Mit dem Gesamtbegriff Canela werden zwei Timbira-Indiovölker bezeichnet: die Ramkokramekrá und die Apanyekrá. Zwischen diesen benachbarten Gruppen gibt es allerdings einige wesentliche Unterschiede, jedoch sprechen beide die gleiche Sprache und werden demnach auch in das gleiche kulturelle Repertoire eingeordnet. Bis in die 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatten die Ramkokamekrá weniger Kontakt mit der nationalen Gesellschaft und auch anderen Eingeborenen Gruppen, als die Apanyekrá.
Dann kehrte sich diese Situation ins Gegenteil um. Allerdings haben inzwischen beide Gruppen eine starke Einflussnahme von Seiten verschiedener Kontakt-Agenturen erlitten, wie zum Beispiel durch die FUNAI, Farmer und Missionare. Im Gegenzug haben sie sich bemüht, ihre Autonomie hinsichtlich ihrer produktiven Aktivitäten zurück zu gewinnen und ihre kulturelle Vitalität zu erhalten – sie drückt sich aus in einem komplexen rituellen Leben, schamanistischen Praktiken und einer individuellen Gesellschaftsordnung.
Canela
Andere Namen: Ramkokamekrá, Apanyekrá Sprache: Orientales Timbira aus der Jê-Sprachfamilie Population: 2.722 (2010) Region: Bundesstaat Maranhão |
INHALTSVERZEICHNIS Name, Sprache Lebensraum, Bevölkerungszahlen Geschichte des Erstkontakts Familiäre Struktur Politische Organisation Sexualität Formelle und nominelle Freunde Produktive Aktivitäten, Kunst Religiosität und Schamanentum Mythologie, Rituale Kontemporane Aspekte Quellenangaben |
Name
Die “Canela” setzen sich aus fünf übrig gebliebenen Völkern der Orientalen Timbira zusammen – grösste Gruppe sind die Ramkokamekrá, die Nachkommen der Kapiekran (wie sie bis 1820 genannt wurden). Die Bezeichnung “Canela” wurde ebenfalls von den “Sertanejos” (Bewohner des Inlands) auf die Apanyekráe und die Kenkateye angewandt, welche im Jahr 1913 massakriert wurden. Die Kenkateye hatten sich von den Apanyekra um 1860 getrennt. Die Gruppe Ramkokamekrá nennt sich gegenwärtig selbst mit dem portugiesischen Namen “Canela”. Ramkokamekrá bedeutet “Indianer aus dem dichten Waldgebiet” – sie benutzen den Terminus “Me(n)hi(n)” um sich damit auf die Orientalen Timbira zu beziehen.
Es ist wahrscheinlich, dass die regionale Bevölkerung die Bezeichnung “Canela” (Schienbein) von der Tatsache abgeleitet hat, dass diese Indianer im Durchschnitt – mit ihren langen Beinen – sehr viel grösser waren als ihre unmittelbaren Nachbarn, die Guajajara. Die Gruppe Apanyekrá hat dagegen ihren Originalnamen beibehalten. Sie werden in der Bibliografie stets nur unter diesem Namen aufgeführt – seltener auch als Apanyekrá-Canela. Apanyekrá bedeutet “Indianervolk der Piranha”. Curt Nimuendaju vermutet, dass man ihnen diesen Namen gab, weil sie ihren Unterkiefer rot anmalten, nach dem Vorbild jenes räuberischen Fisches.
Sprache
Canela und Krahô sprechen dieselbe Sprache der Jê-Familieaus dem Stamm Macro-Jê, mit nur geringen Abweichungen. Die Canela verstehen die Sprache Krikat/Pukobyé vollkommen und ausserdem die der Gavião vom Rio Tocantins – dies sind die bedeutendsten Sprachen der Orientalen Timbira, welche bis heute überlebt haben. Das Apinayé der Okzidentalen Timbira dagegen, ist so verschieden vom Canela wie zum Beispiel Spanisch vom Portugiesisch. Ein Canela versteht auch das Xavante (Zentrales Jê) oder das Xokleng (Meridionales Jê) nicht – und nur mit viel Einfühlungsvermögen gelingt ihm eine Unterhaltung in der Xikrin-Sprache (Setentrionales Jê).
Viele Stammesmitglieder der Canela können sich in Portugiesisch ausdrücken, obwohl sie nicht korrekt sprechen. Die Ramkokamekrá beherrschen die portugiesische Sprache besser als die Apanyekrá. Unter letzteren sprechen die Männer Portugiesisch besser als ihre Frauen, denn sie sind schon öfter in grösseren Städten gewesen – und weil sie auch den geschäftlichen Teil ihres Volkes betreiben.
Die Aspekte eines Dualismus in der Sprache der Canela treten sehr deutlich hervor: fast alle Verben besitzen zwei unterschiedliche Grundformen. Ausserdem benutzt eine Person, die mit ihrer Gruppe spricht, ein exklusives Pronomen bei der ersten Person des Plural – me(n)pa (unsere Gruppe). Spricht sie dagegen mit einer auswärtigen Gruppe, benutzt sie ein Inklusiv-Pronomen bei der Ersten Person des Plural – wa me(n) (wir, wir alle) – wie im Portugiesischen. Pronomen, Adjektive und Substantive werden nicht, wie in anderen Sprachen, nach Geschlecht unterschieden, sondern es wird ihnen eine feminine (-kahãy) oder maskuline (-tsu(n)m-re) Endung angehängt. Es gibt zwei Formen von Pronomen bei der Zweiten und der Dritten Person. Die Form “ka” wird für Familienangehörige, Ehepartner, Freunde und Mitglieder anderer Timbira-Stämme eingesetzt. Das andere Pronomen “yê” wird gebraucht, um damit die gesellschaftliche Distanz aller anderen Individuen auszudrücken. Letztere wird ebenfalls in der Zweiten und Dritten Pluralform verwendet. Von den 30 Lauten der Canela sind 17 Vokale, 2 sind Halb-Vokale, und 11 sind Konsonanten. Das ergibt eine ungewöhnliche Menge von Vokal-Lauten, die jeweils eine besondere Bedeutung haben. Die Canela-Sprache besitzt keine Diphtonge, unterscheidet aber phonetisch deutlich zwischen langen und kurzen Vokalen.
Lebensraum
Das bedeutendste Dorf der Ramkokamekrá, Escalvado, ist bei den regionalen Einwohnern von Barra do Corda bekannt als “Aldeia do Ponto” und befindet sich etwa 70 km südsüdöstlich dieses Städtchens im Bundesstaat Maranhão. Die Demarkation dieser 125.212 Hektar des IT Canela fand zwischen 1971 und 1983 statt. Heute ist dieses Gebiet stattlich abgesegnet und registriert. Bis vor kurzer Zeit gehörte dieses Land mit Cerrado, Galeriewäldern und kleineren Tafelbergen zum Distrikt von Barra do Corda – jetzt aber befindet es sich im neuen Distrikt von Fernando Falcão, der aus dem Wachstum des antiken Dorfes Jenipapo dos Resplandes hervorging. Die südliche Grenze des Indianerlandes bildet die Sera das Alpercatas. Der Rio Corda verläuft ausserhalb des IT – etwa 20 km entfernt, entlang seiner Nordwestgrenze.
Was die Apanyekrá betrifft, so wurde ihr IT Porquinhos am Anfang der 80er Jahre offiziell geregelt – es befindet sich in den Distrikten Fernando Falcão und Grajaú und umfasst 79.520 Hektar. Sein bedeutendstes Dorf befindet sich etwa 80 km südwestlich vom Distrikt Barra do Corda und 45 km westlich des Dorfes der Ramkokamekrá von Escavaldo. Vom Distrikt Grajaú aus trennen es zirka 75 km leicht zu durchquerende Cerrado-Savanne.
Während die Ramkokamekrá vorwiegend in einem Cerrado-Areal leben, das von kleineren Bächen durchzogen ist, befinden sich auf dem Terrain der Apanyekrá ausgedehnte Wälder im Norden und Westen, im Osten und Süden herrscht ebenfalls der Cerrado vor. Letztere sind ebenfalls Anlieger des Rio Corda, der an einigen Stelen bis zu acht Meter breit ist. Die Apanyekrá verfügen damit über den besten Boden für die Landwirtschaft und haben ausserdem den grössten Fischreichtum und die besten Jagdgründe im Wald und im Cerrado.
Bevölkerungszahlen
Man schätzt, dass die Timbira-Nationen vor dem Kontakt mit den Weissen in Gruppen lebten, die zwischen 1.000 und 1.500 Personen betrugen. Kleinere Gruppen hatten mit Schwierigkeiten bei ihrer Verteidigung im Fall von saisonbedingten Kriegen (Juni-August) zu rechnen. Und grössere Gruppen teilten sich in der Regel infolge von Führungskonflikten. Um 1817 wurden die Kapiekran (Vorfahren der Ramkokamekrá) drastisch reduziert durch innere Konflikte und eine Pockenepidemie. Die Überlebenden siedelten sich in der gegenwärtigen Region um 1840 an – von ihrer damaligen Bevölkerungszahl gibt es allerdings keine Aufzeichnungen.
