An einem Sonntagabend gegen 22Uhr30 sitze ich in einer dieser phantastischen “Churrascarias“ von Rio de Janeiro und geniesse gerade ein Steak “au point“ vom Grill, als zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen von vielleicht drei bis vier Jahren, mit grellen Entzückungsschreien zwischen den anwesenden Gästen hin und her rennen, um sich ausgerechnet unter meinem Tisch und zwischen meinen Beinen vor einem dritten Dreikäsehoch zu verstecken, der jetzt unter die Tische aller Gäste zu schauen beginnt, um die beiden Versteckten ausfindig zu machen.
Als er bei mir angelangt ist, packe ich die beiden Bälger unter meinem Tisch am Hosenbund, ziehe sie ans Licht, stelle sie auf ihre Füsse und zische den Dreien ein paar “nette Worte“ ins Ohr. Das wirkt! – ohne ein Wort rennen sie davon und machen an einem Tisch etwa in der Mitte des grossen Salons Halt, wo sie einem Paar, wahrscheinlich ihren Eltern, atemlos von der Bedrohung durch jenen “bösen Mann“ berichten. Der Vater erhebt sich und schickt einen finsteren Blick in meine Richtung – also erhebe ich mich ebenfalls, grinse ihn an und strecke meinen Arm mit dem Daumen nach oben in seine Richtung – dann setze ich mich wieder, während der Kellner mich angrinst und mir mit gedämpfter Stimme erklärt, dass solche Kinder “eine wahre Pest“ seien, aber er könnte es sich aus verständlichen Gründen nicht leisten, etwas dagegen zu unternehmen, weil… plötzlich bemerke ich, dass Vater und Mutter sich erheben, aber nicht um zu gehen, sondern um sich an einen Tisch im äussersten Winkel des weiten Salons zurückzuziehen, wo ihre Verstecken spielenden Kinder ein neues Betätigungsfeld haben und hoffentlich auch toleranteren Gästen als diesem verabscheuungswürdigen Gringo auf die Nerven fallen dürfen. Um den Lieblingssatz brasilianischer Eltern zur Verteidigung ihrer ungezogenen Sprösslinge zu gebrauchen: “Herrgott nochmal, es sind doch nur Kinder“!
Aber ich, Herrgott nochmal, will abends endlich mal ein bisschen ausspannen können von der täglichen Hektik, dem ohrenbetäubenden Verkehrslärm und dem herumwieselnden Volk in dieser glutheissen, nach Urin und Fäkalien der vagabundierenden Strassenbewohner stinkenden Grossstadt – unter einer barmherzigen Klimaanlage, bei schmeichelnder Ambientalmusik, einem liebenswürdigen Kellner und einem saftigen, duftenden Steak! Zwischen meinen Beinen sich einrichtende, kichernde Kleinkinder gehören nicht zu meinen Vorstellungen von diesem bisschen Komfort, den ich mir hie und da gönne – vor allem nicht im Restaurant und schon gar nicht um elf Uhr abends!
Jedoch bei einem Restaurantsbesuch ihrer Eltern gehören die Kinder stets dazu. Und weil man in Rio de Janeiro vorzugsweise erst nach neun oder gar zehn Uhr abends zum Essen geht – weil der Papa unbedingt noch die Nachrichten des “Jornal Nacional“ um acht sehen will, oder die Mama nicht von ihrer “Acht-Uhr-Novela“ loszureissen ist, die aber erst um neun Uhr anfängt – kommen auch die Kinder, egal wie alt sie sind, noch in diesen späten Genuss jenes reizvollen Versteckspiels, während ihnen die Eltern zwischendurch den einen oder anderen Happen von ihrem Teller zustecken, denn wenn man sie zwingt, am Tisch sitzenzubleiben, ist ihr protestierendes Gebläke selbst den Eltern unerträglich – also lassen sie ihnen freien Lauf. Die grosse Mehrheit dieser Eltern hat keinerlei Antennen dafür entwickelt, zu erkennen, wann ihre Kinder anderen Gästen auf den Wecker fallen – geschweige denn dafür, dies bereits von vornherein zu unterbinden.
Ganz im Gegenteil: Man ist in diesem Land allgemein der Ansicht, dass Kindern nicht nur eine gewisse, sondern die “totale Narrenfreiheit“ zuzugestehen ist. Aber wenn Sie jetzt annehmen, lieber Leser, dass diese Narrenfreiheit mit “antiautoritärer Erziehung“ der Eltern zu übersetzen sei, dann muss ich Ihnen aus meiner Erfahrung widersprechen – es sei denn, Sie meinen mit “antiautoritär“ überhaupt keine Erziehung. Der Staat hat Eltern sogar per Gesetz verboten, die eigenen Kinder zu klapsen – wenn sie von jemanden deshalb angezeigt werden, droht ihnen eine Gefängnisstrafe! Und deshalb regt sich auch niemand über das Benehmen von Kindern auf. Stattdessen lächelt man sie an, tätschelt und hätschelt sie und lässt sie gewähren. Wehe dem Fremden, der es wagt, sich ihnen in den Weg zu stellen – der geschilderte, untypische Rückzug jenes Familienvaters vor meiner “Bedrohung seiner Kinder“ ist nur damit zu erklären, dass ihn meine vergleichsweise mächtige Körperstatur wohl davon abgebracht hat, mir nähertreten zu wollen.
