Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die brasilianische Gummi-Produktion erneut eine Krise, aber trotz des wieder gefallenen Weltmarktpreises hielt sich der Gummi als primäres Ausfuhrprodukt des Acre. Allerdings hatte sich dort die wirtschaftliche Struktur verändert: nach der Pleite der meisten Grundbesitzer blieben viele ihrer ehemaligen abhängigen Arbeiter aus freien Stücken in der gewohnten Umgebung und einigen gelang es sogar, ihren eigenen kleinen Latex-Sammelbetrieb aufzubauen. Ihre Familien legten sogar Felder für den Eigenbedarf an, und man verkaufte den zu Kautschuk-Kugeln gebrannten Latex an ambulante Wiederverkäufer, so genannte „Regatões“ oder „Mareteiros“. Aber diese Aufkäufer fingen wieder an, den armen „Seringueiro“ übers Ohr zu hauen und in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu treiben.
Zum Einsammeln des Latex wandert der Seringueiro in regelmässigen Intervallen von Baum zu Baum, auf Pfaden, die er im Urwald angelegt hat. Rund um den Stamm der Hevea Brasiliensis legt er mit einer scharfen Machete diagonal verlaufende Einkerbungen an, damit der Latex aus der Rinde hervorquillt und entlang der Kerben abläuft, in einen Sammelbehälter (Kalebasse), welchen er am Schnittpunkt der untersten Kerbe angebracht hat. Regelmässig läuft er nun seine Baum-Galerie ab und entleert die Sammel-Behälter in ein grösseres Gefäss.
Der Ertrag eines Tages, in Form von flüssigem Latex, wurde zur damaligen Zeit über offenem Feuer erhitzt und vom Rauch „geräuchert“: auf eine armdicke Stange aus Holz giesst man die ersten Tropfen des Latex und dreht sie dabei über dem Feuer – der Latex wird durch Erhitzung fest – man giesst unter Drehen der Stange weiteren flüssigen Latex nach. So formt sich nach und nach ein dicker, schwerer Kautschuk-Ballen von bis zu einem halben Meter Durchmesser, der wegen der Rauchbehandlung sogar gegen Pilzbefall immun ist.
Diese Technik der Latex-Konservierung benutzt man heutzutage kaum noch. Es sind inzwischen andere Arten der Behandlung des Rohgummis entwickelt worden. Aber die Art der Existenzgrundlage der Waldbewohner hat sich bis heute gehalten: im Mittelpunkt der Arbeit der modernen „Seringueiros“ – in ihrer Mehrheit Indianer und von ihnen abstammenden „Mestizen“ – steht immer noch die Gewinnung des Latex. Jedoch haben diese „Caboclos“ genannten Waldbewohner ihre Produktion durch allerlei andere Früchte und besonders das Ernten der „Brasil-Nuss“(Pará-Nuss) erweitert. Auch ein bisschen Landwirtschaft für den eigenen Bedarf betreiben sie. Ihre Behausungen sind schlicht, mit einem Dach aus Palmstroh. Oft gibt es in ihrer Wohngegend weder eine Schule noch ein Arzt. Die Nutzung des Regenwaldes durch die „Seringueiros“ vollzieht sich in Harmonie mit der Natur und damit innerhalb des modernen ökologischen Verständnisses unserer Umwelt. Und die ökologische Situation des Amazonas-Regenwaldes ist untrennbar verbunden mit dem wirtschaftlichen und sozialen Wohlergehen der „Seringueiros“!