Rio 2016: Eine Medaille mit zwei Seiten

Nach sieben Jahren Vorbereitung und 17 Tagen sportlicher Höchstleistungen ist die Olympiade Rio 2016 zu Ende gegangen. Jetzt werden erste Bilanzen gezogen und letzte Hand für den nächsten Großevent angelegt, die Paralympics. Vieles hat gut geklappt, Manches nicht so gut. Rio de Janeiro hat sich von seiner schönsten Seite gezeigt und den Touristen einen Einblick von den Alltagsproblemen der Sechsmillionen-Stadt gegeben.

Rio de Janeiro beim Eindunkeln - Foto: Fernando Maia/Riotur
Rio de Janeiro beim Eindunkeln – Foto: Fernando Maia/Riotur

Mit 465 Athleten haben so viele Brasilianer wie noch nie bei der Olympiade im eigenen Land teilgenommen. Das brasilianische Olympische Komitee (COB) hatte eigentlich das Ziel ausgegeben, mindestens 27 Medaillen zu erreichen, zehn mehr als der Rekord von London 2012. Da haben die Brasilianer insgesamt 17 Medaillen mit nach Hause gebracht. Ganz ist die Rechnung nicht aufgegangen. In Wirklichkeit sind sie weit davon entfernt geblieben.

Einen Rekord haben sie dennoch erreicht. Die brasilianischen Athleten haben sieben Gold, sechs Silber und sechs Bronze und somit 19 Medaillen geschafft, so viel wie nie und die gleiche Zahl wie die Holländer. Nicht jeder der als Favoriten gehandelten Sportler hat das Siegerpodest betreten. Dafür haben andere für Überraschungen gesorgt, wie Maicon de Andrade Siqueira, der im Taekwondo Bronze erkämpft hat.

Mit einem brasilianischen, südamerikanischen und sogar einem olympischen Rekord kann Thiago Braz da Silva aufwarten. Er hat beim Stabhochsprung mit 6,03 Metern auch seine persönliche Bestleistung übertrumpft. Abgesehen von ihm sind während der Sommerspiele insgesamt 65 olympische Rekorde und 19 Weltrekorde gebrochen oder neu aufgestellt worden. Fernab von Rekorden hat die Seleção einen Traum vieler Brasilianer verwirklicht.

Zum ersten Mal ist der fünfache Weltmeister Olympia-Sieger geworden. Sieben der Goldjungs werden jetzt am 1. September für die bisher eher schwächelnde Nationalmannschaft bei den südamerikanischen Qualifikationsrunden gegen Ecuador antreten. Dort stehen die Brasilianer auf dem sechsten Platz.

Nur die ersten vier werden für die Weltmeisterschaft in Rußland (2018) zugelassen. Aber wer weiß, vielleicht ist ihnen das Glück von Olympia treu. Dort haben sie auch schwach angefangen.

Stark geglänzt haben bei den brasilianischen Athleten Militärangehörige. Von den 19 Medaillen stammen 13 von ihnen, obwohl sie nur 31,1 Prozent der Olympia-Teilnehmer Brasiliens gestellt haben.

Sie nehmen am Programm der Hochleistungssportler teil (Paar), das 2008 gemeinsam vom Sport- und Militärministerium ins Leben gerufen worden ist, um die brasilianische Delegation bei den Militärischen Spielen (Rio de Janeiro 2011) zu stärken.

Wer in das Programm aufgenommen wird, beginnt nicht wirklich eine Militärkarriere, kann aber die sportlichen Militäreinrichtungen nutzen und erhält ein Gehalt.

Trotz des Erfolges soll das Programm nun überdacht werden. Gleiches gilt für den Bereich der Leichtathletik, der dieses Mal, abgesehen vom Stabhochspringer Thiago Braz, weit entfernt von den erwünschten Zielen geblieben ist. Ziel ist es, an dem Erfolg der Briten anzuknüpfen, die für die Olympiade London 2012 in ihre Athleten investiert und in Rio de Janeiro 67 Medaillen geholt haben.

Aber was bleibt von den Spielen, nachdem am Montag (22.) wieder alle Athleten und das IOC abgereist sind? COB-Präsident Carlos Nuzman hat bei der Abschlußfeier gesagt, Rio de Janeiro sei nicht mehr das, was es vorher gewesen ist. Das stimmt.

