Waurá

Zuletzt bearbeitet: 4. Dezember 2020

Als Bewohner des Parque Indígena do Xingu sind die Waurá bemerkenswert durch die Einzigartigkeit ihrer Keramik, das grafische Design ihrer Körbe und Schalen, ihre kunstvollen Federnverarbeitung und ihre interessanten Tanzmasken. Ausser dieser Vielfalt seiner materiellen Kultur, besitzt dieses Volk eine faszinierende und sehr komplexe mythologische und kosmologische Kultur, in der die Beziehung zwischen Tieren, den Dingen, den Menschenwesen und den überirdischen Geschöpfen ihre Auffassung von der Welt beeinflussen und von grundlegender Bedeutung für die Praktiken des Schamanentums sind.

Waurá

Andere Namen: Wauja, Vaurá, Aurá
Sprache: Wauja, Familie Aruak, Gruppe Mairupe
Population: 409 (2011)
Region: Mato Grosso (Parque Indígena do Xingu)
INHALTSVERZEICHNIS
Sprache und Lebensraum
1000 Jahre Aruak-Geschichte am Oberen Xingu
Bevölkerung und Wohnung
Territoriale Konflikte
Materielle Kultur, Wirtschaft
Künstlerischer Ausdruck
Mythologische und kosmologische Aspekte
Schamanentum
Feste der Apapaatai

Cerâmica Waurá
Cerâmica Waurá
Cerâmica Waurá
Kají Waurá
Artesanato Indígena (Etnia Waurá)
Kají  Waurá
Etnia Waurá
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nach obenSprache und Lebensraum

Sie sind Repräsentanten einer „Mairupe-Gruppe“ aus der Aruak-Familie und bilden mit den Mehinako, den Yawalapiti, den Pareci und Enawene Nawe die Gruppe der „Zentral-Marupe“ (nach Payne 2001).

Die Waurá bewohnen die Umgegend der Lagune „Piyulaga“ – was übersetzt in etwa „Ort“ oder „Fischfang-Camp“ bedeutet – und so nennt sich auch ihr Dorf. Die Lagune ist durch einen Kanal mit dem rechten Ufer des Rio Batovi verbunden, in der okzidentalen Region der Quellflüsse des Rio Xingu, im Bundesland Mato Grosso.

nach oben1000 Jahre Aruak-Geschichte am Oberen Xingu

Die erste historische Nachricht von der Existenz der Waurá stammte aus den Aufzeichnungen des deutschen Ethnologen Karl von den Steinen – und zwar aus seinem Tagebuch der ersten Expedition durch Zentralbrasilien, aufgezeichnet am 24. August 1884, als er das vierte und letzte Dorf der Bakairi am Rio Batovi passierte: „Wir fragten sie, neugierig, auch nach anderen existierenden Stämmen. Wir bekamen deutlich zur Antwort, dass die „Custenaú“ und die „Trumai“ sich am Unterlauf des Flusses aufhalten sollten. Aber wir verstanden nicht, was sie mit „Vaurá“ ausdrücken wollten – ob es wohl ein Volk sein sollte“? Eine Woche später bekam er die Bestätigung von den Suyá, die ihm eine hydrografische Karte zeichneten, auf der sich die meisten Stämme des Oberen Xingu wiederfanden – und die „Vaurá“ sollten eine grosse Gruppe am unteren Rio Baávi sein.

Die Geschichte dieses Volkes der Aruak-Sprache im Quellgebiet des Rio Xingu begann allerdings mindestens eintausend Jahre vor der Ankunft des Karl von den Steinen. Archäologische Investigationen am Oberen Xingu, die von Dole (1961/1962) begonnen wurden, hatten in den 90er Jahren signifikante Erfolge, als es unter der Leitung von Heckenberger (1996) gelang, anhand der Ergebnisse ein präzises Bild der soziokulturellen Veränderungen und Kontinuitäten in dieser enormen und archäologisch wenig erforschten Gegend der meridionalen Peripherie Amazoniens, zu zeichnen.

Die Aruak-Völker Waurá und Mehinako, welche heute diese Region bewohnen, sind direkte Nachkommen von verschiedenen eingewanderten Gruppen aus dem extremen Südwesten des Amazonasbeckens, die ihre ersten Dörfer am Xingu zwischen 800 und 900 nach Christus errichteten. Die Beschaffenheit der Überreste und ihre radiokarbonischen Datierungen zwischen den Jahren 1000 und 1600 weisen auf eine Bevölkerung hin, die in erster Linie als „sesshaft“ charakterisiert werden kann – und zwar in grossen und dicht bevölkerten Runddörfern (von 40 bis 50 Hektar) mit einem zentralen Platz, mit Transformationen der Landschaft durch öffentliche Verteidigungsanlagen – Gräben, Palisaden und auf Dämmen errichtete Wege – sowie eine besondere Keramik-Technologie, exklusiv in dieser Region (Heckenberger 2001).

Keramikfunde sind stets von besonderer interpretativer Kraft für die Forschung in der Geschichte eines Volkes. Am Oberen Xingu hat sich die Ausrüstung eines Haushalts praktisch seit eintausend Jahren nicht verändert und beweist damit eine eindrucksvolle kulturelle Kontinuität. Pfannen zum Rösten des „Beiju-Fladenbrots“, konische Schalen und grosse Töpfe mit nach aussen gebogenen Kanten werden immer noch von den Waurá angefertigt und auch selbst benutzt.

