Am Ende der mit gigantischem Aufwand durchgeführten UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung Rio+20 macht sich vor allem bei den Ureinwohnern Brasiliens starke Ernüchterung breit. Zahlreiche Anführer indigener Stämme waren nach Rio de Janeiro gereist, um für den Schutz der Natur und den Erhalt ihrer Lebensräume zu demonstrieren. Erreicht haben sie damit jedoch faktisch nichts.
Es war das größte Zusammentreffen indigener Völker aller Zeiten: vom 13. Bis 22. Juni hatten sich mehr als 1.000 Angehörige mehrerer Dutzend Ethnien aus zahlreichen Ländern in der Metropole unter dem Zuckerhut eingefunden, um gemeinsam gegen die fortschreitende Zerstörung der Umwelt und der damit verbundenen Ausrottung nativer Völker zu protestieren. „Mutter Erde“ sollte dadurch eine Stimme erhalten und gemeinsam mit zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Einfluss auf das mit Spannung erwartete Abschlussdokument nehmen.
Doch am Ende diskutierten die Vertreten von fast 190 UN-Mitgliedsstaaten, darunter mehr als 100 Staats- und Regierungschefs, gerade einmal knapp eine Stunde über den mühsam aus gehandelten Konsens, der von den brasilianischen Verhandlungsführern kurzerhand auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengestrichen worden war. In dem 49-seitigen Dokument wimmelt es nun von Unverbindlichkeiten und Andeutungen, wie man eines Tages die Zukunft „nachhaltig“ gestalten wolle. Feste Zusagen mussten weder die Industrienationen noch die in der Gruppe der G77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer machen.
Was die NGOs als Rückschritt kritisieren, feierten die Regierungsvertreter am Abschluss des dreitägigen Gipfeltreffens im streng abgeschirmten Kongresszentrum Riocentro als Erfolg. Vor alle die geplante Aufwertung des UN-Umweltprogramms UNEP und die Ausarbeitung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) bis zum Jahr 2015 wurden hierbei hervorgehoben. Dabei sollten nach Willen zahlreicher Länder die SDGs bereits auf der Konferenz beschlossen und die UNEP zu einer eigenständigen Institution umgewandelt werden.
Auf dem alternativen „Gipfel der Völker“ im rund 40 Kilometer entfernten Zentrum Rio de Janeiros herrschte daher entsprechende Katerstimmung. „Wir haben nichts erreicht und durften noch nicht einmal unsere Abschlusserklärung verlesen“ kritisierte am Freitagabend Kiara Worth von der Interessengemeinschaft der Kinder und Jugendliche (Major Group for Children and Youth) gegenüber dem BrasilienPortal. Die engagierte Südafrikanerin hatte den UN-Jugendgipfel mitorganisiert. Dort wurde in zahlreichen Workshops daran gearbeitet, die Forderungen der jungen Generation in das Dokument mit einfliessen zu lassen. Aber auch der dort geforderte „Hochkommissar für zukünftige Generationen“ wurde am Ende von der Weltgemeinschaft aus dem Dokument gestrichen.
„Riominus20“ lautete daher auch das mehr als ernüchternde Fazit der beteiligten Zivilgesellschaft über den Megaevent. Doch den Kampf aufgeben wollen weder Kiara Worth noch die Anführer der indigenen Gruppen. „Solange ich lebe, werde ich weiterkämpfen“ hatte Raoni Metukir bereits während des Gipfels versprochen. Der Kazike der Kayapó aus der Region Xingú erlangte vor gut 25 Jahren an der Seite des britischen Sängers Sting weltweite Berühmtheit. Der mittlerweile 83-jährige forderte erneut alle indigenen Völker zum Zusammenhalt gegenüber „dem weissen Mann“ auf, damit dieser „unser Land und unsere Traditionen“ respektiert.
Marcos Terena, Organisator des eigens für Rio+20 errichteten Indianerdorfes „Kari-Oca“, will sich ebenfalls weiterhin für die Rechte der Urweinwohner Südamerikas einsetzen. Unter der Leitung des aus dem Bundesstaat Mato Grosso do Sul stammenden Anführers der Xané zelebrierten rund 400 Angehörige von 22 verschiedenen Ethnien täglich ein Spektakel aus Ritualen, Gesängen und Tanz (wir berichteten). Auch hier stand die Sensibilisierung der modernen Welt auf die von der Auslöschung bedrohte Kultur indigener Völker im Vordergrund.
Der Anführer der Suruí, Amir Suruí, suchte derweil technologische Unterstützung im Kampf gegen die Vernichtung der indigenen Lebensräume im Amazonasgebiet. Gemeinsam mit dem Internetriesen Google kann nun der Lebensraum seines Volkes und deren Kultur multimedial erforscht werden und somit in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit gelangen. Sein Volk umfasst noch etwa 1.300 Mitglieder und lebt in einem rund 240.000 Hektar großen Gebiet im Bundesstaat Rondônia, welches immer stärker durch illegale Rodungen bedroht ist.
Aber auch Amir Suruí hatte mehr von Rio+20 erwartet. Die großen Konzerne als auch die Politiker und Regierungen hätten ein Verantwortung, die Zukunft für die zukünftigen Generationen sicherzustellen. Gegenüber dem BrasilienPortal bezeichnete er zudem das vor kurzen im Brasilien beschlossene neue Waldgesetz als „Rückschritt“. „Wenn der Staat nicht die Zügel in die Hand nehmen kann, um die Probleme zu lösen, müssen wir als Volk dies eben tun“ zeigte auch er sich in Hinblick auf das unzureichende Ergebnis der UN-Konferenz weiterhin kämpferisch.