Über die ersten Europäer, die an der Küste des heutigen Maranhão anlegten, sind sich die Historiker bis heute nicht vollkommen einig. Einer von ihnen, „Mário Meirelles“, zählt in seinem Buch „História de Maranhão“ eine lange Liste von Seefahrern auf, sowohl spanischer wie auch portugiesischer Nationalität, die zwischen 1452 und 1498 auf ihren Seereisen an dieser Küste angelegt haben und, darin sind sich allerdings die anderen Historiker mit „Meirelles“ absolut einig: lange bevor „Pedro Álvares Cabral“, dem man heute kurzerhand die Entdeckung Brasiliens zuschreibt, im heutigen Bahia an Land gegangen ist (1500).
Während der ersten drei Jahrzehnte nach der Ankunft „Cabrals“ in Brasilien, zeigte Portugal kein Interesse an der Kolonisation der brasilianischen Ländereien. Erst nachdem der Handel mit den orientalischen Spezereien aus Asien in die Dekadenz abgesunken, und die Bedrohung der Besetzung Brasiliens durch andere Nationen stark zugenommen hatte, war man endlich bereit zu einem definitiven Schritt in dieser Frage:
D. João III. entsandte (1530) „Martim Afonso de Sousa“ mit einer Expedition, die die Aufgabe hatte, an der Küste Brasiliens die ersten „Posten für die Kolonisation“ zu gründen und gleichzeitig auch das unbekannte Territorium nach eventuellen Goldvorkommen zu untersuchen. 1532 gründet „Martim de Sousa“ die Siedlung „São Vicente“ (bei „Santos“ im heutigen Bundesstaat „São Paulo“).
Um die Kolonisation voranzutreiben und gleichzeitig die brasilianische Küste vor ausländischen Invasoren zu schützen, entschloss sich derselbe Dom João III., im Jahr 1534, das in 15 administrative Einheiten aufgeteilte Brasilien an 12 seiner nobelsten Gefolgsleute als „Capitanias Hereditárias“ (Erb-Verwaltungsbezirke) zu vergeben. Und die „Capitania do Maranhão“ fiel an einen gewissen „João de Barros“, seines Zeichens „Feitor da Casa das Índias“ (Unterhändler der Krone mit den Gewürzhändlern aus Asien). Als Hofbeamter war er unabkömmlich in Portugal und beauftragte deshalb den Kapitän „Aires da Cunha“ mit der ersten Expedition zur Kolonisation der „Capitania do Maranhão“.
Im Oktober 1535 starten 10 Schiffe, mit 900 Männern und 113 Pferden, doch schon vor der Küste von Maranhão erleiden sie Schiffbruch. Die Überlebenden retten sich auf eine Insel, über deren Identifikation bis heute Zweifel bestehen. Für die einen war es die „Ilha do Medo“, für die andern die „Ilha das Vacas“, und wieder andere glauben, dass es die „Ilha de Maranhão“ gewesen ist, wo sie eine Siedlung gründeten, der sie den Namen „Nossa Senhora de Nazaré“ gaben. Aber sie hatten auch damit kein Glück, denn 1538 gelang es einigen der Portugiesen auf Piratenschiffen nach Portugal zurückzukehren, andere zogen sich ins Inland von Maranhão zurück. „Aires da Cunha“ blieb verschollen und „João de Barros“ gab sein Interesse an der „Capitania do Maranhão“ völlig auf, zumal er durch jene Expedition auch zwei seiner Söhne verloren hatte.
19 Jahre später: „Luis de Melo e Silva“, der die Administration jener verlassenen „Capitania do Maranhão“ bei Hofe beklagt und die Erlaubnis erwirkt hatte, sie zu verwalten, verlässt Lissabon (1554) mit 3 grossen Schiffen und 12 Karavellen, um noch einmal den Versuch zu wagen, Maranhão von der Seeseite her zu erreichen. Er erleidet Schiffbruch, wie sein Vorgänger, aber es gelingt ihm – im Gegensatz zu „Aires da Cunha“ – nach Portugal zurückzukehren.
Noch einmal wagten die Portugiesen einen Versuch, diesmal über Land, von ihren benachbarten Stützpunkten nach Maranhão vorzudringen, wurden aber durch den Widerstand feindlicher Indianer so bedrängt, dass sie noch vor ihrem Ziel aufgeben mussten. Und während die portugiesischen Gründungen „Olinda“ (in Pernambuco) und „Salvador“ (in Bahia) sich zu Quellen zunehmenden Reichtums entwickeln, schläft das Interesse der Krone an Maranhão langsam ein. Es erwacht erst wieder, als die Franzosen dort einmarschieren.
