Entstehung eines Saúva-Staates

Zuletzt bearbeitet: 27. Februar 2016

Und jetzt wollen wir uns die Entstehung eines Saúva-Staates noch einmal tabellarisch zusammengefasst ansehen. Fangen wir mal mit der Grabungsarbeit einer befruchteten Königin an und bauen die verschiedenen Phasen darauf auf:

  • 1 – Königin erbricht die Pilzsporen nach 48 Stunden
  • 2 – Erste Eiablage nach 5 bis 6 Tagen
  • 3 – Schlüpfen der ersten Larven nach 30 bis 35 Tagen
  • 4 – Erste Verpuppungen nach 50 bis 51 Tagen
  • 5 – Schlüpfen der ersten ausgewachsenen Insekten nach 62 bis 66 Tagen.

Diese Ameisen verbleiben zirka 20 Tage im Innern der Kammer, bevor sie den Kanal öffnen, der das Nest mit der Aussenwelt verbindet (1. Loch).

Öffnung der Löcher als Ein- und Ausgänge
a) Erstes Loch
Die Öffnung des ersten Loches (des Kanals, den die Königin selbst angelegt hat) durch die ersten Ameisen geschieht im Durchschnitt 87 Tage nachdem die Königin die Erde angebohrt hat.

b) Zweites Loch
Das zweite Loch erscheint erst zirka 14 Monate nach der Öffnung des ersten. Also zirka 17 Monate nachdem die Königin die Erde angebohrt hat. Von da an werden weitere Löcher in kurzen zeitlichen Abständen hintereinander angelegt – durchschnittlich dauert es vom dritten bis zehnten Loch etwa 82 Tage.

Erscheinen der Arbeiterinnen
Die ersten Arbeiterinnen erscheinen an der Erdoberfläche zirka drei Monate nach der Gründung des Nestes. Vom 4. bis 10. Monat erscheinen nur Arbeiterinnen, mit Ausnahme der Soldaten, die man erst nach 22 Monaten nach der Gründung des Staates zu Gesicht bekommt. Ein interessantes Detail: Die Ameisen wachsen nicht mehr – ihr Wachstum vollzieht sich nur während des Larven-Stadiums.

Ein erwachsener Staat
Ab der Öffnung des zweiten Lochs wächst die Kolonie ziemlich schnell. Die Zahl der Individuen nimmt zu, also öffnet man ein nächstes Loch. Zahlreiche Kammern und Kanäle werden gleichzeitig in immer tieferen Zonen angelegt.
Der erste Hochzeitsflug findet statt, wenn der Ameisenstaat erwachsen geworden ist, das bedeutet: nach 36 bis 38 Monaten.

Ein grosser, erwachsener Saúva-Staat kann hunderte Kammern enthalten, die eingeteilt sind in:

  • a) Kammern lebender Individuen (mit Pilzen, Eiern, Larven, etc.)
  • b) Abfallkammern (mit vegetativen Abfällen, vom Pilz nicht akzeptiert, tote Ameisen, etc.)
  • c) Erdkammern (mit ausgegrabener Erde der Kammern und Kanäle)
  • d) Leere Kammern (die für Eventualitäten freigehalten werden).

Eine ausgewachsene Kolonie der Saúvas (Atta) ist eine bewundernswerte Leistung der Ingenieurskunst, mit Hunderten von unterirdischen Kammern, die je nach Ameisenart und Bodenbeschaffenheit auf eine Tiefe von sechs bis acht Metern verteilt sind. Extern kann der Erdaufwurf eine Höhe von bis zu zwei Metern erreichen, und die Sekundärhügel (kleiner) können sich viele Meter weit von diesem entfernt erheben. Einige Wissenschaftler haben beobachtet, dass die gesamte Konstruktion so angelegt ist, das der Wind in die Kolonie eindringen kann, damit das von Ameisen und Pilzen produzierte Kohlendioxyd sich verteilt und der benötigte Sauerstoff sich erneuern kann. Das Wachstum der Pilze wird von der Fluktuation dieser Gase beeinflusst. Innerhalb der Kolonie herrscht eine relative Luftfeuchtigkeit von zirka 80% und eine Durchschnittstemperatur zwischen 20 und 25°C.

blattschneiderameisenDie Kolonien der Blattschneider-Ameisen produzieren, so wie die Städte der Menschen, grosse Mengen an Abfall. Um sich selbst vor Krankheiten zu schützen oder die Pilzkulturen vor Schädlingen, haben die Ameisen eines der fortschrittlichsten Systeme zur Behandlung von Müll entwickelt. Vom Pilz abgestossene Reste, und tote “Staatsbürger“, werden von den ZBVs getrennt und zu speziellen Müllkammern transportiert, wo andere ZBVs stationiert sind, die diesen Müll in die Kammern übernehmen und in Abständen umdrehen (wahrscheinlich um seinen Verfall zu beschleunigen).