Curt Nimuendaju zählte 1936 unter den Ramkokamekrá um die 300 Mitglieder, und William Crocker um die 412 im Jahr 1960. Darauf folgende Zählungen registrierten 437 (1970) – 508 (1975) – 600 (1979) und 836 (1988). Die FUNAI registrierte im Jahr 1998 dann 1.262 Personen und im Jahr 2000 waren es 1.387. Crocker und Pareschi präsentierten die letzte demografische Aufstellung im Jahr 2001: 1.337 Ramkokamekrá.
Was die Apanyekra betrifft, so schätzte sie Nimuendaju auf 130 Individuen im Jahr 1929. Crocker zählte 205 im Jahr 1970 – 213 im Jahr 1971 und 225 im Jahr 1975. Ein Bericht der FUNAI gibt ihre Zahl im Jahr 2000 mit 458 an.
Geschichte des Erstkontakts
Die Kapiekran, Vorfahren der Canela, wurden bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts indirekt durch Militärs kontaktiert – aber erst im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts fanden effektive Eingriffe in ihre Bevölkerung und ihren Lebensstil statt. Periodische Angriffe gingen von den lokalen Milizen und organisierten Invasoren aus, um sich der Ländereien der Indianer für die Landwirtschaft und die Viehzucht entlang der Flüsse Itapicuru und Alpercatas zu bemächtigen, im Nordosten und Westen von Picos. Dezimiert durch diese Auseinandersetzungen, ergaben sich die Kapiekran 1814 den brasilianischen Militärs der Region – in Pastos Bons, im Tausch gegen Protektion. Ihre Nachkommen, sowie auch die anderer Timbira-Nationen, bekamen die Erlaubnis, sich in der Nordwestecke des Landes ihrer Vorfahren anzusiedeln. Ende 1830 waren sie auf ganzen 5% ihres ehemaligen Grund und Bodens zusammengepfercht worden!
Es folgten einhundert Jahre relativen Friedens und begrenzte Kontakte mit der nationalen Gesellschaft des Hinterlandes, bis im Jahr 1938 der “Serviço de Proteção aos Índios” (Indianerschutz der Regierung – SPI) einen Agenten ins Gebiet der Ramkokramekrá schickte, der sich mit seiner Familie nahe bei ihrem Dorf niederliess. Diese Verbindung resultierte in einer beschleunigten kulturellen Veränderung der Indianer. Die Feldarbeit von Nimuendajú für sein umfassendes Studium der Canela, “The Eastern Timbira”, wurde glücklicherweise noch vor Beginn dieses Prozesses durchgeführt – während seiner Besuche zwischen 1929 und 1936.
Der SPI widersetzte sich den Autoritäten jener Indianer auf eine Art und Weise, welche die Führung der Ältesten dergestalt untergrub, dass ihr gesamtes Wirtschaftssystem davon beeinträchtigt wurde und sie ihre Feldarbeit vernachlässigten. Diese Schwächung der Stammesführung trug bedeutend dazu bei, dass das Volk seine Eigenständigkeit durch seine landwirtschaftliche Produktion verlor – und dies hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert.
Auch die kulturellen Traditionen wurden vom Kontakt mit den Weissen wesentlich beeinflusst. 1951 starb ein bedeutender Führer der Ramkokramekrá, der Häuptling Hàk-too-kot, ein Kenner und Förderer der Canela-Kultur. Genau in dieser Epoche machte man den Anfang der Alphabetisierung der Indianer. Und in den 70er Jahren sorgte die medizinische Versorgung der FUNAI für ein wachsendes Vertrauen unter den Indianern in die pharmazeutischen Medikamente, was ein Wachsen ihrer Bevölkerung zur Folge hatte. Parallel übersetzten die Missionare der “Wycliffe Bible Translators” das Neue Testament in die Sprache der Canela – und propagierten neue Werte unter dem Volk der Ramkokramekrá.
Die Bewegung unter den Ramkokamekrá im Jahr 1963 trug ebenfalls zum Abfall von ihren antiken Traditionen bei. Und das Scheitern der Bewegung verstärkte eher noch diesen Abfall – ausserdem wurden sie gezwungen, sich temporär in einem Gebiet der Guajajara aufzuhalten, um auf diese Weise der Raqche der Fazendeiros zu entgehen. Dieser forcierte Umzug in ein ökologisch unterschiedliches Gebiet, stellte sie unbekannten Arbeiten in der Landwirtschaft und ebenso unbekannten Jagdmethoden gegenüber – und das Zusammenleben mit einem ihnen fremden Volk aus der Tupi-Familie war noch problematischer, und die urbane brasilianische Kultur ihnen völlig fremd.
Die im Jahr 1956 konstruierte Brücke über den Fluss Alpercatas erlaubte die Einführung von kommerziellen Gütern, welche die Ramkokamekrá zu relativ günstigen Preisen erreichten. Diese Güter waren ebenfalls ein bedeutender Faktor zur Wendung ihrer Wertvorstellungen, und sie stimulierten eine grössere Investition in die landwirtschaftliche Arbeit zur Erlangung dieser Güter und favorisierten den individuellen Reichtum. In den 90er Jahren führte ein Projekt zur Überwindung der Hungerperiode, welche die Indianer in der Regel kurz vor der Ernte auf ihren Feldern durchzustehen hatten, dazu, dass man sie grosse kommunale Felder anlegen liess, nachdem man sie davon überzeugt hatte, dass sie in gemeinsamer Arbeit ihre Produktion erhöhen könnten. Und diese würde dann in der Stadt verkauft werden – eingetauscht gegen Industriegüter, ihrem neuen kulturellen Mittelpunkt.
Zum ersten Mal werden die Apanyekrá gegen Ende des Jahres 1810 erwähnt, und zwar von dem Angehörigen des Militärs Francisco de Paula Ribeiro. Es scheint so, als ob sie die gebirgige Gegend im Westen der Kapiekran bewohnten, eine Gegend, die sich sehr weit im Norden der von den brasilianischen Kolonisten normalerweise benutzten Wege in den Flusstälern des Rio Itapicuru, des Unteren Alpercatas, sowie der Flüsse Parnaíba und Balsas, befand. Dadurch hatten sie weniger Attacken von Landbesetzern zu fürchten als zum Beispiel die Kapiekran, welche die flacheren Gegenden im Osten und Süden der Region bewohnten, sowie die am Unteren Alpercatas-Fluss. Anfang der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts (etwa 1831) liess sich eine Familie auf dem fruchtbaren Land im Quellgebiet des Rio Corda nieder, die Vieh züchtete. Auf diese Weise bekamen die Apanyekra direkten Kontakt mit den “Sertanejos”, die unweit von ihrem Dorf im Süden wohnten – während die Ramkokamekrá ihr isoliertes Dasein aufrecht erhielten.
Die Apanyekrá erzählen Geschichten, die sehr alt sind, vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammen, und die von einer Zeit berichten, in der sie unter der Kontrolle eines lokalen Fazendeiros standen. Dieser beschäftigte die Indianer auf der Fazenda und in seinem Haus. Seine weissen Arbeiter schliefen mit den Indianerinnen. Der Fazendeiro pflegte Schlachtvieh für Feste zu stiften, auf denen sie alle nach Art der Sertanejos (Arm in Arm) tanzten.
Um 1950 herum begann der SPI (staatlicher Indianerschutz) einen Sertanejo (Inlandbewohner) zu bezahlen, der bei den Apanyekrá einen Posten unterhalten sollte. Im Gegensatz zu den Beauftragten des Ramkokamekrá-Postens, verhielt sich dieser Beauftragte respektvoller und diskreter gegenüber den Indianern, und er beschützte sie vor den Fazendeiros. Von Zeit zu Zeit verlegten die Apanyekrá ihr Dorf an einen anderen Ort innerhalb ihres Gebiets – und den Posten mit dem Beauftragten nahmen sie jedesmal mit. Ich selbst habe ihr Dorf 1958 in der Gegend vom Águas Claras vorgefunden – 1960 in Porquinhos, 1966 und 1971 in Rancharia und an einem anderen Ort der Gegend um Porquinhos in den Jahren 1974 und 1975. An diesem letzten Ort sind sie seither geblieben, denn hier haben sie den Posten der FUNAI in ihrer Nähe, sowie das Schulgebäude mit einer Sanitätsstation – beide als Holzkonstruktion mit Dachziegeln aus dem Anfang der 70er Jahre.
Im Jahr 1963, nachdem die Fazendeiros die Ramkokamekrá angegriffen hatten, die sich in einer messianischen Bewegung zusammengefunden hatten, drohten sie auch damit, sich der Ländereien der Apanyekra zu bemächtigen. Tatsächlich besetzte dann ein Fazendeiro tatsächlich ein paar perifere Terrains – und das veranlasste die Militär-Garnison in Barra do Corda im Gebiet von Porquinhos eine Landepiste anzulegen – um 1965 herum – um die Indianer zu beschützen.
