Die Geschichte der Besiedelung Bundesstaates Paraná durch die Europäer ist ein ganzes Stück kürzer, oder besser – ein ganzes Stück jünger – als die anderer Bundesstaaten Brasiliens, denn die portugiesischen Invasoren überliessen diesen Teil der Neuen Welt, bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts, weitgehend sich selbst.
Dann wurden die ersten Goldfunde in dem Gebiet von Paraná gemacht und, getrieben durch die Gier nach dem gelben Metall und dem stetigen Bedarf an Indianersklaven – denn deren Lebenserwartung war in der Regel nach dem Einfangen ziemlich gering, weil sie den ansteckenden Krankheiten und der harten Fron nicht lange widerstanden – schickte man die ersten Expeditionen, von São Paulo aus, in die Hochebenen des heutigen Paraná. Ihr Erfolg, was die Indianersklaven betraf, war gering und er war hinsichtlich des Goldes ein absoluter Misserfolg. Als dann die ersten Goldvorkommen in Minas Gerais entdeckt wurden, vergass man sogar den Süden ganz.
1549
Ist ein denkwürdiges Datum, das hier Erwähnung finden soll, denn ein spanisches Schiff brachte damals den noch unbekannten Hans Staden in der Bucht von Paranaguá an Land. der junge Mann, ein deutscher Abenteurer aus Hessen, nahm später, als Söldner in portugiesischen Diensten, an verschiedenen Indianer-Feldzügen teil – bis er von den Tupinambá-Indianern gefangen und verschleppt wurde.
Sein Buch, mit dem informativen Titel „Wahrhaftige Historia und Beschreibung einer Landschaft der Wilden, Nackten, Grimmigen Menschenfresser Leuthe in der Newen Welt America gelegen“ wurde einer der ersten Welt-Bestseller der Geschichte, denn die Tupinambá pflegten ihre Gefangenen zu erschlagen, in handliche Teile zu zerlegen und, über dem Feuer gegrillt oder in grossen Tontöpfen gekocht, während eines Festmahls zu verspeisen.
Neun Monate lang gelang es ihm, sein eigenes Henkersmahl zu verschieben, indem er die Indianer mit allerlei Zauberkunststückchen und verrücktem Benehmen glauben liess, dass er nicht richtig im Kopf sei – bis er von französischen Piraten, die eines Tages in seinem Dorf erschienen, um mit den Indianern Tauschhandel zu treiben, gegen ein paar Glasperlen freigekauft wurde. Auf dem schnellsten Weg segelte er heim und veröffentlichte in Marburg 1557 sein Aufsehen erregendes Buch über seine Abenteuer im fernen Brasilien.
1648
Wird die Siedlung von Paranaguá in den Status einer Vila (Dorf) erhoben, gegründet von dem Portugiesen Eleodoro Ébano Pereira, am 25. Dezember des Jahres. Am gleichen Tag wählt man auch die ersten Richter und Beamten der örtlichen Kammer.
1707
Jesuiten gründen ihr erstes Colégio da Companhia de Jesus in Paranaguá – am 2. Mai desselben Jahres.
1723
Eine so genannte Carta Régia des Königs in Portugal bestätigt am 17. Juni offiziell die Gründung der Comarca de Paranaguá (Gemarkung), welche die benachbarten Siedlungsgebiete von Santa Catarina, Laguna, São Francisco do Sul und die Territorien von São Pedro do Rio Grande einbezieht.
1760
Am 14. März werden aus Paranaguá fünf Jesuiten-Pater von den Administratoren der Stadt ausgewiesen.
1769
Am 25. März wird das neue Fort der Senhora dos Prazeres an seinem Standort, der Barra de Paranaguá eingeweiht.
1811
Am 19. Februar offizieller Erlass, der die Gemarkung Paranaguá und die Gemarkung Curitiba der Capitania von São Paulo unterstellt.
1842
Am 5. Februar Gesetz der Provinz São Paulo, das Curitiba mit allen Rechten und Pflichten in den Status einer Stadt erhebt.
1853
Am 29. August Gesetz N° 704, das die Gemarkung Curitiba von der Provinz São Paulo abtrennt und sie zur Provincia do Paraná erklärt. Conselheiro Zacharias de Góis e Vasconcelos tritt am 19. Dezember das Amt des Präsidenten der neugeschaffenen Provinz an. Dieses Datum, an dem der Estado do Paraná politisch seinen Anfang nahm, wollen wir als Referenz aufnehmen, um nunmehr seine weitere Entwicklung etwas näher zu beleuchten.
