Tucupi Preto – Die indigene Zutat, die Brasilien erobert

Intensives Aroma, süßlicher Geschmack, tiefdunkle Farbe – fast wie Kaffee – und eine Konsistenz ähnlich wie Karamell: Das ist Tucupi Preto. In der Sprache der Wapichana heißt es Kanyzzy Pudidi’u und ist eine Grundzutat der traditionellen Küche indigener Völker im brasilianischen Bundesstaat Roraima. Hergestellt wird es aus der giftigen Maniokwurzel (besonders aus der gelben Variante), bekannt aus der einheimischen Gastronomie. Der Unterschied liegt im langen Fermentationsprozess des Wurzelgemüses.

Tucupi preto Produktion der Völker Wapichana und Macuxi – Foto: Projeto Tucupi Preto

In der indigenen Gemeinschaft Tabalascada, im Munizip Cantá, nutzen die Macuxi und Wapichana Tucupi Preto für das traditionelle Gericht „Damurida“ – eine Brühe aus Fisch, Geflügel oder Fleisch, Gemüse und viel Chili.

Inzwischen hat die dunkle Soße den Weg in renommierte Küchen gefunden – darunter das „Caxiri“ in Manaus und „A Casa do Porco“ in São Paulo. Dahinter steht die engagierte Arbeit von Frauen der Wapichana- und Macuxi-Völker aus der Gemeinde Campinarana (Terra Indígena Tabalascada). Ihre Initiative hat nicht nur das Produkt über die Region hinaus bekannt gemacht, sondern trägt auch zum Erhalt ihrer Kultur und zur wirtschaftlichen Stärkung der Gemeinschaft bei.

Die zunehmende Bekanntheit von Tucupi Preto inspirierte auch die Abschlussarbeit von Marcolino Silva, 48, im Fachbereich Soziologie an der Bundesuniversität Roraima (UFRR). Der indigene Landwirt der Wapichana stützte sich dabei auf das Wissen seiner Mutter, Carolina da Silva Wapichana, 66, die traditionell Maniok anbaut – per Hand, im Einklang mit der Natur und unter Erhalt alter Techniken.

„Aus Maniok wird Mehl, Beiju, viele Produkte. Tucupi wurde früher weggeworfen – dabei hat es enormes Potenzial, auch kulinarisch“, so Marcolino. Für ihn ist das Projekt ein Ausdruck der Wertschätzung traditionellen Wissens und seiner praktischen Beobachtungen.

Ziel sei es, so Silva, nicht nur das Produkt zu fördern, sondern auch das kulturelle Wissen der Wapichana weiterzugeben: „Ich spreche nicht gerne von ‚Wiederentdeckung‘, denn dieses Wissen ging nie verloren. Aber wir leben in einem kapitalistischen System, das solche Praktiken verdrängt. Wir brauchen Unterstützung, um unsere kollektive Arbeit zu stärken und der Jugend zu zeigen, wie wichtig unsere Felder und unsere Lebensweise sind.“

Aus dieser Idee entstand 2017 eine Kooperative, heute unter Leitung der 35-jährigen Wapichana Mickelly Pereira. „Ich koordiniere das Projekt, motiviere Maniokproduzenten und unterrichte Jugendliche in unserer Kochkultur“, erklärt sie. „Unser Ziel ist es, die Kultur lebendig zu halten.“

Obwohl der Absatz noch langsam wächst, hat Tucupi Preto bereits für ein Einkommen in der Gemeinschaft gesorgt. Die Erlöse aus dem Verkauf – eine 300-ml-Flasche kostet etwa 40 Reais – fließen in den Bau eines „Casa da Mandioca“, in dem bis zu 22 Produkte aus der Maniokwurzel verarbeitet werden sollen: darunter Mehl, Beiju und Getränke wie Caxiri.

„Wir wissen noch nicht genau, wie viel wir bereits umgesetzt haben, aber unsere Flaschen gehen schon nach Pará, Manaus und sogar São Paulo“, berichtet Mickelly.

Marcolino erinnert sich an seine Kindheit in den 1980er-Jahren, als indigene Völker kaum Autonomie besaßen und in Armut lebten. Nach dem Tod seines Vaters wurde er als Kind zur Arbeit auf Farmen gezwungen – eine Praxis, die er als „moderne Sklaverei“ bezeichnet.