Die Apanyekrá lebten abgeschiedener von den Weissen als die Ramkokamekrá, nicht allein wegen ihrer grösseren Distanz vom Ort Barra do Corda, sondern weil sich der Wald entlang des Rio Corda zwischen dem Städtchen und der Region Porquinhos dicht und ohne Unterbrechung erstreckt, und so auch die Konstruktion einer direkten Strasse zwischen beiden erschwert. Die Strasse von Barra do Corda zu den Ramkokamekrá dagegen durchquert fast über ihre gesamte Länge nur Cerrado mit Busch- und niedrigem Baumbestand und brauchte lediglich eine Brücke, die 1971 gebaut wurde.
Familiäre Struktur
Die Canela leben in Hütten aus Palmstroh oder Häusern vom Typ der Sertanejos, mit Wänden aus Holz und Lehm – ausgerichtet um einen Rundweg von zirka 300 Meter Durchmesser – hinter jedem Haus ein kleinerer Hinterhof. Ein Platz von zirka 75 Metern Durchmesser befindet sich in der Mitte, und wie Strahlen führen Pfade aus diesem Mittelpunkt zu jedem Haus. Hinter den meisten dieser Häuser finden sich andere aus derselben Familie, die eine zweite Reihe bilden, und manchmal bilden einige Häuser weiter weg eine dritte Reihe.
Eine Frau – mit ihren Schwestern, Mutter, Grossmutter und Töchtern – wohnt im Kreis des Dorfes in einem Areal, welches in Relation zum Aufgang der Sonne definiert wird – stets in derselben Position bei den verschiedenen Verlegungen des Dorfes. Ihre Cousinen, die aus derselben femininen Linie stammen (parallele Cousinen) wohnen in den anliegenden Häusern entlang des Dorfzirkels. Wenn sie aus derselben Generation sind, bezeichnet sie dieselben als “Schwestern”. Diese Frau bezeichnet die Mütter ihrer “Schwestern” als “Mutter” und die Töchter und Söhne ihrer “Schwestern” als “Töchter” und als “Söhne”. Der Bogen dieser zusammengehörigen Häuser, in denen jene Frauen wohnen, wird “langes Haus” (ikhre lùù) genannt.
Söhne und Brüder einer Frau heiraten ausserhalb ihres eigenen “langen Hauses” und auch ausserhalb des Hauses, aus dem ihre Eltern stammen, die Eltern ihrer Mütter und die Eltern ihrer Väter – auf diese Weise vermeiden sie den Inzest. Die Söhne und Töchter jener Männer sind Cousins der Söhne und Töchter ihrer Schwestern, und sie verbleiben in ihrem Geburtshaus – sie sind “gekreuzte Cousins”, weil ihre Väter die Brüder eines anderen Geschlechts sind. In diesem System familiärer Verhältnisse bezeichnet ein Mann oder eine Frau den Sohn der Schwester ihres Vaters (der ausserhalb ihres eigenen “langen Hauses” wohnt) als “Vater”. Und eine Frau nennt den Sohn des Bruders ihrer Mutter “Neffe”, sowie die Schwester des letzteren “Nichte”. Grossväter und Grossmütter werden terminologisch als Brüder der Mutter (Onkel) und Schwestern des Vaters (Tanten) vereinheitlicht.
Obwohl Apanyekrá und Ramkokamekrá insoweit dieselbe Verwandtschafts-Terminologie zu benutzen pflegten, änderten erstere diese Terminologie gegen Ende der 50er Jahre: Die Bezeichnung “Vater” für den Sohn der Schwester des eigenen Vaters und für den Sohn der Schwester des Vaters kam ausser Mode. In beiden Fällen wurde er zum “Onkel” oder “Neffen” entsprechend einem neuen Determinationsprinzip – dem des relativen Alters. Ausserdem wurde der Verwandtschaftsgrad fortan weniger nach der Blutsverwandtschaft (kaprôô) bestimmt, sondern er tendierte dazu, sich eher nach bestimmten Präferenzen zu richten.
Die Verwandtschaft wird bilateral anerkannt, trotz einer deutlichen matrilateralen Bevorzugung. Es existieren keine Clans, sondern nur eine gewisse Anzahl isolierter Abstammungs-Linien und Zeremonien, in denen die Berechtigung auf Ausübung bestimmter Rollen verliehen wird. Was die Apanyekra betrifft, so wurden verschiedene Ausnahmen hinsichtlich der typischen matrilokalen Residenz registriert. Dagegen wurden mir irgendwelche Ausnahmen unter den Canela als “vorübergehend” erklärt.
Politische Organisation
Die unter den Canela existierenden Systeme der Hälften und zeremoniellen Gesellschaften haben keinen exogamen Charakter, obwohl man dies nicht mit Sicherheit von den Canela des 18. Jahrhunderts sagen kann. Die einzelnen Altersklassen werden durch vier Zeremonien eingeleitet und festgelegt. Jede Altersklasse besteht aus Männern, die ungefähr in einem Abstand von zehn Jahren geboren wurden. Bei Versammlungen setzen sich konsekutive Altersklassen auf dem Dorfplatz einander gegenüber – nach Osten und nach Westen gerichtet. Als Beispiel : Männer im Alter von um die 10, 30, 50 und 70 Jahre sitzen auf der einen Seite – während Männer um die 20, 40 und 60 Jahre sich ihnen gegenüber niederlassen. Fast alle Aktivitäten werden von diesen “Hälften” ausgeführt – beziehungsweise durch gegensätzliche Altersgruppen – wie zum Beispiel: zeremonielle Tänze und Gesänge, Wettläufe auf flachem Terrain oder mit Baumstämmen auf den Schultern, die Rodung von Feldern, Jagdzüge, das Anlegen von Pfaden entlang der Grenze des IT (Indianer-Territoriums).
Alle 20 Jahre (10 Jahre bei den Apanyekra), wird die “okzidentale Klasse” – deren Mitglieder sich einem Alter von 50 Jahren nähern – traditionell ins Zentrum des Dorfplatzes verlegt – sie sind die Älteren, die pro-khãm-mã (mikhà bei den Apanyekrá). Die “orientale Klasse” ihrerseits – deren Mitglieder ein Alter von 50 Jahren bereits überschritten haben, gesellt sich zu ihnen – zusammen bilden sie den Ältestenrat. Die Männer der “orientalen Hälfte” sind Berater, aber sie regieren nicht.
In ihrer Gesellschaftsordnung besitzen die Canela fünf jener Hälften-Systeme und, begrenzt auf die männlichen Gesellschaftsmitglieder, sechs Gruppen des zentralen Dorfplatzes, fünf rituelle Vereinigungen, zwei hierarchische Ordnungen und fünf Gruppen von Männern, welche intertribale Vorfahren haben. Die Frauen besitzen keine Vereinigungen, aber fast bei allen männlichen Gruppierungen gibt es zwei Mädchen, welche als Integranten bei diesen männlichen Vereinigungen mitwirken. Die Frauen zeigen ihre Qualitäten in der Kontrolle ihrer Familien und in dem weiten Netzwerk ihrer Verwandten.
Obwohl also die Macht der Geschlechter eindeutig auf Seiten der Männer liegt, hat sich die Situation der Frau während der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich verbessert. Jetzt dürfen sich auch die Frauen auf dem Dorfplatz als zeremonielle Chefs bemalen lassen. Die Macht der Männer hat seine Wurzeln in ihren Versammlungen auf dem Dorfplatz und erreicht sämtliche Mitglieder des Dorfes. Im Gegenzug zeigt sich die Macht der Frauen exklusiv im Interior des Hauses, mittels ihrer Kontrolle über die Verteilung des Essens für alle Bewohner.
Der Ältestenrat bestimmte einst den Häuptling, welcher ein Leben lang zu regieren pflegte. Gegenwärtig hält er sich in seiner Position nur noch zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Der Häuptling beschäftigt sich mit den externen Relationen und übernimmt den grössten Teil der internen Initiativen. Der Ältestenrat unterstützt ihn in der Regel, kann jedoch auch eine subtile Opposition bilden und gewisse unpopuläre Entscheidungen blockieren oder ändern. Der besondere Beitrag der Ältesten besteht in der Planung und Leitung der grossen Festlichkeiten.
Bemerkenswert unter den Canela ist ihr interner Frieden, auf den sie besonderen Wert legen. Wutausbrüche oder zornige Worte dürfen auf dem öffentlichen Dorfplatz nicht geäussert werden – er ist der Ort, an dem sich die Ältesten zweimal pro Tag versammeln, um Probleme zu besprechen und die Gesellschaft im Griff zu behalten. Falls man interne Meinungsverschiedenheiten zwischen den Grossfamilien nicht an dieser Stelle zur Sprache bringt, werden sie in einem der grossen Häuser innerhalb des Dorfzirkels besprochen und gelöst, wo die Onkel des Klägers und des Angeklagten als Repräsentanten ihrer Neffen und Nichten agieren. Führer der Gemeinschaft und der grösste Teil der Mitglieder vermeiden, Meinungsverschiedenheiten an die Öffentlichkeit zu bringen. Die zylindrischen Holzscheiben in den geweiteten Ohrläppchen der Männer – die zu ihrem Körperschmuck gehörten – waren ein Symbol erhöhter auditiver Fähigkeiten und in Konsequenz, der Folgsamkeit.
