Die Biologin Milene Alves wird den Tag nie vergessen, an dem sie ihr geliebtes Jatobá-Wäldchen zum letzten Mal sah – vor vier Jahren. Umgeben von Weideland war dieser Jatobá-Hain für das Netzwerk „Rede de Sementes do Xingu“ von zentraler Bedeutung. Seit 2007 arbeiten Milene und über 700 Sammler:innen daran, Gebiete des Cerrado wieder aufzuforsten.

Das Netzwerk ist eine Organisation, die sich aus Indigenen, Kleinbauern und städtischen Gemeinschaften in den Flusseinzugsgebieten von Xingu, Araguaia und Teles Pires im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso zusammensetzt. Ihr Ziel: die Wiederaufforstung von Cerrado und Amazonasgebieten.
Mit 26 Jahren arbeitet Milene in ihrer Freizeit als Sammlerin und ist zugleich Technikerin und Koordinatorin einer Arbeitsgruppe im Netzwerk „Redário“, das 27 regionale Netzwerke in 13 Bundesstaaten aus Atlantischem Regenwald, Cerrado und Amazonas vereint.
Ironischerweise wurde genau jenes Gebiet mit den Jatobá-Bäumen, das Milene besonders schätzte, im Jahr 2021 vollständig von einem Farmer zerstört und in eine große Weide verwandelt – trotz einer mündlichen Vereinbarung zur Samennutzung. Als Privatbesitz war der Kahlschlag kaum aufzuhalten.
„Jedes Jahr haben wir einen großen Teil unseres Einkommens von dort erwirtschaftet – vor allem meine Eltern“, sagt Milene, die über das Netzwerk bezahlt wird. „In dem Jahr war es besonders schlimm: Als wir ankamen, war alles abgeholzt. Sie hatten gerade mit einer schweren Kette das Land gerodet. Es lagen noch rauchende Baumstümpfe am Boden.“
In Nova Xavantina – einer Gemeinde 556 Kilometer von Cuiabá, der Hauptstadt von Mato Grosso, entfernt – sammelte Milene einst Samen, aus denen später sogenannte „Muvucas“ wurden: bunte Mischungen von Samen, die zur Wiederaufforstung großer Flächen verwendet werden.
Die Bäume, von denen diese Samen stammen, werden liebevoll „Matriz“ genannt – ein Begriff, der sowohl auf Fruchtbarkeit als auch auf die Struktur des Netzwerks anspielt, in dem über 80 % der Mitglieder Frauen sind.
Der hyperdominante Jatobá
Milene und ihre Kolleginnen erleben am eigenen Leib, was eine internationale Studie jüngst belegte: Seit 1985 hat der Cerrado 24 Milliarden Bäume verloren – das Dreifache der Weltbevölkerung. Eine kleine Zahl von Arten dominiert den artenreichen Lebensraum – ein Phänomen, das als Hyperdominanz bezeichnet wird. Nur 30 Arten (weniger als 2 % der Gesamtzahl) machen die Hälfte aller Bäume im Cerrado aus.
Auch der Jatobá-do-Cerrado (Hymenaea stigonocarpa), Milenes bevorzugte Art, gehört dazu. Sein Verlust ist deshalb ökologisch besonders gravierend. Die Region mit den größten Verlusten liegt im Zentrum Brasiliens – genau dort, wo auch das Netzwerk Rede de Sementes do Xingu aktiv ist.
„Wir waren überrascht von diesem Ausmaß an Hyperdominanz in einem so diversen Ökosystem“, erklärt der Hauptautor der Studie, Facundo Alvarez von der Universität Mato Grosso. Die Erkenntnisse seien entscheidend, um die Folgen der Waldverluste zu verstehen.
Mit einer Fläche von zwei Millionen Quadratkilometern ist der Cerrado die größte und vielfältigste Savanne der Welt. Er spielt eine zentrale Rolle als Wasserquelle und Kohlenstoffspeicher und verbindet die Savannenregion mit dem Amazonas.
Dass so viele ökologische Prozesse von nur 30 Arten abhängen, birgt ein enormes Risiko, warnt Mitautor Ted Feldpausch von der Universität Exeter. Klimawandel, Abholzung und Landnutzungswandel könnten ein empfindliches Gleichgewicht zerstören.
Doch gerade das Wissen über diese Arten kann auch ein Schlüssel zum Schutz des Cerrado sein. Die Forscher:innen wollen herausfinden, wie feuerresistent diese Arten sind, wie sie zur Wiederaufforstung beitragen können und wo sie besonders verbreitet sind.