Kinder kommen in der Regel schon schreiend auf die Welt – nicht nur in Brasilien. Dann sind sie gesund, so sagt man – auch in Brasilien. Aber dieser Moment ist auch der einzige im Leben eines kleinen Brasilianers der Mittel- und Oberschicht, in dem er mal einen korrigierenden Klaps auf den Po bekommt, falls er nicht gleich schreit – es ist auch der einzige Moment in seinem Kinderleben, in dem sein Geschrei die Eltern glücklich lächeln lässt. Denn wenn er (oder sie) zukünftig ihre anklagenden Stimmen erheben, lösen sie damit jedes Mal ernste Besorgnis bei den Eltern oder dem Kindermädchen aus – die sofort herbeieilen, um das Kind zu trösten, es auf den Arm zu nehmen und hin und her zu wiegen, bis es sich beruhigt hat. Der kleine Wurm lernt daraus: “Wenn ich schreie, kommt jemand und beschäftigt sich mit mir“ – also schreit er zunehmend öfter und fängt an, seine prompten Erfolge zu geniessen.
Als Erstgeborener ist er Mittelpunkt der Familie, seit er auf die Welt gekommen ist – und wenn er dann zum ersten Mal auf seinen eigenen Beinchen stehen kann, oder gar die ersten Worte plappert, dann sind die glücklichen Eltern nicht mehr zu halten: Jedem Besucher wird der Kleine wie ein seltenes Haustierchen vorgeführt – die Mutter versucht, ihm eins seiner “neuen Worte“ zu entlocken, der Vater möchte zeigen, dass “sein Sohn“ bereits einen Ball treten kann – das Baby wird immer und überall zum Zentrum des Interesses sämtlicher Anwesenden gemacht, wozu natürlich auch die obligatorischen Fotos gehören, die man zu diesem Anlass aus verschiedenen Schubladen hervorkramt.
Schon zu seinem ersten Geburtstag geben die Eltern ein grosses Fest in einem mit bunten Luftballons und Girlanden geschmückten Gemeinschaftssaal ihres Mietshauses, zu dem die Sprösslinge der Verwandten, Freunde und Nachbarn eingeladen werden, die, je nach Alter, auch mit dem einen oder anderen Elternteil (meistens mit der Mutter oder dem Kindermädchen) anrücken – ein Fest mit Geburtstagstorte, Süssigkeiten, Softdrinks und Spielzeug. Wenn die Eltern des Geburtstagskindes es sich leisten können, engagieren sie, nach amerikanischem Vorbild, eine Gruppe professioneller Animateure, Zauberer und Clowns zur Unterhaltung der Kinderschar – wenn nicht, genügen auch ein paar CD’s mit bekannten Kinderliedern, die nach typisch brasilianischem Gusto, ohrenbetäubend laut aus riesigen Boxen schallen, eine eventuelle Kommunikation der grossen und kleinen Gäste von vornherein erschweren, und empfindliche Gringo-Ohren noch über mehrere Häuserblocks hinweg verfolgen. Die Kleinen krabbeln herum und schieben ein Spielzeug vor sich her, die Grösseren stopfen Süssigkeiten in sich hinein und die Erwachsenen versuchen, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, zu der sie sich gegenseitig anschreien müssen.
Apropos: Man gewinnt in diesem Land leicht den Eindruck, dass Brasilianer mit einem weniger empfindsamen Gehörsinn ausgestattet sind als andere Menschen, denn Lärm gehört zu ihrem Alltag, wie die Luft zum Atmen. Schon der Verkehrslärm ist in einer Stadt wie Rio de Janeiro um etliche Phon höher als anderswo: Besonders Motorradfahrer pflegen den schalldämpfenden Inhalt ihrer Auspuffrohre zu entfernen, um ihrer Umwelt den “satten Sound“ ihrer Mopeds zu präsentieren, der manchen toleranten Bürger heimlich die Faust ballen lässt. Bei Verkehrsstaus versuchen stets einige verblödete Autofahrer, sie mit Dauerhupton aufzulösen – und auch jedesmal, wenn eine Ampel auf Grün schaltet, meinen ein paar dieser selben Sorte, die erste wartende Autoreihe mit ihrer Hupe in Bewegung bringen zu müssen.
