Brasilien im Social-Media-Rausch: Likes als Lebensziel

In Brasilien posieren täglich unzählige Menschen vor ihren Smartphones – für Millionen von Followern. Die sozialen Netzwerke, insbesondere TikTok, Instagram und YouTube, sind im Alltag vieler Brasilianer allgegenwärtig. Durchschnittlich verbringen sie dreieinhalb Stunden pro Tag auf diesen Plattformen – eine der höchsten Nutzungsraten weltweit.

Diese Fotomontage ist mithilfe von KI entstanden

Die Zahl der Content Creator wächst rasant. Laut aktuellen Studien gibt es in Brasilien über 500.000 Personen mit mehr als 10.000 Followern – mehr als es beispielsweise Bauingenieure oder Zahnärzte gibt. Und mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterhalten eigene Profile in sozialen Netzwerken.

Besonders unter Jugendlichen ist der Wunsch groß, selbst Influencer zu werden: Drei von vier jungen Brasilianerinnen und Brasilianern streben eine Karriere im Internet an.

Karriere mit Risiko

Die wirtschaftlichen Perspektiven sind ein zentraler Antrieb. Influencerinnen und Influencer verdienen in vielen Fällen ein Vielfaches dessen, was in klassischen Berufsfeldern üblich ist. Das Einkommen ermöglicht oft nicht nur die eigene finanzielle Unabhängigkeit, sondern sichert auch den Lebensunterhalt von Angehörigen. In einigen Fällen trägt eine einzelne Person das wirtschaftliche Fundament ganzer Familien.

Doch der Erfolg hat seinen Preis. Um im Wettbewerb um Reichweite und Klicks hervorzustechen, setzen manche auf extreme Inhalte. Zum Beispiel etwa bei Motorradfahrten mit laufender Kamera, Bootsausflügen ohne Schwimmwesten oder Selfie-Videos aus fahrenden Autos. Vor allem junge Männer neigen dazu, riskante Stunts auf Motorrädern oder Autos zu veröffentlichen.

Die Schattenseiten des Erfolgs

Fachleute warnen vor den gesellschaftlichen Auswirkungen. Medienanalysten und Technologiejournalisten beobachten eine bedenkliche Entwicklung: Bereits Kinder im Grundschulalter sind in sozialen Medien aktiv, obwohl viele Plattformen ein Mindestalter von 13 Jahren vorschreiben. Aussagen wie „Ich verdiene mehr als mein Professor in der Schule, oder eine Moderatorin bei Globo, warum soll ich studieren?“ zeigen ein wachsendes Spannungsfeld zwischen traditionellen Bildungswegen und digitalen Karrieren.

Gleichzeitig wächst unter einigen Influencern die Selbstreflexion. Manche berichten von der Belastung durch den permanenten Druck, relevant zu bleiben, sowie von der Illusion, Status und Geld seien gleichbedeutend mit Glück. Kritische Stimmen appellieren daher zunehmend auch an das Publikum: Wer extreme Inhalte konsumiert, trägt zur Nachfrage bei – und damit indirekt zur Produktion riskanter Formate.

Ein gesamtgesellschaftliches Phänomen

Die Dynamik der sozialen Netzwerke in Brasilien wirft grundlegende Fragen auf: Welche Verantwortung tragen Plattformen, Nutzerinnen und Nutzer sowie die Politik? Und wie kann eine Balance gefunden werden zwischen individueller Freiheit, wirtschaftlicher Selbstverwirklichung und kollektiver Sicherheit?

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