Im Gegensatz zu den Ramkokamekrá, die einen Oberhäuptling hatten, gab es bei den Apanyekrá drei Häuptlinge während der Jahre 1950 bis 1960. Einer von ihnen kommandierte die alltäglichen Geschehnisse mit grossem Geschick, konnte jedoch nicht Oberhäuptling werden, weil er, so sagten sie, von den Kenketeye abstammte. Weniger effizient als Koordinator von Aktivitäten, aber mit grösserem Prestige, war der Zeremonien-Meister, ein grosser Führer bei Gesang und Tanz, und ein begabter Geschichtenerzähler. Der Dritte, ein älterer Häuptling, war der Verhandlungsführer mit dem SPI in Barra do Corda, und fuhr einmal im Monat dorthin, um ein insignifikantes Gehalt abzuholen.
Sexualität
Eine erste Heirat findet statt, wenn ein Mädchen zwischen 11 und 13 Jahren seine Jungfräulichkeit dem Mann opfert, den es mag. Jedoch ist sie damit noch nicht endgültig verheiratet – erst wenn sie schwanger wird und ihr erstes Kind bekommt. Vor 1975 wurde eine Ehe als unauflöslich geschlossen, heutzutage jedoch, wenn ein Mann sein Haus verlässt – was ziemlich häufig geschieht – nennt man das “Trennung von den Kindern”.
Während der Erholung von der Geburt (die einen Rückzug der Mutter aus der Öffentlichkeit von etwa 40 Tagen verlangt), fordert die Mutter ihre “anderen Männer” auf, mit ihrem Ehemann an diesem Ritual teilzunehmen. Weil sie einen zeremoniellen Beischlaf mit verschiedenen Dutzenden von Männern während ihrer Schwangerschaft praktiziert haben kann, identifiziert sie jetzt zwischen einem bis vier dieser “anderen Männer” als diejenigen, welche mit einer genügenden Menge Sperma zur Bildung des Fötus beigetragen haben. Diese Männer müssen sich einer alimentären und sexuellen Diät unterordnen, um dadurch das Wachstum und die Gesundheit des Babys zu garantieren – ohne ihre Solidarität ist das Leben des Kindes gefährdet. Um die Gesundheit ihres Kindes zu garantieren, setzt die junge Mutter einen weiteren “anderen Ehemann” ein, der heimlich jene “alimetären und sexuellen Diäten” der dazu Ausgewählten Männer kontrolliert – ohne dass seine Ehefrau ihrerseits von seiner “Mittäterschaft” erfährt.
Die Kinder werden im Umfeld des mütterlichen Hauses aufgezogen – zusammen mit den Schwestern der Frau und ihren entsprechenden Kindern. Vor dem intensiveren Kontakt mit den okzidentalen Sitten der Gesellschaft, war es üblich, dass die Frau ihre Kinder in der Obhut ihrer Mutter oder ihren Schwestern zurück liess, während sie einem amourösen Abenteuer nachging.
Befreundeten Personen waren sexuelle Beziehungen offiziell erlaubt. Diese Aktivität wurde auf so extensive Art und Weise praktiziert, dass sie eine beliebte Form der Freizeitbeschäftigung darstellte. Ausserehelicher Sexualverkehr war allen Mitgliedern erlaubt – ausgenommen den Blutsverwandten, den formellen Freunden und gewissen Angehörigen – und die zahllosen Feste während des Jahres promovierten seine Praxis in Serie. Je nach Anlass durfte eine Gruppe zwischen 10 bis 80 Männern Sex praktizieren – einer nach dem andern – mit einer Gruppe zwischen 2 und 10 Frauen. Eine Ablehnung des sexuellen Wunsches eines andern, in der Öffentlichkeit wie privat, war schwierig, denn eine solche Haltung galt als Geiz, anti-sozial – oder gar bösartig. Männer wie Frauen wurden dazu angehalten, grosszügig zu sein – sowohl mit ihrem Körper, als auch mit ihren einfachen materiellen Gütern, wie Körben, Bogen und Pfeilen, und mit Nahrungsmitteln.
Was die verwandten Personen betrifft (wie Onkel und Neffen, oder Tanten und Nichten), die nicht im selben Haus wohnten und keinen Namensverbindungen oder vorgeschriebener Behandlung unterworfen waren, die spielten miteinander, wenn sie sich trafen. Jedoch sehr entfernte Verwandte durften das Tabu des Inzests durchbrechen und sich wie “Eheleute” verhalten. Diese ungewöhnliche sexuelle Grosszügigkeit verlor sich allerdings in der Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, nachdem man den Kontakt mit der Gesellschaft der Nicht-Indianer intensiviert hatte, und Industriegüter leichter zu bekommen waren, die fortan in den Mittelpunkt der Begehrlichkeit der Indianer rückten. Die alten Zeiten sexueller Freuden verloren sich auch durch das Aufkommen von Eifersucht der Ehemänner.
Formelle und nominelle Freunde
Die Canela vergleichen ihre formellen Freunde mit jenen “Compadres” und “Comadres” (Freunden und Freundinnen) der nationalen (weissen) Gesellschaft. Es herrscht ein besonderer Respekt zwischen diesen Frauen und Männern, die sich gegenseitig bedienen, ehren und beschützen. Wenn zum Beispiel ein Baby aus Versehen ins offene Feuer fällt, dann muss sein nächster formeller Freund diesen Unfall in Anwesenheit der Eltern – mit der Wahrscheinlichkeit, sich genauso zu verbrennen. Dieser dramatische Akt beschämt die Eltern des Babys vor der anwesenden Öffentlichkeit, und Vater und Mutter werden sich bemühen, dass ein solcher “beschämender” Unfall nie mehr geschieht.
Formelle Freunde, fast immer Männer, scherzen miteinander, wenn sie sich begegnen. Jeder von ihnen hat seinen formellen Freund bei der Initiation seiner Altersklasse ausgesucht. In früherer Zeit waren diese beiden unzertrennlich. Sie kämpften Seite an Seite, beschützten sich gegenseitig und tauschten eventuell auch ihre Frauen aus.
Was die Namensgebung betrifft, so überträgt ein Mann seine Namenssammlung auf den Sohn der leiblichen oder der klassifizierten Schwester, während die Frau ihren Namen an die Tochter des leiblichen oder klassifizierten Bruders weitergibt. Ein Bruder und eine Schwester – leiblich oder klassifiziert – bestimmen die Namen ihrer Neffen und Nichten. Während der 70er Jahre gab es einen grösseren Austausch von Namen zwischen klassifizierten Geschwistern als zwischen leiblichen. Und es macht Sinn für die klassifizierten Geschwister, so weiterzumachen, denn dieser Brauch verstärkt die Beziehungen zwischen zwei Personen. Leibliche Geschwister besitzen bereits eine starke Beziehung zueinander, deshalb bringt der Austausch von Namen für sie nicht viel. Ein alternatives Verhalten für entfernte Cousins gegenteiligen Geschlechts, die sich gegenseitig mit “Bruder” und “Schwester” anreden, besteht darin, eine sexuelle Beziehung einzugehen – dadurch werden sie zu klassifizierten Ehepartnern und durchbrechen konsequent ihr bisheriges Verhältnis. Jedoch, wenn sie anstatt miteinander zu schlafen, ihre Namen austauschen, kommen sie sich fast so nahe wie leibliche Geschwister.
Mit der Übertragung von Namen beginnen die rituellen Zeremonien und werden bestimmte Rollen innerhalb der Gesellschaft zugänglich. Bei anderen Timbira-Völkern, sowie bei den Setentrionalen Jê, ist die Namensübertragung zeremoniell von allergrösster Bedeutung – der Spender überträgt seine zeremoniale Person auf den Empfänger. Unter den Canela allerdings ist die Übertragung des Namens weniger signifikant, sowohl innerhalb der zeremoniellen Praktiken als auch im Alltag des Individuums. Und das deshalb, weil das System der Altersklassen-Hälften bei ihnen grössere Bedeutung hat.
Die Apanyekrá besassen mehr formelle Freunde, die ihnen durch Namenstausch verbunden waren, als die Ramkokamekrá – aber sie hatten dafür kein Ritual (intêê) wie diese, mit dem sie neue formelle Freunde “machen” konnten. Ein Mitglied der Apanyekrá wird von seiner Familie beerdigt – bei den Ramkokamekrá sind es die formellen Freunde, welche den Toten zu Grabe tragen.
Produktive Aktivitäten
Die traditionellen Ernten der Canela umfassten Erdnüsse, Mais, Süsskartoffeln, Inhame-Wurzeln, Kürbisse, Bohnen (Phaselous Sp.), wilde Maniok (wayput-re), zahme Maniok, Baumwolle, Flaschenkürbisse und ein paar andere Produkte. Die heute häufigsten Arten – Maniok, Reis und Bohnen – haben die Indianer nach dem Kontakt mit der nationalen Gesellschaft adoptiert, sowie auch Bananen, Orangen, Mangos, Melonen, Ananas, Papayas, Tabak, Zuckerrohr und andere Arten.
