Mit einem Show-Finale und dem neuen Weltmeister Deutschland ging die 20. Ausgabe der FIFA-Fussball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien zu Ende. Sie erinnern sich sicher noch an die negative Berichterstattung der Medien, die den Menschen in Europa ein geradezu furchterregendes Szenario zeichneten, das die Besucher dieser WM erwarten würde: “Auf Brasiliens Strassen herrschen Chaos und Gewalt. Die Organisation der Flughäfen ist überlastet, die Stadien werden nicht fertig, nichts wird funktionieren, unerträgliche Klimabedingungen sind zu erwarten und keine Begeisterung bei den Brasilianern“.
Solche “Alarmrufe“, die bereits Monate vor Beginn der WM zu hören und zu lesen waren, haben dann, Gott sei Dank, in der Realität keinerlei Echo gefunden. Die Tribünen der neuen Stadien waren randvoll, und rund 98% der ausländischen Besucher waren mit dem Empfang in Brasilien zufrieden bis begeistert: Das “Land des Fussballs“ hat nicht nur als hervorragender Gastgeber überzeugt, sondern, dem Versprechen seiner Präsidentin Dilma Rouseff getreu, “eine der besten WMs aller Zeiten“ organisiert – sowohl die mitwirkenden Fussballer als auch ihre Fans haben sich in diesem Land gleichermassen pudelwohl gefühlt.
Niemand zweifelt daran, dass Brasilien grosse soziale und infrastrukturelle Probleme hat, die man nicht übersehen kann, aber in einem so düsteren Zustand, wie man ihn teilweise von den Medien vor Beginn des Turniers suggeriert bekam, befindet sich dieses Land bestimmt nicht – die dreieinhalb Millionen Besucher dieser WM und ihre durchweg positiven Meinungen sind nicht von der Hand zu weisen.
Wer die Brasilianer kennt, der weiss, dass sie einem Fussball-Turnier nicht widerstehen können – erst recht nicht dem grössten Turnier auf unserem Planeten. Dank ihrer besonderen Leidenschaft für den Fussball gelang es ihnen, einen ganzen Monat lang ihre persönlichen Probleme zu vergessen und aus jeder Fussball-Partie ein Fest zu machen – und das tropische Klima, selbst bei den ungewöhnlichen Bedingungen für die europäischen Spieler in Manaus, wurde von keinem der Protagonisten als ein Problem beschrieben, sondern war eher ein Thema am Rand des Geschehens.
Auch die teilweise gigantischen Entfernung zwischen den einzelnen Veranstaltungs-Orten, die per Flugzeug bewältigt werden mussten, stellten die Brasilianer weder vor logistische noch vor organisatorische Probleme – die Abfertigung auf den Flughäfen klappte unerwartet gut. Es gab kaum Verspätungen, und sowohl Spieler als auch ihre Fans erreichten die jeweiligen Stadien ganz ohne Staus.
Es ist eine Tatsache, dass sehr viel für diese WM investiert worden ist, aber ein Vermächtnis dieser WM ist auch, dass man viel in die Infrastruktur und das Transportwesen investiert hat – das Energie- und Kommunikationsnetz ganz Brasiliens wurden verbessert, Strassenverbindungen ausgebaut, Schnellbus-Transportkorridore eingerichtet, die Flughafenabfertigungen reformiert und erweitert – strukturelle und infrastrukturelle Zweckmässigkeiten, von denen die Bevölkerung noch lange nach der WM profitieren wird, und die ohne den bevorstehenden Mega-Event wahrscheinlich noch nicht in Angriff genommen worden wären.
Darüber hinaus gibt es auch Negatives zu berichten: etwa über die Arbeiter, die beim Bau der Stadien tödlich verunglückt sind, oder über die Tausende vertriebener Menschen, die wegen der Einrichtung von WM-Parkplätzen oder neuen Strassenverbindungen ihr Zuhause verloren haben. Auch die alles beherrschende Korruption bei der Vergabe von Bauaufträgen für die WM, ist eine traurige Tatsache hinter den Kulissen – oder dass es die üblichen frechen Gauner gab, die Eintrittskarten zurückhielten, um sie in letzter Minute für den doppelten oder dreifachen Preis ihres aufgedruckten Wertes zu verhökern.
Doch wenden wir uns mal der Statistik dieser WM 2014 zu. Nach ihr geht die “Copa do Mundo 2014“ (so heisst die WM in Brasilien) als eine der torreichsten und besucherstärksten in die Geschichte des Fussball-Sports ein. Insgesamt hat sie in 64 gespielten Partien 171 Tore zu verzeichnen – ein Durchschnitt von 2,7 Toren pro Partie (gleichviel wie an der WM in Frankreich, welche bis dahin als die torreichste WM galt). Die Gesamtzahl des Publikums in den 12 Gastgeber-Stadien lag bei zirka 3,5 Millionen Fans – pro Partie folgt daraus ein Durchschnitt von 54.700 Personen.
