Alles war äusserst seltsam auf der „Fazenda Moita Bonita“. Schon ihr Name „Hübsches Gebüsch“ passte überhaupt nicht zu diesen paar Hektar unansehnlicher Erde, vollkommen ausgetrocknet und einer Wüste ähnlicher als einem von Menschen bewohnten Grundbesitz. Und das mit dem „Gebüsch“ war sicher einem Witz entsprungen.
In der ganzen Umgegend gab es nichts Grünes, nicht einmal die sonst überall wuchernde Hecke der „Aveloz“, mit der die Bauern des Nordostens in der Regel ihr Eigentum einzäunen, oder was sonst noch wert ist eingezäunt zu werden. Die stachlige Pflanze sondert eine Milch ab, die auf der Haut wie Feuer brennt – nicht einmal die Schlangen mögen unter ihr durchkriechen, und das Vieh meidet sogar ihren Schatten, denn der Preis dafür ist äusserst schmerzhaft.
Nun, ich habe das Warum des seltsamen Namens nicht in Erfahrung gebracht, aber die Besitzer des Fleckens waren ganz normale Leute – insofern man es als normal bezeichnen kann, wenn ein Mann und eine Frau in solch schweren Zeiten, und auf einem solchen Stück Einöde, acht Kinder in die Welt setzen und darüber hinaus noch die Kinder einer Schwester aufnehmen, die sich nach dem Tod ihres Mannes irgendwo in die grosse weite Welt geflüchtet hatte. Zusammen mit den Eltern waren es siebzehn Personen, die in einem schiefen Häuschen mit zwei Räumen, einer Küche und einer Veranda wohnten. Schon seit Jahren drohten die windschiefen Wände über ihnen zusammenzubrechen, rissig, uralt und überaus traurig anzusehen.
Eine Toilette gab es nicht. Man brauchte sie auch nicht, denn die zwei oder drei Schweine, die frei herumliefen, lösten jedwedes Problem, welches sich vielleicht durch die unter freiem Himmel hinterlassenen menschlichen Exkremente hätte ergeben können. Tatsache ist, dass die Schweine bereits auf der Lauer lagen, um sich sofort auf jedwedes neue Häufchen zu stürzen, denn nicht nur die Menschen litten in dieser Einöde unter chronischem Hunger. Die „Fazenda Moita Bonita“ lag im tiefsten bahianischen Sertão, nahe an der Grenze zu „weiss Gott wo“. So weit weg von jeglicher Zivilisation, dass nicht einmal die Post gewusst hätte, wo zum Teufel sie diese Familie des „Inácio da Silva“ hätte finden sollen – wenn es je jemandem eingefallen wäre, ihm einen Brief zu schicken. Wie man bei uns im Nordosten zu sagen pflegt: „Die Fazenda Moita Bonita lag eine Menge Kilometer hinter nirgendwo“!
In eine solche Einöde konnte es „Komm–Komm“ eigentlich nur auf die Art und Weise verschlagen haben, wie es sich nun einmal zugetragen hat: er fiel von einem Lastwagen, mit dem sich die letzten Nachbarn dieser Wüstenei in eine fruchtbarere Gegend zurückzogen – als er ein paar Lausbuben der „Moita Bonita“ gaffend am Pistenrand gewahrte, bildete er sich ein, sich ihnen bellend und knurrend als Wächter über den Stapel alter Möbel präsentieren zu müssen – als das rechte Vorderrad plötzlich in einem Loch versank, die Ladefläche mit einem ächzenden Knirschen nachgab und er von seinem Ausguck auf einer abgewetzten Tischplatte in den Staub der prekären Piste geschleudert wurde. Aber der Lastwagen hielt nicht an, und „Komm–Komm“, nachdem er sich von seinem Schrecken erholt hatte, versuchte hinterher zu rennen, aber die Knochen taten ihm weh von dem Sturz und schon nach ein paar Sprüngen sank er jaulend vor Schmerz in den Staub – ein erbarmungswürdiger Anblick. Für die Lausbuben der „Moita Bonita“ war es ein glücklicher Tag, denn bisher hatten sie höchstens mal den einen oder anderen Gecko zum Spielen gehabt – jene bleichen kleinen Eidechsen, die an den Wänden im Haus nach Insekten jagten und ab und zu, ob aus Ungeschicklichkeit oder aus Übereifer bei ihrer Jagd, auch mal herunter fielen. Jedoch überlebten sie dann nicht mehr lange, weil Naninha, die Hauskatze, sie aufzufressen pflegte.