Die Bevölkerung
Der Bundesstaat Paraná tritt nicht nur relativ spät in die Geschichte Brasiliens ein, darüber hinaus erscheinen in seiner Entwicklung auch einige bemerkenswerte Charakteristika, die ihm ein unverwechselbares Profil unter den übrigen Bundesstaaten der Föderation verleihen. Schon die Besiedelung dieses Staates vollzog sich in einer Art und Weise, die nicht mit den anderen Staaten Brasiliens verglichen werden kann. Als jener Zacharias de Góis e Vasconcelos als erster designierter Präsident der Provinz Paraná sein Amt antrat, spürte er sofort, dass sich seine gesamten Administrationsprobleme auf einen einzigen springenden Punkt bringen liessen: dieses Territorium von 200.000 Quadratkilometern zu bevölkern, auf das sich bis dato lediglich 60.626 Bewohner verteilt hatten – das entsprach einer Bevölkerungsdichte von 0,3 Personen pro Quadratkilometer.
Aber in diesem Fall sind die statistischen Interpretationen irreführend und ihre mittleren Werte repräsentieren die paranaensische Realität von damals nicht korrekt. Sicher, die Provinz war in diesem Moment, vom Standpunkt der menschlichen Besiedelung gesehen, eine Wüste – aber sie war auch unregelmässig unterbrochen von neunzehn kleinen Oasen, durch immense Entfernungen voneinander getrennt. Entfernungen, im wahrsten Sinn des Wortes unüberbrückbar – denn, ausser den „historischen Verbindungswegen“, die sich als „wirtschaftlich uninteressant“ erwiesen, gab es nichts, was irgendein Kommunikationsnetz zwischen ihnen hätte rechtfertigen können.
Diese neunzehn Oasen wurden von zwei Cidades (Städten) repräsentiert (Curitiba und Paranaguá) – von sieben Vilas (Dörfern), Guaratuba, Antonina, Morretes, São José dos Pinhais, Lapa, Castro und Guarapuava – von sechs Freguesias (Distrikten) Campo Largo, Palmeira, Ponta Grossa, Jaguariaíva, Tibagi und Rio Negro und von den vier Capelas Curadas (klerikalen Bezirken) Guaraqueçaba, Iguaçú, Votuverava und Palmas.
Die Stadt Curitiba hatte zu dieser Zeit 5.819 Einwohner und Paranaguá 6.533. Die Dörfer, Distrikte und Kirchenbezirke besassen eine Bevölkerung, die im allgemeinen zwischen 1.000 und 5.000 Einwohnern schwankte, und das heisst, dass die effektive Bevölkerungsdichte in den sich bildenden städtischen Zentren wesentlich grösser war, als der statistische Mittelwert aus dieser Zeit vermuten lässt. In Kompensation war die Leere im grössten Teil des Territoriums eine fast totale – auf den Hochplateaus der Campos Gerais, in den Wäldern, im Gebirge der Serra do Mar. In Konsequenz wurde die Geschichte des Bundesstaates Paraná während des folgenden halben Jahrhunderts von einer Politik angeführt, die in der Bevölkerung dieser „leeren Territorien“ ihre wichtigste Berufung sah, und das erklärt auch klar und deutlich die Bedeutung, welche den Strömen von Einwanderern aus dem Ausland in diesem Gebiet zukommt.
Der Paranaense
Die Bevölkerung von Paraná fällt demnach aus dem üblichen Dreiecksrahmen „Portugiese-Indianer-Schwarze“ heraus, der im Allgemeinen die menschliche Besetzung der anderen brasilianischen Territorien charakterisiert. Und die historischen Umstände haben sogar verhindert, dass die Indianer einen wesentlichen Beitrag zur Formation der paranaensischen Bevölkerung leisten konnten. Sie hat sich vielmehr aus den Protagonisten dreier Zyklen entwickelt: aus den Minenschürfern, aus den Rinderzüchtern und –händlern und aus den Kleinbauern. In Paraná hat man relativ wenige Sklaven eingesetzt und kennt dementsprechend auch keine akzentuierte Vermischung mit Indianer- und schwarzen Sklaven, wie sie in der Geschichte fast aller anderen brasilianischen Bundesstaaten üblich war. Der weisse Mensch, mehrheitlich von der iberischen Halbinsel stammend und grundsätzlich europäisch, hat aus dem Territorium von Paraná einen Staat geformt, dessen Bevölkerung auf diesen unverwechselbaren Charakter ihrer Abstammung besonders stolz ist.
Wie schon erwähnt, war die iberische Bevölkerung um 1853 verschwindend gering, und die bis zum Ersten Weltkrieg kontinuierlich einströmenden europäischen Emigranten hatten sie zahlenmässig bald überholt. Dass sich die luso-brasilianische Kultur trotzdem nicht nur gehalten sondern auch als tragendes Element innerhalb des Angleichungsprozesses durchgesetzt hat, ist einerseits ein Beweis ihrer bekannten Vitalität und andererseits natürlich auch das Ergebnis einer geglückten Emigrationspolitik. Trotzdem hat die Interferenz der nicht-iberischen Kulturen dem Staat jene Prägung gegeben, die ihn heute als „ein anderes Brasilien“ auszeichnet!