Jene Beweise, die man an den antiken Wohnplätzen der Aruak-Stämme im Quellgebiet des Xingu entdeckt hat, sind nicht etwa isolierte Beispiele, sondern sie verbinden sich perfekt mit einer Reihe von anderen Schauplätzen mit ähnlichen Beweisen, die sich über einen breiten „Korridor“ der meridionalen Peripherie Amazoniens erstrecken – genau von Mojos in Bolivien bis zum Oberen Xingu, inklusive der „Alá Madeira“ und des „Alto Acre“ – damit weisen sie auf eine Co-Evolution der Aruak-Kultur hin, die um das Jahr 1000 herum stattgefunden hat (Heckenberger 1996). Zentrales Merkmal dieser Kultur-Evolution der Aruak war die „regionale soziopolitische Integration basierend auf einer gemeinsamen Kultur und Ideologie sowie entwickelten Tauschmodellen (intertribaler Handel, Heirat, Besuch und Zeremoniell)“ (Heckenberger 2001: 31) – ich würde, darüber hinaus, noch den Aspekt der Kriegs-Allianzen anführen.

In Übereinstimmung mit den schon ausgegrabenen historischen Dörfern und der mündlichen Überlieferung der Karib-Völker, weiss man, dass in der Mitte des 18. Jahrhunderts bereits das Modell der soziokulturellen und multiethnischen Gesellschaft des Oberen Xingu bestand, so wie wir es heute kennen. Es muss erwähnt werden, dass eine Investigationslücke in dieser Region noch gefüllt werden muss, sie betrifft die Ethno-Geschichte zwischen den Aruak- und den Karib-Völkern des Xingu – der Gruppen, welche dieses multiethnische System dermaleinst gründeten.

Heckenberger (1996) machte seine Untersuchungen bei den Kuikuro, einer Karib-Gruppe, deshalb sind seine Interpretationen von der Perspektive der Kuikuro gefärbt. Nun wird es notwendig, die Spuren der drei letzten Aruak-Gruppen zurück zu verfolgen, die sich noch ihre orale Überlieferung bewahrt haben: die Waurá, die Mehinako und die Yawalapiti. Unter den ersten befinden sich die einzigen Personen, welche mit Sicherheit die Geschichte ihrer Vergangenheit wiedergeben könnten, im letzten Jahrzehnt ihres Lebens. Deshalb ist es auch höchste Zeit für eine solche Untersuchung.

Das Studium der Rituale scheint ein guter Weg zu diesem Ziel, wie die Ergebnisse von Menezes Bastos (1990) hinsichtlich seines Studiums des „Yawari“ unter den Kamayurá zeigt. Besonders für die Waurá ist Musik stets gleichbedeutend mit Geschichte – sei es, dass sie von der jüngeren Vergangenheit erzählt, von einfachen Dingen des Lebens, von Begegnungen mit anderen Völkern oder gar aus der Zeit, in der die Tiere Wesen waren, die mit Menschen sprechen konnten. Ein intensives Studium der Rituale würde Klarheit in die Hypothesen bringen, die das Gesellschaftssystem der Indianer vom Oberen Xingu als auf einer ideologischen Aruak-Basis fussend, betrachten. In den Ritualen finden sich alle Elemente zur Aktualisierung der „Etikette der Xinguanität“ und zur Stilisierung gesellschaftlicher Relationen auf regionaler Ebene – und diese Elemente unterscheiden sich deutlich von den zur Verfügung stehenden ethnografischen Abhandlungen über dieses Thema. Eigentlich existieren nur zwei, die man als „vollständig“ bezeichnen kann hinsichtlich der intertribalen Rituale der Xingu-Indianer, eine ist von Agostinho (1974) und die andere von Menezes Bastos (1990).

nach obenBevölkerung und Wohnung

Ungefähr 270 Personen (Zählung des Autors im Juni 2001) wohnen in einem einzigen Runddorf des typischen Xingu-Modells, mit einem zentralen Platz und dem Männerhaus (oder „Haus der Flöten“) in seiner Mitte. Weitere 51 Personen bewohnen andere Lokalitäten des PIX. Die Wohnhäuser im Dorf „Piyulaga“ entsprechen nicht mehr ganz dem Muster, welches in vielen Xingu-Beschreibungen zitiert wird: dass in ihnen verschiedene Blutsverwandte aus einer einzigen Grossfamilie zusammen wohnen. Unter den 17 existierenden Häusern im Oktober 2000, waren 12 bewohnt von einem oder zwei Paaren und ihren Kindern – lediglich 5 Häuser waren von blutsverwandten Grossfamilien und ihre zahlreichen Anverwandten belegt. Die Regeln der „Uxorilokalität“ (eine Regel, nach der ein Paar nach seiner Heirat im Haus der Frau lebt) und der „Virilokalität“ (nach der ein Paar nach der Heirat im Haus des Mannes lebt) existierten in einer weniger bedeutenden Form – keine schien mir bedeutender als die andere zu sein.

