Was sind Höhlen?

Zuletzt bearbeitet: 20. Dezember 2012

Was sind eigentlich Höhlen? Antwort: alle natürlichen unterirdischen Hohlräume, die vom Menschen penetriert werden können. In Brasilien werden sie, ausser der offiziellen Bezeichnung „Cavernas“, auch mit volkstümlichen Namen, wie „Grutas, Tocas, Furnas, Lapas“ oder „Grunhas“ belegt. Höhlen bilden sich durch chemische oder/und mechanische Prozesse in den unterschiedlichsten Arten von Felsen – allerdings vorwiegend in carbon-haltigem Gestein.

Für viele Menschen gehört die Erforschung dieser überraschenden Welt unter der Erde zu einem der spannendsten Abenteuer überhaupt. Die Entdeckung riesiger Salons mit Stalaktiten und Stalagmiten, vielfarbigen, teils äusserst grazilen Gebilden aus mineralienhaltigem Wasser, wie von Zauberhand zu Stein geworden – Formen und Farben, von Milliarden kristallener Fayencen reflektiert und verspiegelt – wie sie die kühnste Phantasie nicht überraschender hätte gestalten können, und die Jahrtausende für diese Formgebung gebraucht haben – solche Entdeckungen versetzen uns in eine geradezu feierliche Stimmung. Der Vergleich vom „Elefant im Porzellanladen“ drängt sich einem auf, wenn man vorsichtig einen Fuss vor den anderen setzt und vermeidet, sich irgendwo anzulehnen, damit nichts von diesen ausserordentlich sensiblen Traumgebilden zerbricht.

Ähnlich aussergewöhnlich und sensibel ist auch die typische Höhlenfauna. Da ihr Lebensbereich sich exklusiv auf die Höhlenwelt begrenzt – mit wenig Licht und ohne Sonnenbestrahlung – hat sich ihre physische Konstellation dieser Umgebung perfekt angepasst, und sie haben Charakteristika entwickelt, die ihnen die Existenz in diesem speziellen Ambiente erleichtern.

Was wäre die Geschichte der Menschheit ohne Höhlen? Die Relation des Menschen mit den Höhlen ist so alt wie seine eigene Existenz.
Innerhalb der Höhlen, und durch sie, erfuhr die menschliche Evolution ihre ersten entscheidenden Impulse. Eingraviert in ihren steinernen Wänden hinterliess der Höhlenmensch seine ersten Beweise der Reife zum „Homo Sapiens“ – und seine modernen Nachfahren stehen staunend vor seinen in Bildsprache gefassten Nachrichten, von denen sie mit ihrer Technik lediglich das ungefähre Alter der Mitteilung, nicht aber ihren Inhalt entschlüsseln können – der scheint für immer verloren. Was Wunder also, dass man während einer Höhlenbesichtigung in diese feierliche Stimmung gerät! Hier steigt man hinab zu den  Wurzeln der Menschheit.

Es versteht sich von selbst, dass „jene feierliche Stimmung“ auch den Wunsch beseelt, diese Naturwunder zu erhalten und entsprechend zu schützen. Das ist auch die Absicht derer, die diesen Höhlenkomplex unter Naturschutz gestellt haben und nun erwarten, dass sich der Besucher nach dem Reglement richtet, welches sie für den Besuch der Höhlen erarbeitet haben, denn es gilt, vor allem, das sensible Ökosystem der Höhlen zu erhalten.

Die begehbaren Höhlen im Distrikt von „São Domingos“
Bis jetzt wurden erst fünf Höhlenkomplexe der Region topografisiert. Wie es aussieht, wird es hier noch über Jahre Forschungs- und Vermessungsarbeit geben, denn die Gesamtregion wird auf über einhundert Höhlensysteme geschätzt. Gemeinsam sind ihnen allen kilometerlange Galerien und eine Menge von unterirdischen Wasserläufen.

Die bis jetzt begehbaren Höhlen-Systeme – noch nicht einmal 10% des Potentials – von Süden nach Norden sind:

Höhlen-System „São Bernardo – Palmeiras“
Höhle „São Bernardo I – Palmeiras“ – 3.500 Meter
Höhle „São Bernardo II“ – 2.800 Meter
Höhle „São Bernardo III“ – 3.800 Meter

Höhlen-System „Terra Ronca – Malhada“
Höhle „Terra Ronca I“ – 750 Meter
Höhle „Terra Ronca II – Malhada“ – 7.500 Meter

Höhlen-System „São Mateus – Imbira“
Höhle „São Mateus-Imbira“ – 20.500 Meter
Höhle „Mateus III“ – 10.828 Meter
Höhle „Mateus II“ – 4.106 Meter

