Avá-Canoeiro: Der Untergang eines indigenen Volkes

Zuletzt bearbeitet: 31. Mai 2023

Im Jahr 1973, als die FUNAI sich endlich entschloss, auf die wiederholten Beschwerden von Fazenda-Besitzern am Rio Araguaia (Bundesstaat Goiás) zu reagieren, die angaben, dass ihre Rinder von den “Cara-Pretas“ (Schwarzgesichtern) auf der Weide abgeschlachtet würden – da arbeitete ich noch als Reportage-Fotograf im Auftrag der Illustrierten “MANCHETE“ in Rio de Janeiro.

Meine Kollegen wussten, dass mich vor allem die wilde Natur Brasiliens besonders faszinierte – prompt schob man mich vor, wenn zum Beispiel ein Flugzeugabsturz in Amazonasgebiet oder die Befriedung eines neuen Indiovolkes dokumentiert werden sollten, denn solche Gebiete waren den Kollegen zu unbequem, die Moskitos zu unangenehm und die Geschehnisse zu unberechenbar und manchmal sogar gefährlich. Die meisten von ihnen hatten Familie, sie brauchten abends ihr Bierchen und wollten am Wochenende zum Strand oder zum Fußball – also bekam ich diese Aufträge – und ich liebte sie!

Nach der Mahlzeit wiegt TUTAWA seinen Jungen liebevoll in seinen Armen | Foto: Klaus D. Günther 1973

Auch diesmal bekam ich den Auftrag, die Kontaktaufnahme mit die “Cara-Pretas“ – anthropologischen Kreisen als Indios vom Volk der “Awá-Canoeiro“ bekannt – mit meiner Kamera zu dokumentieren. Enttäuschend für mich war dann die Reaktion des Chefs der “FUNAI-Attraktionsfront“, der es ablehnte, mich zur Kontaktaufnahme mitzunehmen – heute weiß ich warum!

Die nachfolgende Reportage der Anthropologin Patrícia de Mendonça Rodrigue, vom Juli 2016 bezieht sich auf die Avá-Canoeiro vom Araguaia-Fluss, die eine andere Geschichte haben und sich ethnisch von den Avá-Canoeiro vom Tocantins-Fluss unterscheiden, obwohl sich beide Gruppen Ãwa nennen. Die Geschichte der Avá-Canoeiro und ihre aktuelle Situation kann als eines der dramatischsten Beispiele für die Unterdrückung eines indigenen Volkes auf brasilianischem Boden betrachtet werden.

Angesichts der Unkenntnis dieser Tatsachen durch die meisten Menschen, die dazu beigetragen hat, dass die Gruppe jahrzehntelang von einer minimalen Menschenrechts-Agenda ausgeschlossen war, hat die Reportage das Hauptziel, die Hintergründe dieses zeitgenössischen Dramas so weit wie möglich festzuhalten und zu verbreiten.

Ihr Klaus D. Günther

Avá-Canoeiro vom Araguaia im Mata Azul (Blauer Wald) überwältigte, ihre letzte Zuflucht nach jahrzehntelangen Massakern und Flucht unter entsetzlich unmenschlichen Bedingungen. Das kritische Ereignis der Gefangennahme – welches die endgültige Niederlage nach zwei Jahrhunderten aktiven Widerstandes markierte – wird von den Avá-Canoeiro als radikale Kluft bezeichnet, zwischen einer Zeit der relativen Autonomie und Konfrontation, die allerdings durch das Verschwinden des größten Teils der Gruppe gekennzeichnet war, und der Zeit der Gefangenschaft, einer ewigen Gegenwart der Unterwerfung, Unterordnung und extremen Marginalisierung.

