Als die Portugiesen das Amazonasgebiet besetzten, trafen sie auch auf unzählige Indianervölker, von denen die meisten schon seit vielen Generationen in diesem Gebiet lebten Andere waren auf ihrer Flucht vor den portugiesischen Sklavenjägern, den „Bandeirantes“, aus dem zentralen Süden, erst später dazugestossen. Aggression und Missachtung der indianischen Menschenrechte begannen in Brasilien mit der Kolonisation und sind bis zum heutigen Tag nicht völlig beigelegt. Der Indianer, so völlig anders von Gestalt, Sprache und in seinen Lebensgewohnheiten, erweckte in den technisch überlegenen portugiesischen Militärs keinerlei Grund zur Bewunderung, nicht einmal des menschlichen Respekts vor seiner jahrhundertealten Kultur. Für die portugiesischen Söldner zählte nur ihre eigene militärische Überlegenheit, also trieben sie die Indianer in Gruppen zusammen, wo sie auf sie trafen, und transportierten sie, in Ketten, nach Belém und von da weiter in die Zuckerrohr-, Kakao- und Kaffee-Plantagen der Fazendeiros an der Küste.
Auch viel später, nachdem die Brasilianer unter Dom Pedro ihre Unabhängigkeit von der portugiesischen Krone erstritten hatten (1822), änderte sich nicht viel an der Behandlung der Ureinwohner Brasiliens. Zwar wurden sie nicht mehr als Sklaven verschleppt, aber immer noch als Wilde, als unmündige Individuen behandelt, um deren ureigene Lebensräume und Menschenrechte sich niemand Gedanken machte. Da kam ihnen von der Seite, von der sie am wenigsten Verständnis erwarteten, plötzlich jemand zu Hilfe:
MARECHAL CÂNDIDO MARIANO DA SILVA RONDON wurde in Mimoso/Mato Grosso am 5. Mai 1865 geboren. Er verlor beide Eltern im Alter von 2 Jahren und lebte bei seinen Grosseltern bis zum 7. Lebensjahr. Er zog dann um nach Cuiabá, um unter Aufsicht eines Onkels das Liceum zu besuchen, das er mit 16 Jahren, und dem Titel eines „Lehrers für das Grundschulstudium“, abschloss. Ihm schwebte eine militärische Laufbahn vor, also trat er ins 3. Artillerieregiment zu Pferd, ein und, als er nach Rio de Janeiro versetzt wurde (1883), trat er in die dortige „Escola Militar“ (Militärakademie) ein.
1890 erhielt er von der „Escola Superior de Guerra do Brasil“ das Diplom eines „Doktors in Mathematik, Physik und Naturwissenschaften“ und wurde zum „Professor der Astronomie und Mechanik der Militärakademie“ ernannt, ein Posten, den er 1892 bereits wieder aufgab. Im selben Jahr heiratete er Dona Francisca Xavier, eine einfache Bürgerin aus Cuiabá (mit der er 7 Kinder hatte), und wurde, ebenfalls noch 1892, zum Chef des „Telegrafischen Distrikts Mato Grosso“ berufen – und zu seiner ersten Aufgabe, die sein ganzes bisheriges Leben verändern sollte – und auch das seiner Landsleute: die telefonische Verbindung von Mato Grosso und Goiás.
Der neuen republikanischen Regierung Brasiliens machte inzwischen auch die Isolation ihrer okzidentalen Staaten, besonders denen an der Grenze zu Paraguay und Bolivien grosse Sorgen, deshalb entschied sie sich, Telefonverbindungen zwischen diesen Bundesstaaten und dem Zentralen Westen zu konstruieren. Diese gewaltige Aufgabe wurde dem jungen Offizier Rondon übertragen, der seinem Land mit Liebe, Ehrlichkeit und einen ihm eigenen Gerechtigkeitssinn diente. Und er entwickelte sich zum erfahrensten „Sertanista“ (Waldläufer) seiner Epoche. Rondon und seine Truppe legten Wege an, setzten Hunderte von Telegrafenmasten, spannten ebenso viele Kilometer Drähte, registrierten die Topografie der erschlossenen Gebiete, entdeckten unbekannte Flüsse, studierten Flora und Fauna und – vor allem – stabilisierten sie erstmals respektvolle Relationen mit jenen, die bisher als Wilde, als Mörder, ja sogar als Kannibalen unter ihren Landsleuten verschrien waren – mit den Indianern.