Der Geräuschpegel in den Restaurants liegt nur wenige Grade unter dem des Strassenverkehrs. Die Unsitte der Besitzer, in ihrem Etablissement ein Fernsehgerät zur Unterhaltung der Gäste aufzustellen – manche Restaurants haben sogar mehrere – zwingen diese bereits zu einer Unterhaltung in forcierter Lautstärke. Dazu läuten, klingeln und pfeifen andauernd die verschiedensten Handy-Telefone, deren Besitzer dann während dem Essen lange Palaver mit ihren Anrufern führen – natürlich mit erhobener Stimme und oft mit so peinlichen Details, dass den gezwungenermassen Zuhörenden rings herum der Appetit vergehen kann. Um solchen Ärgernissen auszuweichen, habe ich meine Mittagspause auf 14:00 Uhr verlegt: erstens bieten die Restaurants dann einen günstigeren Preis an, und zweitens findet man auch mal leere Tische, von denen aus man einen gewissen Abstand zu den beschriebenen Peinlichkeiten wahren kann – ausserdem ist dann weniger Betrieb und der Geräuschpegel ebenfalls niedriger.
Die persönliche Geräuschentfaltung eines Brasilianers oder einer Brasilianerin ist in der Regel ebenfalls überraschend heftig und laut. Vielleicht kann man dies mit ihrem lateinamerikanischen Temperament erklären oder mit der lärmträchtigen Umgebung, in der sie aufwachsen. Tatsache ist, dass diesen Menschen zur gegenseitigen Verständigung anscheinend eine normale Zimmerlautstärke fremd ist (auch wenn kein laufender Fernseher sie daran hindert) – sie reden, lachen und weinen stets in einer Phon-Stärke, die empfindliche Ohren reizt, und ihre übertriebene Dramatik, welche sie in jedwede Kommunikation einfliessen lassen, macht einen aufmerksamen europäischen Besucher erst einmal misstrauisch – doch schreiben wir die mal ihrem besonderen Temperament zu, wodurch sie sich auch zu so dubiosen Versicherungen wie “com certeza!“ (mit Sicherheit) oder “sem falta!“ (unfehlbar) hinreissen lassen, mit denen sie ihre enthusiastischen Versprechungen in der Regel zu krönen pflegen – und die mit Sicherheit nicht eingehalten werden.
Die voll aufgedrehten Lautsprecheranlagen von Privatleuten und Vereinen, von Propaganda-Fahrzeugen, Kiosken, Strassenhändlern und Kirchen sind die perfidesten Lärmquellen überhaupt – man kann sich ihnen nicht entziehen, wenn man zum Beispiel in einem Appartement wohnt, das von solchen Ruhestörern umgeben ist. Hat man ganz besonderes Pech, so ist gleich der Nachbar ein Rap-Anhänger, der seine Platten bis in die späte Nacht hinein aus den Boxen dröhnen lässt – man kann ihn zwar um eine Minderung der Lautstärke bitten, aber wenn er kein Einsehen zeigt, ist man machtlos – die Polizei denkt nicht daran, wegen einer Lärmbelästigungsanzeige aufzukreuzen, da müsste man sich schon selbst die Mühe machen, weitere Hausbewohner zu einer gemeinsamen Aktion zu bewegen – aber Solidarität ist für Brasilianer ein Fremdwort, dem sie höchstens mal entsprechen, wenn es ums Anfeuern ihres Fussballvereins geht.
Besonders an den Wochenenden, wenn man ein bisschen ausspannen will – ich persönlich möchte gerne ein bisschen länger im Bett liegen – ärgern mich die Propaganda-Fahrzeuge, die mit riesigen Lautsprechern bepackt, im Schritt-Tempo durch unsere Strasse defilieren, um eine Wahlpropaganda zu verbreiten, die Bürger zu einem bevorstehenden Fest einzuladen, billige Shrimps oder sonst eine Ware anzupreisen. Wenn der eine durch ist, kommt schon ein anderer hinterher – ein alter Mann, der Schallplatten verkauft, schiebt zum Beispiel einen Karren vor sich her, auf dem zwei gigantische Lautsprecher montiert sind, durch die seine romantischen Liebeslieder aus dem Nordosten von kehligen Stimmen direkt in mein Bett getragen werden – wegen der Hitze kann ich das Fenster nicht geschlossen halten und auch den Kopf nicht unter eine Decke stecken! Sogar die Kirchen machen Lärm – und wie! Ihre Seelenhirten bilden sich ein, wenn sie ihre Predigten per Lautsprecher über die Dächer der armen Sünder ihres Bezirks schicken, dass diese sich irgendwann zum Gottesdienst einfinden werden, aber damit sind sie ganz sicher schief gewickelt – diejenigen, welche im Umkreis einer Kirche wohnen, ballen höchstens die Faust im Sack, denn auch die Mitternachtsmessen werden per Lautsprecher in die gesamte Nachbarschaft hinausposaunt.
Mein Rat für Lärmempfindliche: Versuchen Sie gar nicht erst, eine ruhige Wohnung in einer brasilianischen Grossstadt zu finden – die gibt es nicht. Sondern ziehen Sie sich in ein Land- oder Strandhaus zurück – falls Sie nicht auch das Zirpen der Zikaden und das Quaken der Frösche – oder das Rauschen des Meeres – als Lärm empfinden. Für mich jedenfalls sind diese, sagen wir mal “natürlichen Geräusche“, Balsam für die Seele – ich kann bei Grillengezirpe, Froschgequake und Meeresrauschen nämlich besonders gut einschlafen! Verzeihen Sie mir mein Abschweifen vom Thema, aber eigentlich hat diese übertriebene Lärmproduktion ja auch mit “Erziehung“ zutun.