Die Einrichtung einer Technischen Gruppe (GT) der FUNAI im Jahr 2011 zur Identifizierung und Abgrenzung eines exklusiven indigenen Territoriums für die “Avá-Canoeiro do Araguaia“ war der erste historische Schritt des brasilianischen Staates, um die Gräueltaten, welche die Gruppe seit dem 18. Jahrhundert erlitten hat – und die sie an den Rand der physischen Auslöschung brachten – minimal zu reparieren. In dem 2012 vorgelegten anthropologischen Bericht ist jedoch die außergewöhnliche physische und kulturelle Widerstandsfähigkeit der Avá-Canoeiro, die unermüdlich als einzigartiges Volk mit Zukunft fortbestehen, von größerer Bedeutung als die detaillierte Beschreibung ihrer unerbittlichen Verfolgung und Dezimierung durch die nationale Gesellschaft oder ihre Gefangenschaft und anschließende Aussetzung durch Agenten der indigenen Körperschaft in den Dörfern der Javaé-Indios, ihren traditionellen Feinden, wo sie bis heute leben und darauf warten, an einen eigenen Ort zurückkehren zu können.

Wie Tiere in einem Käfig wurden die gefangenen “nackten Wilden“ den regionalen Einwohnern und Angestellten der Fazenda zum Angaffen ausgesetzt , was sie in sichtbarer Gleichgültigkeit ertrugen | Foto: Klaus D. Günther 1973

1976 wurde durch eine verhängnisvolle Entscheidung von FUNAI der Canoanã-Indioposten, in dem die Überreste mehrerer ausgestorbener Javaé-Dörfer dahinsiechten, für die Unterbringung der Avá-Canoeiro ausgewählt, die 1973 und 1974 im nahe gelegenen “Mata Azul“ eingefangen worden waren. Ehemalige Gegner wurden gezwungen, als dominante und dominierte Gruppen im selben Dorf zusammenzuleben. Trotz ihres ebenfalls kritischen Bevölkerungsverlustes waren die ca. 300 Javaé den 10 gefangenen Avá-Canoeiro, die als Kriegsgefangene aufgenommen wurden, zahlenmäßig überlegen, und von diesem Zeitpunkt an begann eine Beziehung von tiefgreifender politischer, wirtschaftlicher und kultureller Asymmetrie. Der Transfer der Überlebenden kam nur den Interessen mächtiger Wirtschaftsgruppen zugute, die sich das traditionell von den Javaé und Avá-Canoeiro besetzte Land endgültig aneigneten.

Vom Tocantins zum Araguaia

Die “Canoeiro“, ein Tupi-Guarani sprechendes Volk, lebten am Oberlauf des Tocantins-Flusses, als die ersten Siedler aus Zentralbrasilien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in diese Region kamen. Die historischen, geographischen, sprachlichen und ethnischen Wurzeln der Gruppe, die erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Namen “Avá-Canoeiro“ bekannt wurde, sind seit langem Gegenstand von Debatten in der Literatur, in denen über eine Abstammung von den alten “Karijó“ aus São Paulo (Sprecher eines Guaraní-Dialekts) oder eine historische Verschmelzung mit Afro-Nachfahren spekuliert wird.

Die Avá-Canoeiro wurden in der historischen Literatur und im mündlichen Gedächtnis des alten Goiás als das indigene Volk bekannt, das den Kolonisatoren am meisten Widerstand leistete und einen friedlichen Kontakt strikt ablehnte, obwohl die unaufhörliche Verfolgung und Ausrottung der Mehrheit der Gruppe zu ihrer Zerstreuung und Zersplitterung führte. Ein Teil der Gruppe lebte weiterhin in Tocantins, während ein anderer Teil in den 1830er Jahren in das Araguaia-Flussgebiet, dem Hauptzufluss des Tocantins-Flusses, wechselte.