Rondons humanistischer Weitsicht ist es zu danken, dass auch alle folgenden Expeditionen zur Erforschung bestimmter Gebiete oder zur technischen Infrastrukturierung stets in friedlichem Neben- und manchmal sogar Miteinander verliefen. Die Indianer staunten genauso wie die Weissen, dass friedliche Begegnungen, wenn auch noch sehr flüchtig und auf beiden Seiten reserviert, überhaupt möglich waren. Unter den vielen indianischen Stämmen, denen Rondon begegnete, hat er besonders gute Kontakte hergestellt zu den: Boróro, Nhambiquara, Urupá, Jaru, Karipuna, Ariqueme, Boca Negra, Pacaás Novo, Macuporé, Guaraya, Macurapé und anderen. Unter ihnen hat er eigentlich sein grösstes menschliches Werk getan.
Noch einige interessante Daten aus seinem Wirken:
1892 – 1898
Erstellung der Telefonlinie von Mato Grosso nach Goiás, von Cuiabá zum Araguaia und ausserdem einer Strasse zwischen Cuiabá und Goiás.
1900 – 1906
Erstellung der Telefonlinie von zwischen Cuiabá und Corumbá, um die Grenzen zu Bolivien und Paraguay zu erreichen.
1906
Entdeckt er die Ruinen des „Forts Real Principe da Beira“, der interessantesten Reliquie aus der Kolonialepoche im heutigen Rondônia (damals noch Mato Grosso).
1907
Wird Rondon zum Major des „Militärischen Ingenieurskorps“ ernannt und mit seiner bisher schwierigsten Aufgabe betraut: einer Telefonlinie zwischen Cuiabá und „Santo Antônio do Madeira“ – der ersten telegrafischen Verbindung mit Amazonien. Seine Mitarbeitertruppe ging als „Kommission Rondon“ in die Geschichte ein.
Die Forschungen der „Kommission Rondon“, die auf dem Gebiet der Geografie, Biologie (Fauna und Flora) und der Anthropologie viele neue Ergebnisse brachten, stammen hauptsächlich aus folgenden Expeditionen:
1. Expedition
Zwischen September und November 1907. Erforscht wurden 1.781 km, zwischen Cuiabá und dem „Rio Juruena“.
2. Expedition
1908, mit der bisher grössten Teilnehmerzahl von 127 Personen. Zwischen „Rio Juruena“ und der „Serra do Norte“ wurden 1.653 km erforscht und die Expedition an einem bisher unbekannten Fluss abgebrochen, den Rondon nach dem Tag des Abbruchs „Rio 12 de Outubro“ (Fluss vom 12. Oktober) nannte.
3. Expedition
von Mai bis Dezember 1909 – mit 42 Männern. Wieder anknüpfend von der „Serra do Norte“ bis zum „Rio Madeira“, den die Männer am 25. Dezember erreichten, nachdem sie das gesamte heutige Territorium von Rondônia durchquert hatten.
Das Jahr 1910 wurde für seine indianischen Freunde ein Gedenkjahr: Rondon, bereits „Colonel“, gründet und leitet den „Serviço de Proteção aos Índios“ (SPI), eine Indianerschutz-Organisation, deren Aufgabe es wird, die Persönlichkeit und die Rechte des Indianers zu achten und zu respektieren und damit dies auch tatsächlich eingehalten wird, werden SPI-Posten im jeweiligen Indianer-Wohngebiet eingerichtet.
Im Mai 1913 bis Mai 1914 nimmt Rondon an der „Expedition Roosevelt-Rondon“ teil, zusammen mit dem Expräsidenten der Vereinigten Staaten Theodore Roosevelt. Ergebnis sind neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Amazonasregion.
Im Jahr 1914 konstruiert die „Kommission Rondon“ innerhalb von 8 Monaten – im Gebiet des heutigen Rondônia – 372 km Telefonleitung und 5 telegrafische Stationen: „Pimenta Bueno, Presidente Hermes, Presidente Pena, Jaru und Ariquemes (letztere noch 200 km von Porto Velho).
Am 1. Januar 1915 weiht er die Station „Santo Antânio do Madeira“ ein und hat damit die gigantische Aufgabe erfüllt, die ihm 7 Jahre zuvor übertragen wurde.
Als „Brigade-General“ und oberster Ingenieur des Heeres (1919) – als Gefangener der Aufständischen in Rio Grande do Sul, die „Washington Luis“ absetzten und „Getulio Vargas“ an die Spitze der Regierung manipulierten (1930), als Diplomat bei einem Konflikt zwischen Peru und Kolumbien. 1936, Rondon machte brasilianische Geschichte. Am 5. Mai 1955, seinem neunzigsten Geburtstag, erhielt er den Ehrentitel eines „Marschalls des Brasilianischen Heeres“, vergeben vom Nationalkongress.