Meine Erfahrungen unter jenen, in ärmsten Verhältnissen in einer so genannten “Favela“ aufwachsenden Brasilianern gehören, gewissermassen als Gegenstück zu denen der Mittel- und Oberschicht, unbedingt auch zu dieser Verhaltensskizze: “Favelas“ nennt man jene miserablen Armenquartiere (englisch: Slums), die in Rio de Janeiro an den felsigen Hügeln unserer weltberühmten Stadtlandschaft kleben und von weitem wie ein buntes Riesen-Puzzle wirken – gern fotografiert von den Touristen, die sich aber, infiziert von der übertriebenen Angst der “besseren Bürger“ der Stadt, nicht in ihre Nähe wagen. Es ist eine Tatsache, dass etwa 30% aller Bürger von Rio in solchen Favelas wohnen – meistens eingewanderte Bauern aus dem trockenen Nordosten, die sich ein besseres Auskommen in der Grossstadt erhofften – und wenn sie hier tatsächlich einen Job gefunden haben – als Liftboy, Postbote, Strassenreiniger oder an einem Fliessband – können sie mit dem bisschen Lohn gerade mal in einer Favela unterkommen, wo ihnen barmherzige Landsleute, die ebenfalls weder lesen noch schreiben können, einen Anbau ihrer Wohnbaracke vermieten. In Rio de Janeiro haben sich die Favelas vorwiegend auf den schrägen Terrains der Stadthügel ausgebreitet, weil diese für die Bodenspekulanten von geringerem Wert sind – deshalb befinden sich die Favelas oft in direkter Nachbarschaft zu den Luxusvillen und Wohnblöcken der besser gestellten Cariocas – während sie in São Paulo, zum Beispiel, an die Peripherie der Stadt verbannt sind.
Es ist wesentlich einfacher, unter den als “Favelados“ bezeichneten Bewohnern der Slums Bekanntschaften zu machen, als zum Beispiel unter den Bürgern aus Rios Oberschicht. Das liegt vor allem an ihrer Lebensweise. Erstere sind einfache, unkomplizierte und spontane Menschen, und ihre Bedürftigkeit ist einem schnellen Kontakt eher förderlich, denn sie haben nichts zu verlieren – während die andern vor allem durch ihr Geld und einen entsprechenden luxuriösen “Way-of-Life“ ziemlich unerreichbar für weniger Betuchte sind – sie verkehren grundsätzlich nur mit Bekannten ihres finanziellen Levels – und ihre kontinuierliche Sorge gilt ihrem Besitz, den sie mit hohen Gittern umgeben, von bewaffnetem Personal bewachen lassen und in Banksafes verborgen an der Steuer vorbeischwindeln. Zur “Oberschicht“ gehörend fühlen sich zum Beispiel Mitglieder der Regierung, Grossgrundbesitzer, Grossunternehmer, Eigentümer von Hotel- und Restaurantsketten und Bürogebäuden, Fernseh-Novela-Stars, Starmannequins, TV-Entertainer etc.
Rios Mittelschicht, zu der ich mich inzwischen ebenfalls zählen darf, besteht einerseits aus einem nationalen Rassengemisch mit weisser über bronzebrauner bis schokoladenfarbener Erscheinung – Nachfahren von portugiesischen Invasoren, eingeborenen Indianern und eingeschleppten afrikanischen Sklaven – und andererseits aus einem Rassen- und Völkergemisch aus aller Herren Länder. Sie sind es, die das grösste Kontingent von Rios Bürgern stellen, und deren Kindervernarrtheit ich am Anfang meines Artikels geschildert habe.
In der Favela stellen Kinder den einzigen Reichtum ihrer Eltern dar – schon ab dem sechsten bis achten Lebensjahr helfen die Mädchen ihrer Mutter im Haushalt, während die Jungen mit Bauchläden zwischen den Strandbesuchern umherwieseln, um ein paar Münzen mit nach Hause zu bringen. Alleinerziehende Mütter findet man besonders in einer Favela zuhauf, weil sich die Väter irgendwann abgesetzt haben – eine weit verbreitete Strategie unter den brasilianischen Machos – meistens noch vor der Geburt des ersten Kindes. Später ist die Kindesmutter dann Freiwild für die nächsten “Väter“ – ich kenne eine, die zieht drei Kinder auf, alle von verschiedenen “Vätern“. Allerdings könnten die Eltern jener verhätschelten Zentrumskinder bei der alleinerziehenden Mutter von Favela-Kindern eine ganze Menge lernen: Kinder werden hier von Anfang an fast wie Erwachsene behandelt – diese fürchterliche “Aah,aah – bluh,bluh – ei,ei-Sprache“, mit denen Erwachsene sich einem Baby nähern, habe ich in der Favela nie beobachtet – stattdessen spricht die Mutter leise und hingebungsvoll auf den Säugling an ihrer Brust ein, der, wenn sie nicht da ist, von einer älteren Schwester auf der Hüfte herumgetragen wird, (meine Bekannte aus der Favela arbeitet halbtags im Haushalt einer Mittelschicht-Familie), und der nachts im Bett mit der Mutter schläft, während die anderen Kinder je eine Hängematte zur Verfügung haben – so, wie man es vom Nordosten her gewöhnt ist.