Mit Naninha zu spielen war unmöglich. Sie liebte die Ruhe und fuhr jeden mit vorgestreckten Krallen an, der es wagte, sie zu stören. Und weil es auch weit und breit keinen Kater gab, war Naninha dazu verurteilt, unbesiegt zu sterben. Nun, sie war auch schon sehr alt, die Arme, schrecklich mager und immer hungrig, so wie die Menschen. Nicht einmal die Vögel schienen den Weg zu diesem traurigen, weltvergessenen Ort zu finden – und Ratten, wenn es sie je dort gegeben haben sollte, dann waren auch sie schon vor langer Zeit weggezogen. Arme Naninha, es blieben ihr nur die Abfälle von einem Tisch, der höchstens einmal am Tag die zahlreichen Mitglieder der Familie um einen Topf mit gekochter Maniokwurzel oder einer Suppe aus dem Mehl derselben vereinte. Zur Überraschung aller, hatte sich Naninha der Misere angepasst und sich auf das trockene Maniokmehl spezialisiert – man brauchte es nicht einmal anzufeuchten. Bei uns im Nordosten gibt es einen Spruch der besagt, dass „der Hunger die Katze lehrt, Zuckerrohr zu lutschen“ – aber weil ja nicht einmal Zuckerrohr in dieser gottverdammten Einöde wuchs, konnte Naninha ihre diesbezüglichen Fähigkeiten auch nicht unter Beweis stellen.
Hinter dem Haus gab es einen einzigen Baum. Ein schöner, grandioser und sehr fruchtbarer Mangobaum. Er war eigentlich der Retter der Familie, denn mit seiner breiten Krone stellte er sich den nachmittäglichen Sonnenstrahlen in den Weg, und das Häuschen lag dann in seinem tiefen Schatten, während der Rest der Welt rundherum verbrannte. An jedem einzelnen Tag des Jahres bewies sich ihr dicht belaubter Freund als Schattenspender und Windfang, und an jedem Jahresende sogar als Linderer ihres ewigen Hungers. Denn wenn die Zeit der Mangoernte kam, pflegten alle ein bisschen an Gewicht zuzulegen – dann wurden sogar die Schweine eingesperrt, um sich nicht mit ihnen wegen der heruntergefallenen Früchte herumschlagen zu müssen. Gesegneter Mangobaum, deine Freundschaft ist unbezahlbar! Er bediente sie alle ohne jede Gegenleistung, begnügte sich mit dem bisschen Spülwasser, dass sie für ihn opfern konnten. Er passte sich auch der Seife in seinem Trinkwasser an – war ja auch nicht besonders viel, denn sie mussten eben mit allem furchtbar sparen. Der Mangobaum war gewissermassen ihr stummes Kindermädchen, war Lehrer und Spielplatz zugleich, in dessen dicht belaubten Ästen die Knaben herumtollten, klettern und springen lernten, während die Mädchen nur unten in seinem Schatten sitzen durften, denn, so sagt ein alter Volksglaube bei uns im Nordosten: „Mädchen dürfen einen Obstbaum niemals erklettern, das schadet seiner Ernte, denn wenn der Baum ihre Höschen sieht, bringt er keine Früchte mehr hervor“.
Als „Komm–Komm“ nach Moita Bonita kam, war gerade Mango–Zeit, und die Kinder rannten verklebt und mit verpappten, aufgestellten Haaren herum, in denen der Fruchtsaft eingetrocknet war, die Bäuche dick und rund. Es war die Zeit des Überflusses. Den Knaben war es während dieser Zeit verboten, auf den Mangobaum zu klettern – vielmehr mussten sich alle mit den Früchten begnügen, die der beste Freund der Familie ihnen täglich zukommen liess, indem er sie auf den Boden warf – nicht mehr und nicht weniger. Aber der Mangobaum bescherte ihnen viel mehr als genug – fast schien es ihnen, als ob er ihre Bedürftigkeit genau kannte.
