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Zuletzt bearbeitet: 2. Januar 2013
ARICY CURVELLO
Anthologie “Poesie Minas Gerais im 20. Jahrhundert
Poema Água com Açúcar

Vom dem im Bundesstaat Minas Gerais geborenen Dichter Aricy Curvello bekam ich noch ein wertvolles Register unserer Literatur.

Von:
Tânia Gabrielli-Pohlmann ©
Deutsche Version: Tânia Gabrielli-Pohlmann + Clemens Maria Pohlmann ©

aricy-curvello1Ein weiteres Ergebnis eines Projektes von Assis Brasil, der das literarische, oder genauer ausgedrückt, das poetische Profil Brasiliens zusammenstellt, durch eine Arbeit,  mühevoll, ganz extrem folgerichtig und bewusst seiner Wichtigkeit, besonders in dieser Zeit, in welcher es aussieht, dass Brasilien beginnt, sich wirklich kennen zu wollen. Diese Nation, die noch in der Pre-Adolescence ist, aber die schon von tiefen Narben geprägt wurde (und wird es immer noch). Diese Nation, die auch durch bittere Erfahrungen – viele Male überwunden, andere noch durchquerend –, bereitet sich zur Zeit auf ein bedeutsamen Moment vor. Auf den Moment, sich selbst zu definieren. Auf den Moment, die Schubladen zu öffnen und Geschichte wiederzuentdecken. Seien sie Lebens-, Fakten- , erlebte oder nicht erlebte Traumgeschichten. Auf den Moment, jeden Aspekt seiner Geschichte definitiv zu registrieren. Das ist der Eindruck, den ich bekomme und welcher mir die aktiven Hoffnungen wieder verstärkt.

aricy-curvello2Aricy Curvello schickte mir die vom Verlag Imago herausgegebene Anthologie “A Poesia Mineira no Século XX” (“Poesie aus Minas Gerais im 20.Jahrhundert”) in einer extrem geschmackvollen Aufmachung, auch repräsentativ und praktisch mit schönen grafischen Arbeit. 75 Dichter aus Minas Gerais erfassen die üblicherweise aussergewöhnlichen Wege in ihrer Poesie verschiedener Periode der brasilianischen Literatur – und genau deswegen wurden diese Dichter als original bezeichnet, da sie die von der so genannten Achse Rio – São Paulo auferlegen Grenzen schon seit dem Symbolismus bis zum erwähnten Jahrhundert in Frage gestellt haben.

Dieser Band ist das achte der “Coleçõa Poesia Brasileira”. Zehn brasilianische Bundesstaaten wurden schon durch die Recherchen und Organisierung von Assis Brasil: Maranhão, Piauí, Ceará, Goiás, Amazonas, Rio de Janeiro, Rio Grande do Norte, Minas Gerais, Sergipe und Espírito Santo vorgestellt. Der aus dem Bundesstaat Piauí stammende Schriftsteller Assis Brasil hat noch vor, insgesamt ca. 700 Dichter zusammenzustellen und zwar in zwanzig Bänden, trotz aller Schwierigkeit, sowohl bei der Erhebung der biografischen Daten jedes Autors, als auch diese Sammlung auf den nationalen Markt zu bringen. Assis Brasil bricht damit auch noch die staatlichen Barrieren, da sein Ziel durch dieses Projekt nicht nur seine Lieblings- und zeitgenössischen  Autoren zu fokkusieren, sondern ein echtes und impartielles Bild unseres poetischen Profils im Laufe der letzten hundert Jahren anzubieten ist.

Der Verlag Imago ist seit dem Anfang dieses Projektes ein wertvoller Partner gewesen und geblieben. Leider wird diese Herausforderung nicht immer von den entsprechenden Institutionen und staatlichen Körperschaften gefördert. Sie könnten manche Partnerschaften übernehmen, was die Möglichkeiten des Zugangs dem interessierten Publikum erweitern würde, und auch die Bundesstaaten würden damit profitieren, da die Sammlung nicht nur biografische Daten jedes Autores präsentiert, sondern auch noch den historischen Zusammenhang im erwähnten Bundesstaat. Assis Brasil hatte ein sehr vernünftiges Kriterium genommen, als er die Autoren nicht in der alphabetischen sondern in die chronologische Folge stellt, was nicht in vielen anderen Anthologien zu finden ist. Die Autoren werden dann sowohl in den literarischen Bewegungen, als auch in den historischen Zusammenhängen von ihnen erlebt oder in welchen ihre Werke erfolgreicher wurden dargestellt. Dieses Kriterium ermöglicht schnelle Recherche und Informationen für spätere Vertiefungen.

