Die Mate Pflanze

Zuletzt bearbeitet: 5. Oktober 2014

Kriegsgesänge hallten wider im Wald – und dann marschierte Itabaetê los mit seinen Kriegern in Richtung des grossen Camps. Der ganze Stamm nahm an dem Marsch teil – in ihren Augen glänzte die Siegesgewissheit. Nur ein Mann, schwach geworden durch die Last der Jahre, konnte nun nicht mehr mithalten bei diesem neuen Kriegszug gegen die Invasoren. Er hockte auf einem Hügel und Tränen liefen über seine zerfurchten Wangen, als er die Krieger in langen Schlangen zwischen dem Grün von dannen ziehen sah. Und selbst als sie längst hinter dem immergrünen Vorhang verschwunden waren, rührte sich der alte Indianer nicht vom Fleck – stumm und wie eine Statue sass er da, versunken in zahllose Erinnerungen an seine eigenen vergangenen Taten.

Er dachte an jene Zeit, in der sein Arm der gefürchtetste im ganzen Stamm gewesen, sein Pfeil nie das Ziel verfehlte, und seine Augen noch sicher das Dunkel der Nacht zu durchdringen vermochten. Jetzt dagegen, alt und schwach, war er dazu verurteilt, sich in den Schatten der Nutzlosigkeit zurückzuziehen. Zu seinem Trost hatte er nur noch seine Erinnerungen – und die Schönheit von Iari, der jüngsten und beliebtesten seiner Töchter, und die, taub für sämtliche Angebote verliebter junger Männer des Stammes, zog es vor, an der Seite ihres alten Vaters zu verbleiben und ihm den Rest seines Lebens mit dem Honig ihres liebreizenden Lächelns zu versüssen.

Da geschah es eines Tages, dass sich vor der Hütte des alten Guarani ein fremdartiger Reisender einfand: mit bunter Kleidung und Augen, die an das Blau weit entfernter Himmel erinnerten. Der alte Guarani begriff sofort, dass jener Mann von weit her gekommen war – viel weiter noch als die Wälder von Maracaju, die er einst, voll fröhlichem Enthusiasmus und festen Schrittes, durcheilt hatte. Jetzt öffnete er die lederne Tür zu seinem bescheidenen Anwesen weit und empfing den Fremden freundlich, während Iari sich gleich auf den Weg machte, um die besten Früchte des Waldes für ihren Gast zu besorgen und den süssesten Honig von Zwergbienen.

Und ihr alter Vater, nachdem er ein wenig die Augenlider gesenkt, um sich auf den Reichtum seiner Erinnerungen aus jenen von der Zeit verwischten Tagen konzentrieren zu können, unterhielt seinen Gast mit Episoden aus seiner Jugend – er wurde wieder ganz aufgeregt, als er von gefährlichen Jagdabenteuern berichtete und von den Invasoren, welche er eigenhändig aus ihrem Land vertrieben hatte. Er und seine Tochter taten alles, um dem Fremden den Aufenthalt in ihrer Hütte so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Nacht brach herein, und man befestigte eine Hängematte zwischen zwei Pfosten für die Nachtruhe des Gastes – den die weiche Stimme der Jungfrau Iari in den Schlaf begleitete, die alte Guarani-Weisen sang. Und am folgenden Tag, als die Sonne durch die niedrigsten Zweige der Bäume ihre ersten Strahlen sandte, fand sie den Fremden bereits fertig zur Weiterreise.

“In deinen Händen ruht die Grosszügigkeit der Natur…“ so sprach er zu dem alten Indianer, “in deinem Herzen wohnt die Gastlichkeit der unendlichen Ebenen der Charrua, wo sich die Savannen in tausend Wegen öffnen und nichts den Schritt des Reisenden behindert. Im Körper deiner Tochter verbirgt sich die Reinheit kristalliner Quellen und die Freude der Morgendämmerung meines Landes. Soviel Tugend muss belohnt werden. Ich komme aus dem Reich von Tupan, dem Gott alles Guten. Bitte um was immer du dir wünschst“!

