Auf den Tag genau vier Jahre nach der Abreise aus dem Trainingslager im Schweizerischen Weggis hat die brasilianische Fussball-Nationalmannschaft am Donnerstag (03.06.) ihr erstes öffentliches Training in Südafrika absolviert. Rund 10.000 Fans der Seleção verfolgten begeistert am Donnerstagnachmittag im Township Soweto in Johannesburg die Stars bei Konditions- und Technikübungen.
Der Eintritt ins Stadion von Dobsonville selbst war kostenfrei, die Verteilung der Karten hatte die FIFA übernommen. Allerdings hatten nur Bewohner der Region die Möglichkeit, eines der begehrten Tickets zu erhalten. Lange Schlangen bildeten sich am Vormittag an Gesundheitsstationen, Schulen und Polizeidienststellen, die für die Ausgabe zuständig waren. Doch schnell waren die begehrten Karten vergriffen. Hunderte von Fans versuchten daher anschliessend direkt vor Ort ihr Glück, doch auch hier mussten sie unverrichteter Dinge wieder abziehen. Viele feierten jedoch auch vor dem Stadion mit Gesängen und Vuvuzelas die fünffachen Weltmeister.
Der “Hype“ um Brasiliens Fussballer ist auch nach dem schlechten Abschneiden bei der WM 2006 weiterhin ungebrochen. Spätestens nach dem Sieg im Konföderationen-Pokal im letzten Jahr zählen die Spieler in den kanariengelben Trikots erneut zu den Topfavoriten. Und dieses grosse Interesse von Medien und Fans stellt die Verantwortlichen der Delegation des brasilianischen Fussballverbandes CBF erneut vor eine schwierige Herausforderung.
Denn “Weggis“ soll sich nicht wiederholen. Es ist mitnichten ein “Trauma“, wie jüngst eine brasilianische Sportzeitung titelte, es mahnt jedoch dazu, anderen Massnahmen zu ergreifen. “Es ist klar, dass wir nicht zulassen, was ich selbst in Weggis gesehen oder über Weggis gehört habe“ erklärte Dunga noch in Brasilien auf einer Pressekonferenz, wo die Seleção zunächst in Curitiba die medizinischen Tests absolvierte. Man versuche, ein Gleichgewicht zwischen totaler Abschottung und exzessiver Zurschaustellung zu erreichen.
Fans und Medien wollen Infos, Fakten, Bilder. Dies weiss auch der CBF und hat daher kurzerhand selbst die Berichterstattung übernommen. Als die Seleção in Südafrika landete, erwartete sie keine Meute bildhungriger Journalisten, ein CBF-Fotograf schoss die Fotos, drehte ein kurzes Video. Die Bilder, genauso gut wie die der Bildagenturen, fanden sich dann auf den unzähligen Seiten der Tageszeitungen oder Sportportale wieder und wurden sogar im Fernsehen gezeigt.
Auch Bilder vom Training, aus der “Fitness-Folterkammer“ oder aus dem Hotel stellt der Verband zur Verfügung. Der Kontakt zu den Fans soll damit jedoch keinesfalls unterbunden werden. Bei der Seleção wünscht man sich lediglich eine konzentrierte Vorbereitungsphase, die Ansprüche an die erwartete Leistung kann man ohnehin nicht herunterschrauben. Nicht nur im eigenen Land hofft man auf einen weiteren WM-Titel. Das portugiesische “Rumo ao Hexa“, zu Deutsch “Auf dem Weg zum Sechsten“ ist allgegenwärtig.
In Curitiba wich Dunga allerdings bereits vom sorgfältig vorbereiteten Plan ab und gestattete den Fans die letzten beiden Tage einen beschränkten Zugang zum Trainingscenter. Auch die Abreise erfolgte als “Prozession“ durch die Wartehalle des Flughafens, ohne weiteres hätte der Mannschaftsbus auch direkt auf das Rollfeld fahren können. Doch man ist den Fans etwas schuldig und versucht diese Erwartung per Feindosierung zu erfüllen.
Vor vier Jahren in der Schweiz hatte man das Ventil nicht nur leicht geöffnet sondern einfach in der Heimat gelassen. In Weggis ging es hoch her, 5.000 Fans sahen sich vom 22. Mai bis 03. Juni in einem eigens dafür gebauten Stadion die Seleção-Show an, für die sich täglich wiederholende Seifenoper kassierte man sogar noch Eintritt. Hinterher hiess es, “Big Brother Seleção“ habe die Konzentration gestört und somit das frühe Ausscheiden provoziert.
Weggis vor 4 Jahren
Um diese Äusserung zu verstehen, muss man sich jedoch mit der brasilianischen Mentalität beschäftigen. Nicht dass andere immer Schuld haben, an die eigene Nase greift man sich in Südamerika generell nur ungerne. Und so verschweigt man auch ganz beiläufig, dass nach “Weggis“ noch Königsstein, drei gewonnene Gruppenspiele gegen Australien, Kroatien und Japan sowie ein Sieg im Achtelfinale gegen Ghana folgten. Die Niederlage gegen Frankreich im Viertelfinale erfolgte am 01. Juli 2006 und somit am Tag 28 nach Verlassen der 4000-Seelen-Gemeinde am Ufer des Vierwaldstättersees.
“Weggis“ – was immer dies nun tatsächlich bedeuteten mag – soll sich also nicht wiederholen. Doch die Bühne des Rekordweltmeisters ist eben nicht nur der Fussballplatz bei einem Länderspiel. Und somit sind die derzeitige Linie in Bezug auf Medien und Fans durchaus verständlich. In Johannesburg trainiert die Seleção – übrigens in Anwesenheit zahlreicher Journalisten – in der Randburg High School vor den Augen der dortigen Schüler. Denen wurde das tägliche Erscheinen der Topstars jedoch bald langweilig. Einmal Kaká – immer Kaká.