Ich nehme an, dass die Zunahme der Häuser und die abnehmende Zahl der Bewohner in jedem Haus, unter vielen anderen Faktoren, mit dem Bevölkerungsschwund in Zusammenhang steht – infolge der Epidemien im 19. und 20. Jahrhundert und auch infolge des Technologie-Schocks, den die eingeführten Metallwerkzeuge in der existenziellen Wirtschaftung auslösten. Bei der Verwendung von Äxten und anderen Metallobjekten können sich zwei Männer zusammentun und allein eine Fläche zur Feldbestellung roden, die gross genug ist, den Unterhalt einer Haushaltseinheit von 10 bis 12 Personen zu garantieren, inklusive ihrer Kinder. Also ist es wahrscheinlich, dass Metallwerkzeuge zur Produktion die gesellschaftliche Organisation der familiären Feldbearbeitung ganz wesentlich beeinflusst haben. Aber es besteht ein gewaltiger Kontrast zwischen dem täglichen Aufwand für den Fortbestand der Wohngemeinschaft – der eventuell mit wenigen Mitbewohnern in derselben Produktionsgemeinschaft auskommt – und dem kollektiven Aufwand aller Dorfbewohner zur Sicherung von überschüssigen Mengen von Nahrungsmitteln während der Zyklen der grossen inter- und intratribalen Feste. In Bezug auf die Zusammenhänge zwischen Technologie, Produktion und gesellschaftlicher Organisation kann man also nicht einfach mit einer Hypothese aufwarten, sondern muss die wirtschaftlichen Verhältnisse der Waurá studieren.

nach obenTerritoriale Konflikte

Das Territorium der Waurá umfasst den südwestlichen Teil des „Parque Indígena do Xingu“ und wird entlang seiner langen, gerade verlaufenden Grenzlinie von Viehweiden und kahl geschlagenen Arealen der benachbarten Fazendas des Nordostens von Mato Grosso gerahmt. Gegen Ende des Jahres 1980 sahen sich die Waurá bewaffneten Fazendeiros der Region „Alto Batovi“ gegenüber, welche die drei einzigen Häuser eines kleinen Dorfes mit Namen „Ulupuene“ angezündet hatten. Die Indianer hatten das Dorf aus strategischen Gründen dort konstruiert, um dieses Gebiet vor einer Invasion zu bewahren, denn es war bei der offiziellen Demarkation 1960 vergessen worden. Erst 1998 wurde diese kleine Enklave zwischen den Flüssen Batovi und Ulupuene nachträglich den Waurá zugesprochen (als „Terra Indígena Batovi“). Wie ihr Häuptling (Amunaw) Atami erklärt, geht es den Waurá gar nicht nur um dieses Land, sondern es befindet sich in diesem Abschnitt ein „heiliger Ort“ auf dem sich Felsenmalereien finden, die sie „Kamukuwaká“ nennen – etwa 40 km von der Mündung des Rio Ulupuene gegen Süden.

Die gerichtliche Entscheidung 1998 nahm dem Konflikt zwischen den Indianern und den benachbarten Farmern zwar die Brisanz, aber sie legte ihn nicht bei. Nach Informationen der Waurá werden sie immer wieder von Anglern und Jägern auf Genehmigungen angesprochen, die natürlichen Ressourcen im Südwesten des Parks ausbeuten zu dürfen, einem Gebiet, das unter der Kontrolle und Verantwortung der Vaurá steht. Die Frage der Sicherung aller Grenzen des Parks ist für denselben lebenswichtig, denn seine Bewohner sehen sich zunehmend eingeschlossen von rücksichtlosen Ausbeutern der natürlichen Ressourcen und die Parkgrenzen werden nur dann respektiert, wenn die Indianer sie bewachen.

nach obenMaterielle Kultur und Wirtschaft

Trotz des technologischen Veränderungsprozesses seit 1884 – als Karl von den Steinen erstmals mit den Waurá Kontakt aufnahm und die Begegnungen mit Nicht-Indianern zunahmen – sind noch viele Dinge ihrer traditionellen, materiellen Kultur erhalten geblieben, inklusive solche, die man leicht gegen Artikel aus Plastik, Glas oder Metall ersetzen könnte, aber aus symbolischen Motiven – nicht etwa aus funktionellen – haben die traditionellen Artikel ihre Rolle in der Darstellung der Waurá-Kultur behalten.

Ihre besondere materielle Kultur ist auch verantwortlich für die Projektion des Waurá-Volkes nach aussen – nicht allein auf dem Markt des „Weissen Mannes“, sondern auch auf dem inneren Markt der Xingu-Völker. Ihr gesamtes Kunsthandwerk wird sehr geschätzt, und sie sind damit auf allen Märkten indianischen Kunsthandwerks aus Brasilien präsent. Ihre unvergleichlich attraktive Keramik ist ein Markenzeichen ihres Volkes, und sie hat gegenwärtig grosses Gewicht in der Wirtschaft dieses Volkes und bei der Akquisition von industrialisierten Gebrauchsgütern.

nach obenKünstlerischer Ausdruck

Neben der Keramik haben die Waurá ein ganz besonderes Gespür für grafische Effekte bei ihren aus Fasermaterial geflochtenen Artikeln. Ihr grafisches System besteht in seiner Struktur aus fünf grafischen Grundelementen: 1) Dreiecken (unregelmässigen und gleichschenkligen), 2) Punkten, 3) Kreisen, 4) Vierecken (Quadraten, Rechtecken, Trapezen und Rauten) und 5) Linien (Gerade und Kurven).