Bei den Ramkokamekrá, in den schmalen Galeriewäldern ihrer Terrains, wurden Felder am Flussufer mittels Steinäxten und durch Brandrodung angelegt. Diese traditionellen Felder produzierten weniger als 25% ihrer Nahrung – das Sammeln, der Fischfang und die Jagd ergänzten den Bedarf. Ende der Jahre um 1830, als die Ramkokamekrá in ein Gebiet umgesiedelt wurden, das nur etwa 5% ihrer ursprünglichen Ländereien betrug, wurden sie gezwungen, ihre Feldarbeit auszuweiten, was auch im Sinne der nationalen Gesetzgebung lag.
Ende der vierziger Jahre verlor die interne Wirtschaft beider Gruppen ihre selbsterhaltende Effektivität – sie wurden von einer Unterstützung von ausserhalb abhängig, und zwar von den Nahrungsmitteln, die ihnen der SPI lieferte – ausserdem praktizierten sie ein System der “Hälfte” mit den Siedlern, indem sie auf deren Feldern gegen die Hälfte der Ente mitarbeiteten. Zu Beginn des Jahres 1990 kehrten die Ramkokamekrá mit ihren Feldern zu einer ausreichenden Eigenproduktion zurück. Allerdings haben sie immer noch eine ungenügende Produktion in den “mageren Monaten” zwischen September und Dezember, welche den Erntemonaten vorausgehen. Die Felder beginnen ab Januar zu produzieren, und der Höhepunkt der Produktion liegt mit der Reisernte im Monat Mai. Den Apanyekrá gelang die Wende zur Eigenproduktion nicht, aber sie hielten auch fest an den nativen Pflanzen – im Gegensatz zu den Ramkokamekrá, welche ihre Felder unter Einfluss der Methoden bewirtschafteten, die sie von den “Weissen” gelernt hatten.
Die Herausforderung, der sich die Canela Ramkokamekrá gegenwärtig zu stellen haben, besteht darin, eine ausreichende Nahrungsproduktion zu garantieren, deren einzelne Bestandteile nicht im September schon verbraucht sind. Auf diese Weise müssten sie nicht schon die ersten Wurzeln der Maniok verkonsumieren, die erst ein Jahr des Wachstums hinter sich haben, und die deshalb noch weit unterentwickelt sind. Mit einer ausreichenden Maniokproduktion könnten sie nur die zwei- bis dreijährigen Wurzeln für den Konsum ernten. Ein paar Familien versuchen bereits, einen Überschuss zu erwirtschaften, den sie auf dem Markt der Städte verkaufen könnten.
Glücklicherweise bieten die Galeriewälder im IT eine weitere lebenserhaltende Möglichkeit für die expandierende Ramkokamekrá-Bevölkerung, in Form einer Landwirtschaft. Eine weiter Einnahmequelle sind die Pensionsgelder der Rentner des Stammes, welche von der staatlichen FUNRURAL an die Ältesten des Stammes gezahlt werden, und die sich als signifikante Beihilfe ab dem Jahr 1980 erwiesen haben. Ausser den Altersrentnern gibt es verschiedene Pensionäre aus Gesundheitsgründen, Mütter, die eine Beihilfe bekommen, und Studenten, die ein Stipendium vom Staat erhalten. Bis gegen Ende der 90er Jahre existierten rund 60 bis 70 Pensionäre im Dorf Escavaldo. Darüber hinaus gab es im Jahr 2001 acht Ramkokamekrá-Indianer, die bei der FUNAI angestellt waren, weitere drei bei der FUNASA (Gesundheitsbehörde) und weitere vier indianische Lehrer im Munizip.
Traditionell gibt es eine Tendenz, dass Schwestern ihre Felder im gleichen Areal anlegen und so den Standard des “langen Hauses” in ihrem Dorf hier wiederholen. Politisch motivierte Männer versuchen, männliche Adepten für ihre Felder zu gewinnen. So formieren sich Fraktionen, obwohl die Canela auch sehr diskret hinsichtlich politischen Rivalitäten zu sein pflegen. Die Macht der potentiellen Führer zeigt sich zuerst bei der Administration der Feldarbeit.
Gegenwärtig existieren zwei grosse “landwirtschaftliche Kommunen” in der Gruppe der Ramkokamekrá – jede mit einem Kreis von Häusern, in denen 80% der Bevölkerung wohnen. Weiterhin gibt es wenigstens vier kleinere Kommunen. Jede Familie besitzt ein Haus im Hauptdorf Escavaldo, und dorthin kehrt sie zurück, wenn die jährlichen Festlichkeiten beginnen. Letztlich gab es eine allgemeine Rückkehr von Seiten jener Familien, die Kinder haben, welche regelmässig die Schule im Dorf Escavaldo besuchen. Diese Familien verbringen mehr Zeit im Hauptdorf und begeben sich nur ab und an auf die Felder, um Gemüse zu holen.
Kunst
Die bedeutendste künstlerische Ausdrucksform der Canela liegt in ihrer Musik und ihren Tänzen, welche von Gesang begleitet werden. Der tägliche Zyklus der Canela begreift drei von Gesang begleitete Tanzperioden ein, zwischen 2:30 und 5:30 Uhr am Morgen, von 5:00 bis 6:00 am Nachmittag und von 7:00 bis 10:00 in der Nacht. Die Zeit, welche sie mit Tanz und Gesang verbringen – mehr als ein Viertel des Tages – demonstriert die Bedeutung, welche sie diesem künstlerischen Manifest beimessen – obwohl ein und dieselbe Person selten die gesamte Runde von sieben Stunden mitmacht. Dieser Ablauf findet aber nur statt, wenn die Canela-Kommune vereint ist und im Hauptdorf lebt, anstatt auf die Unterkünfte bei den Feldern verteilt zu sein oder bei Partnerschaften mit Nachbarn beschäftigt.
Gesang und Tanz der Apanyekrá sind im Rhythmus des Vorsängers mit der Rassel in der Form des Vortrags und ihrer zeitlichen Begrenzungen fast identisch mit denen der Ramkokamekrá. Lediglich der Musikstil der Gesänge klingt ein wenig anders in unseren Ohren. Die Gesänge der Ramkokamekrá betonen die harmonischen Sequenzen – die der Apanyekrá betonen die melodische Linie. Die Männer schlendern herum und präsentieren sich springend vor einer langen Reihe von Frauen – alle werden von einem Mann geführt, der mit einer Rassel in der Hand singt und tanzt. Heutzutage findet ein solcher Tanz nur noch in der grossen Festperiode statt.
Die visuelle Kunst ist relativ simpel, besonders wenn man sie mit der ihrer “kulturellen Cousins”, den Kayapó-Xikrin vergleicht, unter denen zum Beispiel die Körperbemalung hoch entwickelt ist. Bei den Canela wird die rote Pflanzenfarbe Urucum nur bei familiären Anlässen benutzt. Die Holzkohle, fixiert mit dem Latex des “Milchbaums” und gleichmässig auf den Körper verteilt, ist ein familiäres Manifest – wenn sie unordentlich aufgetragen ist, wird dies als Indiz betrachtet, dass die entsprechende Person kürzlich in ein aussereheliches Verhältnis verwickelt war. Die dunkelblaue Farbe der Genipapo-Frucht wird einzig und allein für bestimmte zeremonielle Situationen aufgetragen – niemals aber im Alltag.
Zur Gelegenheit einer selten stattfindenden Zeremonie schmückt sich die Ramkokamekrá-Gruppe mit den Bauchfedern des Falken – heute ersetzt durch die Flaumfedern von domestizierten Enten – die mit Harz auf den Körper geklebt werden – mit einer Unterschicht von Urucum zu bestimmten Anlässen. Bei den Apanyekrá kommen noch die grünen Federn von Sittichen dazu. Das Kunsthandwerk und ihre Gegenstände des täglichen Gebrauchs sind bei beiden Gruppen dieselben – mit kleinen Abweichungen im Stil.
Ehemals pflegten die Canela rund 150 Arten von Artefakten herzustellen – die meisten waren männliche Körperschmuck-Teile, viele davon, um bei besonderen zeremoniellen Anlässen getragen zu werden. Die dafür benutzten Materialien stammten in erster Linie von den Blättern der Buriti- und Inajá-Palmen, ausserdem von der winzigen Tucum-Palme. Die Männer formten mit viel Geschick und Geduld die Spitzen ihrer Keulen und Lanzen, die aus dem Holz des “Pau-Brasil” gefertigt waren und früher für kriegerische Auseinandersetzungen benutzt wurden – sie waren zusätzlich mit Federn von Papageien, Aras und anderen Vögeln geschmückt. Verschiedene Arten und Formen des Flaschenkürbisses wurden als Behälter verwendet – deren Mehrheit inzwischen durch industriell gefertigte Behälter aus der Stadt ersetzt worden ist. Sie flochten auch verschiedene Arten und Formen von Matten, hatten aber keine Kenntnisse der Keramikherstellung.
