Es gibt weder Zeit noch Raum für Rückschritte. Seit jeher leben wir, die indigenen Völker Brasiliens, im Einklang mit der Mutter Natur. Seit über 500 Jahren verteidigen wir unser Land gegen Eindringlinge, die Wälder niederreißen und Flüsse vergiften. Was nach einer längst vergangenen Geschichte aus Schulbüchern klingt, ist bittere Gegenwart. Die Bedrohung trägt heute den Namen PL 2159 – das Gesetz der Verwüstung, verabschiedet vom brasilianischen Nationalkongress. Nun liegt es an Präsident Lula, diesem Angriff auf unsere Zukunft mit einem Veto Einhalt zu gebieten.

Ich war 24 Jahre alt, als ich die erste weibliche Cacica meines Volkes, der Xipaya am Rio Xingu, wurde. Heute sehe ich Seite an Seite mit anderen Führungspersönlichkeiten Amazoniens, wie der Bergbau und die Abholzung immer tiefer in unsere Gebiete vordringen. Wir leben unter ständiger Bedrohung, weil wir das verteidigen, was uns und der ganzen Welt am wertvollsten ist: unser Zuhause, die Natur. Wer den Wald angreift, greift uns an – und darum ist es überlebenswichtig, jene zu schützen, die ihn schützen.
Doch die Zerstörung nimmt zu. Zu den neuartigen Klimakatastrophen wie Fluten, Dürren und Hitzewellen,kommen vergiftete Flüsse durch Quecksilber, vergiftete Nahrung durch Agrargifte. Unsere traditionelle Medizin und unser Wissen sterben mit den Ökosystemen, die zerstört werden. Gleichzeitig schleppen Nicht-Indigene Krankheiten in unsere Dörfer: Diabetes, Fettleibigkeit, Alkoholismus, Unterernährung. Die Gewalt gegen unsere Körper, unsere Territorien und unsere Seelen wächst. Immer mehr junge Indigene wählen den Freitod.
Die Liste der Opfer dieser Politik ist lang und blutig: Brumadinho, Mariana, Chico Mendes, Ari Uru-Eu-Wau-Wau, Schwester Dorothy Stang, der Journalist Dom Phillips, der Indigenist Bruno Pereira, Namen, die wie Mahnmale schreien: Wenn Profit über Leben gestellt wird, endet es in Tragödien.
Die Zahlen bestätigen es: Laut dem Bericht Gewalt gegen indigene Völker in Brasilien 2024 stiegen die Übergriffe in nur einem Jahr von 411 auf 424 Fälle, fast die Hälfte davon Morde. 211 Menschen wurden getötet. Diese Eskalation ist direkt verknüpft mit der absurden These des Marco Temporal, die unser Recht auf unsere Gebiete beschneiden soll.
Und nun der nächste Schlag: PL 2159, ein politischer Sprengsatz. Ein Gesetz, das im Interesse von Wirtschaftslobbys verabschiedet wurde, gegen die Interessen des Volkes. Es untergräbt die brasilianische Verfassung, die das Recht auf Leben, Gesundheit, Sicherheit und Kinderschutz garantiert. Es schwächt Umweltbehörden wie Ibama, ICMBio, Iphan und Funai, indem es ihnen die Macht nimmt, uns vor zerstörerischen Großprojekten zu schützen.
Doch wir schweigen nicht. Wir indigenen Völker kämpfen seit Jahrhunderten für Wälder, Wasser und Tiere. Und unser Schrei ist kein persönlicher: Es ist ein Schrei für Menschenrechte, für Mutter Natur, für die Erde. Wir erobern politische Räume, lernen die Sprache der Nicht-Indigenen, drehen Filme, um die Welt wachzurütteln.
So wie im Dokumentarfilm „Yanuni“, der kürzlich seine internationale Reise begann. Er zeigt die tägliche Realität: den Kampf gegen den illegalen Bergbau, die Zerstörung unserer Flüsse, aber auch die unermüdliche Arbeit von Ibama-Beamt*innen, die mit Gefahr für ihr eigenes Leben Bagger und Schiffe der Goldsucher zerstören.
Die Botschaft ist klar: Präsident Lula muss Wort halten. Er muss die Verfassung achten, die Rechte der indigenen Völker schützen und das Ende des Umweltgenehmigungsverfahrens verhindern. In Zeiten globaler Klimakrise ist ein Rückschritt keine Option.
Nicht für uns. Nicht für die kommenden Generationen. Nicht für die Menschheit.