augusto-limaAugusto de Lima (1859-1934 (andere Autoren 1860–1934)) repräsentiert das erste Stichwort dieser Antologie, gewidmet den Poeten des Bundesstaates Minas Gerais, und er ist zwischen dem Parnasianismus und dem Symbolismus positioniert.

Sein Werk jedoch enthält gewissermassen Abneigungen gegenüber radikalen Definitionen-bestimmungen den literarischen Bewegungen, da man in seinen Gedichten Momente feststellt, in welchen laut dem “in São Paulo geborenen und zeitgenössischen Dichter  Péricles Eugênio da Silva Ramos…”, in seiner kurzen Analyse des Werkes Augusto Lima’s, “… die Skepsis und der Antiklerikalismus des Dichters schwächt  im Laufe der Zeit ab, und später wird sein Werk religiös und mystisch…”. Genau diese nicht radikal definierte  Eigenschaft  wird die Züge der Poesie Minas Gerais formatieren im Laufe der Jahrzehnte eines ganzen Jahrhunderts, in welchem sich die brasilianische Literatur  nach und nach und auch unter dem Schalten der  aufgedrängten Beeinflussungen (insbesondere den europäischen) selbst entdeckte. Namen wie Alphonsus de Guimaraens 1870-1921), der den brasilianischen Symbolismus darstellt, gefolgt von seinem Bewunderer und ggf. tief von dem Stil Minas Gerais geprägten Symbolisten Severiano de Resende (1871-1931). Auch historisch erwähnenswürdig ist Edgar Mata, Herausgeber der ersten literarischen Zeitung in Belo Horizonte, “Lótus”, bis zum so zu sagen “Dichter in Transition” Murilo Araújo, der nach einer kurzen Erfahrung im Modernismus in den 30er und 40er Jahrzehnten zum Symbolismus zurückkehrt.

Eines der einprägsamsten Elemente des Modernismus Minas Gerais, die Zeitschrift Verde, aus der Stadt Cataguases, wird immerzu erwähnt durch die Vorstellung ihrer Mitglieder, wie Enrique de Resende, Ascânio Lopes und Rosário Fusco, ausser vielen anderen Namen, die später die Avant-Garde-Poesie Minas Gerais produzieren würden, sogar mit bedeutsamen Ausbreitung in ganz Brasilien. Paralell dazu ist auch die Zeitschrift “A Revista”, aus Belo Horizonte (1925) präsent und zwar im Stichwort zu der modernen Poesie von Emílio de Moura. Ab dem 30er Jahrzehnt wird einer der bedeutsamsten brasilianischen Dichter, Carlos Drummond de Andrade, “…die Tradition mit der Freiheit” zusammenstellen und versöhnen, so eröffnet Donaldo Schüler das entsprechende Stichwort. Noch unter der Hinsicht der stilistischen Interaktionen wird Henriqueta Lisboa die Möglichkeit bestätigen, die technisch moderne Poesie unter klassischen Formen zu produzieren, ohne jedoch einzutreten in das Terrain der literarischen Absurditäten.

Reflexe und Lärm der Semana de Arte Moderna de 22, in São Paulo, provozieren in den Gegnern den Mangel an stetischer Strenge, das Bedürfnis, “die Ordnung wieder zu finden”, so zu sagen, im Sinn der Struktur des Gedichtes. Es wird dann von neumodernistischen Techniken gesprochen, wie die in dem Werk von Bueno de Rivera festgestellten, durch seine noch früheren als die so genannte Geração de 45 (Generation vom Jahr 45) stetische Expressivität. Die Frage, ob die modernistische Essenz unter den Grenzen der Metrik machbar sei, zwischen noch weiteren gewünschten Grenzen, wird von Dichtern bestätigt, welche die o.a. Geração de 45 bauen werden und die als Neumoderniste bezeichnet werden. Dieses Thema wird von Assis Brasil in seiner Anthologie sehr gerecht behandelt, da er auch ganz klar und deutliche Spuren davon anbietet, und zeigt, diese Generation wurde so falsch bezeichnet, da ihre Darsteller eigentlich den freien Vers ablehnten und sie wurden genau deswegen auch als “Neuparnasianiste” bezeichnet. Das wäre aber auch ein sehr interessantes Thema, welches in irgendeiner zukünftigen Ausgabe dieses Boletims vertieft werden könnte…