Die Canela führen öfter einen Wettlauf mit schweren Baumstämmen von bis zu 120 kg Gewicht durch – über eine Distanz von zirka 10 Kilometern! Ausserdem praktizieren sie kürzere Rennen auf flachem Terrain und andere über zirka 1.000 Meter.
Religiosität und Schamanentum
Nach Tradition der Canela begibt sich die Seele nach dem Tod in ein “Dorf der Seelen” an einem bestimmten Ort im Westen, wo sie unter ähnlichen Konditionen wie im Leben in einer Dorfgemeinschaft weiter existiert – jedoch sind die dortigen Zustände weniger angenehm. Zum Beispiel hat das Essen weniger Geschmack – das Wasser ist lauwarm und nicht kühl, und der Sex ist auch weniger erfreulich. Nach einer gewissen Zeit verwandeln sich die Geistwesen in jagdbare Tiere, danach in kleinere Tiere und noch später in so was wie ein Moskito oder auch ein Baumstumpf, zum Beispiel. Schliesslich hört das Wesen auf zu existieren.
Seelen, welche noch ihre menschliche Form besitzen, können vom Schamanen kontaktiert werden. Aber wenn ein gewöhnlicher Sterblicher zufällig mit ihnen in Kontakt tritt, wird er ernstlich krank und muss vielleicht sogar sterben. Die Canela glauben, wenn sie gewisse Regeln verletzen, wie zum Beispiel nachts im Wald herumzustreifen oder Wasser aus dem Bach nach der Dämmerung zu schöpfen, sie von den Seelen gepackt werden. Auf jeden Fall bringen die Seelen den Menschen Unglück, und nur die Schamanen dürfen sie ungestraft aufspüren.
Man glaubt allgemein, dass in früherer Zeit mächtige Schamanen über übernatürliche Kräfte verfügten, besonders jene mit omnipotentem Wissen und Zukunftsvisionen. Und solche Fähigkeiten waren natürlich nur möglich durch die Hilfe der Seelen (der kürzlich Verstorbenen), und die ebenfalls zu ihren Lebzeiten grosse Schamanen gewesen sind. Die guten Schamanen rufen eine bestimmte Seele an, die ihnen alles erklärt, was sie wissen müssen. Wenn zum Beispiel das Neugeborene einer Frau stirbt, so ist der Schamane in der Lage zu sagen, warum dies geschehen ist, und er gibt in der Regel als Grund die Einnahme von “schwerer” Nahrung an, die entsprechend verdorben gewesen sei. Einige der Seelen haben dies beobachtet und ihrerseits anderen mitgeteilt, die wiederum die Tatsache dem interessierten Schamanen überbracht haben. Die Diagnose des Schamanen ist definitiv, selbst wenn die Mutter eine andere Version erzählt. Seine Entscheidung ist unanfechtbar.
Die Schamanen wetteifern nicht mit den politischen Führern um die Macht. Viele dieser Führer aber hatten bereits eine gewisse schamanistische Macht, jedoch niemals von der überragenden Bedeutung eines guten Schamanen. Selten ist der Fall, dass eine Frau Schamane wird, aber in den 70er Jahren gab es verschiedene weibliche Vertreter dieses achtbaren Standes, und zwei davon sind in die Mythologie der Canela eingegangen.
Die Schamanen heilen die Patienten durch die Extraktion der Krankheit oder ihre Poluition – und sie werden nur dann bezahlt, wenn sie Erfolg haben. Es gibt auch anti-soziale Schamanen, welche in der Lage sind, anderen Personen Malessen anzuhexen – die befallen deren Körper wie Krankheiten. Andere Schamanen kämpfen darum, jene Hexerei wieder zu vertreiben und sie zum Absender zurück zu beordern. In früherer Zeit wurde ein anti-sozialer Schamane vom Ältestenrat des Dorfes des Mordes angeklagt und nach Verurteilung mit Keulen totgeschlagen. Dies geschah zum letzten Mal im Jahr 1903.
Sich Einschränkungen hinsichtlich Ernährung und Sex aufzuerlegen ist eine Instrument durch das ein Mensch einen starken Charakter erhält – und damit er aus eigener Kraft die Fähigkeiten für bestimmte Karrieren entwickelt – er zum Beispiel ein grosser Jäger, ein schneller Läufer oder eben ein Schamane werden kann – allerdings nicht ein guter Sänger oder Tänzer mit der Maracá (Rassel).
Die Canela glauben, dass die Pollution (ein unwillkürlicher Samenerguss) durch den Genuss von Fleischsäften (Suppen) und mittels Kontakt mit den sexuellen Fluiden in den Körper eindringt. Solche Polluition schadet einer gesunden Person nicht, schwächt jedoch die Kräfte eines Jägers, Kriegers, Läufers oder eines Schamanen. Wenn allerdings ein Individuum krank oder schwach ist, wie zum Beispiel ein Baby, kann eine normale Polluition ihn kränker machen, ihn noch mehr schwächen oder sogar töten. Die Canela glauben, dass das Blut ihrer Eltern, leiblichen Geschwister und Kinder ihrem eigenen sehr ähnlich ist. Und deshalb ist eine Familie so stark miteinander verbunden, dass die Polluition eines ihrer Mitglieder alle anderen ebenfalls befallen kann. Wenn also jemand in der Familie krank ist, müssen sich alle den alimentären und sexuellen Einschränkungen unterziehen, um den Kranken bei seiner Genesung zu unterstützen.
Ein Individuum wird Schamane, nachdem er von einer oder verschiedenen Seelen besucht worden ist – zum Beispiel während einer schweren Krankheit, wenn die Seelen kommen, um den Todgeweihten zu heilen. Ein Jugendlicher, der Schamane werden möchte, muss sich einem intensiven Prozess alimentärer und sexueller Einschränkungen unterwerfen, um so zu verhindern, dass verunreinigende Elemente in seinen Körper eindringen. Er kann auch bestimmte pflanzliche Infusionen zu sich nehmen, um eine Polluition zu verhindern. Die Seelen werden von jenen Individuen angelockt, die frei von Polluition sind. Wenn sie einen solchen finden, unterhalten sie sich mit ihm und geben ihm die Macht, ein Schamane zu werden. Im Allgemeinen ist diese Macht eine spezifische, um ganz bestimmte in den Körper eingedrungenen Übel zu heilen – wie zum Beispiel einen Schlangebiss – nur die allergrössten Schamanen haben die Macht über sämtliche Übel, die einen Menschen befallen können.
Insgesamt besitzen die Canela, traditionell, verschiedene Hilfsmittel – übernatürliche, natürliche und menschliche – um ihre Lebensbedingungen zu stärken. Zum ersten, die Schamanen können sich mit Seelen in Verbindung setzen, wenn sie Informationen und besondere Kräfte benötigen. Zum zweiten, eine Quelle der Kraft beziehen sie aus dem Gesang bei einer bestimmten Zeremonie an privaten Festen. Zum dritten, ein Canela kann durch alimentäre und sexuelle Einschränkungen eine Verunreinigung von seinem Körper fernhalten und so eine bestimmte Kapazität heranbilden. Zum vierten, ist es auch möglich, gewisse Infusionen zu inhalieren, um die eigenen Fähigkeiten für die Jagd, zum Beispiel, zu verbessern und damit auch die Gesundheit im Allgemeinen.
Die Ramkokamekrá glauben, dass die Schamanen der Apanyekrá als Heiler grössere Kräfte besitzen – deshalb suchen sie die auch häufig auf. In der Mitte der 70er Jahre hatten das Universum der Seelen und die Gefahren der Poluition unter den Apayekrá mehr Anhänger als unter den Ramkokamekrá, und erstere respektierten auch besagte Restriktionen mit viel mehr Ernst.
Seit 1830 haben sich die Canela auch dem katholischen Glauben und entsprechenden populären Praktiken angeschlossen. Ab 1970 wuchs die Bevölkerungszahl der Ramkokamekrá, die sich als “Crentes” (Protestanten) bezeichnen, 1993 erreichte deren Zahl 25% der indigenen Bevölkerung – aber im Jahr 2001 war sie wieder auf 15% zurückgegangen. Im Gegensatz dazu hatten die Apanyekrá weniger Kontakt zu den Protestanten.
Mythologie
Die Canela besitzen eine reiche Mythologie – sie haben Kenntnis von mehr als einhundert entsprechenden Erzählungen – aber ihre Glaubensvorstellungen haben sich verändert (oder sind verändert worden durch die Insistenz verschiedener Missionen), und heute ist ihre mündlich überlieferte Mythologie für die meisten nur noch eine Legendensammlung.