Wie in jedem System ornamentaler Kunst, sind es die unterschiedlichen Kombinationen dieser Grundelemente, welche die Form eines Motivs bestimmen. Das grafische Modell der Waurá bedient sich annähernd 40 bis 45 verschiedener Motive in ihrer Ornamentik – abgesehen von weiteren Formen, die sie exklusiv zur Körperbemalung verwenden.

Die Waurá verwenden drei bevorzugte Korbtypen: „Mayapalu, Mayaku und Tirumakana“. Der erste, mit offenem Gewebe und ohne Zeichnung, wird zum Tragen von Lasten benutzt und auch für die Lagerung von Maniok über kürzere Zeit. Die zwei anderen, engmaschig geflochten, präsentieren eine überraschende Vielfalt von grafischen Motiven. Alle Körbe werden exklusiv von Männern angefertigt. Ihr Gebrauch folgt im Prinzip der üblichen Teilung der Geschlechter bei ihrer spezifischen Arbeit: das Geflecht für den Fischfang ist dem Mann bestimmt und das Geflecht für den Haushalt dient der Frau. Die „Mayaku“ mit besonders grossen Dimensionen (60x50x20cm) werden auf besonderen Wunsch als Bezahlung für die rituellen Dienste von Sponsoren der Masken- und Flöten-Feste angefertigt. Die grossen Körbe, zu deren Herstellung man eine gute Technik und viel Erfahrung braucht, haben einen höheren symbolischen Wert als kleinere Exemplare – letztere werden in den meisten Fällen von jungen Lehrlingen in dieser Kunst fabriziert und sollen vor allem der wachsenden „touristischen Nachfrage“ gerecht werden.

Federschmuck – die Waurá betrachten die Federn der Vögel als ihre „Kleider“. Nach dem Abschuss werden die Vögel „ausgezogen“. Ihre Federn werden nun als „Fetzen“ verarbeitet zu einem oder mehreren Schmuckstücken, in denen man Federn unterschiedlicher Vögel mischt – nach visuellen Kompositions-Mustern. Bei den Menschenwesen nähern sich die aus Federn bestehenden Schmuckelemente, vom Konzept her, einem Kostüm. Bei den Ritualen kommt dem Federschmuck ganz besondere Bedeutung zu. Selten, dass ein erwachsener Mann mit weniger als seinem Gesamtschmuck tanzt: Ohrstecker, Diadem und Armbänder. Und selbst wenn sie Masken benutzen, tragen sie doch ihren gesamten anderen Federschmuck. Er ist zusammen mit der Körperbemalung Ausdruck einer Schönheit, die entscheidend zur Freude und Animation der Festlichkeiten beiträgt.

Musik – wie bei den anderen Indianern des Oberen Xingu, haben auch die Waurá eine wahre musikalische Vision vom Universum. Die Musik ist eine der höchsten Domänen symbolischer Weltordnung – der Verbindung zwischen Mann und Frau, menschlichen und nicht-menschlichen Wesen (Yerupoho, Apapaatai – maskierten Monstern und Tieren). Indem sie Freude hervorruft und gleichzeitig andere Ausdrücke entfesselt (Tanz und Körperbewegungen), formt die Musik auf subtile Weise ein Modell ausgewogenen und produktiven Zusammenlebens. Unter vielen Völkern Amazoniens ist der Begriff Freude – der ja auch meistens Musik einbegreift – mit einer profunden philosophischen Resonanz verbunden, welche der eingeborenen Gesellschaft förderlich ist.

Die Waurá besitzen ein ausgeprägtes Repertoire, sowohl instrumental als auch an Gesängen. Jedes Ritual ist verbunden mit einer Reihe von eigenen Musiken – ob es sich nun um ein Beerdigungs-, Initiations- oder Masken-Ritual handelt.

nach obenMythologische und kosmologische Aspekte

Die Herkunft der Menschheit
Die Mythologie der Waurá erzählt, dass der Halbgott Kwamutõ einst bedroht von einem „Jaguar-Menschen“, diesem seine fünf Töchter zur Heirat anbot. Aber als er in sein Dorf zurückgekehrt war, weigerten sich seine Töchter, das Versprechen zu erfüllen. Also hatte er eine Idee: Kwamutõ schnitt fünf Baumstämme zurecht und bemalte sie. Dann blies er sie an mit Tabakrauch und sang vor ihnen, begleitet vom Rhythmus der Rassel. In der Frühe des folgenden Morgens wurden die Baumstümpfe lebendig. Kwamutõ befahl den Töchtern aus den Baumstümpfen, sich mit dem „Jaguar-Mann“ zu treffen – drei von ihnen starben auf dem Weg und zwei heirateten ihn. Eine von den Zweien, sie war hochschwanger, wurde von ihrer Schwiegermutter bei einem Streit umgebracht. Zwei Zwillinge zog man noch aus ihrem Bauch, die wurden von ihrer Tante aufgezogen, die von den Kindern „Mama“ gerufen wurde. Als die Zwillinge gross waren, erfuhren sie, dass ihre leibliche Mutter noch vor ihrer Geburt getötete worden war. Traurig schnitten die beiden Jünglinge – man nannte sie „Sonne“ und „Mond“ – einen Baumstamm ab, um sich ihrer Mutter zu erinnern und sie zu verabschieden. So veranstalteten die Zwillinge den ersten Kwarup, der sich im Lauf der Jahrhunderte zum grössten Toten-Ritual unter den Völkern des Oberen Xingu entwickelte, gewidmet den Führerpersönlichkeiten edler Abstammung und bewunderter Taten.

