdeutlicht wird, so Alessandra Larissa D’Oliveira Fonseca.
Toxisch sind die an der südlichen Küste auftauchenden Leuchtalgen übrigens nicht.