Aquarell des Lebens

Zuletzt bearbeitet: 17. April 2021

Brasilien besitzt das umfassendste “Aquarell des Lebens“ oder die grösste Biodiversifikation der Welt: 55.000 Pflanzenarten, 530 Säugetierarten, 1800 Vogelarten, 800 Amphibienarten, 680 Reptilienarten und zirka 3.000 Arten von Fischen. Von den zirka 1,5 Millionen wissenschaftlich katalogisierten Spezies unseres Planeten sind 13% in den brasilianischen Biotopen beheimatet.

1aquarell des lebens_Pingo-douroEin winziges gelbes Fröschlein von wenigen Millimetern Länge hüpft aus der Hand der Biologin aus Santa Catarina. Es heisst “Pingo-d’ouro“ (Goldtropfen) und gehört zu den kleinsten Amphibien der Welt, von der Wissenschaft erstmals im Jahr 1990 katalogisiert und endemisch im Atlantischen Regenwald. Im extremen Norden des Bundesstaates Pará quakt ein Frosch dermassen aufdringlich, dass er den holländischen Biologen Marinus Hoomoed beunruhigt. Es ist ein Exemplar des Leptodactylus myersi, den man nur in der Amazonasregion des Guyana-Schildes antrifft. Sein Quaken fasziniert den Biologen, der ihn an seinem Ton erst einmal nicht erkennt – wer weiss, eine neue Spezies vielleicht, unter so vielen, die er bereits selbst entdeckt und katalogisiert hat. Einer Neuentdeckung zum ersten Mal gegenüber zu stehen oder ihren Lebensraum neu zu erforschen, ist eine nicht seltene Aufgabe der Biologen, welche in Brasilien tätig sind.

Schliesslich – welch anderes Land beherbergt eine solch expressive Bio-Vielfalt wie Brasilien? Die Antwort ist einfach und direkt: kein anderes Land! Sechs der bedeutendsten Biotope des brasilianischen Territoriums vereinen die grösste Vielfalt von Fauna und Flora der Erde. In Übereinstimmung mit den Zahlen des Ministeriums für Umwelt besitzen Amazonien, Atlantischer Regenwald, Cerrado, Caatinga, Pantanal und die Pampas zusammen zirka 13% der weltweit ungefähr 1,5 Millionen von Wissenschaftlern katalogisierten Wildlife-Spezies!

Unter der anfangs erwähnten Flor- und Faunavielfalt – letztere enthält allein um die fünfzig Primatenarten) – schätzt man, dass damit lediglich 10% der brasilianischen Zoologie bekannt und studiert worden ist. Die respektiertesten internationalen Forscher schätzen, das Jahr für Jahr zirka 1.500 neue Spezies entdeckt werden. Und in diesem Rhythmus, so sagen sie, würden wir noch 800 Jahre brauchen, um sie alle kennenzulernen – falls es uns gelingt, den Rhythmus der Zerstörung der Natur und die Ausrottung die Arten aufzuhalten!

2aquarell des lebens_tukan_0012 Unter den am besten wissenschaftlich identifizierten und definierten Gruppen der brasilianischen Fauna sind die Säugetiere und die Vögel. Sie sind auch die am leichtesten zu beobachtenden Tiere in der Natur, und die mit dem ehesten Kontakt mit Menschen. Dagegen ist ein grosser Teil der kleineren Lebewesen, welche sich in luftiger Höhe der Bäume verbergen, Wirbellose und solche, die im Wasser der Küste leben, sind immer noch illustre Unbekannte der wissenschaftlichen Kommune.