Und weil sie sich des Fehlens der Menschen in dieser Welt bewusst waren, entschlossen sich die beiden mythologischen Helden Sonne und Mond weitere Kwarup-Baumklötze zu schneiden und den ersten Menschen Leben zu geben – mit denselben Methoden ihres Grossvaters Kwamutõ. Sie schufen die Xingu-Indianer, die wilden Indianer (aus der Perspektive der Xingu-Indianer) und die Weissen – die aus diesem Land fortgingen und erst sehr viel später wiederkamen mit ihren Feuerwaffen.

Die Herkunft und Aktivitäten der übernatürlichen Wesen
Im Leben der Waurá gibt es eine permanente und zahlreiche Präsenz von übernatürlichen Wesen, die auf jene Zeit zurückgeht, in der die Tiere noch menschenähnliche Wesen waren und sprechen konnten. Eins der Prinzipien auf dem ihre Präsenz beruht, ist die kontinuierliche Verbindung zwischen den „Apapaatai/Yerupoho“ und den Tieren, welche die Waurá tagtäglich betrifft, vor allem in ihrem Nahrungszyklus und in den Theorien der Erkrankung und des Schlafs.

Am Anfang der Zeit herrschte eine absolute Dunkelheit über und in der Welt. Auf der Erdoberfläche lebten die „Yerupoho“ – antropomorphe und zooantropomorphe Wesen – während die Menschenwesen (die Vorfahren der Waurá) innerhalb von Termitenhügeln wohnten, wo sie ihr Leben in vollkommenem Mangel aller kulturellen Güter fristeten: ohne Feuer, Kochtöpfe, Körbe, Nahrungsmittel etc.

Eines Tages hörten die „Yerupoho“ die Kunde, dass die Helden der Waurá-Kultur die Sonne an den Himmel schicken würden, damit sie die Welt erhelle. In furchtbarer Angst vor der eminenten kosmischen Veränderung stürzten sich die „Yerupoho“ fieberhaft in die Herstellung von Schmuck, Masken und schützender Körperbemalung gegen die brennenden und unvermeidlich zerstörerischen Strahlen der Sonne. Die „Yerupoho“ schufen ganz unterschiedliche Uniformen, die eigentlich keine einfachen „Kleider“ mehr waren, sondern eher eine Art Schutzanzüge. Nach dem Anziehen übernahmen sie die Identität ihres jeweiligen Kleidungsstücks und wurden so zu „Apapaatai“: einer ontologischen Realität, die sich seitdem nicht mehr verändert hat und den verschiedenen Klassen von Tieren entspricht, denen die Waurá täglich begegnen – auch einer Reihe von rituellen Gegenständen (wie Flöten, Klarinetten und Rasseln) und anderen monströsen Wesen, die man nur in besonderen Situationen zu Gesicht bekommt – zum Beispiel in Träumen von Schamanen und denen von Schwerkranken, beim sexuellen Verkehr und vor dem Tod. Manchmal zeigen sie sich auch bei der Herstellung der Apapaatai-Masken, zu festlichen Anlässen.

Die „Yerupoho“ wurden von zwei Arten von Transformation betroffen, welche den beiden unterschiedlichen Kategorien von „Apapaatai“ entsprechen: Jene, denen es gelang, ihre Uniform rechtzeitig fertigzustellen und anzuziehen, wurden zu „Uniformen“ oder „Kleidungsstücken“ – und die entsprechen den unsichtbaren und sichtbaren, übernatürlichen Wesen. Die sichtbaren Wesen sind die Tiere um uns herum, und die unsichtbaren Wesen sind ihre „übernatürlichen Duplikate“ – und die besitzen eine monströse Natur, die den sichtbaren Wesen abgeht. Diejenigen der „Yerupoho“, welche ihre Uniformen nicht fertig bekamen und „nackt“ geblieben waren, wurden durch das Erscheinen der Sonne drastisch und definitiv bestraft: Sie verwandelten sich in „Apapaatai iyajo (richtige Apapaatai, die keine „Kleider“ tragen) – extrem gefährliche Wesen die andere schwächere Wesen einfach verschlingen oder töten – unter ihnen auch die Menschenwesen der Waurá.

Die Ontologie der Waurá umfasst drei Makro-Kategorien:

  • Iyãu-Wesen – entsprechen den Menschenwesen oder menschenähnlichen Wesen
  • Mona-Wesen – entsprechen den Tieren, Pflanzen und Gegenständen.
  • Kumã-Wesen – eine Kategorie, die man am besten mit „Monstern“ bezeichnet, die unterteilt sind in drei weitere Kategorien: „Yerupoho“, „Apapaatai iyajo“ und „Apapaatai ona~i“, oder nur „Apapaatai“.

Die Termini „Mona“ und „Kumã“ funktionieren als linguistische Modifikatoren der Natur der Dinge und der Wesen in ihrer Welt, ordnen sie in einer kontinuierlichen und flexiblen Skala von Unter- und Überarten. Dieses Klassifikationsmodell wurde in sehr ähnlicher Art von Viveiros de Castro (1977) unter den Yawalapiti beschrieben, einem anderen Aruak-Volk des Oberen Xingu. Die Kategorie „Kumã“ (kumalu, weiblich) – sie bedeutet „aussergewöhnlich, monströs, gigantisch, gefährlich, mächtig und/oder unsichtbar“ – wendet man sowohl auf die „Apapaatai“ als auf die „Yerupoho“ an, aber in bestimmten Zusammenhängen. So können grosse, beutemachende Tiere ebenfalls als mit einer Kumã-Natur ausgestattet empfunden werden.