Die Spezies Atta colombica deponiert ihren Abfall in externen Müllhalden, einige Meter weit weg von der Kolonie – jedoch ist die Arbeitsteilung ähnlich wie bei den anderen Arten.

Tod einer Kolonie

Verschiedene Faktoren können zum Tod einer Kolonie führen, zum Beispiel das Fehlen von entsprechendem vegetativen Material für die Kultivierung des Nahrungspilzes oder seine Kontaminierung – klimatische oder physische Geschehnisse, wie Überschwemmungen, Trockenperioden und Abstürze, Aktionen von natürlichen Feinden (inklusive des Menschen) und, unter anderem, der natürliche Tod der Königin. Nach ihrem Tod wird die Kolonie von einer Reihe von Tieren und Mikroorganismen befallen und von Wurzeln benachbarter Pflanzen invadiert, denen die gesamte, von den Ameisen über die Jahre angehäufte organische Materie, sowie die physische Struktur des Ambientes viele Vorteile bietet.

Bekämpfungsmethoden

In den meisten Fällen entdecken Plantagenbesitzer die Blattschneider erst, wenn ihre Kolonie bereits eine beträchtliche Grösse angenommen hat, und ihre Bekämpfung dadurch besonders schwierig – und oft auch sehr teuer – geworden ist. Verschiedene mechanische, biologische und chemische Methoden zu ihrer Vernichtung hat man im Lauf der Zeit entwickelt. Seit etwa fünfzig Jahren haben die chemischen Methoden mittels synthetischen Insektiziden bei der Bekämpfung der Saúvas und Quenquéns ihre Effizienz bewiesen.

Eine mechanische Bekämpfung besteht darin, das Nest auszugraben, um die Königin zu finden und zu entfernen. Jedoch ist diese Methode bei Kolonien, die mehr als vier Monate alt sind, nicht zu empfehlen, denn später befindet sich die Königin – die mit der Vergrösserung der Kolonie immer tiefer verlegt wird – schon in einem Bereich, der tiefer liegt als 1,5 Meter – wodurch ihre Entfernung inpraktikabel wird. “In der Praxis ist die mechanische Entfernung unmöglich bei kommerziellen Plantageflächen, bei Wiederaufforstungen und Systemen von Weideflächen“, erklärt Professor Forti.

Die biologische Bekämpfung durch natürliche Feinde hat eine grosse Bedeutung im Fall der Blattschneiderameisen. Erstens füllen die verschiedensten Vögel einen signifikanten Teil der Bekämpfung aus, besonders während der Hochzeitsflug-Phase, während der sie sich von “Içás“ und “Bitus“ ernähren und so eine Gründung neuer Kolonien im Keim ersticken. Zweitens sind bestimmte Spinnenarten, Käfer, Asseln und verschiedene spezialisierte Raubameisen zu nennen, die den Blattschneidern empfindliche Verluste bescheren.

Schliesslich ist die chemische Bekämpfung, trotz ihrer verschiedenen Restriktionen, immer noch die effektivste Waffe gegen eine Blattschneider-Invasion. Sie kann in Form von trockenem Puder, verflüssigtem Gas, vernebelungsfähigen Flüssigkeiten und toxischen, körnigen Ködern eingesetzt werden.

Die toxischen Köder

Die Bekämpfung der Blattschneider mit toxischen Ködern hat sich als eine der effektivsten Bekämpfungsmethoden mit geringstem Kostenaufwand erwiesen. Die Köder bestehen aus einer Mischung attraktiven Substrats mit einem aktiven toxischen Prinzip, in Form von winzigen “Pellets“. Diese Giftköder verteilt man auf die deutlich sichtbaren “Ameisenpfade“, im Umfeld der Kolonie, wo sie von den Arbeiterinnen selbst aufgenommen und ins Innere des Nestes geschleppt werden.