In der Literatur Minas Gerais aktuelle und aktive Autoren sind auch in der Anthologie zu finden: die simplistische und umgangsprachliche Poesie von Adélia Prado. Affonso Romano de Sant’Anna, dessen Chronik im ganzen Brasilien in vielen Zeitungen zu lesen ist, registriert auch durch seine poetischen Beitrag sein Engagement und seine kritische Expressivität.  Guido Bilharinho, einer der Herausgeber der Zeitschrift “Dimensão”, eine der wichtigsten Publikationen der Konkret- und Prozesspoesie, gefolgt von P. J. Ribeiro, mit seinem bündigen Diskurs, bieten einen panoramischen Ausblick des Poesiemachens an. Adão Ventura definiert seine soziale Rolle im ethnischen Inhalt seines Werkes, während Rogério Salgado verbreitet die Poesie in Belo Horizonte, durch sein Projekt “In/Sacando Poesia”, welches aus auf Brötchentüten gedruckten Gedichten besteht. Mit Rogério Salgado habe ich im Jahr 1990 ein Buch zusammen geschrieben, namens “Afinidades”. Ein Gedicht davon folgt unten.

Natürlich muss ich noch Aricy Curvello selbst erwähnen. Er nimmt auch an dieser Anthologie teil und zwar mit den Gedichten “Aos vinte anos”, “Morfose” und “Às vezes”, die seine extreme Fähigkeit bestätigen, Rhythmen, Formen und sogar semantische Erneuerungen zusammenzunähen, ohne dass seine tief engagierte Thematik der sozialen Beanstandung verloren geht. Und noch dazu einer Dichter, der sein Werk der performatischen und Multimedia Sprache widmet: Eric Ponty, das letzte Stichwort der Anthologie, mit zwei Gedichten – eines davon noch nie zuvor veröffentlicht.

Um dem Leser besser zu orientieren, beendet Assis Brasil diese Anthologie mit “Obra Poética dos Autores Antologiados”, also eine in chronologischer Ordnung mit einer Liste des Werkes eines jedes Autors. In der Folge noch eine Bibliografie und eine kurze Biobibliografie von Assis Brasil und seiner ganze Werk.

Diese Unternehmung von Assis Brasil verdient unsere Aufmerksamkeit. Wer Brasilien verstehen möchte, sei es unter ausländischen Blick oder nicht, muss diesen Werk einfach haben.

nach obenPOEMA ÁGUA COM AÇÚCAR (*)

Rogério Salgado

H    O
2

C          H         O
12        22        11

Tânia Gabrielli-Pohlmann ©

IN “AFINIDADES”
Editora: Arte Quintal

(1) Este trabalho foi premiado nos Concurso de Poesia em Língua Alemã, da Biblioteca Nacional de Poesia em Língua Alemã, em Munique, respectivamente em 2001. Consta na antologia posteriormente publicada.

(*) Das ist auch ein Fachbegriff für Gedichte, deren Inhalt extrem romantisch sind und normalerweise negativ gesehen werden die so genannte “Geschichte Wasser mit Zucker” kitschig bezeichnet. Mit dem Nachname von Rogério Salgado habe ich auch ein Wortspiel gemacht, da “Salgado” “salzig” bedeutet. In diesem Praxis Poem stelle ich die Sicht der “Konkret Dichter” gegenüber der Sättigung der Poesie mit Reimen und mit der traditionellen Metrik. Andererseits eine Kritik der neuen Zeiten.

(1) Dieses Gedicht ist auf dem Buch “Afinidades”, welches ich in Partnerschaft mit Rogério Salgado geschrieben habe. Im Jahr 2001 wurde es im Deutschsprachigen Gedicht Wettbewerb der Gedicht National Bibliothek München ausgezeichnet und in der entsprechenden Anthologie veröffentlicht.

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