Der Platz der „Matriz“-Bäume
Aus Sorge vor weiteren Verlusten pflanzt das Netzwerk nun gezielt eigene „Matriz“-Bäume – direkt in den Dörfern, auf Höfen und sogar in städtischen Gebieten. „Die Rede musste Projekte schreiben und finanzielle Mittel auftreiben, um die Bäume näher an die Sammler:innen zu bringen“, berichtet Milene. „In Nova Xavantina haben wir in einen öffentlichen Platz investiert, um dort eine neue Samenquelle zu schaffen.“
Die Maßnahme ist nötig – viele Arten, die früher in der Nähe zu finden waren, verschwinden. Milene muss mittlerweile bis zu 80 Kilometer reisen, um bestimmte Samen zu finden – früher waren es maximal 10 oder 20 Kilometer.
Original: Lázaro Thor Borges, AmazoniaReal
Adaption/deutsche Übersetzung: Redaktion BP
Wer ist Amazônia Real
Die unabhängige und investigative Journalismusagentur Amazônia Real ist eine gemeinnützige Organisation, die von den Journalistinnen Kátia Brasil und Elaíze Farias am 20. Oktober 2013 in Manaus, Amazonas, im Norden Brasiliens gegründet wurde.
Der von Amazônia Real produzierte Journalismus Real stützt sich auf die Arbeit von Fachleuten, die mit viel Feingefühl auf der Suche nach großen Geschichten über das Amazonasgebiet und seine Bewohner sind, insbesondere solche, über die in der Mainstream-Presse nicht berichtet wird.
Der Jatobá ist ein faszinierender Baum – sowohl aus ökologischer als auch aus kultureller und wirtschaftlicher Perspektive. Hier sind die wichtigsten Informationen dazu:

Jatobá – Der Baum des Cerrado
Wissenschaftlicher Name: Hymenaea stigonocarpa
Familie: Hülsenfrüchtler (Fabaceae)
Verbreitung: Cerrado, Caatinga und Teile der atlantischen Regenwaldgebiete Brasiliens
Ökologische Bedeutung
Der Jatobá ist ein sogenannter „Matrizbaum“ – eine besonders fruchtbare und widerstandsfähige Art, die im Cerrado als „Schlüsselbaum“ gilt. Er gehört zu den hyperdominanten Arten, also jenen wenigen Spezies, die in einem Ökosystem ökologisch besonders wichtig sind, weil sie sehr häufig vorkommen und vielen anderen Organismen Lebensraum oder Nahrung bieten.
- Tiefwurzler: Seine langen Wurzeln erschließen Wasser aus großen Tiefen – wichtig in der trockenen Cerrado-Region.
- Feuerresistenz: Die dicke Borke schützt ihn vor den häufigen Savannenbränden.
- Bestäubung und Samenverbreitung: Der Jatobá zieht viele Tiere an, darunter Bienen, Vögel und Affen – er ist also ein zentraler Bestandteil des Ökosystems.
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Früchte und Samen
- Der Name „Jatobá“ stammt aus dem Tupi (indigene Sprache) und bedeutet etwa „zähes Blatt“. Die Früchte sind große, braune Hülsen mit einer sehr festen Schale und einem nahrhaften, süßlich-mehligen Fruchtfleisch, das traditionell gegessen wird. Fruchtfleisch: Wird zu Mehl verarbeitet und in der Naturmedizin gegen Verdauungsprobleme, Bronchitis und als Tonikum verwendet.
Kulturelle und traditionelle Nutzung
In der indigenen und ländlichen Kultur Brasiliens wird der Jatobá hochgeschätzt:
- Heilpflanze: Aus Rinde und Harz wird ein traditionelles Heilmittel gegen Atemwegserkrankungen und Entzündungen hergestellt.
- Symbolkraft: Als langlebiger Baum mit starker Wurzel gilt er als Sinnbild für Standhaftigkeit und Lebenskraft.
- Bedrohung und Schutz
Trotz seiner Widerstandskraft ist der Jatobá zunehmend bedroht:
- Lebensraumverlust: Abholzung für Weide- und Sojaflächen trifft besonders die alten Matrizbäume.
- Fragmentierung: Isolierte Vorkommen erschweren die Bestäubung und natürliche Vermehrung.
- Privatisierung des Samenzugangs: Viele Bäume stehen auf Privatland, was die Arbeit von Samen-Kollektor:innen wie Milene erschwert.
Jatobá in der Wiederaufforstung
Weil der Jatobá viele ökologische Vorteile mitbringt, wird er gezielt in Muvuca-Saatmischungen integriert:
Anpassung an Klimaextreme
- Schnelle Regeneration nach Feuer
- Hoher ökologischer Nutzen für Tiere
- Langfristige wirtschaftliche Nutzung