Abfallwirtschaft in Rio: Arbeit ohne Anerkennung

In Rio de Janeiro arbeiten viele Menschen im informellen Sektor der Abfallwirtschaft unter prekären Bedingungen. Trotz ihres wichtigen Beitrags zur Umwelt und zur Gesellschaft kämpfen sie mit Diskriminierung, mangelnder Infrastruktur und fehlender Anerkennung.

Ziel – Eine nachhaltige und gerechte Abfallwirtschaft – Foto: CoopQuitungo

Ein Mann, heute 70 Jahre alt, begann im Jahr 2000 damit, recycelbare Materialien eigenständig im Norden der Stadt zu sammeln. Zwei Jahre später wurde er Mitbegründer einer Kooperative im Stadtteil Bonsucesso, die mit einer universitären Technologie-Initiative zusammenarbeitet.

Heute sammelt die Kooperative Materialien sowohl bei öffentlichen als auch privaten Unternehmen. Zusätzlich erhält sie recycelbare Abfälle von der städtischen Reinigungsfirma. In einem Lagerhaus im Viertel Cascadura werden diese Materialien sortiert und verkauft – mit einem monatlichen Erlös von rund 1.600 Reais pro Mitglied.

„Angesichts unserer Arbeit für die Gesellschaft finde ich das Einkommen unzureichend. Manchmal verdienen wir etwas mehr durch Dienstleistungen für Firmen“, erklärt er.

Er kritisiert außerdem, dass es keine Unterstützung durch staatliche Stellen in Form von Lagerräumen gebe – und dass Vorurteile den Alltag erschweren „Oft werden wir mit Obdachlosen verwechselt – nur wegen unserer Tätigkeit.“

Ein Soziologe, der ein Buch über menschenwürdige Arbeit für Abfallsammler verfasst hat, betont die zentrale Rolle dieser Berufsgruppe: Sie ist zuständig für Sammlung, Sortierung, Klassifizierung, Verarbeitung und Verkauf wiederverwertbarer Stoffe. Erst seit 2002 ist dieser Beruf offiziell anerkannt und in die brasilianische Berufsklassifikation aufgenommen.

Laut dem offiziellen Berufshandbuch gibt es in Brasilien fast 3.850 registrierte Abfallsammler. Rund 71 % sind Männer, 29 % Frauen. Ihre Arbeitszeiten unterscheiden sich stark, je nach Beschäftigungsform. Während autonome Sammler auf der Straße oder an Müllhalden oft über 16 Stunden täglich ohne Pausen arbeiten, gelten in Kooperativen in der Regel gesetzlich geregelte Acht-Stunden-Tage mit einstündiger Pause.

„Innerhalb von Kooperativen sind Arbeitsbedingungen deutlich besser – und damit auch menschenwürdiger“, so der Soziologe. Trotz Unterstützung durch Kommunen, Spenden und Fortbildungsprojekte kämpfen viele dieser Zusammenschlüsse ums Überleben – wegen fehlender Anerkennung und unklarer rechtlicher Rahmenbedingungen.

Ein weiteres Beispiel findet sich ebenfalls im Norden der Stadt. Dort sammelt seit 2005 eine von Frauen gegründete Kooperative in einem Stadtteil recycelbares Material. Die Gründerin erklärt: „Wir wollten Menschen aus der Nachbarschaft helfen, die keine Möglichkeit hatten, auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“

Die Kooperative zählt heute 14 angeschlossene Familien und sammelt auch bei Firmen und Wohnanlagen. Doch wie so viele andere hat sie keinen eigenen Lagerraum. „Wir arbeiten in einem provisorischen Raum, der uns von einer Kirche überlassen wurde – das reicht bei Weitem nicht.“

Ursprünglich bestand die Gruppe aus 30 Frauen. Wegen der schwierigen Bedingungen – etwa fehlender Fahrzeuge – schrumpfte die Zahl deutlich. „Früher haben wir das Material mit einfachen Handkarren transportiert. Das war sehr anstrengend. Erst als wir einen LKW bekamen, konnten wir Männer fürs Fahren dazuholen.“

Ziel – Eine nachhaltige und gerechte Abfallwirtschaft – Foto: CoopQuitungo

Die eigentliche Sammlung übernehmen jedoch weiterhin ausschließlich die Frauen, gestützt durch ein Dekret aus dem Jahr 2006, das die Mülltrennung in staatlichen Einrichtungen vorschreibt.

Trotz kleiner Fortschritte wie dem Erhalt eines Fahrzeugs bleibt der größte Engpass bestehen: „Ohne eigenes Lager müssen wir das Material oft auf dem Gehweg zwischenlagern. Wir werden für Vorträge und Aufräumaktionen eingeladen – aber unsere eigene Notlage bleibt unbeachtet. Warum eigentlich?“

Unsichtbare Arbeit, fehlende Anerkennung

Ein Experte für Umwelttechnik an einer staatlichen Universität in Rio hebt hervor: Die zentralen Probleme der Abfallsammler sind schlechte Bezahlung und fehlende soziale Absicherung.

„Der Großteil arbeitet informell, ohne Anspruch auf grundlegende Rechte wie Arbeitslosengeld oder Rentenversicherung. Zudem fehlen Schutzkleidung, geeignete Räume und Werkzeuge – was sich negativ auf Gesundheit und Lebensqualität auswirkt.“

Obwohl das nationale Abfallgesetz eine bevorzugte Zusammenarbeit mit Kooperativen vorsieht, betont der Experte: Der effektivste Weg zur Aufwertung der Arbeit besteht in der offiziellen Anerkennung – durch Strukturaufbau, Weiterbildung und bessere Ausrüstung.

„Nur so können Menschen aus prekären Lebenslagen geholt und zu anerkannten Arbeitskräften gemacht werden. Städte sollten Kooperativen direkt entlohnen – als Zeichen der Wertschätzung für ihre strategische Rolle im städtischen Abfallmanagement.“

Städtische Reinigungsgesellschaft

Die Reinigungsfirma von Rio de Janeiro erklärt, sie betreibe in 117 Stadtteilen eine separate Sammlung von Recyclingmaterialien. Das gesammelte Material wird 30 Kooperativen kostenlos übergeben, die für Sortierung und Weiterverkauf verantwortlich sind – ein Modell, das rund 450 Familien Arbeit und Einkommen bietet.

Ziel – Eine nachhaltige und gerechte Abfallwirtschaft – Foto: CoopQuitungo

Der Müll wird einmal wöchentlich eingesammelt – zu anderen Zeiten als der normale Hausmüll. Insgesamt kommen dabei etwa 1.300 Tonnen pro Monat zusammen, inklusive der Mengen, die von unabhängigen Sammlern registriert werden.

Fazit

Die Realität der Abfallsammler*innen in Rio de Janeiro (nicht nur in Rio) zeigt eindrücklich, wie stark gesellschaftlicher Nutzen und individuelle Lebensbedingungen auseinanderklaffen können. Obwohl sie einen unverzichtbaren Beitrag zur Umwelt und zur städtischen Abfallwirtschaft leisten, arbeiten viele von ihnen unter prekären, oft unsichtbaren Bedingungen – ohne soziale Absicherung, ohne angemessene Infrastruktur und ohne gesellschaftliche Anerkennung.

Eine nachhaltige und gerechte Abfallwirtschaft kann nur dann gelingen, wenn auch diejenigen, die sie tagtäglich mittragen, in den Mittelpunkt gestellt werden – durch rechtliche Absicherung, faire Entlohnung und strukturelle Förderung. Es ist an der Zeit, diesen Menschen nicht nur Arbeit, sondern Würde zurückzugeben.

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