Favela-Kinder werden, kaum dass sie laufen können, bereits mit der unverfälschten Härte des Lebens konfrontiert. Hier gibt es kein Verhätscheln, sie sind nicht Mittelpunkt der Familie sondern ein Teil von ihr, und sie werden Schritt für Schritt eingewiesen in die Aktivitäten, welche man von ihnen als Mitglied der Familie erwartet. Aufsässigkeit, etwa beim Essen oder gegen eine Anordnung der Eltern, wird hier schon mal mit einer Ohrfeige geahndet – diese Kinder sind meist höflich gegenüber Besuchern und reagieren bereits auf einen kleinen Wink oder Augenaufschlag ihrer Mutter – man hat den Eindruck, dass in diesem Fall tatsächlich eine Erziehung erfolgreich angewendet worden ist.
Allerdings gibt es gerade in einer Favela viele Gefahren für heranwachsende Jugendliche, von dem Weg, den ihre Eltern für sie geplant haben, abzukommen – und solche Kinder, die unter der Obhut einer alleinstehenden, ausserhalb arbeitenden Mutter aufwachsen, sind eine leichte Beute für die Verführungen der Drogenhändler, die ihre Hauptquartiere just innerhalb der gesetzlichen Unzugänglichkeit der Favelas eingerichtet haben. Halbwüchsige Knaben und Mädchen werden von ihnen als “Mulas“ (wörtlich: Maulesel) rekrutiert, die in ihrer Unauffälligkeit als Boten zwischen den Händlern und ihren Kunden in der Mittel- und Oberschicht hin- und herpendeln – und damit manchmal mehr Geld verdienen als die Mutter in ihrem Job. Wenn das Geld der Kinder sie nicht korrumpiert, dann bestimmt die Drohungen der Drogenbosse, falls sie sich gegen sie auflehnen sollte.
In den von ihnen besetzten Favelas haben allein die Bandenchefs das Sagen – sie allein bestimmen, was in ihrem “Aktionsbereich“ zu geschehen hat, und wer sich ihnen in den Weg stellt, wird beseitigt. Während ein Favela-Bewohner in der Regel kaum eine Chance hat, in einem öffentlichen Krankenhaus schnell und kostenlos behandelt zu werden, und Unfälle oft erst tödlich enden, weil man den schwerverletzten Patienten abweist oder zulange warten lässt, gibt es Drogenbosse, die sich für die Mitglieder ihrer Kommune entsprechend einsetzen: sie rufen eine Ambulanz an, lassen den Patienten in einem Privatkrankenhaus operieren und übernehmen sämtliche Kosten! Was Wunder, dass die Bewohner einer solchen Favela wie Pech und Schwefel zusammenhalten, wenn die Polizei mal wieder eine ihrer Razzien veranstaltet – und ihre “Soldaten“, Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die als Kinder nur selten mal ein Spielzeug geschenkt bekamen, dürfen jetzt im Auftrag des Chefs mit russischen Schnellfeuergewehren “Räuber und Gendarm“ spielen – wobei die Zahl der erschossenen jugendlichen “Räuber“ in der Regel um ein Vielfaches höher liegt als die der trainierten “Gendarmen“. Die Bosse beteiligen sich nicht an diesen Gefechten, sondern halten sich versteckt, bis die Polizisten wieder abziehen. Hinterher kann man im Fernsehen den Protest der Favelados gegen “das rücksichtslose Vorgehen der Polizei“ verfolgen, deren Beamten “wieder einmal nur ehrbare Bürger erschossen hätten“ – während der Polizeisprecher erklärt, dass “sämtliche Opfer Verbrecher gewesen seien“ – was schob deshalb nicht von der Hand zu weisen ist, weil sie mit einer Waffe auf Polizisten geschossen haben.