Die gehen am 6. August 1612 auf der Maranhão-Halbinsel an Land – 3 Schiffe mit 500 Mann Besatzung – unter dem Kommando von „Daniel de la Touche“ und „Monsieur de la Ravardière“, um hier „La France Equinociale“ zu gründen. Am 12. August zelebrieren die vier Franziskaner in ihrem Gefolge die erste Messe auf brasilianischem Boden, und am 8. September, desselben Jahres, gründen die Franzosen ihre Stadt „Saint Louis“, zu Ehren ihres Kinds-Königs Louis XIII.
Interessant, wie portugiesische Berichte aus der Epoche, und brasilianische Historiker später, die folgende Episode festgehalten haben: „Die Franzosen begnügten sich nicht mit der Kolonisation allein, sondern nahmen Indianer aus Maranhão mit nach Frankreich, eine Sensation, die ganz Paris ins Kloster der Kapuziner trieb. Dort starben drei Indianer, die andern wurden von Luis XIII. auf seinen Namen und den seiner Ziehmutter, Maria de Médici, getauft“.
Interessant, weil sich hier irgendwie die Missbilligung der Portugiesen gegenüber der „Gräueltat des Indianer-Exports nach Frankreich“ auszudrücken scheint, während sie hinter ihrem „sich allein mit der Kolonisation begnügen“ die viel scheusslicheren Gräueltaten gegenüber eben jenen Indianern und den zu Hunderttausenden verschleppten und versklavten Afrikanern verstecken!
Inzwischen kämpften die südamerikanischen Söldner Spaniens, Portugals und Frankreichs um die Herrschaft über das Land. 1614 besiegten die Portugiesen, unter „Jeronimo de Albuquerque“, die Franzosen in „Guaxenduba“, die machten ein Waffenstillstands-Angebot, das aber von den Siegern abgelehnt wurde. 1615 übergibt „La Ravardière“ die Kolonie, das von den Franzosen errichtete Fort, die Schiffe und alle Waffen.
Ende des Jahres 1631 – „Bento Maciel Parentes“, ein Veteran vieler Kämpfe gegen feindliche Indianer im „Sertão“, war inzwischen Gouverneur von Maranhão geworden – man sagte ihm nach, dass wenigstens 500.000 Gefangene oder Tote auf sein Konto gingen.
Von den 18 holländischen Schiffen und ihrer Besatzung, die am 25. November in seinen Hafen einlaufen, wird er überrumpelt, denn Portugal befindet sich im Frieden mit den „Flamengos“, und niemand ahnt etwas von deren wahren Absichten, bis sie plötzlich das Fort besetzen und anfangen, die Kanonen auf die Stadt zu richten und da ist es bereits zu spät.
Zehn Monate gehen unter der neuen Herrschaft ins Land, dann erheben sich die Landarbeiter von „Itapecuru“ gegen die blonden Ausbeuter, die ihre Zuckerernte unter Zahlungsversprechungen an sich bringen, die sie dann nicht einhalten.
Ein blutiger Aufstand beginnt, der, von Maranhão ausgehend, bald alle von Holländern besetzte Gebiete, wie Pernambuco, Rio Grande do Norte und viele andere, erfasst: in ganz Brasilien werden die eingewanderten Holländer verfolgt. Es folgen Monate der Guerrilha, eines Volksaufstandes, der vielen Holländern und ihren alliierten Indianern den Kopf kostet.
Es heisst, „dass man die Männer in Gruppen zusammentrieb und nach Ceará verschiffte, wo die wilden Indianer sie auffrassen oder nach Barbados, wo man sie den Engländern zum Kauf anbot“.
Schliesslich geben die blonden Besatzer auf, als die Aufständischen in São Luis, geführt von „Muniz Barreiros“ und „Texeira de Melo“, die gesamte Landwirtschaft lahm legen und der portugiesische Colonel „Bento Rodrigues de Oliveira“ mit seiner Truppe von der Nachbarprovinz Pará in Maranhão einmarschiert, um ebenfalls die verhassten Holländer anzugreifen. Am 28. Februar 1644 ziehen sie aus São Luis ab, sie haben die Nase gestrichen voll von soviel hartnäckigem Widerstand.
Im 18. Jahrhundert öffnen sich die Wege ins Inland – dem „Sertão“. Allen voran durchqueren die Jesuiten das unbekannte Terrain um den Indianern ihre christliche Botschaft zu bringen. Die Befehle des Königs in Portugal schwanken zwischen „den Wilden den Krieg zu erklären“ und „die Befriedeten nicht zu belästigen“!