Diesen Reichtum der Fauna verdankt man den vielgestaltigen Lebensräumen in diesem immensen brasilianischen Territorium – seiner unterschiedlichen Geografie und seinem Klima, das zwischen tropisch und halbtrocken schwankt. Alle diese Charakteristika haben ökologische Nischen geschaffen, welche diese zahlreichen Arten durch ihre Einzigartigkeit hervor gebracht haben. Eine Theorie des respektierten deutschen Evolutionsbiologen Ernst Mayr – gestorben 2005 im Alter von fast 101 Jahren, ein entschiedener Verteidiger der Darwinschen Evolutionstheorie – mag zum Verstehen des komplexen brasilianischen Lebensmechanismus beitragen. Mayr pflegte Pflanzen und Tiere als eine Gruppe von Organismen zu definieren, die sich innerhalb isolierten ökologischen Nischen untereinander kreuzen.

Es gibt kein besseres Beispiel jener Idee des deutschen Forschers, als Amazonien. Während der letzten Eiszeit, die etwa vor 10 Millionen Jahren zuende ging, bildeten sich unzählige, voneinander unabhängige, ökologische Nischen innerhalb der Grenzen der ausgedehnten Vegetation und gebaren Millionen neuer Spezies. Dies machte den grössten tropischen Wald der Erde – mit 6 Millionen Quadratkilometern, davon zirka 60% auf brasilianischem Gebiet – zur Heimat einer Konzentration der wertvollsten Biodiversifikation unseres Planeten während jener Tausenden von Jahren.

Neben dem pflanzlichen Reichtum präsentiert dieses Szenario eindrucksvolle Zahlen hinsichtlich der Fauna. Beispiel: In den Gewässern Amazoniens lebt die grösste Artenvielfalt von Fischen Südamerikas – mehr als 1.300 verschiedene Arten – eine weitaus grössere Zahl als in allen anderen hydrografischen Netzen dieser Erde. Allein entlang des ruhig fliessenden, sauren Rio Negro wurden zirka 450 verschiedene Arten katalogisiert. Dies ist ein unglaublicher Überfluss! Von Ost nach West in Europa findet man nicht mehr als etwa 200 Arten. Und man sollte nicht vergessen, dass geschätzte 40% der Fische im Wassernetz Amazoniens überhaupt noch nicht katalogisiert worden sind!

3aquarell des lebens_Filomedusa_Aguinaldo-Matos Die Buchhaltung des Amazonas-Regenwaldes ist voller Überraschungen. Hier leben zum Beispiel 163 Amphibienarten, welche der Wissenschaft bekannt sind – und das macht 4% der 4.000 bereits katalogisierten Arten dieser Klasse von Wirbeltieren der Erde aus – und 27% von denen in Brasilien beschriebenen. Allerdings gehen Schätzungen der Wissenschaftler des Goeldi-Museums in Belém (Pará) davon aus, dass es noch viel mehr unbekannte Amphibien im Amazonas-Regenwald gibt. Sie stützen sich auf die Tatsache, dass die wissenschaftlichen Studien dieser Gruppe sich bisher lediglich auf die Ufer der bedeutendsten Zuflüsse des Rio Amazonas, oder auf Regionen erstreckt haben, welche durch Strassen erreichbar gemacht werden. Die Kosten, um weiter in schwierig erreichbare Gebiete einzudringen, haben bisher neue Studien verhindert.

4aquarell des lebens_jacare Im brasilianischen Teil Amazoniens sind auch 300 der 6.000 bekannten Reptilien der Erde beheimatet. Die Schlangen bilden in diesem Fall mehr als die Hälfte dieser Zahl, gefolgt von Eidechsen und Leguanen. So wie bei den Amphibien, ist bisher die Vielfalt dieser Kategorie amzonensischer Fauna ebenfalls unterschätzt worden. Die Forscher des Goeldie-Museums nehmen an, dass die Menge der Informationen betreffs des Ambientes und der Verbreitung der Spezies noch recht gering ist – so wie auch die Informationen hinsichtlich ihrer biologischen Charakteristika und ihrer Fortpflanzung.