Ein “Verbrecher“ im Sinn des brasilianischen Gesetzes ist auch Manuel, der jetzt sechzehnjährige Sohn meiner Bekannten aus der Favela. Als wir am Weihnachtsabend den Truthahn anschneiden, den ich der Familie spendiert habe, sehe ich ihn zum ersten Mal wieder – bei meiner letzten Begegnung war er gerademal zwölf Jahre alt gewesen und hatte sich immer besonders gefreut, wenn ich bei ihnen aufgetaucht war – er konnte mir stundenlang begeistert zuhören, wenn ich von meinen Erlebnissen unter Indianern des Amazonas erzählte. Als er die Wohnküche betritt, in der ich mit seiner Mutter und seinen beiden jüngeren Geschwistern am Tisch sitze, erkenne ihn kaum wieder: In den vier Jahren, die wir uns nicht gesehen haben, ist er ziemlich gewachsen – jetzt trägt er einen braun-grün gefleckten Kampfanzug, mit dem er aussieht, wie einer von Fidel Castros und Ché Quevaras Genossen, in seinem Gürtel steckt eine Pistole – er stellt sein Gewehr an die Wand. Trotz der langen Zeit, die wir uns nicht mehr gesehen haben, umarmt er mich nicht wie sonst immer, sondern nickt mir nur mit einem flüchtigen Lächeln zu, das mich wohl daran erinnern soll, dass die Zeiten jetzt anders geworden sind – vielleicht fühlt er sich zu alt für die Umarmung eines Freundes, vielleicht hat ihm auch sein “General“ eingebläut, dass solche Sympathiebezeugungen gegenüber Aussenstehenden nicht angebracht sind. Aber ein ordentliches Stück von meinem Truthahn verschmäht er nicht.
Die Mutter bemerkt mein Erstaunen ob dieser flüchtigen Begrüssung – eine Träne stiehlt sich über ihre Wange und sie hebt ihre Schultern etwas an in einer hilflosen Geste. Alle konzentrieren sich aufs Essen – Manuel schlingt seins runter und ist mit einem kurzen Knurrlaut, der wohl ein Abschiedsgruss sein soll, wieder weg. Während sich die beiden Kinder am Boden mit ihrem Spielzeug beschäftigen, kann mich die Mutter einweihen in den aktuellen Stand der Dinge: “Vor drei Monaten war es, da hat die Polizei eine “Chacina“ (Gemetzel) bei uns veranstaltet – vierundzwanzig Personen sind von den Polizisten erschossen worden, man hat sie nebeneinander in der Bar vom “Milton“ auf den Boden gelegt. Es war ein Racheakt – dafür, dass vor unserer Favela vorher zwei Polizisten erschossen worden sind, aber nicht von unseren, sondern von der Bande der Favela nebenan! Aber die fragen nicht, die schiessen einfach alles zusammen – nur sechs von den vierundzwanzig waren tatsächlich Mitglieder der Bande vom “Cachorrão“ (Chef ihrer Favela) – aber die hatten mit dem Polizistenmord nichts zutun – und die andern waren hart arbeitende Familienväter, die sich lediglich im falschen Moment am falschen Ort aufgehalten haben! Von diesem Tag an ist auch Manuel, zusammen mit den meisten jungen Leuten in seinem Alter, als “Soldat“ in die Armee vom “Cachorrão“ eingetreten – ich hab geweint, weil ich weiss, dass er nun nicht mehr lange leben wird, aber es hat nichts genützt“.
Sie hat wieder Tränen in den Augen. “Ich hatte so viele Träume mit Manuel, aber sogar in die Schule geht er jetzt nicht mehr. Er meint, dass er jetzt erwachsen sei, weil er ein Gewehr hat und auf Polizisten schiesst. Jedesmal, wenn er weggeht, habe ich Angst, dass er nicht wiederkommt, und ich ihn auf irgendeinem Fussboden identifizieren muss! “Cachorrão“ ist gut zu allen Familien, deren Söhne bei ihm mitmachen – wenn jemand von uns krank wird, bezahlt er die Rechnung – aber wenn wir für seinen Krieg das Leben unserer Kinder opfern müssen, dann ist das doch ein schlechtes Geschäft“!
Nachdem ich mich spät abends verabschiedet habe, begleiten mich die beiden kleineren Kinder bis an die Favela-Peripherie vor der Fussgängerbrücke “damit mir nichts passiert“ – auf der anderen Seite ist meine Bushaltestelle. Tief in Gedanken versunken trete ich meine Heimfahrt an.
Wenden wir uns nun noch einmal der Mittelschicht zu, bei deren erstem Kindergeburtstag wir Gast sein durften: Im Gegensatz zu den Sprösslingen einer Favela-Familie, werden ihnen sämtliche Möglichkeiten geboten, physisch wie psychisch wohlbehütet heranzuwachsen – sie werden liebevoll betreut, bekommen immer genug zu essen, die Eltern versorgen sie mit Spielzeug und adäquater Kleidung, sie gehen in einen Kindergarten und werden später eingeschult, mit Heften und Lehrbüchern und allem was dazugehört.
Dass sie trotz alledem genauso leicht vom rechten Weg abkommen, wie ihre weniger behüteten Kameraden aus der Favela, liegt an einer ganzen Reihe von Gründen: Das gesamte brasilianische Schulsystem wurde erst kürzlich nach einer Untersuchung der UNO hinsichtlich Niveau und Effektivität auf den 32. Platz unter den Ländern der Erde gesetzt – noch hinter verschiedene afrikanische Länder! (Natürlich sind die Brasilianer betroffen, aber nur vom Reden über Erziehung wird eben nichts besser – immer noch sind 32% der brasilianischen Gesamtbevölkerung Analphabeten!) Zu allem Überfluss hat die Brasilianische Regierung erst kürzlich noch ein Gesetz erlassen, nach dem “kein Schüler mehr sitzenbleiben darf“ – niemand muss also in Brasilien ein Schuljahr wegen zu schlechter Leistungen wiederholen! Klingt wie ein Witz, nicht wahr?