Höhlen-System „São Vicente“
Höhle „São Vicente I“ – 13.555 Meter
Höhle „São Vicente II“ – 4.703 Meter

Höhlen-System „Angélica – Bezerra“
Höhle „Angélica“ – 14.100 Meter
Höhle „Bezerra“ – 8.250 Meter

Übrigens ist nicht etwa eine Höhle wie die andere – ganz im Gegenteil: jede Höhle hat ihre besonderen Eigenheiten, ihre eigene charakteristische Ausstattung der Formen und der Farben – jede Höhle ist ein Biotop für sich, mit seiner eigenen Fauna. Der Spruch: „wenn man eine gesehen hat, kennt man alle“ wäre in diesem Fall ein unverzeihliches Vorurteil. Er sollte vielmehr lauten: „wenn man eine gesehen hat, möchte man die andern unbedingt kennen lernen“! Und es gibt nur sehr wenige Dinge im Leben, auf die man diese zweite Version anwenden kann, meinen Sie nicht auch?

Es geht aber nicht an, dass wir uns jetzt von einem Superlativ in den anderen steigern und dann plötzlich bemerken, dass für die nächste noch imponentere Höhle keiner mehr übrig geblieben ist.

Also sollen die folgenden Kurzbeschreibungen lediglich anregen, neugierig machen, auf einen Besuch der unvergleichlichen Höhlen von „Terra Ronca“ – befriedigen kann Ihre Neugier sowieso nur der persönliche Besuch.

Die Höhle von São Bernardo – Palmeiras
Sie gehört zu den kleinen unter den Höhlenriesen von „Terra Ronca“ – 3.500 Meter lang. Charakteristisch sind ihre geradezu gigantischen Tropfstein-Gebilde in unterschiedlichen Farbtönungen – einige sehen aus wie in Falten gelegte Tücher, andere wie riesige Eiszapfen, wieder andere, wie über Felsen gebreitete Teigmasse, vor dem Ausrollen. Die Höhle wird vom „Rio São Bernardo“ durchquert – der Fluss hat grosse Teile von ihr mitgeformt – nach dreieinhalb Kilometern, vereinigt er sich mit dem „Rio Palmeiras“, im Höhleninnern. Hier endet der unterirdische Korridor von „São Bernardo I“ mit einem Höhleneinbruch.

Wenn man nun vorsichtig im Fluss selbst weiterwatet, umgeben von einem Kalksteintunnel, erreicht man nach ein paar Hundert Metern den Einstieg zur Höhle von „São Bernardo II“, mit 2.800 Metern Ausdehnung. Noch einmal im Fluss weiter bis zur Höhle „São Bernardo III“ – sie hat 3.800 Meter Länge. Die Entfernung zur letzten Höhle könnte man zwar auch ausserhalb des Höhlenkomplexes zurücklegen, würde sich aber wesentlich zeitaufwendiger und schwieriger, wegen des diffizilen Terrains, gestalten. Eine interessante Begegnung unterwegs war ein spinnenähnliches Insekt, das unser Guide als „Amblipigio“ bezeichnete, (leider keine wissenschaftliche Bezeichnung gefunden) – ein typischer endemischer „Höhlenbewohner“.

Die Höhle von Terra Ronca
Wenn man den Eingangssalon zum Maßstab nimmt, ist er die an Volumen grösste Grotte: 100 m breit und 84 m hoch, durch die der „Rio Lapa“ fliesst – über eine unterirdische Länge von 6 km! Ihren Namen „Terra Ronca“ (donnernde oder schnarchende Erde) hat sie vom Geräusch, dass der Fluss in ihrem Innern erzeugt, aber auch vom Geräusch, das eine Kuh oder ein Pferd im Höhleninnern erzeugen, wenn sie oberhalb der Höhle über die Steinplatte laufen: man hört innen dann die Erde „schnarchen“. Die Felsplatte steigert die Vibrationen nach innen wesentlich.

Diese Höhle, übrigens die meist besuchte, birgt unzählige Mysterien. Zum Beispiel hat man beobachtet, dass wilde Tiere sich immer wieder in einen bestimmten Salon „verirrten“. Dann fand man heraus, dass es sich nicht um ein „Verirren“ der Tiere handelte, sondern um ein instinktives Aufsuchen des Flusses „Rio Lapa“, in einem bestimmten Höhlenteil, um sich von einer Verwundung oder Erkrankung zu erholen. Untersuchungen des Wassers, in diesem Abschnitt, bewiesen diese Theorie: das Wasser ist an dieser Stelle mit besonders vielen ausgeschwemmten Mineralien angereichert, darüber hinaus herrscht innerhalb dieses Salons ein ungewöhnlich starkes Magnetfeld.