Eine der bedeutendsten mythologischen Figuren für beide Gruppen ist “Awkhêê”, der über übernatürliche Kräfte verfügte und, wenn ihm danach war, konnte er sich in ein Tier oder auch eine pflanzliche Form verwandeln – damit erschreckte er seine Onkel und Tanten, die daraufhin beschlossen, ihn zu töten. Und obwohl jene glaubten, ihn in einem Feuer ein für alle Mal verbrannt zu haben, überlebte er in Form von Asche. Dann nahm er seine menschliche Gestalt wieder an – vielleicht als Awkhêê, vielleicht als Dom Pedro II. Kaiser von Brasilien – und stellte die Canela vor die Wahl, zwischen ihrer Welt – repräsentiert durch Bogen und Pfeil – oder jener Welt der Weissen – repräsentiert durch Feuerwaffen – zu wählen. Die Canela entschieden sich für Pfeil und Bogen und damit für eine untergeordnete Position in der Welt der Weissen. In Konsequenz mussten die “Sertanejos” (Inlandbauern) die Canela mit Lebensmitteln unterstützen, die sie ihnen umsonst gaben. Im Gegenzug begegneten ihn die Canela mit Respekt, und sie schulden den Weissen Unterwürfigkeit und Gehorsam.
Ein alter Mythos erzählt, dass Sonne und Mond auf der Erde wandelten, um die Regeln für ein gesellschaftliches Leben aufzustellen. Die Sonne schuf die idealen Männer und Frauen, und der Mond jene deformierten. Die Sonne erlaubte, dass Axt und Hacke auf den Feldern in eigener Regie arbeiteten – aber der Mond verbot es ihnen. Deshalb müssen die Menschen im Schweiss ihres Angesichts den Boden bearbeiten. Es gibt mindestens ein Dutzend Episoden dieses Mythos von Sonne und Mond – und viele andere, die vom Ursprung des Todes erzählen, von Überschwemmungen, Waldbränden und den Grund erklären, warum die Buriti-Palmen so besonders hoch gewachsen sind, und warum ihre Schattenrisse in der Scheibe des Mondes zu sehen sind . . .
Es gibt Mythen der Canela, die erklären die Herkunft des Feuers und der Maispflanze: Ein Junge brachte einst seinem Volk das Feuer, welches er einem Jaguar gestohlen hatte. Eine Sternenfrau verliebte sich in einen Canela-Mann und stieg vom Himmel herab, um einige Zeit bei dessen Familie zu wohnen. Während ihres Aufenthalts zeigte sie ihrem Geliebten die Maispflanze im Wald und erklärte ihm die Bedeutung dieses Nahrungsmittels für seine Familie. Dies war der Beginn der Feldwirtschaft. Dann kehrte sie zusammen mit ihrem Geliebten in den Himmel zurück, und beide verwandelten sich in Zwillingssterne – die bei Nicht-Indianern als Castor und Pollux bekannt sind.
Parallel gibt es eine Menge Mythen über das Leben ihrer Vorfahren – die Canela verfügen über eine grosse Zahl von Geschichten über Kriege, einige davon beschreiben, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen die Weissen kämpften und von diesen geschlagen wurden. Andere Geschichten berichten von der Art und Weise, wie sie von ihren Häuptlingen geführt wurden. Mythen und Kriegsgeschichten pflegten im Zentrum des Dorfes erzählt zu werden, auf dem grossen Dorfplatz, um die Bewohner zu amüsieren – entweder am späten Nachmittag oder in der Morgendämmerung – aber diese Angewohnheit verlor sich in den 50er Jahren. Heutzutage beziehen die Erzähler jene Geschichten auf “wilde Indianer”, wie sie ihre Vorfahren bezeichnen, fast so als wollten sie sich von ihnen distanzieren. Die grossen Krieger, und auch die mächtigen Führer, bedienten sich der schamanistischen Kräfte, um ihre Absichten durchzusetzen. So hat zum Beispiel der grosse Krieger Pép eine so überragende Zielsicherheit besessen, dass er seine Feinde stets mit einem Pfeil ins Auge niedergestreckt und getötet hat.
Obwohl die Mythen ihrer Herkunft der Apanyekrá und der Ramkokamekrá sich sehr ähnlich sind, gibt es doch ein paar überraschende Unterschiede. Zum Beispiel kehrt die Sternenfrau mit ihrem Geliebten Apanyekrá erst in den Himmel zurück, nachdem sie einen Racheakt an seiner Familie verübt und im Hof seines Hauses den Inhalt eines Behälters vergiftet hat – was bei ihrem freundlicheren Abgang in der Ramkokamekrá-Version nicht geschieht. Bei den Apanyekra hat “Awkhêê” einen alternativen Namen: “Plùùkupê” – aber der Befehl, sich den Zivilisierten unterzuordnen und von ihnen abhängig zu werden, ist derselbe. Ausserdem besitzen die Apanyekrá eine Anzahl von Mythen, welche die Ramkokamekrá nicht kennen – und umgekehrt.
Rituale
Die Canela besitzen eine Gruppe von rituellen Zyklen, die auf der Grossfamilie basieren und an denen die matri- und patrilaterale Verwandtschaft teilnimmt – erstere spielt dabei die beherrschende Rolle. Die bedeutendsten Riten für beide Geschlechter sind die Geburt, Pubertät und Eheschliessung (in verschiedenen Etappen), die Zurückgezogenheit nach der Geburt (Couvade) und die Trauerzeit im Sterbefall. Die Übergangsriten für Jugendliche bestehen aus der Durchbohrung der Ohrläppchen für Knaben und aus der Reklusion (Abgeschiedenheit von der Öffentlichkeit) für die Mädchen – anlässlich ihrer ersten Menstruation. Beide Geschlechter Üben sich in post-pubertären Praktiken. Die Namensgebung der Babys, gleich nach der Geburt, ist begrenzt auf die Namensgeber – die Geburt eines Knaben wird der Öffentlichkeit vom Namensgeber angezeigt.
Eine andere Gruppe von Ritualen findet während der Feste statt und wird unter Teilnahme der gesamten Gesellschaft der Dorfbewohner durchgeführt. Knaben werden in ihre entsprechende Altersklasse eingeführt, was vier bis fünf Initiationsfeste zur Folge hat. Die Unterteilung in Altersklassen ist verbunden mit dem Training der Knaben, um sich zum Krieger zu entwickeln. Als bedeutendster Schritt für eine definitive Heirat beteiligt sich die Mehrheit der Mädchen als Volontärinnen an den Ritualen der Männer, um dadurch ihre Reife-Gürtel zu erhalten, welche unumgänglich für die Akzeptanz ihrer Verwandtschaft als zukünftige Ehefrau sind.
Die Durchführung der Initiations-Rituale der Männer bei den Apanyekrá (Khêêtúwayê und Pepyê) ist seit den 70er Jahren seltener geworden – von da an haben sie nur noch zweimal stattgefunden, um eine Altersklasse zu definieren, während sie bei den Ramkokamekra vier oder fünfmal durchgeführt worden sind. Aber auch bei letzteren sind sie seit 1990 unregelmässig geworden. Das Ritual der Apanyekra, welches den Sommer beschliesst (Wè tè), wurde ebenfalls nicht mehr regelmässig veranstaltet, und das Ritual zur Eröffnung des Sommers (auch Wètè genannt) scheint bei den Apanyekra niemals stattgefunden zu haben. Das Equivalent Apanyekrá (Krokrok) des Ramkokamekrá-Rituals der Falken (Pepkahàk) ist verloren gegangen, und das Ritual der Masken ist im Repertoire der Apanyekrá nicht vorhanden. Auf der anderen Seite waren die saisonalen Praktiken der “Roten und Schwarzen Hälften” während der Regenzeit in gewisser Weise effektiver bei den Apanyekrá als bei den Ramkokamekrá – und die Apanyekrá-Versionen der Orangen- und Pàlrà-Rituale waren denen der Ramkokamekrá sehr ähnlich. Das Apanyekrá-Ritual des Fisches (Tepiakwá) wurde während der 70er Jahre über lange Zeit nicht mehr durchgeführt – ist aber unter den Ramkokamekrá der 90er Jahre sehr populär.
Ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den beiden Gruppen bezüglich der rituellen Einführung von Knaben und Jugendlichen in eine Altersklasse ist folgender: Jugendliche, die dabei erwischt wurden, wie sie ihre auferlegte Reklusion umgingen, um sich heimlich mit ihrer Sexpartnerin zu treffen, wurden mit ihrer Partnerin zusammen auf dem Dorfplatz der Öffentlichkeit präsentiert – einander gegenüber, kniend, damit jedermann sich die Schande ansehen konnte. Diese Strenge der Bestrafung für dieses Vergehen war nicht typisch für die Ramkokamekrá – bei ihnen gab es eine solche Bestrafung für das gleiche Vergehen nicht.