Das auffälligste Positivbeispiel ist das revitalisierte Hafengelände. Das war zuvor geprägt von einer aufgeständerten Schnellstraße, leerstehenden und zerfallenden Gebäuden und Brachflächen. Aus dem ungenutzten schwarzen Fleck nahe des Stadtzentrums ist mit den Olympia-Investitionen eine attraktive Hafenmeile geworden, entlang der jetzt 27 Kulturzentren und Museen Besucher und Bevölkerung anziehen sollen. Dazu gehören ebenso die einladenden Plätze “Praça XV“ und “Praça Mauá” mit dem futuristischen “Museu do Amanhã” (Museum von Morgen).

“Porto Maravilha“ lautete der Titel des Projektes zur Wiederbelebung der Hafenregion. Das Konzept ist aufgegangen. Während der Sommerspiele ist der Bereich von hunderttausenden Einheimischen und Touristen als “Boulevard Olímpico“ bewundert worden. Gefeiert wird er schon jetzt als neue Attraktion Rio de Janeiros.

Dass Rio de Janeiro vier verschiedene Regionen der Stadt für die Austragung der Spiele ausgewählt hatte, hat seinen Grund. Das Infrastruktursystem der Stadt sollte verbessert werden. Da kam die Olympiade gerade recht.

Ein Tunnel und Schnellstraßen wurden gebaut, neue Exklusivspuren für das BRT-Bussystem angelegt, eine elektrische Stadtbahn installiert und eine neue U-Bahnlinie erstellt. Offiziell heißt es, dass mit den milliardenschweren Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr bis 2017 etwa 67 Prozent der Bevölerung statt dem Auto Bus, Bahn und Metro benutzen werden.

Aber es gibt auch Kritik. Spätestens seit dem Korruptionsskandal “Lava Jato“ fragt sich so Mancher, ob hinter den überteuerten Investitionen in einige der Infrastrukturmaßnahmen nicht andere Gründe stecken.

In Frage gestellt wird ebenso die neue U-Bahnlinie zum “Parque Olímpico“ im Stadtteil Barra da Tijuca. Sie soll lediglich 300.000 der sechs Millionen Einwohner Rio de Janeiros zu Gute kommen, so die Kritiker, die ebenso von “obszön“ überhöhten Kosten für einen geringen Nutzen sprechen.

Eingeflossen ist die Olympiade auch in die “Karte der Ausgrenzung“, die von Menschenrechtsorganisationen und sozialen Bewegungen kurz vor der Eröffnungsfeier herausgegeben worden ist. In ihr werden die seit 2007 in Rio de Janeiro veranstalteten Mega-Sportevente, wie die Fußballweltmeisterschaft und die Sommerspiele Rio 2016, als “Spiele der Ausgrenzung“ bezeichnet.

Angeführt werden Probleme bei den Enteignungen, Vergehen gegen das Arbeitsrecht, Umweltbeeinträchtigungen, eine Militarisierung der Favelas und eine steigende Zahl von Todesfällen durch Polizeiaktionen.

Laut der Kampagne “Rio 2016, die Spiele der Ausgrenzung“ mussten etwa 77.000 Cariocas ihre Häuser und Grundstücke aufgeben. Bei den Bauarbeiten sind zwischen 2013 und 2016 elf Menschen bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen. Von Januar bis Mai dieses Jahres wurden bei Einsätzen 322 Tote durch Polizeikräfte gezählt.

Dass bei den Baumaßnahmen zu den großen Sporteventen nicht immer zimperlich mit der Bevölkerung umgegangen wird, zeigen bewegende Einzelschicksale, die in dem Buch “Atingidas“ (Betroffene) erzählt werden.

Eins der Beispiele, das traurige Berühmtheit erlangt hat, ist das “Vila Autódromo“. Das wurde seit vier Jahrzehnten von etwa 500 Familien besiedelt. 20 von ihnen haben dem Umsiedlungs-, Spekulations- und Baudruck stand gehalten.

Nicht erfüllt worden ist das Versprechen, zur Olympiade die Guanabarabucht um 80 Prozent von Abfall und Abwasser zu befreien. Vor einem Jahr hieß es, dass 49 Prozent erreicht worden seien.

Tatsächlich konnten nur wenige Städte rund um die Guanabarabucht und an den ihr zufließenden Gewässern an eine Kanalisation angeschlossen und das Abwasser funktionierenden Kläranlagen zugeführt werden. Nach wie vor bringen die Wassermassen der Flüsse täglich Tonnen von Dreck mit in die malerische Bucht.