Heute nennt man diesen Teil der Höhle „Hospital“. Die Höhle von „Terra Ronca“ hat sich vor Jahrtausenden durch eine Erdverschiebung in zwei Teile gespalten – die „Terra Ronca I“, mit 750 m Länge und die „Terra Ronca II – Malhada“, mit 7.500 m. Es handelt sich in diesem Fall um eine gigantische Kalksteinformation, die fantastische Stalaktiten und Stalagmiten präsentiert – einige Felsen überraschen mit Gebilden, die bestätigen, dass die Natur viel fantastischer ist als unser gesamter Menschenverstand. Und eine Palette von Farben, die vom zarten Lila bis zu Orangerot reicht und die immensen Salons wie Eispaläste erscheinen lässt.

Die Malhada-Höhle
Ist eine der dekorativsten des ganzen Komplexes. Ihr Eingang befindet sich auf der „Fazenda-Malhada“- die Höhle wird vom Fluss gleichen Namens in ihrer ganzen Länge durchquert, bis er auf die Höhle „Terra Ronca II“ stösst, wo er sich mit dem „Rio Lapa“ vereinigt. In Relation zu ihrem Durchmesser ist sie eher schmal, wodurch die Begehung in der Regenperiode ein zu grosses Risiko bedeutet, weil der Fluss urplötzlich anschwellen kann und dann den gesamten Korridor ausfüllt. Aus demselben Grund sind ihre Tropfstein-Formationen auch von einer Lehmschicht bedeckt, besonders in der Nähe des Flussbetts.

In den höher gelegenen Salons der „Malhada“ finden sich die eigentlichen „Naturschönheiten“: Kalkstein-Formationen der besonderen Art, von denen man sich kaum losreissen kann. Der so genannte „Skelett-Salon“ heisst so, weil man hier versteinerte Skelette von Fledermäusen an den Wänden gefunden hat.
Herrliche Calzit-Formationen und Riesenkristalle aus Aragonit – und filigrane, blumenartige Gebilde. Hier hängen die Stalaktiten wie ein Vorhang vor der gewellten Felswand – spiralenförmige, strohhalmdünne Glitzergebilde nehmen einem den Atem – nur nirgends anstossen!

Die Höhle von São Mateus
Ist unter den bisher erforschten Höhlen eine der längsten – 20.500 Meter!
Sie liegt ebenfalls im Distrikt von „São Domingos“ – der Zugang ist ein bisschen schwieriger und mit einer längeren Fusswanderung verbunden. Im Innern der Höhle fliesst der „Rio Mateus“, nachdem sie ihren Namen hat, der den Besucher über viele Kilometer begleitet. Obwohl wir hier eine sehr lange Höhle vor uns haben, ist die Begehung alles andere als langweilig – weil sich keine der Innenausstattungen je wiederholt – sondern Kilometer um Kilometer eine neue und überraschendere Kulisse produziert. Stalagmiten und Stalaktiten liefern hier eine regelrechte Show! Die ganze Fauna der Erde kann man, mit ein bisschen Fantasie in den dekorativen Gebilden entdecken. Ein Stalagmiten-Gebilde gleicht gar einem schneebedeckten Weihnachtsbaum.

Die Angélica-Höhle
Und wieder möchte man behaupten, die schönste aller Höhlen vor sich zu haben. Sie hat eine Länge von 14.100 Metern und liegt 22 Kilometer von „São Domingos“ entfernt. Man erreicht sie über eine Erdstrasse in gutem Zustand.

Der „Rio Angélica“ durchquert die Höhle nur wenige Meter und verschwindet dann in einem dunklen Abgrund. Die Höhle besitzt eine Reihe unvergleichlich schöner Salons – einen ganzen Wasserfall in ihrem Interior und viele, mit Vorsicht zu geniessende Abgründe. Gegen Ende des Hauptkorridors tut sich ein anderer seitlicher Korridor auf, der zur „Fazenda-Bezerra“ führt – nach einer Durchquerung von 8.250 Metern. Dieser Höhlenteil wird auch „Bezerra-Höhle“ genannt. Nur wenige Bewohner der Fazenda haben Kenntnis von der genauen Lage des Eingangs zur Höhle.

Es ist nicht leicht, wenn man kein Höhlenforscher ist, zu beschreiben, was man in dieser unterirdischen Welt alles zu sehen bekommt, vor allem fehlen uns Laien da die Fachausdrücke. Aber da wir andererseits ja nicht unbedingt nur Höhlenforscher für das Gebiet von „Terra Ronca“ interessieren möchten, wird man uns hoffentlich nachsehen, wenn wir uns weniger fachlich als vielmehr emotionell ausdrücken. Und Emotionen weckt diese Höhlenwelt voller ungeahnter Wunder ganz bestimmt – nicht nur in den Höhlenforschern!

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