In dieser neuen Region mit periodisch überschwemmbaren Savannen und ganz anderen Umwelteigenschaften, begannen die Avá-Canoeiro, dasselbe Gebiet zu beanspruchen, das seit jeher von den Carajá und Javaé im mittleren Araguaia bewohnt wurde, und an das sie sich in bemerkenswerter Weise angepasst hatten. Ende des 19. Jahrhunderts konzentrierte sich die Araguaia-Gruppe bevorzugt im Tal des Javaés-Flusses, dem Gebiet der traditionellen Javaé-Besiedlung, das sich auf und vor der Insel Bananal befand, die bis dato noch frei von Kolonialisierung war. Das Eindringen der Avá-Canoeiro in das Gebiet der Javaé-Indios wurde zum großen Teil durch den Bevölkerungsrückgang begünstigt, den die Javaé im 17. und 18. Jahrhundert durch die Expeditionen der Bandeirantes (portugiesische Söldner, die das Land auf der Suche nach Gold und Sklaven durchstreiften) in die Araguaia-Region erlitten.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war das, was als “Javaé-Volk“ bezeichnet wird, das Produkt eines langen historischen Prozesses, der sich aus Mischehen zwischen verschiedenen Völkern, sprachlichen und kulturellen Verschmelzungen, vielfältigem und friedlichem Austausch einerseits und interethnischen Kriegen, tödlichen Angriffen und der Ergreifung von Sklaven durch die ersten Kolonisatoren andererseits zusammensetzte, die die auf einige tausend Menschen geschätzte Bevölkerung vor dem Kontakt drastisch reduzierten. In den damaligen Dörfern lebten die Überlebenden dieser dichten Vergangenheit, schätzungsweise weniger als 1.000 Menschen, die vor einigen Jahrhunderten zum Volk der Javaé geworden waren und Orte besetzten, die einst von ihren Vorfahren oder den verschiedenen Völkern, die früher in der Region lebten, bewohnt wurden.

Trotz historischer Konflikte gab es zwischen den beiden Gruppen keinen erbitterten Konkurrenzkampf um die Nutzung der natürlichen Ressourcen, da die Javaé in erster Linie Fischer und Bauern sind, während die Avá-Canoeiro sich auf das Jagen und Sammeln spezialisiert haben und die Landwirtschaft aufgrund der ständigen Verfolgung durch Nicht-Indios in den Hintergrund trat. In der großen Überschwemmungsebene, die das Flusstal des Rio Javaés bildet, bewohnen die Javaé noch immer die Ufer der Flüsse und Seen und nutzen bevorzugt die aquatischen Ressourcen, während die Avá-Canoeiro, die räumlich mobiler sind, verstärkt die Wälder der Zwischenflüsse nutzen, wo sie ihre produktiven Tätigkeiten ausüben und während der Überschwemmungszeit Zuflucht suchen können.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erlebte das Araguaia-Tal aus der Sicht der an der Küste Brasiliens ansässigen Menschen seine letzten Tage als unbekannte Wildnis.

Zu dieser Zeit ließen sich katholische und protestantische Missionare und Regierungsagenten dauerhaft in der Nähe der Carajá-Dörfer nieder und es wurden Expeditionen zur Rodung und Kolonisierung des westlichen Ufers des Araguaia organisiert, wo die gefürchteten “Xavante“ lebten. Ab den 1930er Jahren wurden die wichtigsten Dörfer neben den Carajá der Insel Bananal gegründet, wie Santa Terezinha, Luciara und São Félix do Araguaia. In den 1930er und 1940er Jahren gründeten östlich des mittleren Araguaia Kristallbergleute und Viehzüchter die ersten Siedlungen im Flusstal des Javaés, wie “Cristalândia, Pium, Dueré“ und “Formoso do Araguaia“, von wo aus die ersten Siedler der Insel Bananal und die wichtigsten “Jäger“ der Avá-Canoeiro-Indios aufbrachen.

Im Gegensatz zu den Ãwa-Kriegern, die jegliche Annäherungsversuche ablehnten und von den Kolonisatoren wie wilde Tiere gejagt wurden, da sie zu ständiger Bewegung in einem riesigen Gebiet gezwungen waren, akzeptierten die Carajá die ersten Versuche eines friedlichen Austausches durch die Weißen, die den Araguaia-Fluss befuhren, bereits im 17. Jahrhundert, was ihren Verbleib in dem Gebiet der uralten und traditionellen Besetzung garantierte. Das Gleiche geschah mit den Javaé, die bis in die 1930er Jahre isoliert im Tal des Javaés-Flusses lebten.