An dieser Stelle fällt mir die Bemerkung eines brasilianischen Freundes ein, der einst sarkastisch bemerkte: “Ignoranten lassen sich leichter regieren“! Aber aus meiner eigenen Erfahrung muss ich dagegen halten: “Ignoranten beschmutzen auch ihr eigenes Nest (will sagen: Stadt), machen ihre Umwelt kaputt und enden in der totalen Dekadenz“! Zu den katastrophalen Zuständen im brasilianischen Schulsystem tragen, darüber hinaus, auch die schlecht ausgebildeten und noch schlechter bezahlten Lehrer bei, die wegen höherer Lohnforderungen auch noch andauernd streiken.
Die Schulen und Universitäten der Grossstädte sind heute Tummelplatz von Drogen-Dealern – die meisten Suchtkranken haben zum ersten Mal “Maconha“ (Haschisch) auf der Toilette ihrer Schule geraucht – später dann die härteren Sachen probiert, die ihnen von Dealern aus den Favelas probeweise angeboten und von da an über die “Mulas“ regelmässig geliefert wurden. Das Aufsichtspersonal gibt sich machtlos, sie haben “Angst vor Konsequenzen“ von Seiten der allmächtigen Banditen, die telefonisch Morddrohungen austeilen, wenn jemand ihr Geschäft behindert.
Eine Jugend, die keine Vorbilder hat, deren Übermut und Draufgängertum man nicht mit entsprechenden Freizeitangeboten kanalisiert wird, schafft sich selbst ihre Ventile um Dampf abzulassen – meist ohne Rücksicht darauf, ob ihre Ausschweifungen von der Gesellschaft gebilligt werden oder nicht, und sie scheuen nicht einmal vor Schwerverbrechen zurück, wie das folgende Beispiel beweist:
Am 20. April 1997 übergossen Jugendliche der Oberschicht von Brasília einen Indianer mit Benzin und zündeten ihn an – Galdino Jesus dos Santos, ein Führer der Pataxó, war auf dem Ministerium der Hauptstadt gewesen, um sich für die Rückgabe der Ländereien seines Volkes einzusetzen, die von “Fazendeiros“ besetzt worden waren. Während er spät abends auf den Bus wartete, war er an der Haltestelle eingenickt – und verbrannte. Seine jugendlichen Mörder versuchten sich später vor Gericht mit einer schier unmenschlichen Gleichgültigkeit zu verteidigen: Sie sagten aus, “sie hätten nicht gewusst, dass es sich um einen Indianer handelte – sondern dachten, es sei ein Bettler“! Der Vorfall wurde von der Presse in allen Details dargestellt und versetzte die brasilianische Bevölkerung in äusserste Entrüstung – Indianer wie Nicht-Indianer.
Erst ein paar Monate ist es her, da fiel eine Gruppe Jugendlicher im Stadtteil Barra da Tijuca (Rio de Janeiro) nachts über eine Hausangestellte her, ebenfalls an einer Bushaltestelle. Sie schlugen die 37-Jährige grün und blau und brachen ihr einen Arm. Vor dem Untersuchungsrichter meinten sie zu ihrer Verteidigung banal: “Wir haben geglaubt, sie sei eine Prostituierte“!
São Paulo, die brasilianische “Gotham City“ mit fast 20 Millionen Einwohnern, steht landesweit an der Spitze monströser Verbrechen durch jugendliche Täter. Die deutschstämmige Susanne von Richthofen – pervertierter Abkömmling des berühmten “Roten Barons“ aus dem Ersten Weltkrieg und Mitglied von São Paulos Oberschicht – stiftete ihren jungen Liebhaber und dessen Bruder dazu an, ihre eigenen Eltern im Schlaf zu erschlagen, weil sie es nicht mehr abwarten konnte, an die Erbschaft zu kommen, die sie als einzige Tochter sowieso erhalten hätte! Sie machte den vergeblichen Versuch, die schreckliche Geschichte als einen Einbruch von Unbekannt darzustellen, aber in diesem Fall war die Polizei besser als ihr Ruf. Der Prozess gegen die jugendlichen Verbrecher schleppt sich nun schon länger als zwei Jahre hin…
Ebenfalls in São Paulo lassen Jugendliche aus der Oberschicht ihren Dampf bei so genannten “Rachas“ ab: verbotene Wettrennen mit frisierten Autos (wie die Bande um James Dean in dem Kultfilm “Sie wissen nicht, was sie tun“) auf den nächtlichen breiten Avenidas, mitten im Stadtgebiet. Dabei sind Kreuzungen, besonders unübersichtliche, ein besonderes Highlight dieser Mutproben: sie müssen mit Vollgas überfahren werden – und manchmal knallt es, wenn ein Spätheimkehrer über die Kreuzung zockelt. Etwa zu vergleichen mit dem “Russischen Roulette“, bei dem ein Revolver die Runde macht, in dessen Lauf sich nur eine Patrone befindet! Der Polizei gelingt es nicht, den “Rachas“ einen definitiven Riegel vorzuschieben – und an jedem Wochenende machen sie sich auf die Suche nach dem neuesten Veranstaltungsort – der von den Gesetzesbrechern vorsorglich und kontinuierlich verlegt wird.