Die Emanzipation
Anders als in den übrigen Bundesstaaten Brasiliens, war die Gründung der Provinz Paraná ein gesellschaftlicher Akt und nicht ein rein administrativer. Von dem Augenblick an, im 18. Jahrhundert, in dem sich Curitiba bewusst geworden war, dass es sich zum „kulturellen und spirituellen Zentrum“ einer neuen Gesellschaft entwickelt hatte, kann man sagen, dass sich fortan sein Schicksal nur noch in der Autonomie würde erfüllen können – der Unabhängigkeit von São Paulo. Bereits im Jahr 1811 wird die Camara Municipal von Paranaguá zu diesem Thema beim König Dom João VI. vorstellig – aber erst 1853 wird das Projekt des Senators Honório Hermeto vom brasilianischen Kaiser Dom Pedro II. endlich sanktioniert: die antike Comarca de Curitiba, zugehörig zur Provincia de São Paulo, wird von dieser durch kaiserlichen Erlass abgenabelt und zur eigenständigen Provincia de Paraná erhoben.
Das halbe Jahrhundert, welches zwischen den beiden Daten verging, war die Zeit, die man von Seiten der Administration brauchte, um anzuerkennen, was für die Bevölkerung längst beschlossene Sache geworden war. Schon im nächsten Jahr, genau am 26. Juli 1854, wird Curitiba per Gesetz zur Hauptstadt der neuen Provinz erklärt, und damit kann man die so genannte „Vorgeschichte“ des Bundesstaates Paraná abschliessen.
Während der folgenden fünfunddreissig Jahre Provinz des Imperiums, hat Paraná eine Unzahl von Präsidenten gesehen, die von der Zentralregierung nominiert, neue Städte geschaffen und die Entwicklung der schon bestehenden urbanen Zentren mehr oder weniger vorangetrieben haben. Auch die Einführung der Republik (1889) änderte wenig an der wirtschaftlichen Situation des Staates, die bis zur Revolution von 1930 nur auf zwei Beinen stand: den Mate-Pflanzungen und der Holzgewinnung.
Der Kaffee
Erst nach der Revolution (1930) oder besser – nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 – nimmt die Wirtschaft in Paraná einen gewissen Aufschwung, indem sie auf der einen Seite ihre Industrieproduktion diversifiziert und auf der andern in die Monokultur des Kaffees einsteigt – letztere hängt vor allem mit der Gründung der Stadt Londrina, 1932, zusammen. Dieses Datum steht für den Beginn eines wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Phänomens, welches von den Kaffee-Pflanzern im Norden des Bundesstaates eingeleitet wurde und die gesamte Wirtschaft in Paraná von Grund auf sanierte.
Mehr noch, die lukrative Entwicklung auf den Kaffee-Plantagen trieb an anderer Stelle den Prozess der Industrialisierung rasch voran. Während der Kaffee für den Bundesstaat São Paulo lediglich eine Ergänzung der vielseitigen landwirtschaftlichen Erzeugnisse darstellte, war er für Paraná „der rettende eigene Zopf, an dem man sich selbst aus dem wirtschaftlichen Sumpf zog“. Nicht zu vergessen, die Hilfe der vielen Emigranten aus europäischen Ländern, deren dynamischer Arbeitseinsatz wesentlich dazu beigetragen hat, dass sich der Südwesten des Bundesstaates – bisher befasst mit der Viehzucht – dem Bepflanzen des fruchtbaren Bodens mit Kaffee-Sträuchern anschloss und die Produktion schon nach kurzer Zeit vervielfachte.
Die allgemeine wirtschaftliche Expansion, so scheint es, ist einzig und allein der Multiplikation von Kaffee-Sträuchern zuzuschreiben, (immerhin werden 50% des brasilianischen Kaffees, auch heute noch, im Bundesstaat Paraná produziert), aber eine etwas genauere Analyse beweist, dass die Diversifikation der zehn geo-wirtschaftlichen Regionen von Paraná deshalb nicht dem Kaffee geopfert wurden. Jede einzelne dieser Zonen hat ihre eigene typische Zivilisation und ein unterschiedliches gesellschaftliches Alter. Und wer den Bundesstaat Paraná studiert und interpretieren will, der sollte erst einmal der Versuchung widerstehen, alles und alle „über einen gleichen Kamm scheren zu wollen“!