Das Eindringen der pastoralen und landwirtschaftlichen Fronten in das Araguaia-Gebiet, auf beiden Ufern, nahm in den 1950er Jahren zu, sowohl in Abhängigkeit von der “Befriedung“ der Xavante als auch von den Auswirkungen des historischen “Marsches in den Westen“. Der Bau der Stadt Goiânia, in den 1930er Jahren, und von Brasília, Ende der 1950er Jahre, leitete einen neuen Migrationsstrom nach Zentralbrasilien ein. Die Ansiedlung von kleinen und großen Farmen an beiden Ufern des großen Flusses erfolgte parallel zum zunehmenden Einzug von Landbesetzern auf der Flussinsel Bananal. Die Ankunft der wirtschaftlichen Expansionsfronten im Tal der Javaés brachte Invasion und Aneignung des von den Indios besetzten Landes, für die Javaé unbekannte Epidemien und einen frontalen Zusammenstoß zwischen den neuen Siedlern und den Avá-Canoeiro, der zu einer drastischen Bevölkerungsreduktion beider Gruppen führte. Die Bewohner der Region haben eine lebhafte Erinnerung an diese relativ jungen Ereignisse, besonders in Bezug auf die Avá-Canoeiro, die dort bis heute als “Caras Pretas“ (Schwarzgesichter) bekannt sind.

Die Indianerjagd erlebte ihren Höhepunkt Ende der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre, als Hunderte von „Cara Preta“ einzeln oder in Massakern in ausgebrannten Dörfern getötet wurden, wie z. B. in der Serra das Cobras und am Lago da Onça, im Einzugsgebiet der Flüsse Javaés und Formoso do Araguaia, dem damaligen Hauptrevier der Avá-Canoeiro. Unter den Avá-Canoeiro-Mördern waren die berühmtesten Martim Cabeça-Seca, ein professioneller Jäger und Fischer, der in Piume lebte und Dutzende von Indios tötete, und Vicente Mariquinha, der erste Viehzüchter, der sich in der Nähe des Canoanõ-Dorfes der Javaé-Índios niederließ, und der noch in den 1940er Jahren ihre Anwesenheit im Austausch gegen bewaffneten Schutz vor den gefürchteten Avá-Canoeiro der Region, akzeptierte.

Trauma und Katharsis

Die Biologin Luciana Ferraz, ein Mitglied der GT-Arbeitsgruppe, schlug das biologische Konzept des „Gefangenschaftsstresses“ vor, das mit der Panik vor dem Tod in Grenzsituationen und seinen lang anhaltenden psychischen und physischen Folgen in Verbindung gebracht wird, um die Erfahrung zu beschreiben, die die Avá machten, als sie von FUNAIs “Frente de Atração“ (Attraktions-Front) gewaltsam gefangen genommen und eingesperrt wurden, nachdem sie jahrzehntelang vor Schüssen, Bränden und Jagdhunden geflohen waren. Ferraz hat persönlich festgestellt, dass die Überlebenden des Kontakts eine “Zahnbogenkonfiguration“ aufwiesen, die sich durch eine gleichmäßige Abnutzung ihrer Zähne auszeichnet und typisch für Menschen ist, die längere Zeit Situationen intensiver Angst durchlebt haben.

Angesichts dieses Vorkontextes war es nicht möglich, sich an alles zu erinnern oder mit der GT zu sprechen, da die Haupterzähler die traumatischen Erfahrungen – zwischen Leben und Tod, zwischen vor und nach der Gefangennahme, zwischen der Ãwa-Welt und der Welt der Weißen – persönlich durchlebt haben, die immer noch Schmerzen und eine Fülle von Gefühlen und Gedanken verursachen, die nicht immer kommunizierbar sind. Darüber hinaus gibt es bestimmte Themen, die bei der Reaktivierung der Erinnerung ein deutliches Unbehagen hervorrufen, wie im Fall des großen Massakers, an das sich auch die Javaé erinnern, oder der Episode der Gefangennahme durch die Attraktionsfront, die am problematischsten von allen ist.