Laut einer brasilianischen Polizeistatistik sind die weitaus meisten Opfer von Erschiessungen Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren – sowohl durch Aktionen der Polizei als auch durch Rivalitäten untereinander. Es ist eine Tatsache, dass die meisten Morde in Brasilien nicht aufgeklärt werden – dazu fehlen der hiesigen Polizei Know-how, Training und die entsprechenden technischen Mittel – es ist allgemein bekannt, dass die Banditen über ein moderneres Waffenarsenal verfügen als die Polizei! Ausserdem steht eine undefinierbare Zahl von korrupten Polizisten auf der Gehaltsliste der Drogen-Dealer.
Für jugendliche Straftäter unter 18 Jahren hat man die FEBEM eingerichtet, eine staatliche Jugendarrest-Anstalt, die unter dem Anspruch eines “Zentrums für gesellschaftliche Erziehung des Jugendlichen“ auftritt und dermassen überbelegt ist, dass man die Delinquenten leichterer Fälle, z.B. Betrug oder Diebstahl, heutzutage nach der Festnahme wieder laufen lassen muss. Eine “gesellschaftliche Erziehung“ der einsitzenden Jugendlichen ist indes kaum zu beobachten – vielmehr lernen die kleinen Diebe und Betrüger nunmehr das Handwerk von jugendlichen Schwerverbrechern, mit denen sie zusammengesperrt sind. Gegenwärtig hat die brasilianische Regierung ein Gesetzt vorbereitet, welches die Strafmündigkeit auf ein Alter von 16 Jahren (bisher 18 Jahre) herabsetzt. Aber nach Auffassung von Psychologen ist dies auch keine Lösung, solange man zu “lebenslänglich“ (30 Jahre Haft) verurteilte Schwerverbrecher nach 6 Jahren bereits wieder laufen lässt (bei guter Führung ein Fünftel der verhängten Strafe in geschlossener Anstalt – danach im “offenen Strafvollzug“). Das brasilianische Strafgesetz ist eins der laschesten der Welt – und für Verbrecher mit Geld auf vielerlei Art und Weise zu umgehen. Also wird es von jenen auch nicht respektiert. Ein allgemeines Sprichwort unter dem Gros der einfachen Bürger bestätigt: “Wenn du Geld hast, musst du auch nicht ins Gefängnis“!
Nun sollen Sie, lieber Leser, aber nicht annehmen, dass die meisten Jugendlichen Brasiliens Verbrecher sind – ganz sicher nicht! Aber es ist auch für einen wohlerzogenen, charakterfesten jungen Menschen, der sich ausserdem noch auf die volle Unterstützung seiner Eltern und Lehrer verlassen kann, in einer brasilianischen Grossstadt besonders schwer, seinen Reifeprozess unbeschadet an Leib und Seele durchzustehen. Und warum ist das so? Weil die Präsidentschafts-Kandidaten von Wahlkampagne zu Wahlkampagne (alle vier Jahre) versprechen, dass “die Erziehung“ und das Gesundheitswesen für sie Vorrang hätten – und wenn sie gewählt worden sind, wollen sie mit einer Erhöhung der Exportwirtschaft glänzen: “Der diesjährige Soja-Export ist um soundsoviel Prozent gestiegen und hat unserem Land soundsoviel Millionen an zusätzlichen Einnahmen beschert“! (Dass man dafür wieder soundsoviel Prozent Amazonas-Regenwald abgebrannt hat, wird natürlich verschwiegen – auch, wozu die “soundsoviel zusätzlichen Millionen“ verwendet worden sind – oder, wer sie eingesteckt hat).
Die neuesten Schlagworte unserer Regierenden sind “Erdöl“ und “Bio-Diesel“! Ersteres hat die staatliche PETROBRAS in der Bucht vor dem Hafen Santos in solch grossen Mengen entdeckt, dass man sich bereits in die illustre Reihe der internationalen Erdöl-Exporteure aufgenommen sieht – und für das Bio-Diesel-Projekt stehen dem Land Brasilien riesige Anbauflächen zur Verfügung – (“wenn die nicht reichen sollten, kann man ja weitere aus dem Regenwald herausbrennen“). Der alte Traum vom “Land der Zukunft“ taucht wieder auf – den man eventuell immer noch in die Realität umsetzen könnte, wenn man der Erziehung dieses durchaus lernfähigen Volkes erste Priorität einräumen und auch mehr Geld investieren würde.
Der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, hat seinen Wählern 20 neue Universitäten versprochen – und 200 neue Gefängnisse werden gebaut.