Die Mehrheit der echten Kumã-Wesen besitzt, ausser ihrer monströsen Grösse, auch eine sichtbare und schwächliche Dimension, die von den „Mona-Wesen“ und Dingen dargestellt wird – ein Terminus, der in diesem speziellen Fall als „sichtbar, gewöhnlich und üblich“ bezeichnet werden kann, er bezieht sich auf Gegenstände, Pflanzen und greifbare Tiere, welche von den Waurá ihren festen Lebensgewohnheiten und ihrer Nahrung entsprechend identifiziert werden. Insgesamt handelt es sich um ein System der Klassifikation, in dem jedes Ding oder Wesen einen koexistierenden Doppelgänger von monströser Natur besitzt. Diese Monster sind mit extremer Intelligenz ausgestattet, eigener Weltanschauung und einer besonderen künstlerischen Sensibilität, entpuppen sich als gefährlich, hinterlistig und kreativ – in den meisten Fällen sind sie Hexer und einige von ihnen auch Kannibalen.

Die „Yerupoho“ bilden, in Funktion ihrer eindrucksvollen Zweideutigkeit als „Tier-Mensch“ oder „Ding-Mensch“ und ihrer verwandlerischen Fähigkeiten, die komplexere dieser Kategorien von Wesen. Mit ihrer Doppelnatur „~iyãu“ und „kumã“ (es gibt ausserdem viele von ihnen die als „~iyãu kumã“ und „~iyãu kumalu“ bekannt sind – „Monster-Mann“ und „Monster-Frau“), empfinden die Waurá sie gleichzeitig als Menschen und als Monster.

Die verwandlungsfähige Natur der übernatürlichen Wesen basiert auf der Idee der „Uniform“ (Na~i), die davon ausgeht, dass „übernatürliche, antropomorphe Wesen (die Yerupoho) in der Lage sind, sich in Tiere, Pflanzen, Haushaltsgegenstände, Musikinstrumente und Naturphänomene zu „kleiden“ (zu verwandeln). Mit anderen Worten: ihre „Uniform“ – ihre „Kleidung“ – ist die Aussenhülle eines Tieres oder Monsters, die ein antropomorphes oder zooantropomorphes Innenleben bedeckt, bekannt als „Yerupoho“. Seine „Uniform“ ist ein Kunstwerk der Verwandlung, eine äusserliche, einzigartige Hülle, kreativ erarbeitet von überirdischen Autoritäten zur Differenzierung der verschiedenen Identitäten. Ich möchte noch einmal hervorheben, dass die „Uniformen“ keine Körper (Omonapitsi) sind. Lediglich die „Yerupoho“, die Menschenwesen und die „Apapaatai iyajo“ sind Körper, alle anderen Wesen, inklusive der kleinsten Insekten, sind „Uniformen“ oder „Kleider“.

Die Vielfalt der Fabrikation dieser Wesen ist immens: Sie können zu Tausenden geschaffen werden, und jedes einzelne Individuum kann mit anderen grafischen Motiven und unterschiedlichen anatomischen Formen ausgestattet sein. Unter den wichtigsten Bestandteilen einer „Uniform“ befinden sich die grafischen (geometrischen) Motive und die Farben, durch die sie einzigartig wird – so wie ein Stoff einzigartig wird durch sein Design vom Stilisten. Für die Waurá besitzen viele „Uniformen“ Feinheiten einer formellen Perfektion, welche sich als Objekte besonderen ästhetischen und rituellen Interesses erweisen. Die Vögel, und danach die Schlangen, werden von ihnen für die schönsten Kreaturen in diesem Sinne angesehen. Mittels ihrer „Kleider“ vermögen die „Yerupoho“ ihr Wesen zu verändern, je nach Absicht können sie sich vom Fisch zum Vogel, vom Insekt zum Reptil, vom Säugetier zum Wassertier, vom Fuchs in eine Schlange etc. verwandeln – dies deutet auf einen scheinbar unendlichen Fluss von Transformationen im Kosmos der Waurá hin.

In der Waurá-Ontologie präsentiert sich die Relation zwischen den übernatürlichen Wesen als Triade, welche die „Yerupoho“ (das antropomorphische Wesen, welches sich in „Apapaatai“ verwandelt), die „Apapaatai“ selbst (das „Kleid“, welches der „Yerupoho“ für seine Transformation trägt) und das Tier, die Pflanze, ein Naturphänomen oder einen Gegenstand einbegreift (welcher der Körperform des „Apapaatai“ entspricht). Diese jedoch ist eine Relation, welche nur zwischen einer bestimmten Spezies und ihren „übernatürlichen Besitzern“ existiert – keine unbestimmte, die einfach jedwede Spezies einbegreift. Zum Beispiel die Triade zwischen dem Tier-Schwein (ein Mona-Wesen), dem Monster-Schwein („Apapaatai ona~i“ und „Apapaatai iyajo“) und dem Menschen-Schwein („Yerupoho“, antropomorphes Wesen) – die beiden letzten sind die Besitzer (Herrscher über) das Tier-Schwein.

nach obenSchamanentum

Die Waurá kennen drei Klassen von Schamanen: „Yakapá“, „Pukaiwekeho“ und „Yatamá“. Die Yakapá haben die grösste therapeutische Macht und das bedeutendste rituelle Prestige, dank ihrer Spezialisierung auf das Zurückholen der Seelen, die von den Apapaatai und Yerupoho verschleppt worden sind – und so bringen sie den Kranken von seinem bedrohlichen Zustand wieder ins Leben zurück.

