Während der weltberühmte Karneval von Rio de Janeiro sich mit seinen gigantischen Themen-Wagen, seinen extravaganten Kostümen und seinen halbnackten Mädchen einem eher internationalen Geschmack angepasst hat, gilt der Karneval von Salvador als der dynamischere hinsichtlich der Beteiligung seiner Bürger. Er beginnt hier in der Donnerstagnacht und dauert bis zum darauf folgenden Mittwoch. In diesen Tagen kommen Hunderttausende aus allen Teilen Brasiliens in die Stadt – und jeder einzelne Bürger Salvadors ist auf der Strasse zu finden und bleibt auch dort, bis er umfällt. Man sieht den Karneval in Salvador weniger als Spektakel an, als vielmehr einen Event, an dem man teilnehmen möchte. In diesem Sinne setzt er die traditionelle Auffassung des Karnevals fort als einer Zeit, in der Regeln übertreten werden können und gesellschaftliche Barrieren ebenfalls.
Die beschriebenen Trios Elétricos, die auf Lastwagen spielen und sich mit ihnen, umgeben von einer ekstatisch wirbelnden Menge, langsam vorwärts bewegen, sind die Anheizer einer Welle der Ausgelassenheit, die jeden mitreisst. Ein Strassenkarneval, der auch von vielen Brasilianern der international veredelten Version von Rio de Janeiro längst vorgezogen wird.
Der Australier PIERS ARMSTRONG kam als Professor der Literatur nach Brasilien, wo er an der „Universidade Federal da Bahia“ einen Lehrstuhl besetzte. Mit seiner einfachen Kamera mischte er sich dann während des Karnevals unter die Baianos, denn die „ästhetischen und gesellschaftlichen Aspekte im regionalen Ausdruck der Volkskultur“ sind ein Thema, das ihn besonders interessiert. Seine Bilder sind weniger vom technischen Standpunkt als vielmehr vom Inhalt her ergreifend – sie erschliessen uns die Seele des bahianischen Karnevals, ihre monochromatische Darstellung gibt ihnen eine ganz besondere, eine fast historische Aussagekraft und seine oft philosophischen Bildbeschreibungen runden das besondere Erlebnis ab, welches uns diese ergreifenden Bilder vermitteln. Er berichtet:
„Die Fotos machte ich während des Karnevals von Salvador im Jahr 2000. Er stand unter dem Thema „500 Jahre“ – und damit waren die 500 Jahre seit der portugiesischen Entdeckung der brasilianischen Küste gemeint. Mein „Foto-Essay“ nimmt die gesellschaftlichen Aktivitäten ausserhalb der grossen Karnevals-Clubs aufs Korn – mich interessierten die kleineren und innovativen Gruppen, Individuen, welche die Gelegenheit wahrnahmen, sich auszudrücken, um von anderen gesehen zu werden: Kinder und Erwachsene in Kostümen, heterosexuelle Männer als Frauen verkleidet, kleine Trupps von Musikern und Künstlern, arme Leute, die Lücken an der Peripherie des Karnevals besetzen, um Sandwichs und Getränke zu verkaufen (und die von lokalen Autoritäten verjagt wurden), und die vielen Fremden, die hierher kommen, um hier zu lernen und sich zu engagieren im einzigartigen Ausdruck des gesellschaftlichen Ambientes von Salvador.
Meine Absicht ist, den Karneval so zu zeigen, wie er gelebt und erlebt wird von Einheimischen wie von Besuchern – und nicht so, wie er im Fernsehen und in den touristischen Prospekten dargestellt wird. Mein Titel „FROM THE INSIDE LOOKING OUT“ bezieht sich auf den ausgedehnten Mix von lokal und global in der Kultur des Karnevals. Aber er enthält auch die Abkehr von dem offiziellen, dem kommerzialisierten Spektakel und sucht nach einer mehr subjektiven, einer traditionellen Psychologie des Karnevals. Mich interessiert auch eher das Individuum als die Gruppe, und dessen externe Projektion des inneren Selbst mittels eines Kostüms, oder auch durch eine subtile Art des Ausdrucks. Karneval ist eine Zeit für Spass, aber auch eine Zeit, in der wir preisgeben, wer oder was wir gerne sein würden – und wir enthüllen in unserer persönlichen Fantasie auch unser Schönheitsempfinden – in uns selbst und in anderen“.
(Piers Armstrong)