Damit verliert die WM 2014 lediglich gegen die WM von 1994 in den USA, wo ein Durchschnittswert von 68.991 pro Partie registriert wurde – das liegt an dem noch grösseren Fassungsvermögen der nordamerikanischen Stadien. Vor der WM in Brasilien registrierte man bei der WM in Deutschland (2006) den zweitgrössten Publikumsdurchschnitt pro Partie, mit 51.491 Personen.
Aus sportlicher Sicht der brasilianischen “Seleção“ knüpfte diese WM an die letzten Weltmeisterschaften an, jedoch waren die Leistungen der “Kanariengelben“ nicht einmal im Ansatz weltmeisterlich. Zwar schafften sie es knapp ins Halbfinale, lieferten dann aber eine so enttäuschende Leistung ab, dass sie von Deutschland, mit einer fast unglaublichen Tordifferenz von 7:1, regelrecht “massakriert“ wurden, wie die brasilianischen Medien sich ausdrückten.
Allerdings wurden durch diese Demütigung der Brasilianer, all jene Leute als Lügner entlarvt, die behaupteten, “Brasilien müsse ja Weltmeister werden, da mit Sicherheit auch dafür Schmiergeld geflossen sei“! Mit ihrer geradezu schmählichen Niederlage ist der Nachweis sicher erbracht, dass davon keine Rede sein kann.
Nach der besagten, desaströsen Partie der Seleção im Halbfinale, und dem später auch noch gegen Holland verlorenen Spiel um den 3. Platz, hat auch die Fussballbegeisterung des brasilianischen Volkes einen durchaus begreiflichen Dämpfer erlitten, und ihr Unmut über die Geldverschwendung für diese schmachvolle WM in ihrem Land, flammt nun wieder auf. Die politische Opposition wittert ihre Chance, diese Niederlage und den allgemeinen “Katzenjammer“ nach der WM, positiv für sich auszuschlachten. Denn Brasilien befindet sich im Wahljahr – im Herbst, genauer am 05. Oktober, wird eine neue Regierung gewählt. Und dann haben die Brasilianer Gelegenheit, die Weichen zu stellen und ihrer politischen Meinung Ausdruck zu verleihen.
Sorgen macht man sich in Brasilien auch, wie es mit dem Fussball der “Seleção Brasileira“ weitergehen soll. Viele der Spieler sind inzwischen älter als 30, so dass sie – sollte sich Brasilien für Russland 2018 qualifizieren können – nicht mehr dabei sein werden und einige haben schon ihren Rücktritt bekanntgegeben. Auch nach Meinung des brasilianischen Sportministers, muss sich nun einiges beim brasilianischen Fussball ändern – nicht zuletzt sollte sich der überalterte, korrupte, brasilianische Fussballverband einer Runderneuerung unterziehen.
Die Förderung des Nachwuchses ist ein heikles Thema, das mit dem nötigen Ernst, erfahrenen Instruktoren und entsprechenden technischen Einrichtungen angegangen werden muss, um nicht den Anschluss an die Weltspitze endgültig zu verpassen. Es gibt viel zu tun im einst so bewunderten und ruhmreichen brasilianischen Fussball, dessen magische Ausstrahlung als weltweites Vorbild nun ihren Glanz erst einmal verloren hat.
Ausgerechnet in diesem Jahr 2014 wird der erwähnte brasilianische Fussball-Verband “Confederação Brasileira de Futebol (CBF)“ 100 Jahre alt – schon möglich, dass das unrühmliche Abschneiden der Seleção die Jubiläums-Feierlichkeiten etwas trüben wird – andererseits könnte man sie auch als die grosse Chance betrachten, den brasilianischen Fussball in eine neue, professionelle Richtung zu lenken.
Uns, die wir nun wieder vollgestopft mit unvergesslichen Eindrücken zurück sind, wird besonders die Wärme in Erinnerung bleiben, mit denen uns nicht nur das Land, sondern auch die Brasilianer selbst empfangen haben – die fröhliche Aufgeschlossenheit und die herzliche Gastfreundschaft unterwegs, konnte man an allen Orten deutlich spüren. Gleich nach unserer Ankunft am Flughafen in Guarulhos (São Paulo) begrüsste uns ein Plakat: “The only thing we like more than soccer are people“ (Das Einzige, was wir noch mehr lieben als Fussball, sind Menschen) – auch vor unserem Rückflug war der Spruch noch da – und jetzt ist er in meinem Kopf, als bleibende Erinnerung an ein Land und seine Menschen, die es verdient haben, dass man sie nicht vergisst.