„Yakapá“ bedeutet wörtlich „jener, der mit halbem Bewusstsein rennt“ um die Seelen zu retten. Seine diesbezügliche Geschicklichkeit ist mit seiner Ansicht (Identifikation, Diagnose) der Krankheiten innig verbunden – und der Kenntnis ihrer humanen oder übernatürlichen Ursachen, sowie seinen freundschaftlichen Beziehungen zu seinen „Apapaatai-Hilfsgeistern“.

Eine schamanische Yakapá-Sitzung im Dorf Piyulaga ist ein Event, bei dem nicht nur die Familienmitglieder des Kranken anwesend sind, sondern auch Kinder und neugierige Erwachsene anderer Wohneinheiten. Beim Beobachten der schamanistischen Performance, der Extraktion des Zaubers und Anhören der vom Yakapá verkündeten Antworten bezüglich der Ursachen und des Verlaufs einer Krankheit, lernen und verstehen die normalen Individuen (Nicht-Yakapá) etwas über die Kosmologie der Gruppe. Dies ist eine der bedeutendsten Positionen, die das Schamanentum in der Xingu-Gesellschaft einnimmt.

Eine andere bedeutende Klasse von Schamanen ist der „Pukaiwekeho“, der Meister (oder Herr) der Schamanen-Gesänge (Beschwörungen). Unter den Waurá gibt es sieben Pukaiwekeho, einer von ihnen mit einer ungewöhnlichen Ausdruckskraft – berühmt in der gesamten Region. Unter diesen Sieben befinden sich Zwei, die ebenfalls als Yakapá tätig sind, was ihnen doppelt soviel Prestige einbringt. Beide Fähigkeiten zu besitzen ist extrem teuer: nur das Erlernen der Gesänge, die „geheim“ gelehrt werden, verlangt eine hohe Bezahlung und eine lange Zeit der Widmung. Das Erlernen aller speziellen Kenntnisse, die später Status und besondere Privilegien abwerfen werden, verlangt vom Schüler, seinen Lehrer mit Luxusgütern zu bezahlen oder, in weniger üblichen Situationen, mittels seiner Arbeitskraft.

Die dritte Klasse der Schamanen sind die „Yatamá“, jene, „die nur rauchen“, sie beherrschen die Macht der Heilung, die im Tabakrauch steckt. Yatamá ist auch der allgemein gebräuchliche Name für den Schamanen – er ist sozusagen die unterste Klasse einer langen Skala von Kursen, welche mit der kompletten Beherrschung der Trance-Techniken, der Seelenrettung, des Hellsehens und dem gesamten Repertoire von Heilgesängen gipfelt. Deshalb beherrschen die „Yakapá“ und „Pukaiwekeho“ ebenfalls die Techniken des „Yatamaki“ – des Tabak-Schamanismus“. In der Waurá-Gesellschaft werden die Yatamaki-Kenntnisse nicht nur Männern vermittelt. Bis in die Mitte des vergangenen Jahrzehnts war noch eine „Yatamalu“ aktiv – eine Schamanin – die ihre Berufung wahrscheinlich seit einer grossen Masern-Epidemie im Jahr 1950 ausübte. Trotzdem ist die Initiation der Frauen als Schamaninnen begrenzt, denn sie erreichen nicht den erwünschten hohen Grad des Yapaká – so sagen die gesammelten historischen Überlieferungen der letzten 150 Jahre aus.

Die Krankheitsfrequenz im Dorf Piyulaga ist relativ gross, wenn man sie mit der kleinen Bevölkerung von 270 Individuen vergleicht, und der eindrucksvollen Zahl von Schamanen in konstanter Aktivität: fünfzehn insgesamt – sechs Yatamá, sieben Pukaiwekeho und vier Yakapá (zwei davon sind ebenfalls Pukaiwekeho). Auch Krankheiten von geringer Bedeutung – wie Dermathosen, welche die Waurá in grossem Umfang befallen – bedürfen der Behandlung durch einen Schamanen zur Extraktion des Zaubers.

Krankheiten sind der Weg zur Öffnung der komplexen Relationen zwischen den Waurá und den „Apapaatai“ und den „Yerupoho“. Besonders für die Yakapá waren es ihr eigener Mut und ihre Widerstandskraft eine schwere Krankheit zu überstehen, die es ihnen ermöglichten, von den „Apapaatai“, welche sie krank gemacht hatten, jene Macht zu erhalten, die nunmehr ihren seherischen und heilenden Fähigkeiten zugrunde liegt. Mit anderen Worten: jene Kräfte der Schamanen rühren zum Teil von ihrer Entscheidung her, in ihren Körpern den Zauber zu belassen, welchen ihnen die „Apapaatai“ eingegeben haben als sie krank waren. Also tragen die Schamanen die „Apapaatai“ in sich herum, in einem permanenten Zusammenleben, und das macht die Schamanen selbst zu „ewigen Kranken“. Die schwere Krankheit potentialisiert ein Experiment der Macht – während sie für die einen vorübergehend auftritt, nimmt sie die andern mit in eine übernatürliche Welt, erlaubt ihnen in Räumen und Zeiten zu wandeln, die sich vom Alltag ihres Lebens unterscheiden. Und so werden die „Apapaatai“, die einerseits den Kranken töten können, zu seinen Verbündeten (~iyakanãu „Apapaatai- Helfer“) und verwandeln die Person in einen Yakapá, schützen ihn und geben ihm therapeutische und visionäre, übersinnliche Kräfte.

