Ein kleiner Irrtum

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

Nach einer langen und schmerzhaften Wartezeit im Vorzimmer eines Krankenhauses – überfüllt mit den Trägern aller erdenklichen Spezies von Malessen, gepeinigt von hartnäckigen Schmerzen und der Ungeduld über die unendlich langsame Abfertigung durch das überarbeitete Personal, angeekelt von einem unerträglichen Gestank der vielen offenen Wunden, dem Fliegengesumme, dem Lärm, der von der Strasse zusammen mit einer Staubfahne durch die weit offenen Fenster dringt und sich auf die geschwächten Gemüter legt – hört Darcy endlich, wie die Stationsschwester ruft:

“Darcy…“!!!

Darcy springt auf und eilt in Richtung der “Sala de Exames“ (Untersuchungsraum) – hustend, mit brennenden Schmerzen im Hals, ein Summen in den Ohren, den Kopf schwer, die ganze Welt scheint das Gleichgewicht zu verlieren und hin und her zu schwingen . . .

Jetzt kommt die Stimme der Schwester wieder, wie aus einer fernen Welt, sie dringt mit Gewalt in die schmerzenden Ohren und verkündet mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung einer Tür:

“Sie machen jetzt ihre Endoskopie“!
“. . .endo . . . was bitte? . . . das werde ich nicht machen, auf gar keinen Fall“!

“Was soll das heissen? Steht hier auf ihrem Krankenblatt“!
“Aber der Arzt hat gesagt, dass er ein Röntgenbild von meinem Torax haben will“.

“Nichts da! Los, los, machen Sie ein bisschen zu, es warten noch viele Leute da draussen“!
“Ich werde dieses  . . .endo–Dings aber nicht machen. Das war es nicht, was der Arzt gesagt hat“!

“Haben Sie vielleicht Angst, ist es das? Ist eine ganz einfache Untersuchung, tut überhaupt nicht weh – also machen Sie schon“!
“Hab schon gesagt, dass ich das nicht mache. Ich will die Röntgenaufnahme, die der Arzt verlangt hat“.

“Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Ein Mann ihrer Grösse und hat Angst vor so einer kleinen Untersuchung“!
“Ein Mann??? Ich bin kein Mann“!!!

“Nein?! Hier ist ihr Krankenblatt – Darcy de Moura Vieira, Geschlecht männlich – ist das vielleicht nicht ihr Name“?
“Natürlich nicht! Ich bin Darcy de Souza Oliveira“.

“Nun, dann hat es hier eine Verwechslung gegeben – aber mit ihrem Gesicht, ihren kurzen Haaren, dieser Stimme, dieser Kleidung und mit diesem dubiosen Namen – jeder könnte meinen, dass sie ein Mann sind! Also gehen Sie zurück in den Wartesaal, damit ich jetzt den Darcy de Moura Vieira aufrufen kann, der hoffentlich ein wirklicher Mann ist“.

Das war nun wirklich zuviel für Darcy, und sie fing an zu weinen, schluchzend kehrte sie in den Warteraum zurück. Die Krankenschwester kam hinter ihr her, setzte dann wieder ihr Pokergesicht auf und schrie in den Raum:

“Darcy de Moura Vieira“!

Noch bevor sich jedoch der füllige Herr von seinem Stuhl erheben kann, springt jemand auf, rennt auf die verblüffte Schwester zu, streckt drohend seinen Finger aus und schreit sie an:

“Ich will jetzt wissen, was sie mit meiner Tochter gemacht haben, dass sie heulend aus ihrem Zimmer gekommen ist – und auch noch ohne Untersuchung“!

“Das war ein kleiner Irrtum… habe gedacht, sie sei ein Mann… oder vielmehr… habe die Namen verwechselt… kann ja passieren… diese Mädchen von heute, kleiden sich wie Männer, sie sieht aus wie ein Junge. Und sie, Madam, als ihre Mutter, ich finde, sie sollten sie ein bisschen stimulieren, sich etwas femininer zu geben“!

“Aber ich bin gar nicht ihre Mutter – ich bin ihr Vater“!!

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AutorIn: Klaus D. Günther

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