Zur Nacht, als sie alle in ihren Hängematten lagen, lauschten sie dem Pokke–dung – pokke, pokke–dung, dung – das war ihre Mahlzeit des nächsten Tages, die da von den Ästen fiel – direkt auf den Boden oder dazwischen auch auf das Blechdach des Wasserkastens. Die Kinder machten sich ein Spiel daraus, das nächste „Pokke“ oder „Dung“ vorauszusagen. Alle schliefen sie bestens in dieser Zeit des flotten, gelben Stuhlgangs, und ihr voller Bauch gab ihnen die Lebensfreude zurück – das Häuschen hallte wider von ihrem Gelächter – es war die Zeit des Überflusses, die Schweine waren eingesperrt, und von den Mangofrüchten bekamen die nur die Schalen.
Gleich nach dem Aufwachen hiess es die Mangos einzusammeln, der „Mainha“ (Mütterlein) zu bringen, die sie dann eine nach der anderen abwusch, auf dem grossen Küchentisch stapelte und sie mit einem sehr alten, vielfach geflickten Tuch bedeckte. Ihr Verzehr folgte dann einem traditionellen Ritual: Zuerst mussten die durch den Fall aufgeplatzten Früchte gegessen werden – damit sie nicht vorzeitig fermentierten oder gar faulten – und nur der bekam eine Frucht, der auch die Schalen in den Eimer für die Schweine warf und der „Mainha“ den Kern zur Kotrolle zurück gab. Sicher, man hatte zwar Früchte im Überfluss während der Mango–Zeit, aber da die Familie riesengross war, konnte man sich keine noch so kleine Verschwendung leisten. Der Kern musste weiss zurück bleiben, was weiter nicht schwer war, denn man brauchte ihn nur solange zu lutschen, bis die Süsse der Frucht aufgebraucht war.
Als die Jungen „Komm–Komm“ ihrer Mutter vorstellten, hatte diese gleich Mitleid mit der armen Kreatur, träufelte Arnikatinktur auf die schmerzenden Stellen und befahl den Kindern, dass sie ihn in einer Ecke der Küche ausruhen lassen sollten, bis er sich von selbst wieder auf seine vier Beine erheben würde. Als der Vater ihn dann nach seiner Rückkehr entdeckte, wollte er wissen, was der Hund wohl in diesem Hause zu fressen bekommen könnte – Mangos oder Maniokmehl? Und dann schnippte er mit den Fingern in Richtung der armen Kreatur und rief lockend: „Komm–komm – – komm–komm“! Und alle lachten als der Hund sich anstrengte, um „Painhos“ (Väterchen) Aufforderung nachzukommen, aber nur ein klägliches Winseln herausbrachte. Und Creuzinha, die Jüngste, füllte gleich einen Löffel voll Mangosaft und flösste ihn dem Hund ein. Und sie nannten ihn fortan „Komm–Komm“.
Nun, nachdem er sich an den Mango–Geschmack gewöhnt hatte, schleckte er sogar von selbst den Saft auf, den man auf seinen Teller goss. Und das eine oder andere Stück welches herunterfiel, verschluckte er ebenfalls in seiner tierischen Freude, es allen recht zu machen. Und so ernährte der alte Mangobaum jetzt noch einen mehr. Es gingen zwei oder drei Tage ins Land, bis Komm–Komm wieder auf den Beinen stand und sich für die Umgebung interessierte – und es dauerte noch weitere zwei Tage, bis er gelernt hatte, eine Mangofrucht ohne die Hilfe der andern auszulutschen. Denn an diesem besonderen Ort, dem Sertão, sieht man noch heute Hunde, die Mangos auslutschen, und das ist dort die natürlichste Sache der Welt.
