Deutschland und der Karneval in Rio

Unidos da TijucaRio de Janeiro, Stadtteil Gamboa. Genauer “Barracão 12“. Hier in der grossen “Baracke Nummer 12 herrscht bis tief in die Nacht hektisches Treiben. Es wird gehämmert und geschweisst, genäht, lackiert und geprobt. Die Zeit rennt, der Countdown läuft: Bis zum Karneval in Rio sind es nur noch wenige Tage. Das Highlight des Jahres kommt mit grossen Schritten, nein mit riesengrossen. Im Vorjahr holte die Sambaschule Unidos da Tijuca Rios begehrte Karnevalskrone. Das will sie auch in diesem Jahr schaffen und dazu hat sie sich als Thema “Deutschland in allen Facetten“ auf die Fahnen geschrieben.

Über 4.000 Trommler, Tänzer und Samba-Queens werden umrahmt von sechs gigantischen Motivwagen über den 700 Meter langen Boulevard des legendären Sambódromos von Rio schreiten. Es soll eine Samba-Oper unter freiem Himmel werden, eine Hommage an die Bundesrepublik, um den Brasilianern im Deutschlandjahr 2013 das ferne Land in Europa mit viel Musik und Fantasie vor Augen zu führen. “Deutschland hat der Welt viel geschenkt: Kultur, Technologie, gutes Essen, Musik und Märchen für die Jugend. All das wollen wir zeigen“, sagt Bruno Tenório, der seit einem Jahr als Chef der Kommunikationsabteilung nichts anderes macht, als für das Projekt zu werben und zu kämpfen.

Das Regiebuch für das Defilee in der Nacht zum Rosenmontag stammt aus der Feder des bekannten Choreographen Paulo Barros. Einiges ist schon bekannt, vieles wird aber bis zum Einzug ins Sambódromo streng geheim gehalten. “Es soll eine Überraschung werden, und klar, wir stehen auch im Wettbewerb mit den anderen Samba-Schulen in Rio“, sagt Sérgio Eduardo, der für Kosten und Anfertigung der Fantasie-Kostüme verantwortlich ist.

Unter den Augen des 47-Jährigen werkeln in der “Barracão 12“ ganze Heerscharen von Helfern. In der riesigen Fabrik-Halle arbeiten sie auf Hebekränen, Bühnen und Materiallagern. Dort entstehen die Wagen, farbenprächtige Verkleidungen und zahllose ausgefeilte Rollelemente für die Tänzer. Der Auftritt ist in fünf thematische Sektoren unterteilt und beginnt karnevalsgerecht mit viel Mythologie und dem Satz: “Es erging ein Blitz, es kam ein Gewitter. Der Gott Thor bittet um Eintritt, um die Reise ins bezaubernde Deutschland zu zeigen.“ Elfen, Götter, Zwerge, wandernde Bäume, Drachen und Feen werden den Boulevard zum Auftakt des 80-minütigen Defilees bevölkern.

Auch die Speisekarte in “Alemanha“ wird aufgetischt. Zehn riesige Schwarzwälder-Kirsch-Torten marschieren auf, die sich zum Takt heisser Samba-Rhythmen in 80 Kuchenstücke teilen und wieder zusammenfügen. Das in Brasilien hochgeschätzte und äusserst beliebte deutsche Bier kommt mit Kostümen aus Gerstenhalmen und einem Brauerei-Motivwagen zu Karnevalsruhm und selbst die berühmte deutsche Wurst kommt nicht zu kurz. “Aber es soll eben nicht beim Klischee bleiben. Deutschland ist viel mehr“, beschreibt Tenório den hohen Anspruch.

Aber wie kann man die Errungenschaften der Deutschen oder Deutschlands darstellen? Wie kann man Röntgenstrahlen lebendig werden lassen? Wie würdigt man die deutsche Automobilgeschichte zum Beispiel von Volkswagen, in Brasilien “Volks“ genannt, die auch in Südamerika hoch angesehen werden? Wie wird Gutenbergs bahnbrechende Erfindung des Buchdrucks, Beethovens klassische Musik oder die Märchen der Gebrüder Grimm, die auch in Brasilien ganze Generationen beeindruckten, am besten gezeigt? Eindeutige Antworten wird es erst in der Nacht zum Rosenmontag geben. Ein wenig lässt Sérgio aber dann doch durchblicken, als er in der Halle, Abdeckungen, wenn auch nur ganz kurz hochzieht und Kotflügel und Stossstangen aus Kunststoff zum Vorschein kommen, die zweifelsohne einem VW-Käfer oder besser gesagt einem “Fusca“ gehören, eines der seit Jahrzehnten meistverkaufte Auto.

Das Herz jeder Sambaschule ist die “Bateria“, die Trommler-Truppe, die lautstark den Takt vorgibt. Die Krone aber trägt die “Rainha de Bateria“, die Königin, und dieses Amt bekleidet in diesem Jahr Juliana Alves. Bei einer Probe im Zentrum Rios am späten Donnerstagabend steht die hochgewachsene 30-Jährige im Blitzlichtgewitter. Tausende Menschen tanzen, sie schreitet voran, lächelt, herzt und wirft mit grösster Eleganz und einer wahren Königin gerecht werdend Kusshände. Selbst ein gewaltiger, monsunartiger Platzregen trübt die heitere Samba-Stimmung nicht. In Rio ist Sommer und es herrscht der Karneval.

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AutorIn: Fabian Biastoch

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