Kontemporane Aspekte
Die FUNAI unterhält einen Eingeborenen-Posten im Dorf Escavaldo. Kürzlich ist ein Canela der Ramkokamekrá Chef des Postens geworden – er hat die Schule in Barra do Corda bis in die achte Klasse frequentiert. Das Indianerschutz-Organ unterhält ebenfalls eine Schule in Escavaldo seit 1977 – und seit 1944 gibt es bereits einen weniger formalen Unterricht innerhalb der Gruppe. Die Schule befindet sich in einem vom Posten getrennten Gebäude und, seit der Mitte der 80er Jahre, ist dieses Gebäude aus Backsteinen und hat ein Ziegeldach – mit drei Räumen. Im Jahr 2001 hatte die Schule sechs Lehrer, die vom Munizip bezahlt wurden – darunter zwei nicht-indianische Frauen und vier Canela, die sowohl die Eingeborenensprache als auch Portugiesisch perfekt schreiben und lesen können. Die Unterrichtsstunden finden morgens und nachmittags statt und werden von 120 Schülern bis zur vierten Klasse besucht. Von da an müssen sie sich nach Barra do Corda begeben, um weiter zu studieren. Im Gegensatz zu den Ramkoamekrá haben nur wenige Apanyekrá lesen und schreiben gelernt.
Wenigstens sechs Canela der Gruppe Ramkokamekrá stehen in einem regulären Arbeitsverhältnis mit der FUNAI und werden monatlich dafür bezahlt. Diese Einnahmen, zusammen mit einigen Renten, welche die Canela gegenwärtig empfangen, machen einen deutlichen Unterschied in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen und, in Konsequenz, auch bei den kommerziellen Gütern, die beiden Gruppen zufliessen.
Nicht immer werden von der FUNAI genügend Medikamente und eine Krankenschwester den Indianern in Escavaldo zur Verfügung gestellt – aber wenn diese Mittel da sind, werden die Patienten von einer einer Krankenschwester in einer Erste-Hilfe-Station behandelt, die in einem Backsteinhaus untergebracht ist. Drei Ramkokamekrá, die teilausgebildet sind, arbeiten ebenfalls dort, geben Injektionen, empfehlen Medikamente und applizieren Serum. Im Dorf Porquinhos der Apanyekra hat die FUNAI zwei Häuser aus Lehmziegeln errichtet – einen Posten und eine Krankenstation, um 1973. Die Positionen des Postenchefs, des Lehrers und des Sanitäters hier aufrecht zu erhalten, gestaltet sich besonders schwierig, teilweise wegen des schwierigen Zugangs zum Dorf.
Eine deutsche Organisation (Deutsche Missionsgesellschaft), mit Sitz in Bonn, unterstützt die Canela der Ramkokamekrá-Gruppe in ihrer landwirtschaftlichen Produktion, beim Fischfang, beim Anbau von Fruchtbäumen und der Produktion von Zuckerrohr – unter anderen Projekten. Gegenwärtig ist das bedeutendste Projekt ein odontologisches Ambulatorium in Barra do Corda, dessen Verantwortlicher auch ein Ramkokamekrá-Indianer ist, der sechs Monate lang in Deutschland trainiert wurde. Er hat Probleme bei der Unterhaltung seiner Familie, denn wenige Indianer haben die Mittel, für eine Behandlung zu zahlen und erwarten, dass sie ihren Zahnersatz gratis bekommen.
1996 übergab ihnen die “Banco Nordeste de Fortaleza” (Bank) eine Schälmaschine für Reis, die vom FUNAI-Posten in Betrieb gehalten wurde – sie funktionierte vier Jahre. William Crocker lieferte dem Dorf Escavaldo und zwei anderen landwirtschaftlichen Kommunen Maniok-Raspeln, welche mit Benzin angetrieben wurden – ausserdem mechanische Pressen zur Extraktion des Gifts (die Maniok enthält Blausäure) – und Herde zur Röstung des Maniokmehls. Im Jahr 2001 funktionierte nur noch eine Maniok-Raspel. Die Apanyekrá wurden niemals von einem dieser Sponsoren beschenkt.
Im Kreis des Dorfes Escavaldo hat die Kirche “Assembléia de Deus” eine ihrer Kirchen hingebaut (1997), die stark frequentiert wurde. Ein alter Canela war darauf vorbereitet worden, einen Teil der religiösen Zeremonie zu leiten – aber wenige Jahre später wurde das Gebäude angezündet. Heute beschäftigt sich eine Familie der “Unevangelized Field Mission” damit, die Canela in anderer Form zu unterstützen, besonders in der Alphabetisierung der Erwachsenen in ihrer Muttersprache.
Es gibt nur wenige Fälle von Eheschliessungen mit anderen Indianervölkern. Wenigstens ein Dutzend Canela-Familien der Gruppe Ramkokamekrá wohnen bereits seit 15 Jahren in Barra do Corda. Unter den Apanyekrá dagegen ist der Kontakt mit dem Ort Barra do Corda auffallend geringer. Es gibt zwei Canela-Frauen, die mit “Weissen” verheiratet sind, sowie einen Canela-Mann, der mit einer “Weissen” im Dorf Escavaldo lebt.
Ein Ramkokamekrá-Ausschuss hat sich im Rahmen des Gesetzes im Jahr 1994 gebildet, und die Apanyekrá gründeten ihrerseits 1995 einen solchen – beide haben sich als inoperativ bewiesen. Im Jahr 2002 begünstigte ein administrativer Wechsel bei der FUNAI beide Canela-Gruppen. Der regionale Administrator der FUNAI in Barra do Corda, Sr. José Dilamar Araújo Pompeu, von der Ethnie Guajajára, beendete dort seine Aktivitäten, welche er bisher den Völkern der Jê-Sprache gewidmet hatte. Seinen Posten übernahm Sr. Raimundo Martins Franco, der von nun an den beiden Canela-Gruppen, den restlichen “Timbira de Arapatyua” und den Krenjê zur Verfügung stand – letztere bewohnen das IT Alto Turiaçu. Seither bekommen jene Gruppen plötzlich viel mehr Unterstützung von Seiten des Indianerschutz-Organs.
Quellenangaben
Einer der antiken Autoren ist Francisco de Paula Ribeiro, ein portugiesischer Militärangehöriger, dessen Texte im Magazin des “Instituto Histórico e Geográfico Brasileiro” publiziert wurden – er präsentiert die ausführlichsten und sichersten Informationen über die ehemalige Situation der Canela und anderer Timbira-Stämme und beschreibt die Invasion ihrer Ländereien durch den Vormarsch der Viehzüchter am Anfang des 19. Jahrhunderts.
Was die ethnologischen Studien betrifft, so ist die erste ausführliche Arbeit “The Eastern Timbira” von Curt Nimuendaju, der die Canela sechs Mal zwischen 1928 und 1936 besucht hat. William Crocker begann seine ethnologischen Untersuchungen bei den Canela-Ramkokamekrá im Jahr 1957 und ist immer wieder, bis zum heutigen Tag, in ihre Dörfer zurückgekehrt. Auf diese Weise hat er insgesamt mehr als 72 Monate Feldforschung betrieben. Als Helfer hatte er verschiedene Canela-Mitglieder, die für ihn schrieben oder Tagebücher aufnahmen. Crocker hat ausser seinem Erstlingswerk “The Canela (Eastern Timbira)” verschiedene Artikel über unterschiedliche Aspekte im Leben dieses Volkes veröffentlicht. Zusammen mit seiner Frau, Jean Crocker, gab er auch ein etwas leichteres Buch heraus unter dem Titel “The Canela: Bonding through Kinship, Ritual, and Sex” in der Absicht, damit das Interesse von Universitätsstudenten für ethnologische Themen zu wecken.
Der Autor sammelte weniger Material unter den Apanyekrá als unter den Ramkokamekrá. Er bekam keine Sammlung von spezifischen Artefakten der Apanyekrá zusammen, obgleich sich viele ihrer Gegenstände unter seinen Sammlungen befinden. Keine Tonaufnahmen der Apanyekrá-Musik konnte mit einer Ausrüstung besserer Qualität vorgenommen werden, wie es ihm andererseits bei den Ramkokamekrá gelang. Erstere lieferten ihm auch keine von Indianern geschriebenen Tagebücher.
Jack und Jô Popies vom “Linguistic Institute Wyeliffe Bible Translators” verbrachten 22 Jahre unter den Canela-Ramkokamekrá, wo sie das Neue Testament in die Sprache der Indianer übersetzten. Sie waren sehr beliebt unter der Bevölkerung und lehrten Dutzende von Jugendlichen schreiben und lesen in ihrer Muttersprache.
Das “National Museum of Natural History” des Smithsonian Institutution in Washington DC – an dem William Crocker (jetzt in Rente) angestellt war – besitzt eine ausführliche Sammlung von den Canela: viele Fotografien, Filme in 16mm und in Super-8mm von 1970 – niemals veröffentlicht. Im Jahr 1997 wurde ein Videofilm gedreht, der 1999 herauskam. Der Autor hinterliess der Institution auch Tagebücher, welche in Canela und in Portugiesisch geschrieben und gesprochen sind – Aufnahmen von Gesängen und Mythen in der Canela-Sprache.
In Brasilien gibt es Kollektionen von Canela-Kunsthandwerk und Gebrauchsgegenständen im Museum Goeldi (Belém), im “Museu Nacional” (Rio de Janeiro) und im “Museu Paulista” (São Paulo).
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung, Klaus D. Günther