Starke Frauen – starke Gemeinschaft

Cesar da Silva, 52, Anführer der Tabalascada-Gemeinschaft, betont die zentrale Rolle der Frauen: „Mit Mut und Engagement sind sie die rechte Hand unserer Gemeinschaft – wirtschaftlich und sozial. Sie tragen entscheidend zur Nahrungsproduktion und zur Stärkung unserer familiären und gemeinschaftlichen Bindungen bei.“

Tucupi preto Produktion der Völker Wapichana und Macuxi – Foto: Projeto Tucupi Preto

Der Verkauf des Tucupi erfolgt auf Festivals, in Seminaren oder auf Bestellung. Die Gemeinschaft prüft derzeit die Einführung passender Verpackungen für den Einzelhandel. Obwohl das Projekt von Wapichana und Macuxi getragen wird, betont Mickelly, dass das hier produzierte Tucupi Preto rein Wapichana sei. „Nur drei ältere Frauen beherrschen noch die vollständige Herstellung. Ihr Wissen ist einzigartig und muss bewahrt werden.“

Die 30-jährige Isabela Pimydy, ebenfalls Wapichana, wurde Teil des Projekts, weil sie spürte, wie wichtig es ist, diese Kenntnisse weiterzutragen. „Ich habe von meiner Mutter gelernt, wie man Damurida kocht. Ernährungssouveränität bedeutet, unsere Zutaten zu nutzen, unsere Entscheidungen zu treffen – nach unserer Kultur und Lebensweise.“

Sie warnt auch vor gesundheitlichen Folgen der Industrialisierung: „Früher haben wir gegessen, was wir selbst angebaut haben. Heute verursachen Fertigprodukte Krankheiten wie Diabetes, besonders bei älteren Menschen.“

Kulinarische Kreativität und internationale Anerkennung

Die 56-jährige Wapichana-Köchin Norma Pereira verwendet Tucupi Preto kreativ – etwa in Kuchen, Puddings oder Eis. Von ihrer Schwiegermutter erlernt, machte sie den dunklen Sud durch neue Rezeptideen bekannt – auch über die Region hinaus. Heute interessieren sich sogar Spitzengastronomen aus anderen Bundesstaaten für ihre Kreationen. Bei kulinarischen Events wird Tucupi Preto präsentiert und weiterentwickelt.

Eine zentrale Figur im internationalen Bekanntwerden ist Denise Rohnelt, 57 – Journalistin, Köchin und Forscherin mit Schwerpunkt auf indigener Ernährungskultur. Seit 15 Jahren erforscht sie die kulinarischen Traditionen Amazoniens. Inspiriert von historischen Berichten über das sogenannte „Tucupi Pixuna“, brachte sie den Sud in Vorträgen und Kochshows weltweit auf die Bühne – etwa in Europa und den USA, wo man ihn mit Balsamico oder Sojasoße vergleicht, obwohl er in seiner Tiefe und Eleganz ganz eigenständig sei.

„Mindestens zehn Spitzenköche in Brasilien verwenden mittlerweile Tucupi Preto“, berichtet Denise. Voraussetzung für weiteres Wachstum sei eine verlässliche Großproduktion.

Tucupi auf dem Teller – und bald im Kino

Im Mai 2025 präsentierte Flávia Masiero, 45, bei einem renommierten Wettbewerb in Rio de Janeiro das Produkt. Ihr Gericht „Vom Macuxi zum Tucupi – Flüsse voller Aromen“ bestand aus Bananen-Gnocchi mit Yanomami-Pilzen, Tucupi Preto und Fischragout – ein kulinarisches Highlight, das das Publikum begeisterte.

Masiero, die internationale Kocherfahrung in den USA und Portugal sowie Stationen in Spitzenrestaurants wie dem Antiquarius oder Hard Rock Café vorweist, sieht in Tucupi Preto eine gastronomische Mission. Sie ist Beraterin, Professorin und wurde zur „Dama Comendadora da Gastronomia“ ernannt.

Auch die Filmbranche interessiert sich für den dunklen Sud. Gemeinsam mit der weltweit renommierten Köchin Janaína Torres reiste Denise Rohnelt 12 Tage lang durch Amazonien – für einen Dokumentarfilm über indigene und Quilombola-Küchen. Weitere Dreharbeiten sind für September geplant.

„Tucupi auf den Teller zu bringen, ist ein Akt des Widerstands und der Bewahrung“, so Rohnelt. Doch der Umgang mit dem Wissen müsse verantwortungsvoll geschehen – ohne Entstellung oder kulturellen Verlust, warnt sie mit Blick auf Fehlinterpretationen in Medien.
Ein Geschmack, ein Erbe, ein Ritual

Im Dokumentarfilm Warakan – von der Erde auf den Teller (2021), auf YouTube verfügbar, wird die Esskultur des Nordens Brasiliens aus indigener Perspektive gezeigt. Der Begriff Warakan bedeutet „kochen“ in der Sprache der Wapichana.

Der Herstellungsprozess des Tucupi Preto ist komplex: Laut Rohnelt handelt es sich um eine Maillard-Reaktion, bei der die giftige Blausäure (HCN) durch langes Kochen aufgelöst wird. Anders als der gelbe Tucupi, der fermentiert und gewürzt wird, kommt der schwarze ohne Zusätze aus – er wird direkt und langsam auf bis zu 90 % reduziert.

Doch die Herstellung ist anspruchsvoll: „Man braucht einen ganzen Tag – vom Schälen der Maniok bis zur Reduktion“, erklärt Mickelly. Das Wissen bleibt bei den älteren Frauen der Gemeinschaft. „Sie kennen die Geheimnisse – wir unterstützen sie dabei.“

Original: Felipe Medeiros, AmazoniaReal

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