Der Tag an dem „Komm–Komm“ auf der „Moita Bonita“ erschien, war ein denkwürdiger Tag – eigentlich eine denkwürdige Nacht – weil ein lang ersehnter Regenguss die von der monatelangen Trockenheit aufgeplatzte Erde erquickte – ein unglaubliches Ereignis, denn der Tag des Heiligen Joseph war längst vorbei, und niemand glaubte, dass jetzt noch Regen kommen könnte. Tatsache ist, dass es an diesem Tag plötzlich „wunderschön nach Regen aussah“, wie man bei uns im Nordosten zu sagen pflegt, wenn man einen dunklen Himmel erblickt, unter dem sich die wassergefüllten Wolken zusammenschieben. Und dann kam dieser Guss in der Nacht – wie aus einer Riesenbadewanne. Pai (Vater)Inàcio hatte schon Tage vorher die Bohnen in den Staub gesteckt, in der ewigen Hoffnung, dass der Himmel vielleicht ein bisschen Regen schicken möge, der dann das Feld schon fertig bestellt vorfände. Alle sprangen sie aus ihren Hängematten in dieser Nacht, um den Regen zu feiern – man sah nicht die Hand vor Augen aber freute sich halbtot über das Gottesgeschenk. Jetzt würden die Bohnen mit Sicherheit keimen, und weil es eine sehr schnellwüchsige Art war, würde ein weiterer kleiner Guss, den der Himmel während der Blüte schicken mochte, schon genügen, um sie alle zu retten – dann hätten sie Bohnen das ganze Jahr über und sogar ein paar zum Verkaufen.
Und da er, wie die meisten „Sertanejos“ (Siedler aus dem Sertão), umgeben vom Aberglauben aufgewachsen war, behauptete Vater Inácio fortan, dass „Komm–Komm“ nur vom Lastwagen gesprungen war, um das Glück in ihr Haus zu tragen – und dass die Nachbarn damals umgezogen seien, weil sie nicht die nötige Geduld und den Glauben aufgebracht hätten. Es schien als ob sie noch nie davon gehört hätten, dass wenn Gott sich verspätet, er schon auf dem Weg ist! Man muss nur die Geduld aufbringen zu warten, um die Dinge, deren man sich würdig erwiesen hat, von ihm zu erhalten – er schickt sie bestimmt! Ob nun Vater Inácio sich würdig erwiesen hatte oder nicht, wer kann das wissen? Tatsache ist, dass die Bohnen keimten und der zweite Regen ebenfalls kam – und es wurde die beste Ernte, die dieses miserable Stückchen Erde je erlebt hatte. Die Lagune in de Nähe war seit langer Zeit wieder einmal voll – sogar der Bach fing wieder an zu fliessen. Der Mais wurde ein einziges Fest, und so konnten sie sich sogar ein paar Hühner für den Hof anschaffen.
„Komm–Komm“ lernte das von Mainha für den sonntäglichen Mittagstisch ausgewählte Huhn zu fangen und festzuhalten, ohne es zu verletzen. Ein guter Schüler war er – man brauchte nur auf das Huhn zu deuten und ihm zuzurufen „Pegue“ – der Vogel hatte tatsächlich keine Chance: „Komm–Komm“ packte zu und hielt ihn fest, bis Mainha ihn an den Füssen packte und dem Hund befahl loszulassen.
Die Maniok–Pflanzung gedieh prächtig. Das gespeicherte Maniok–Mehl und die „Tapioca“ (Maniok–Stärke) würden für länger als ein Jahr reichen. Es machte Spass, die riesigen Wurzeln auszugraben, die so zart waren, dass man sie nur kurz kochen musste, schon waren sie weich. Jetzt gab es wieder ein Frühstück mit Brot und Kaffee am Morgen, und dazwischen mal einen „Cuscuz“ aus Mais oder einen „Tapioca–Pfannkuchen“. Mittags hatte man neuerdings Anrecht auf ein Ei oder gar Hühnerfleisch – und es gab sogar Tage, da brachte Vater Inácio einen Hammel mit nach Hause – war das ein Fest! Und dann schenkte er „Komm–Komm“ plötzlich eine Gefährtin, „für das Glück, das er uns gebracht hat“.
Vater Inácio sprach ihr Glück allein dem Hund zu. Und der räkelte sich unter dem Tisch, frass ein bisschen aus der Hand eines jeden und wurde gefeiert wie ein König. Aber es ist wirklich sehr interessant, wie dieser traurige Ort, in den es ihn damals verschlagen, sich während seines kurzen Lebens so positiv entwickelt hat. Und heute tut er seinem Namen Ehre an, denn Gebüsch und Grün, ja sogar ein kleines gepflanztes Wäldchen, schmücken die ehemals karge Wüstenei – unsere Familie konnte ihren Besitz vergrössern, indem sie die Grundstücke der ungeduldigen Nachbarn von damals dazu gekauft hat, von dem Geld der vielen guten Ernten. Heute ist „Moita Bonita“ eine richtige Fazenda (Landgut). Auf den Weiden grasen ein paar fette Milchkühe, zahlreiche Obstbäume mit Cajus, Mangabas, Pinhas und anderen Früchten sind der Stolz der Familie.