Bis zum Jahr 1749 waren Rollen mit Baumwolle, oder mit gewebten Stoffen, als Tauschartikel anstelle von Geld, üblich, dann bekommt Brasilien seine ersten Münzen. 1755 erklärt man alle Indianer für frei. Wer ihre Dienste in Anspruch nehmen will, hat ihnen „zu essen und 1 Tostão pro Tag“ zu geben („Tostão“ war die geringste aller Münzen – etwa einem Pfennig vergleichbar). 1760 wirft man die Jesuiten aus dem Land – 86 Padres werden auf einem Schiff ausser Landes gebracht. Sie lassen 20 organisierte Indio-Dörfer und 22 organisierte Pflanzungen hinter sich.
Der Einfluss der Schwarzen
Die ersten Sklaven kommen im Jahr 1680 nach Maranhão, aber der regelmässige Nachschub fliesst erst nach der Jahrhundertwende. Über ihre genaue Zahl gehen die Meinungen auseinander, aber die Beobachtung des Mönchs „Frei Francisco“ vom Kloster „Nossa Senhora dos Prazeres“ sei hier wiedergegeben, der in seinen Aufzeichnungen festhielt: „Wenn nicht so viele von ihnen durch die schlechte Behandlung und an Krankheiten sterben würden, existierte jetzt in der Provinz eine grössere Zahl Schwarze als Weisse“!
Um 1800 gab es für jeden freien Schwarzen zwei, die als Sklaven ihr Leben fristeten. Und die hatten sich nicht einfach mit ihrem Schicksal abgefunden. Vielen gelang die Flucht in so genannten „Quilombos“, wo sie sich unter ihresgleichen gegen Sklavenjäger und Soldaten zur Wehr setzten. 1709 wird der erste „Quilombo“ in Maranhão von Regierungstruppen zerschlagen, dann formieren sich ab 1811 neue „Quilombos“ und breiten sich über den gesamten Westen der Provinz aus – bis an die Grenze von Alcântara, bis an die Tore der Hauptstadt, bis ins Gebiet der Seen des Tieflands. 1835 befiehlt der Gouverneur „Eduardo Olímpio Machado“ die Schwarzen von „Maracassumé“ zu massakrieren, denn die hatten Gold gefunden und betrieben einen regen Handel mit den benachbarten Orten.
1867 vernichtet der Gouverneur „Franklin Dória“ den „Quilombo“ von „São Benedito do Céu“, die schwarzen Bewohner dort waren zu einer Zahl angewachsen, die den Regierenden Angst einflösste. Ihr Führer, „Joaquim Calixto“ und einige seiner Kameraden, werden auf ihrer Flucht nach Pará, bei der Überquerung des „Rio Gurupí“, von feindlichen Indianern aufgespürt und getötet.
1888 ist die Sklaverei in Brasilien zu Ende. Aber in São Luis und anderen Zentren trotzen die afrikanischen „Nagô-Traditionen“ dem Wandel der Zeit. Die Kultstätte „Casa das Minas“ ist heute noch eine der vielen Zentren des traditionellen afrikanischen „Candomblé“. Und eine „Maranhense“ ist die grösste Autorität auf dem Gebiet des Studiums der brasilianischen schwarzen Menschen: „Nina Rodrigues“.
Im 17. Jahrhundert gründete die Wirtschaft in Maranhão auf der Produktion von Zucker, Nelken, Zimt und Pfeffer. Im 18. Jahrhundert folgten Reis und Baumwolle, die, zusammen mit dem Zucker die drei wichtigsten Wirtschaftsfaktoren während der Sklavenzeit – bis Ende des 19. Jahrhunderts – darstellten.
Nach der Sklavenbefreiung, am 13. Mai 1888, sank die Wirtschaft in Maranhão in die Dekadenz, aus der sie sich erst ab 1910 wieder erholte, als die Industrialisierung in Maranhão ihren Anfang nahm und zwar mit der Textilproduktion.
Im Lauf des 20. Jahrhunderts erlebte Maranhão zwei massgebende Emigrationswellen. Die Erste bestand aus syrisch-libanesischen Einwanderern, die sich anfangs vor allem einem bescheidenen Kommerz widmeten, sich dann aber auch an grösseren Unternehmen beteiligten und schliesslich die ersten freien Berufe und politischen Karrieren bestritten. Zwischen den 40er und 60er Jahren kam dann eine grosse Einwanderer-Welle aus Ceará auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen in der Landwirtschaft. Sie widmeten sich in erster Linie dem Reisanbau, was die Produktion des Bundesstaates sichtbar verbesserte.