Das aktive Substrat besteht aus einem Stückchen getrockneten Fruchtfleisches von Zitrusfrüchten (Orangen, Mandarinen, Limonen) – obwohl man auch mit anderen deshydrierten Substanzen, wie Mais, Eukalyptusblätter, Maniokmehl, Sojakrümel und ausgepresste Zuckerrohrreste Erfolge verzeichnet hat. Das toxische Insektizid wird in Sojaöl aufgelöst und dann mit dem Substrat vermischt. Das als toxischer Köder vorbereitete Insektizid soll nach Verzehr eine innere Vergiftung hervorrufen und muss deshalb eine verspätete toxische Wirkung haben – mit einer Sterberate von bis zu 15% der Insekten nach dem ersten Tag der Verabreichung und mehr als 85% nach vierzehn Tagen. Das Gift muss auch in sehr geringen Dosierungen wirksam sein, geruchlos, nicht abstossend und keine Schäden in der Natur verursachen.

Gegenwärtig werden in Brasilien zwei aktive Stoffe mit langsamer Wirkung erfolgreich für toxische Köder gegen die Saúva-Plage eingesetzt: Sulfuramid und Fipronil. Die langsame Wirkung ist erforderlich, damit das Gift in allen Pilzkammern verteilt wird, wo die Köder gekaut, an alle Ameisen verteilt werden und auf diese Weise alle Kasten der Kolonie erreichen.

Nachdem diese Köderstückchen von den Arbeiterinnen ins Nest getragen wurden und dort aufgeweicht sind, werden sie von den Individuen verschiedener Kasten aufgenommen – auch die Königin und Larven werden mit Fragmenten davon gefüttert – etwa sechs Stunden nach der Verteilung auf den Ameisenpfaden. Es ist bewiesen, dass 50% bis 70% der Arbeiterinnen der Kolonie innerhalb von 24 Stunden mit dem Insektizid infiziert sind. Mit dem Tod der Arbeiterinnen nimmt ein allgemeines Chaos seinen Lauf, das bei der Vernachlässigung der Pilzkultur beginnt und dem Wachstum parasitärer Pilze Vorschub leistet, die ihren “Speisepilz“ vergiften und die gesamte Kolonie in wenigen Tagen ausrotten.

So wird die genial organisierte und eng mit allen Individuen des Ameisenstaates verknüpfte Sozialstruktur der Blattschneider sich selbst zur Todesfalle.

Gegenwärtig werden in Brasilien zirka 12.000 Tonnen toxische Köder für die Bekämpfung der Blattschneider pro Jahr kommerzialisiert.

Schlussbemerkung

Nachdem man diesen perfekt funktionierenden, scheinbar von einer höheren Intelligenz organisierten Ameisenstaat nun ein bisschen näher kennengelernt hat, kann es einem direkt leidtun, wenn man erfährt, wie unbarmherzig und effizient sich der Mensch für die Bekämpfung dieser Spezies engagiert. Wer dagegen, wie ich, vor Ort die genauso unbarmherzige Zerstörung der Natur durch Blattschneider-Ameisen mal erlebt hat, dem ist Mitleid in diesem speziellen Fall fremd – im Gegenteil, er freut sich über jeden Baum, den die Blattschneider nicht vernichtet haben.

Wissen Sie was? Gerade drängt sich mir ein Vergleich auf, der mir im ersten Moment zwar etwas abwegig erscheinen will, aber doch zunehmend an Substanz gewinnt, je länger ich darüber nachdenke: Blattschneider und Menschen – ihre soziale Struktur und Organisation, die unterschiedlichen Klassen (oder Kasten), der Raubbau an der Natur… fällt Ihnen da nicht auch einiges auf? Und schneiden die Ameisen bei diesem kuriosen Vergleich nicht sogar besser ab als die Menschen? Damit meine ich, dass gerade in punkto Organisation es bei ihnen besser funktioniert als bei uns. Und dass sie auch die Natur weniger schädigen als der Mensch.

Und die Ameisenvölker werden eine eventuelle Apokalypse, zum Beispiel ausgelöst durch einen Atomkrieg, überleben können – darin sind sich die Wissenschaftler einig – während wir Menschen…

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AutorIn: Klaus D. Günther · Bildquelle: @nt / Fotolia.de

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