Auch Vater Inácios Familie ist weiter angewachsen. Ein paar sind ihrer Wege gegangen, hinaus in die Welt, die anderen bearbeiten die Erde unter seiner Anleitung. Keiner von ihnen hat den Eltern Schande gebracht – arbeitsfreudig, ehrlich, gute Menschen. „Komm–Komms“ Familie hingegen hat man verkleinert: auf nur noch zwei Welpen, die ihrem Vater aus dem Gesicht geschnitten sind – „wie ausgespuckt“, so sagt man bei uns. So ähnlich sind sie sich, dass Vater Inácio es nicht riskieren wollte, den einen oder anderen zu verlieren, denn „wer weiss, ob nicht gerade der abgegebene der Glückshund ist“? Und so werden die beiden letztgeborenen Söhne von „Komm–Komm“ wohl die Bewachung des kleinen Glücks der „Fazenda Moita Bonita“ übernehmen müssen – wenigstens hat ihnen Vater Inácio diese würdige Aufgabe zugedacht. Aber sie werden auch eine Gefährtin brauchen, damit sie mit ihr einen Nachfolger in die Welt setzen, der dann darüber wacht, dass das kleine Glück der „Moita Bonita“ sich nicht davonstiehlt. Aus Gründen der Sicherheit hat Vater Inácio die beiden Söhne von „Komm–Komm“ nach ihrem Vater benannt, der inzwischen an Haarausfall leidet und bald sterben wird – beide heissen „Komm–Komm Junior“.
„Sobald der alte Komm–Komm gestorben ist, werden die beiden Söhne hier regieren – und beide heissen Komm–Komm Junior – wird das keine Verwirrung stiften“? „Nun ja, „meint Vater Inácio und kratzt sich etwas verlegen am Kopf, „mit dem Glück sollte man nicht herumspielen, und wenn man sich absichert, wird man auch alt“. Und der alte „Komm–Komm“ starb in Ehren in seinem dreizehnten Lebensjahr, ohne je den Stich einer Impfnadel ertragen zu haben, nie hat er gewusst, dass er den riesigen Haufen Hühnerknochen seines Hundlebens, um Gottes Willen, nicht hätte fressen dürfen, und nie hat ihm jemand Calcium, Eisen oder Vitamine verschrieben. Womit er wohl ebenfalls bewiesen hat, ein Glückshund zu sein?
Interessant ist, dass der alte Mangobaum dasteht wie immer und seine Früchte hervorbringt, wann es ihm passt. Dass der traurige Ort sich inzwischen zu einer prosperierenden Fazenda gemausert hat, scheint er nicht mitbekommen zu haben – oder doch? Wie immer beschützt er das Haus vor Wind und Wetter – allerdings nur noch einen Teil, denn das alte Häuschen ist umgebaut worden, es ist enorm gewachsen und der Mangobaum konnte da nicht mithalten. Mainha liegt noch oft im Schatten unter dem knorrigen Stamm des alten Freundes aus den Tagen des Hungers, dem einzigen Retter in dieser schwierigsten Phase ihres Lebens, Verbündete im Kampf gegen Misere und Tod. Einer seiner Wurzeln dient ihr als Kopfstütze. Mainha liegt da und leistet ihrem Freund Gesellschaft, ihre Gedanken schweifen in die Vergangenheit und versuchen die Zukunft zu ergründen – nicht ihre, sondern die ihrer Kinder. Sie schaut hinauf zum leuchtenden Grün zwischen den Zweigen – hie und da entdeckt sie einen Büschel mit Blüten, aber auch noch die eine oder andere Frucht. Jeden Morgen, den der liebe Gott ihr schenkt, liest sie die herabgefallenen Früchte ihres Freundes sorgfältig auf – stapelt sie auf dem Tisch und bedeckt sie mit einem frischen Tuch – aus weissem Linnen und sorgfältig bestickt.
Mainha empfindet eine immer währende tiefe Dankbarkeit im Schatten des Freundes, der ihr in jenen schweren Zeiten geholfen, ihre Kinder aufzuziehen – als sie nicht einmal eine magere Kuh hatten, nur Hunger, und die Liebe des Freundes sie alle vor dem Schlimmsten bewahrte.