“Nichts verdiene ich dafür, was ich euch getan habe, Senhor“! – antwortete der alte Guarani. Aber, da die unendliche Güte Tupans mich und meine bescheidene Hütte mit euerer Anwesenheit beehrt hat, würde ich mich über ein bisschen Animation für die letzten Schritte meines Erdendaseins freuen. Früher führte ich eine zahllose Kriegerschar zu den vielen Kämpfen meines Lebens – heute erfüllt nur noch meine Tochter die leeren Stunden meines Daseins mit ein bisschen Freude und Unterhaltung. Ich wünschte mir einen Begleiter, einen, der meine Lippen mit Süssigkeit benetzt erfüllt und meinem Herzen Ruhe und Zufriedenheit gönnt. Jemand, der mein letzter Freund sein wird, ein treuer Freund. Dann könnte Iari der Fährte unseres Stammes folgen, dorthin, wo die Jungen sich nach ihrer Liebe sehnen, um voll Vertrauen den Weg zum Sieg zu beschreiten. Das ist es, was ich mir wünsche, Senhor: einen treuen Freund, einen Begleiter, der mir die bitteren Stunden der Sehnsucht mit Süsse füllt . . .“

mate-pflanzeDer Abgesandte Tupans lächelte. Und in seinen Händen strahlte – von einem eigenartigen Licht umgeben – eine Pflanze mit dunkelgrünen Blättern, von der ein lieblicher Geruch ausging, vielleicht das Parfum von Tupan?

“Lass diese Pflanze wachsen und gedeihen und trink den Sud von ihren Blättern“! – sprach der von Gott gesandte Fremde. Trink von ihren Blättern, und du wirst den Begleiter in ihr finden, den du dir wünschst! Diese Pflanze, welche in sich die Gnade Tupans birgt, wird sich in den Wäldern ausbreiten und nicht nur dir, sondern allen Mitgliedern deines Stammes, Freude und Trost bringen. Und du, Iari, wirst die Beschützerin der Wälder sein, die sich ausbreiten werden. Und alle Krieger werden die Köstlichkeit deiner Zuneigung verspüren, wenn sie von diesem Getränk kosten: ihre Wege werden weniger beschwerlich sein und ihre Ruhetage glücklicher…“

Und, schon beim Verlassen der Hütte, wiederholte der Gesandte Tupans noch einmal: “Du wirst einen treuen Begleiter haben, alter Häuptling der Guarani . . . Und du bist die Beschützerin deiner Rasse, Caá-Iari…“

Und seither ist Caá-Iari die Herrin der Mate-Plantagen und die Schutzpatronin der “Ervateiros“ (Mate-Pflanzer). Sie alle bekommen von ihr jedwede Hilfe, wenn sie ihr treu sind und bleiben. Und wenn ein Ervateiro mit ihrem Schutz allein noch nicht zufrieden sein sollte, sondern, darüber hinaus, unendlich reich werden möchte, kann er mit ihr einen geheimen Pakt schliessen. Dazu muss er sich während der Osterwoche in eine Kirche begeben und dort mit Caá-Iari einen Heiratsvertrag abschliessen – er muss schwören, sein Leben in der Mate-Pflanzung zu verbringen, sich nur zur Verehrung seiner Göttin in der Öffentlichkeit blicken zu lassen und nie mehr eine andere Frau zu lieben . . . Danach hinterlässt er an einem Mate-Zweig einen Zettel, auf dem er ein Treffen mit der schönen Beschützerin der Wälder datiert hat. Am bewussten Tag muss er dann in des Waldes tiefste Tiefen eindringen – wo Caá-Iari seinen Mut einer Prüfung unterzieht, indem sie ihm wilde Tiere und Schlangen auf seinem Weg entgegenschickt. Wenn der Mann mutig und stark ist und allen Gefahren zu trotzen weiss, wird er von Iari belohnt.

Sein Leben wird fortan von der Liebe der jungen Göttin bestimmt. Seine Nächte sind von Freude erfüllt und seine Tage vom Überfluss. Seine Pflanzung entwickelt sich prächtig, die ledernen Säcke füllen sich fast von allein, ohne dass er sich dafür besonders anstrengen muss. Und beim Wiegen der Ernte setzt sich Iari – die für alle unsichtbar ist, nur nicht für ihren Geliebten – auf jeden gewogenen Sack, um sein Gewicht zu erhöhen! Das Glück lacht dem Ervateiro für immer!

Für immer…es sei denn, dass dieser seinen Schwur bricht…, wenn es nämlich einer anderen Frau gelingen sollte, ihm den Kopf zu verdrehen, dann überbringt sie ihm, zusammen mit ihrer Zuneigung, auch seinen Fall in die Ungnade seiner Göttin: und eines schönen Tages findet man ihn, inmitten seiner Mate-Pflanzung ausgestreckt und tot – und niemand wird erklären können warum! Das ist Caá-Iari Rache für seine Untreue. Und sie verzeiht niemals.

Nach Padre Carlos Teschauer: História do Chimarrão, von Barbosa Lessa, Livraria Sulina, Porto Alegre, 1949
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung Klaus D. Günther für BrasilienPortal

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