Am Anfang bestanden die Avá darauf, das Geschehen von Gewalt und Totschlag zu leugnen, was später jedoch zugegeben wurde. Im Lauf der Zeit, als ein Vertrauensverhältnis zwischen den Avá-Canoeiro und den Mitgliedern der GT aufgebaut worden war, wurden die peinlichsten Themen von den Avá sogar selbst aufgearbeitet, wobei die anfänglichen, phantasievollen und der Realität nicht entsprechenden Versionen, die von ihnen üblicherweise denjenigen angeboten werden, die versuchen, Informationen über sie zu erhalten, nach und nach wieder demontiert wurden. Dennoch blieben einige der Fakten zu den dramatischsten Episoden unzugänglich. Die erzählten Fakten wiederum tauchten oft in fragmentierter Form auf, bezogen auf verschiedene Zeiten und Orte, ohne einen linearen Zusammenhang zwischen allen Ereignissen. Bei mehreren Gelegenheiten hatte die GT das deutliche Gefühl, dass diejenigen, die zum Zeitpunkt des Kontakts gerade in die Pubertät eingetreten waren, emotional stark mit den Ereignissen in Mata Azul verbunden waren, als ob die Zeit damals stehen geblieben wäre. Zu der ohnehin schwierigen Sprach- und Kulturbarriere kam die emotionale Barriere der Erzähler hinzu, die manchmal die Klärung von Zweifeln verhinderte.

Neben den heiklen psychologischen und emotionalen Problemen der Avá-Canoeiro-Individuen, die nicht übersehen werden dürfen, gibt es noch einen weiteren, vor allem politischen Grund für den Widerstand der Gruppe, ihre Vergangenheit und Gegenwart ohne jede Einschränkung für Forscher zu öffnen. Die Avá-Canoeiro do Araguaia befürchten, erneut betrogen zu werden, wie es bei den ersten Tauschbeziehungen, die mit den FUNAI-Agenten aufgebaut wurden, geschah: Der ersten gefangenen Gruppe wurde das Land, auf dem sie lebten, im Austausch für die Anlockung derjenigen versprochen, die in den Wald geflohen waren. Die Avá erfüllten ihren Teil des Deals und suchten ihre anderen Verwandten auf, aber das Versprechen der FUNAI wurde nie eingehalten.

Der tiefe Wunsch der Avá-Canoeiro nach Autonomie und einer Rückkehr in ihr verlorenes Territorium wurde jedoch zu einer mächtigen Kraft, die es ihnen ermöglichte, den kristallisierten Widerstand, der die Avá-Canoeiro kennzeichnet, und den sie immer noch haben, teilweise aufzulösen, indem sie über ihre Vergangenheit und ihre missverstandene Welt mit Mitgliedern der Gesellschaft sprachen, die versuchte, sie auszurotten. Die wenigen akademischen Arbeiten mit historischen und anthropologischen Informationen über die Avá-Canoeiro vom Araguaia (Toral, 1984/1985; Pedroso, 2006) präsentieren nur sehr wenige Daten, die von der Gruppe selbst zur Verfügung gestellt wurden, und einige davon sind fehlerhaft, wie Rodrigues (2012) analysiert, und wurden zum Beispiel – ausschließlich auf Initiative der Avá – aufgehoben, um etwas von der Geschichte der Vergangenheit zu retten. Die kurze physische Zeit der Recherche wurde allerdings durch eine hohe Qualität des Informationsgehaltes kompensiert, da die Avá sich bemühten, den Erwartungen der GT gerecht zu werden.