Wenn sich die Entwicklung der Industrie in Paraná noch immer nicht vor die landwirtschaftliche Produktion schieben konnte, (Vergleiche haben ergeben, dass für drei in der Industrie produzierte Dollar, zirka sieben Dollar in der Landwirtschaft stehen), dann ist daran tatsächlich der aussergewöhnliche Gewinn aus dem Kaffee-Export Schuld. Aber, in Anbetracht der Entwicklung des gleichen Zyklus im Bundesstaat São Paulo, wo die Voraussetzungen ziemlich identisch sind, sollte man sich wünschen, dass Paraná seinen wirtschaftlichen Weg beibehält, der auf die Komplexität und die Diversifikation produktiver Unternehmungen setzt. Paraná hat inzwischen längst seine passive historische Rolle, während der ersten einhundert Jahre seiner Autonomie, wieder wettgemacht durch eine historisch sehr aktive Phase, in die es nach dem Zweiten Weltkrieg eintrat, und die bis heute nicht mehr abgerissen ist.
Die Legende vom Kaffee
Das Kloster von Kaffa, in Abessinien gelegen, am Ufer des Roten Meeres, heute Äthiopien, besass unter anderem auch eine Ziegenherde, die von einem Hütejungen namens Kaldi beaufsichtigt wurde, der das absolute Vertrauen der Mönche besass. Eines Tages, als er die Herde in der Umgebung des Klosters weiden liess, bemerkte der aufmerksame Junge, dass seine Ziegen mit Vorliebe die kleinen Früchte eines dunkelgrünen Busches verspeisten, um dann, kurz danach, wie verrückt umherzuspringen. Sie später in ihren Pferch zu treiben wurde plötzlich ein schwieriges Unterfangen, denn die Ziegen gebärdeten sich ungewöhnlich agil und widerborstig, brüllten, machten verrückte Sprünge, rannten in die falsche Richtung – die Wirkung dieser Pflanze mit den mysteriösen roten Früchten war derartig, dass die Tiere auch während der Nacht nicht ruhten, so als ob sie nicht müde seien.
Beunruhigt durch die Beobachtung des Ziegenhüters, befahl der Abt des Klosters, ihm eine Handvoll dieser blutroten kleinen Früchte zu bringen – kochte sie dann aus und servierte die Flüssigkeit seinen Mönchen – die zwar nicht anfingen wie die Ziegen herumzuspringen, aber sich erstaunlich aufgekratzt gaben und auch bei den langen Gebets-Litaneien keine Ermüdungserscheinungen mehr zeigten. So ist der Kaffee entdeckt worden – den jener Abt seinen Mönchen als tägliches Getränk verordnete – und den die ganze Welt als Stimmulanz kennt und besonders wegen seines unvergleichlichen Geschmacks und Aromas schätzt.
Nach 1930
Die so genannte „Zweite Republik“ füllt diese Zeit aus, und mit ihr erlebt die paranaensische Öffentlichkeit die profunde Prägung einer Persönlichkeit und ihrer unvergleichlichen Aktionen: des Gouverneurs Manuel Ribas, der von 1932 bis 1945 an der Spitze des Bundesstaates stand. Gleich welcher Art die von dieser kontroversen Persönlichkeit inspirierten Kritiken auch ausfallen mögen, es wäre ungerecht, ihm nicht die Ehre zuzugestehen, dem Staat Paraná, dank seines dynamischen und fruchtbaren Administrationsstils, die Voraussetzungen verschafft zu haben, sich aller Möglichkeiten zu seiner Weiterentwicklung zu bedienen, welche sich genau in diesem Moment anboten.
Mit seinem Austritt aus der Regierung und seinem plötzlichen Tod, kurz danach, schloss sich eine ganze Epoche des paranaensischen Lebens. Und mit ihm schloss sich auch – sowohl in der Politik wie in der Wirtschaft und in Konsequenz, auch in der Gesellschaft – der provinzielle Zyklus der lokalen Geschichte, um nunmehr dem regionalen Zyklus Platz zu machen.
Als sich im September 1963 über den Norden und das Zentrum des Bundesstaates Paraná die grösste Feuersbrunst in der Geschichte Brasiliens ausbreitet, die viele Menschenleben kostet und unkalkulierbaren wirtschaftlichen Schaden anrichtet, entstehen unter der betroffenen Bevölkerung vorübergehend ziemlich schwarze Zukunftsvorstellungen hinsichtlich des Fortschritts ihres Bundesstaates – die, so kann man es heute aus vierzig Jahren längerer historischer Erfahrung ausdrücken, nicht nur überwunden sind, sondern sich längst wieder in berechtigten Optimismus verwandelt haben, denn Paraná gehört zu den wirtschaftlich und gesellschaftlich fortschrittlichsten Bundesstaaten Brasiliens.