Die meisten Aktionen der Schamanen haben zum Ziel, Zustände des Krankwerdens umzukehren, die, so glauben die Waurá, sich unter den folgenden gegebenen Umständen manifestieren: 1) die Produktion von Schlechtigkeit durch menschliche Hexer (~iyãu opotalá) – 2) das Eindringen von Hexerei in den Körper des Kranken durch den Einfluss der „Apapaatai“ und der „Yerupoho“ – 3) das Stehlen der Seele durch jene beiden Klassen von Wesen – 4) die Ansteckung durch Epidemien der Weissen. Die beiden letzten Arten von Erkrankung sind mit der zweiten Art gekoppelt, denn sämtliche Krankheiten, selbst die leichtesten, haben mit unterschiedlichen Qualitäten und Quantitäten von patologischen Objekten (Hexerei) im Körper des Kranken zutun. Allerdings sind solche Krankheiten, welche von den “ ~iyãu opotalá“ hervorgerufen werden, von dieser Regel ausgenommen – die gehören unter die „externe Hexerei“. Gegenwärtig sind, vom sanitären Standpunkt aus gesehen, die Epidemien unter Kontrolle. Für die Waurá allerdings liegt das Problem der schweren Erkrankungen allein in den Umständen 1) und 3) – und wenn sie auftreten, dann sind in den meisten Fällen, simultan und progressiv, alle vier erwähnten Formen beteiligt.

Die Wiederherstellung der Gesundheit beginnt mit der Extraktion und Neutralisierung der Verhexung, sowie der Rettung der Seele, wenn sie von den „Apapaatai“ entführt worden ist. In Fällen von sehr schweren Krankheiten ist es das Ziel einer Sitzung mit Schamanen-Gesängen (Pukayekene), enorme Mengen von Hexerei aus dem Körper des Kranken zu entfernen. Zum Gesang benutzt der Schamane die Rasseln, Instrumente von grosser therapeutischer Wirkung. Nach Beobachtungen von Mello (1999): „Die Heilung eines Kranken hängt von der Zufriedenheit eines „Apapaatai“ mit der Musik am Krankenlager ab“. Aber das ist es nicht allein: Die Musik des Pukayekene wirkt als Extraktor der pathologischen Objekte.

nach obenFeste der Apapaatai

Um eine effektive therapeutische Wirkung im Falle schwerer Krankheit zu erreichen, ist es unumgänglich, dass man ein Fest für jene „Apapaatai“ organisiert, welche dem Kranken dieses Leid zugefügt haben. Im Allgemeinen muss man für solche Feste verschiedene rituelle Objekte anfertigen, das können „Beiju-Schaufeln“ sein, Masken, Flöten, Klarinetten, Grabstöcke für die Maniokernte, Mörser, Körbe, Töpfe, Pfeile etc. Auch nachdem die Seele gerettet worden ist, befindet sie sich noch in Gefahr. Erst dann ist sie vollkommen sicher, nachdem man für den die Krankheit verursachenden „Apapaatai“ sein spezifisches Fest veranstaltet hat – dieses Fest stabilisiert einen neuen Pakt zwischen einem Menschenwesen und einem „Apapaatai“.

Die Anwesenheit des Kranken beim Fest ist nicht bedeutend für seine Heilung, auch muss er keine besondere Bemalung oder spezifische Tracht tragen, um geheilt zu werden. Jedoch muss der Kranke der Sponsor des Festes sein. Man sagt bei den Waurá, dass die „Apapaatai“ fressgierig und festgeil seien, und dass sie denjenigen, der ihnen ein solches Fest spendiere, auch vor den Einflüssen anderer „Apapaatai“ beschützen würden. Auf diese Weise kommt der Kranke schneller wieder zu Kräften und stärkt nicht nur seine Relationen mit den übernatürlichen Mächten, sondern als „Herr eines Festes zu Ehren der Apapaatai“ wird er auch in ein Netz von rituellen Diensten seiner Mitbewohner verstrickt, die er dann später, einen nach dem andern, „bezahlen“ muss.

Der Ex-Kranke sollte das Fest seines „Apapaatai-Beschützers“ nach einem gewissen Zeitraum wiederholen – das kann nach ein paar Monaten sein oder auch nach ein paar Jahren. Und dafür muss er die Flöten oder Masken der „Apapaatai“ sorgfältig aufbewahren, die ihm jetzt gehören und in seinem oder dem „Haus der Flöten“ (Kuwakuho) verbleiben. Diese Flöten werden mit äusserster Sorgfalt aufbewahrt, bis sie sich auflösen oder bis sie auf die Initiative des Schamanen verbrannt werden können.

© Aristóteles Barcelos Neto, Museologe und Anthropologe, Studium der Sozio-Anthropologie der Universidade de São Paulo (USP)
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung, Klaus D. Günther
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