Der “Caboclo” Amazoniens (indigen/weisser Mischling) besitzt zu seiner Verehrung und Bewunderung die üppige Schönheit des Regenwaldes. Also ist es nur natürlich, dass er seine Phantasie und Vorstellungskraft mit Bäumen und Pflanzen verbindet – ja, dass er ihnen sogar übernatürliche Fähigkeiten zutraut.
Und, dass die “Tajás“ in Amazonien als Lieblingspflanzen der lokalen Bevölkerung bezeichnet werden, hat nicht nur mit ihrem dekorativen Aussehen zu tun. Im botanischen Vokabular sind sie als “Kaladien“ oder “Buntwurz“ (Caladium bicolor) bekannt. Ausser ihrer Schönheit und ihren dekorativen Formen sind in den “Tajás“ Geheimnisse und Mysterien verborgen, die nur von der Seele eines Caboclo verstanden und bewundert werden.
Ihr Name “Tambatajá“ stammt aus der indigenen Tupi-Sprache – Tãbata’ya – sie ist eine Kletterpflanze der feuchten Regenwälder. Auf der Unterseite ihrer grossen, dunkelgrün glänzenden Blätter sitzt jeweils ein kleineres Blatt, dessen Zentrum rötlich schimmert.
Die “Tajás“ sind in Brasilien in unzähligen Gattungen vertreten:
Tajá preto; Tajá-panema; Tajá-embá; Tajabeda; Tajapeba; Tajá-pinima; Tajá-pintado; Tajá-vermelho; Tajá-puru; Tajápiranga; Tajá-de-sol; Tajá-membeca und andere.
Man schreibt diesen Pflanzen magische Kräfte zu: Wer zum Beispiel eine Wurzel der “Tajá-puru“ mit sich herumträgt, den wird das Glück und der Erfolg bei Jagd und Fischfang nie verlassen. Die “Tajá“ wird man stets als Zimmer- oder Gartenpflanze in und um die Häuser von Manaus und Belém entdecken – auch in den Behausungen des Interiors ist sie weit verbreitet, dank ihrer geheimen Kräfte, die ihnen die lokalen Meister schamanistischen Wissens nachsagen.
Und damit eine “Tajá“ die in ihr ruhenden Kräfte entwickeln kann, muss sie entsprechend präpariert werden – je nachdem, was man sich von ihr wünscht. Normalerweise sollte man sie jeden Freitag bei Voll- oder Neumond giessen. Jene, denen die Legende der “Tambatajá“ bekannt ist, wissen um ihre magischen Kräfte und warum sie von der Bevölkerung Amazoniens als Symbol der Liebe kultiviert wird. Hier ist die Legende:
“Uiná” war ein mutiger junger Krieger des Taulipang-Volkes, und “Acami” eine wohlgestaltete, liebliche Jungfrau der Macuxi – die beiden liebten sich über alle Massen, aber es war eine Liebe, die nicht leben durfte, denn die beiden Völker waren verfeindet. Eine Zeit lang trafen sie sich heimlich – aber nachdem diese verbotenen Tête-a-têtes bekannt geworden waren, wurden sie aus ihrem Volk ausgestossen.
Vorläufig nahmen sie ihr Schicksal nicht weiter schwer, sondern freuten sich, dass sie nunmehr für immer zusammen sein würden – bestiegen ein Kanu und begaben sich auf die andere Seite des Rio Tucutu, gegenüber dem Dorf der Taulipang – und dort bauten sie sich eine Hütte.
Und sie trennten sich fortan nie mehr: Wenn Uiná zum Fischen ging, ging Acami mit an seiner Seite – ging er auf die Jagd oder zum Feld, das er für sie angelegt hatte, dann war sie dabei. Aber das Glück der Beiden währte nicht lange. Acami wurde schwanger und ihr Kind war tot, als es auf die Welt kam. Sie selbst war so schwach nach dieser Geburt, dass sie kaum gehen konnte – und wenige Tage später vermochte sie ihre Beine nicht mehr zu bewegen. Da nahm Uiná ein paar Palmrippen zur Hand und flocht daraus eine Matte. Er band Acami auf ihr fest und trug sie auf seinem Rücken immer mit sich herum, wohin er auch ging.
Dann eines Tages begaben sie sich aufs Feld und kehrten nicht mehr zurück. Ein paar Taulipang, die Uinás Freunde geblieben waren, machten sich auf die Suche nach dem Paar – und fanden erst nach mehreren Tagen einen Bogen, Pfeile und die “Perequeté“ (Sandalen aus Palmstroh, welche die Indios im Wald benutzen) ihres Freundes – daneben die Halsketten und Armreifen von Acami.
Rund um diese persönlichen Utensilien der Beiden hatten sich Büsche mit brillantgrünen Blättern gruppiert, die allen Beteiligten unbekannt waren – niemals vorher hatten sie diese Pflanzen gesehen, die anscheinend aus den Überresten der beiden Liebenden gewachsen waren. Jeder Strauch hatte doppelte Blätter – jeweils ein grosses und ein kleines Blatt darunter. Sie nannten die Pflanze “Tãbata’ya“ – “die den Tod besiegt“. Das grosse, herzförmige Blatt war Uiná, der liebevoll Acami, das kleinere Blatt unter ihm, beschützte.
Mit der Verbreitung der Geschichte von Uiná und Acami wuchs auch das Interesse der Bevölkerung Amazoniens an der lieblichen Pflanze. Inzwischen ist sie ganz in der Folklore des Amazonas aufgegangen, als Symbol einer Liebe, die ewig währt und sogar den Tod besiegt, denn in dieser kleinen Pflanze, die niemals stirbt, sondern durch immer neue Triebe weiterlebt, sind auch Uiná und Acami unsterblich geworden. Die “Tambatajá“ repräsentiert keine Einzelfigur, sondern die Vereinigung von Mann und Frau als Einheit. Und mehr als die rebellische Liebe von Romeo und Julia, die der Tod getrennt hat, verkörpern die beiden Indios dieser Amazonas-Legende eine Liebe, die den Tod besiegt.
Unter der Bevölkerung Amazoniens hat sich der Glaube an die mystischen Kräfte dieser kuriosen Pflanze in gleichem Masse ausgebreitet, wie ihr Bedürfnis nach Liebe und Treue gewachsen ist. Zum Beispiel erzählt man sich, wenn die “Tambatajá“ in einem Haus besonders üppig gedeiht, mit schillernden Blättern und dem kleinen Blatt auf der Rückseite, dann ist dies ein Zeichen dafür, dass in diesem Haus die Liebe wohnt. Wenn aber unter den grossen Blättern keine kleinen existieren (was tatsächlich vorkommt), dann fehlt die Liebe in diesem Haus. Und falls die “Tambatajá“ unter dem grossen Blatt zwei kleine Blätter präsentiert (was bei dieser Pflanze ebenfalls vorkommen kann), dann ist dies ein Zeichen der Untreue zwischen den Eheleuten.