Sogenannte Öko-Schiffe wurden angeheuert und schwimmende Barrieren erstellt. Damit sollte zumindest der Großteil des Abfalls von den Wettkampfsbereichen fern gehalten werden. Geholfen hat dann letztlich aber der Wind, der während der Segelregatten Plastiktüten, Styropor, PET-Flaschen und auch Fernseher fernab der Boote in Richtung des benachbarten Niteroi getrieben hat.

Dabei ist das Problem nicht erst seit sieben Jahren bekannt, als Rio de Janeiro vom IOC den Zuschlag für die Olympiade bekommen hat. Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, wie es gelöst werden kann.

Jetzt hoffen Bevölkerung und Umweltschützer, dass nach dem Abzug der Athleten die Vergessenheit nicht wieder alles zuschütten, sondern das Olympia-Versprechen doch noch irgendwann nachträglich eingelöst wird.

Aufzugehen scheint hingegen das Versprechen, ungenutzte Stadien in der Nach-Olympia-Ära zu vermeiden. Während in vielen Olympia-Städten etliche der eigens dafür gebauten Stadien nach dem Großevent ein einsames Dasein führen, will Rio de Janeiro zeigen, dass es auch anders geht.

Die “Arena do Futuro“ und das “Estádio Aquático“ sind buchstäblich für den Abriss gebaut worden. Der soll allerdings geordnet vor sich gehen, weil aus den Stadien andernorts in der Stadt in Puzzle-Technik Schulen und Sporthallen entstehen sollen. BMX-Bahn und Kanuslalom-Bahn werden hingegen Teile des neuen “Radikalparks“ sein.

Was bleibt sind aber auch Schulden. Ob die allein den Vorbereitungen für die olympischen Spiele zuzuordnen sind, ist fraglich. Fest steht, dass die Cidade Maravilhosa zum Zeitpunkt der Bewerbung als Austragungsort noch vom damaligen wirtschaftlichen Aufschwung profitiert hat.

Dann kam der Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, der in Rio de Janeiro mit Royalties und Abgaben stets für gefüllte Säckel gesorgt hatte. Nicht verschont geblieben ist die Stadt ebenso von der Wirtschaftskrise, die das südamerikanische Land erfasst hat.

Weil auch das Land kein Geld ausgeben wollte, ist Rio de Janeiro neue Wege gegangen. Der Großteil der in die Olympiade investierten 38,67 Milliarden Reais (umgerechnet derzeit knapp 11 Milliarden Euro) stammt von der Privatinitiative. Die sogenannten “obras de legado“ (Vermächtnisbauten) sind zu 57 Prozent von Privatunternehmen finanziert worden. Ganz uneigennützig waren ihre Investitionen allerdings nicht.

Das “Vila Olímpica“ ist von einem lokalen Bauriesen erstellt worden. Der wird nicht nur Einnahmen mit der Vermietung der 31 Gebäude für die Olympiade und die Paralympics haben, sondern hofft auch auf Milliardengewinne durch den Verkauf der Appartments an die gehobene Mittelschicht.

Bleiben wird auch das Gefühl, es trotz aller Unkenrufe geschafft zu haben, den größten Sportevent der Welt zu organisieren und ohne große Zwischenfälle auszutragen. Auch wenn das Motto “Wir sind Olympia“ nicht ganz geklappt hat und leere Stadien und das Ausbuhen von Athleten negative Punkte waren, haben sich die meisten der Gäste dennoch von den Spielen und der Cidade Maravilhosa zufrieden und begeistert gezeigt, wie aus verschiedenen (auch internationalen) Umfragen hervorgeht.

Mit Lob und positiven Meinungen über die wundervolle Stadt und seine Bevölkerung ist auch die am Flughafen aufgestellte Pin-Wand übersäht worden. “Wir sind als Gäste angekommen und Reisen als Freunde ab,“ hat Olympiakomitee-Präsident Thomas Bach bei der Abschiedsfeier gesagt.

Ja, es gab Fehler und Probleme, es gab Überfälle und Unfälle, Staus, Warteschlangen und es gab auch viel Positives. Wie sich die Olympiade aber tatsächlich auf Rio de Janeiro ausgewirkt hat, das wird erst die Zukunft zeigen.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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