Die Aussicht auf die erwartete Landabgrenzung bot einen außergewöhnlichen Kontext der Offenheit für den Dialog, aber es wurde klar, dass der einfache Akt des “Fragens“ – selbst mit Feingefühl und unter Beachtung der von den Avá-Canoeiro auferlegten Höchstgrenzen – für die Forscher und insbesondere für die Befragten eine peinliche Art war, Wunden wieder aufbrechen zu lassen, die noch gar nicht so alt und immer noch sehr schmerzhaft waren. Andererseits war die gemeinsame Erfahrung in gewissem Maße entspannend für die Avá-Canoeiro, sowie eine minimale Rettung ihres Selbstwertgefühls, da sie von der GT als vollwertige Menschen akzeptiert wurden

Die Anwesenheit der Technischen Gruppe und die Möglichkeit der Landrücknahme provozierte einen enormen und sichtbaren sozialen, kulturellen, politischen und emotionalen Aufruhr unter den Avá-Canoeiro, der durch Jahrzehnte der Unsichtbarkeit und Ausgrenzung angetrieben wurde. Drei Monate nach der ersten Feldarbeit, im Jahr 2009, erfuhren wir von den Javaé, dass sich die Avá-Canoeiro “komplett verändert“ hätten. Sie teilten den Javaé auf eine noch nie dagewesene Weise mit, dass sie „keine sterbende Gruppe“ mehr seien und dass sie von nun an allen Gemeindeversammlungen im Dorf Canoanã teilnehmen wollten, was sie vorher stets abgelehnt hatten.

Seitdem gab es eine durchsetzungsfähigere politische Einfügung der Avá-Canoeiro in die lokalen und breiteren Sphären, die begannen, den Prozess der Landregularisierung des bereits identifizierten Territoriums genau zu verfolgen. Die Gruppe beschloss, von der FUNAI und dem “Federal Public Ministry“ zu verlangen, die Namen auf ihren offiziellen Dokumenten zu ändern, in denen Spitznamen, fehlerhafte, abwertende oder aus anderen Sprachen stammende Namen sowie falsche Genealogien ohne das Wissen ihrer Träger eingetragen worden waren. Alle jungen Erwachsenen, die nach dem Kontakt geboren wurden, haben sich entschieden, in ihren Dokumenten von nun an mit den Ãwa-Namen eingetragen zu werden, mit denen sie bei der Geburt benannt wurden. Derzeit gibt es nur drei Personen – ein älterer Mann und seine beiden Kinder – die vor dem Zwangskontakt geboren wurden, die sich insbesondere für den Dialog mit der GT über die Vergangenheit des Ãwa-Volkes unterhalten haben. Die Erinnerung von Tutawa, Agàek und Kaukamã ist das Rohmaterial der unveröffentlichten Erzählungen über die vorkontaktierte Vergangenheit und das Eroberungsereignis in dem von der GT erstellten Bericht. Der älteste von ihnen, Tutawa, um die 80 Jahre alt, völlig klar und die Hauptquelle ihres historischen Gedächtnisses, ist der aktuelle Anführer der Araguaia-Gruppe, seit er etwa 20 Jahre alt war, als sein Vater von einem Kuhtreiber ermordet wurde und er dessen Platz einnehmen musste.

Sein Sohn, der etwa 55 Jahre alt ist, erlag im Dorf Canoanã dem chronischen Alkoholismus und hatte bereits einen Selbstmordversuch hinter sich, hörte aber auf zu trinken, um an den Treffen mit der GT teilzunehmen, eine Anstrengung, die er noch einige Monate nach dem Ende der Arbeit aufrecht erhielt. Obwohl er normalerweise schüchtern ist und sich gegen Kontakte mit Fremden sträubt, entpuppte er sich in den Gesprächen mit der GT-Biologin über die Nutzung der natürlichen Ressourcen als äußerst sensibler Mensch und großer Kenner der Ãwa-Männerwelt, der zudem mutig entscheidende Informationen über Gewaltepisoden aus der Vergangenheit lieferte, über die die anderen nicht sprechen wollten. Die einzige Frau, um die 50 Jahre alt, ist die Mutter aller Avá-Canoeiro der ersten Generation, die nach dem Kontakt geboren wurden, und ließ sich von ihrem spärlichen Portugiesisch nicht einschüchtern, um die zahlreichen Fragen zu beantworten, die ihr gestellt wurden. Mitglieder der Nachkontaktgeneration nahmen an den Interviews teil und übersetzten die Erzählungen mit großem Interesse in ihre Muttersprache.

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AutorIn: Klaus D. Günther

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