Und am 17. Februar 1956 erhielt das bis dato „Território Federal de Guaporé“ den Namen „Território Federal de Rondônia“, zu Ehren des alten Marschalls, der dazu im Jahr 1957 vom New Yorker „Explorers Club“ für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde.
Rondon starb am 19. Januar 1958, im Alter von 92 Jahren, in Rio de Janeiro.
Soweit ein paar Daten und Details aus dem Leben eines Brasilianers, der viel für die Entwicklung seines Landes und besonders auch für seine Menschen getan hat. Tausende von technischen, humanitären und kulturellen Institutionen in Brasilien tragen heute voller Stolz seinen Namen. Allen voran die „Rondonenses“, die Bürger aus dem Bundesstaat Rondônia.
Aus der Geschichte Rondônias selbst sind nur einige wenige Details erwähnenswert, die sich von den Geschehnissen im übrigen Amazonien (bereits bei den Bundesstaaten Amazonas, Acre oder Roraima erwähnt) abheben:
Zum Beispiel der Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Porto Velho und Guajará-Mirim, genannt „Madeira-Mamoré-Bahn“ (1907–1912), mitten im Regenwald. Zu diesem Projekt entschloss sich die brasilianische Regierung nach der Unterzeichnung des „Traktats von Petrópolis“ – am 17. November 1903 – in dem sie sich gegenüber Bolivien verpflichtete, eine Eisenbahnstrecke zu konstruieren, welche die bolivianische Grenze des „Rio Mamoré“ (heute am Grenzort „Guajará-Mirim“) mit dem von Schiffen befahrbaren Oberlauf des Rio Madeira (heute „Porto Velho“) verbinden würde, um so eine Transportmöglichkeit ihrer Ausfuhrgüter nach Europa und Nordamerika zu schaffen. Ohne eigenen Ozean, war der Transportweg über den Rio Mamoré, Rio Madeira, Amazonas und den Atlantik damals für Bolivien die beste Lösung. Einziges Hindernis: 23 unbefahrbare Stromschnellen – zwischen der bolivianischen Grenze und dem heutigen Porto Velho – einzige Lösung: 366 km Schienenweg an den Ufern der beiden Flüsse entlang – mitten durch den Urwald.
Im Gegenzug übergab die bolivianische Regierung an Brasilien jene immer wieder umkämpften Ländereien im extremen Westen, die heute den Bundesstaat Acre bilden (siehe auch unter „Acre“).
Aus aller Welt strömten die Arbeiter herbei – unter ihnen Engländer, Nordamerikaner, Caribenios und Asiaten, denn die Brasilianer, so hörte man, würden gut bezahlen. Und dann bauten sie zuerst einmal einen komfortablen Bahnhof oberhalb des Flusshafens, am rechten Ufer des Rio Madeira. Und mit der Entwicklung der Bauarbeiten, deren unzählige Beteiligte Verpflegung und Unterbringung benötigten, wanderten immer mehr Bewohner des kleinen Fleckens „Santo Antônio do Madeira“, 7 km unterhalb, zur Bahnhofsbaustelle ab. Der kleine Ort löste sich im Lauf der Jahre ganz auf und um den neuen Zentralbahnhof herum entstand „Porto Velho“.
Die Installationen des Eisenbahnprojekts wuchsen, der Lohn pro Kopf war hoch, wie erwartet, der Handel blühte und der Strom der einwandernden Ausländer nahm zu. Und die kleine aufblühende Stadt fing an, in den Spalten der Weltpresse zu erscheinen: ein kleines Städtchen in sprunghafter Entwicklung – eine Eisenbahnlinie, die wertvollen Kautschuk transportiert, in einem latenten Eldorado – und das alles mitten im Urwald!
Allerdings sah die Realität inzwischen unter den Streckenarbeitern, die die Schienentrasse im Regenwald vorantrieben, anders aus: Krankheiten und Infektionen durch Insektenstiche machten viele der harten Männer arbeitsunfähig, besonders durch die Malaria starben viele von ihnen. Alarmierende Berichte behaupteten, dass für jede Holzschwelle der 366 km langen Schienenstrecke ein Arbeiter sein Leben lassen musste! Es gibt Aufzeichnungen über insgesamt rund 22.000 solcher „Gleisleger“, die an dem Projekt mitgearbeitet haben. Wir haben aber keine Aufzeichnungen über die gefunden, die nach diesen 6 Jahren im Urwald übrig geblieben sind.