Die Vögel dagegen, haben schon immer die grösste Aufmerksamkeit der Biologen und anderen Forschern der Biodiversifikation auf sich konzentriert. Die bekannten Wesen des Regenwaldes gehen über die Tausend hinaus – unter den etwa 9.700 schon registrierten Arten der Welt. Die man am meisten sieht, sind die Psitacideos – wie Aras, Papageien und Sittiche, ausserdem Tukane, Tauben und Fasane. Von den genannten eintausend Wesen sind etwas weniger als 230 äusserst selten und werden abgelegenen Territorien zugeordnet. Von den 141 beschriebenen Fledermausarten Brasiliens befinden sich 125 in derselben Region. Die Insekten bilden mit 30 Millionen Arten die grösste Gruppe der Lebewesen auf unserem Planeten – ohne die Bakterien und Mikroorganismen einzurechnen! In Amazonien lebt ein Drittel von ihnen!

Unter den Säugetieren haben die Forscher des Amazonas-Regenwaldes mehr als 310 der 4.650 weltweit registrierten Arten ermittelt. Unter ihnen bilden die Nager und Qiropteros – nachtaktive Säugetiere, unter die man auch die Fledermäuse rechnet – die Mehrheit. An Menge kommen die Primaten direkt danach – sie gehören zu den am besten studierten Säugetieren Amazoniens. Dadurch konnten in den letzten Jahren viele neue Spezies kleinerer Primaten der Welt präsentiert werden – wie zum Beispiel der “Sauim-de-cara-branca“ (Callithix satarei). Weil er innerhalb eines begrenzten Habitats der Region “Canumã“ lebt, steht es bereits auf der Liste der bedrohten Arten.

Andere brasilianische Biotope stimmen ebenfalls mit der Theorie jenes deutschen Wissenschaftlers Ernst Mayr überein. Nach Amazonien war einst der Cerrado die zweitgrösste Vegetationsfläche Brasiliens – obwohl von ihm nur noch 2% seiner Original-Decke existieren. Trotz alledem ist das Territorium, in dem sich die drei grössten hydrografischen Becken Südamerikas befinden – das des São Francisco, des Prata und des Tocantins-Araguaia – geprägt von einem kontrastierenden Klima, mit extrem trockenen Wintern und aussergewöhnlich regenreichen Sommern. Und in dieser markanten Atmosphäre entwickelt sich eine Vegetation von trockenem, buschartigen Aussehen, Habitat einer grossen Biodiversifikation, unter Hervorhebung der mehr als 800 Vogel- und 160 Säugetierarten, deren Symbolfiguren der scheue Mähnenwolf und der Grosse Ameisenbär sind – eine besonders artenreiche Gürteltier-Gruppe gibt es hier ebenfalls.

Mit Ausnahme der Vögel, sind die meisten Cerrado-Tiere nachtaktiv oder bewegen sich unter der Erdoberfläche. Eine beachtenswerte Reihe von Biologen nimmt an, dass sich jene Fauna diesem markanten Verhalten in diesem einzigartigen Umfeld während ihres langen evolutiven Zyklus angepasst hat, um sich so vor den extremen Klimaschwankungen zu schützen.

Ähnlich kontrastierend ist das Klima der Caatinga, ein Ökosystem, welches 10% des brasilianischen Territoriums beansprucht – der grösste Teil liegt im Nordosten. In diesem Gebiet – wenig bekannt und deshalb auch gering bewertet oder geschützt – regnet es kaum und deshalb hat die Verschiedenheit des Lebens dort grosse Anstrengungen gemacht, um sich anzupassen. Zum Beispiel die 45 Arten von Schlangen, 40 Arten von Eidechsen und Leguanen (inklusive sieben Arten von Anfisbeniden – die seltenen Reptilien ohne Beine), 44 Arten von Amphibien, 4 Schildkrötenarten, eine einzige Krokodilart, ausser Säugetiere, die vom Aussterben bedroht sind, wie zum Beispiel der kleinste Vertreter der Gürteltiere, das “Tatu-peba“. Unter den Vögeln ist als traurigstes Beispiel das Aussterben des “Ararinha-azul“ (Cyanopsitta spixii) zu beklagen – diese Art ist definitiv aus der Caatinga verschwunden.

