Ein Bericht über die Folgen, die Ölbohrungen für indigene Gebiete im Amazonasgebiet haben und wie sich das nun an der Mündung des Amazonas im Bundesstaat Amapá wiederholen könnte.

Am Montag (20.10.25) hat das brasilianische Umweltinstitut Ibama die Genehmigung für Petrobras erteilt, vor der Küste des Bundesstaates Amapá – also an der Mündung des Amazonas – ein Bohrloch zu erschließen und nach Erdöl zu suchen. Der Zeitpunkt könnte kaum widersprüchlicher und unpassender sein: nur wenige Tage vor der Klimakonferenz COP 30 in Belém. Doch ein Explorationsschiff liegt bereits im Wasser, startbereit, der Vertrag läuft bald aus und Warten ist keine Option.
Ehrlich gesagt, überrascht das niemanden mehr. Seit Wochen deutete sich die Kapitulation der Ibama-Spitze und von Umweltministerin Marina Silva an. Der Druck aus anderen Teilen der Bundesregierung und vom Präsidenten selbst war groß. Lula hatte die Verzögerung der Genehmigung sogar als „Lenga-Lenga“, als endloses Gerede, verspottet.
Lula hat eine ganz eigene Art, seine Untergebenen in die Enge zu treiben. Schon in seiner ersten Amtszeit machte er sich über den langsamen Genehmigungsprozess der Wasserkraftwerke Santo Antônio und Jirau (RO) lustig. Er gab damals dem Wels, einem Fisch, die Schuld an der Verzögerung, als wollte er die Bedeutung des Tieres herabsetzen.
Die Koordination der Indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonas (Coiab) veröffentlichte daraufhin eine scharfe Stellungnahme: Sie verurteilte die Entscheidung Ibamas „aufs Schärfste“. In dem Schreiben heißt es: „Während die Regierung von anderen Ländern ernsthafte Klimaverpflichtungen einfordert, investiert sie selbst in die Förderung fossiler Brennstoffe im eigenen Land.“
Weiter kritisiert die Coiab: „Die Bundesregierung und ihre Aufsichtsbehörden missachten die Autonomie und Selbstbestimmung der indigenen Völker und verletzen das Recht auf vorherige, freie und informierte Zustimmung.“
Eine Ölprospektion ist kein harmloses Unterfangen. Ob sich das Gebiet später wirtschaftlich lohnt oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Viele rechtfertigen die Genehmigung mit dem Argument, es handle sich „nur“ um geologische Untersuchungen in tiefem, weit von der Küste entferntem Wasser.
Doch wer so spricht, kennt die Geschichte nicht, die Geschichte der massiven sozialen und ökologischen Schäden, die Petrobras in der Amazonasregion schon verursacht hat: erzwungene Umsiedlungen, Vertreibung indigener und traditioneller Gemeinschaften, Zerstörung von Lebensräumen, Eingriffe in Flüsse, Wälder und in die Tierwelt.
Auch in Amapá wird das Projekt die Lebensgrundlagen der Bevölkerung verändern vor allem die Ernährungssicherheit. Fisch und Flussprodukte sind hier das tägliche Brot. Trotzdem feiern lokale Politiker die Entscheidung wie einen Sieg.
In den 1970er- und 1980er-Jahren führte Petrobras bereits Ölprospektionen im indigenen Territorium Vale do Javari (AM) durch. Der Schaden war immens, in einem Gebiet, das bis heute Heimat von Gruppen ist, die in freiwilliger Isolation leben. Noch immer sitzt das Trauma tief bei den Matis, Marubo, Kulina, Kanamari, Korubo und Matsés.
Zu Beginn der 1980er-Jahre bohrte Petrobras im Gebiet Andirá Marau (AM). Die Folgen: eine massive Abwanderung der Sateré-Mawé nach Manaus, soziale Spannungen und ökologische Schäden. Später kam noch der französische Konzern Elf-Aquitaine hinzu, der das Gebiet ebenfalls belastete.
Vor etwas mehr als zehn Jahren begann Petrobras erneut Explorationsarbeiten,diesmal am Tapauá-Fluss im Bundesstaat Amazonas. Betroffen waren die Territorien der Deni, Paumari und Suruwahá. Auch in Silves, ebenfalls im Amazonasgebiet, wurde gebohrt. Heute wird das Gebiet von der Privatfirma Eneva betrieben. Deren Aktivitäten werden von indigenen Gruppen wie den Mura, Sateré-Mawé und Munduruku heftig kritisiert, da sie ihre Gebiete zunehmend bedrohen.
Und nun also die Mündung des Amazonas. Wieder werden die Konsequenzen für indigene und traditionelle Völker ignoriert. Der soziale und ökologische Kollaps, der mit der Förderung fossiler Energien einhergeht, ist längst bekannt und trotzdem wiederholt sich die Geschichte.
Es ist das alte neokoloniale Denken, das Reichtum und „Fortschritt“ in den Händen weniger konzentriert und Ungleichheit zementiert.
Wie sehr die Ernährungsunsicherheit die Menschen in Oiapoque (AP) bereits heute trifft, zeigt eindrucksvoll die Reportage „In den Tiefen der Stille: Die unsichtbaren Geräusche des Amazonas“ von Rudja Santos, veröffentlicht von Amazônia Real.
Fazit:
Die Entscheidung von Ibama ist mehr als nur ein bürokratischer Akt. Sie ist ein Zeichen dafür, dass Brasilien – trotz aller Klimaversprechen – immer noch im alten Muster feststeckt: kurzfristige Gewinne über langfristige Verantwortung zu stellen. Wenn an der Mündung des Amazonas Öl gefördert wird, steht nicht nur ein Ökosystem auf dem Spiel, sondern ein ganzes Lebensmodell.
Und vielleicht, in einem größeren Sinn, auch das moralische Fundament eines Landes, das sich selbst gern als Hüter des Regenwaldes sieht.
Original: Elaíze Farias, AmazoniaReal
Adaption/deutsche Übersetzung: BrasilienPortal
Wer ist Amazônia Real
Die unabhängige und investigative Journalismusagentur Amazônia Real ist eine gemeinnützige Organisation, die von den Journalistinnen Kátia Brasil und Elaíze Farias am 20. Oktober 2013 in Manaus, Amazonas, im Norden Brasiliens gegründet wurde.
Der von Amazônia Real produzierte Journalismus Real stützt sich auf die Arbeit von Fachleuten, die mit viel Feingefühl auf der Suche nach großen Geschichten über das Amazonasgebiet und seine Bewohner sind, insbesondere solche, über die in der Mainstream-Presse nicht berichtet wird.