Cyanopsitta spixii
Cyanopsitta spixii
Cyanopsitta spixii
Cyanopsitta spixii
Cyanopsitta spixii
Cyanopsitta spixii
Cyanopsitta spixii
Cyanopsitta spixii
Tail feather
Spixara mit Jungtier
114 Spix-Ara (Walsrode 1982)
Cyanopsitta spixii
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Biotope wie jener der Caatinga haben in den letzten Jahren sehr unter dem Druck der humanen Besetzung gelitten. Das ist auch der Fall des Pantanal von Mato Grosso und der Pampa-Gaúcha, aber ganz besonders des Atlantischen Regenwaldes, der gegenwärtig auf nur 8% seiner ursprünglichen Ausdehnung reduziert worden ist – durch die Ausbeutung seiner Edelhölzer und die unkontrollierte Ausbreitung der urbanen Zentren. Trotzdem beherbergt auch der Rest dieses dichten und feuchten Waldes, immer noch eine der bedeutendsten Konzentrationen von komplexer Vegetation und Fauna, die wie einst den historischen Naturalisten Saint-Hilaire und den Vater der Evolution Darwin, auch den heutigen Wissenschaftlern noch vor Staunen den Mund offenstehen lässt.

5aquarell des lebens_saguis Der Atlantische Regenwald, der sich zu Zeiten des Entdeckers Cabral über 8.000 Kilometer entlang der brasilianischen Atlantikküste erstreckte, bewohnt von Tupi-Indianern von Nord nach Süd, ist der am meisten zerstörte Biotop Brasiliens und beherbergt wertvolle Restgruppen des Lebens, wie zum Beispiel 261 Säugetierarten, 340 Amphibienarten, 192 Reptilienarten und 1.020 Vogelarten. Mehr noch: Selbst nach dieser unglaublichen Zerstörung gehört dieser Biotop noch zu den fünf Regionen mit der grössten Anzahl endemischer Spezies – das heisst, Arten, die exklusiv in diesem Ambiente vorkommen, dank der direkten Relation der Tiere mit dem dichten und hoch diversifizierten Wald.

Nach diesen superlativen Zahlen der brasilianischen Fauna – wie soll man so viele Leben schützen und bewahren? Wie soll man so viele Tiere vor dem Aussterben bewahren, die abhängig von bestimmten spezifischen Lebensräumen, schon jetzt auf der Liste gefährdeter Arten stehen? In der letzten Ausgabe des so genannten “ROTEN BUCHES“ der brasilianischen Fauna, deren Arten vom Aussterben bedroht sind – herausgegeben vom Umweltministerium – werden 627 Tiere der brasilianischen Fauna von der wissenschaftlichen Kommune und den Regierungsautoritäten anerkannt, die vom Aussterben bedroht sind.

Die Antwort ist wieder einmal einfach und direkt: “Um die Biodiversifikation zu bewahren ist der wichtigste Schritt die Schaffung und Unterhaltung von Konservierungseinheiten. Ich habe sehr gekämpft, um das durchzusetzen“, sagt der Umweltschützer Paulo Nogueira-Neto, Schüler und Verteidiger der Lehren von Ernst Mayr. Nogueira-Neto ist einer der anerkannt aktivsten Kämpfer für den Schutz jener Atlantischen Regenwaldreste Brasiliens. Und genau in ihnen wechseln sich Forscher der ganzen Welt ab, um die Gelegenheit nicht zu verpassen, immer neue Tiere der brasilianischen Fauna zu entdecken!

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AutorIn: Klaus D. Günther · Bildquelle: Foto 3: Fotolia.de
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