Die Sonnengarantie (fast) während des ganzen Jahres und die zahlreichen schönen Strände sind die Hauptattraktionen von Fortaleza, der Hauptstadt des Bundesstaates Ceará. Einige Personen jedoch suchen diese Stadt als Destination für den Sex-Tourismus auf und beteiligen sich so an der skrupellosen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen. An bestimmten Orten, wie der “Beira mar“ oder im Umkreis des Stadions “Arena Castelão“ – einer der WM-Bühnen – kann man Mädchen beobachten, deren Körper sich noch im Entwicklungsstadium befinden, die von Männern in Autos und Lastwagen angesprochen und mitgenommen werden.
Mit ihrer zerbrochenen Kindheit verlieren die Mädchen ihre Erwartungen an die Zukunft, so Amanda, die zum Opfer eines solchen Verbrechens wurde. Der chronische Geldmangel zuhause liess sie im Alter von dreizehn Jahren die Schule verlassen, um auf die Strasse zu gehen… heute, mit sechsundzwanzig, berichtet sie, dass sie viele Kinder in der gleichen Situation kenne.
“Ich glaube, dass die Stunde der Verwirklichung meines Traums endlich gekommen ist – ich möchte eine Anstellung bekommen und mit diesem verdammten Leben endlich Schluss machen, aber das ist äusserst schwer, denn als ich noch jünger war, habe ich nicht genügend gelernt“, sagt Amanda.
Einen Versuch, dieses Szenario zu verändern, macht die “Associação Barraca da Amizade“ (Verein Zelt der Freundschaft) mit Kursen und Workshops für die Opfer sexueller Ausbeutung. Ihre Mitarbeiter gehen auch auf die Strasse, um dort Kinder und Jugendliche anzusprechen und einzuladen, allerdings müssen sie dazu erst einmal in mühsamer Kleinarbeit und Geduld ihr Vertrauen gewinnen. Deshalb sind sie jede Woche im Umkreis des neuen Stadions tätig. Mädchen, die den Erwachsenenstatus noch nicht erreicht haben, entziehen sich zuerst einmal der Begegnung mit den Mitarbeitern – aber die bleiben am Ball. Nach ein paar Begegnungen werden sie von den Mädchen dann mit Namen begrüsst – wenig später auch um Hilfe gebeten.
Die Koordinatorin für aktive Betreuung von Strassenkindern Ivania berichtet, dass die Mädchen in der Regel nur eine geringe Schulbildung haben und sich in einer sehr verletzlichen Situation befinden. “In manchen Fällen haben sie nicht einmal eine Geburtsurkunde. Sie befinden sich in einem Zustand der offiziellen Nichtexistenz. Wir entdecken ausgebeutete Kinder, deren Familien auch ausgebeutet werden, und deren Verwandte ebenfalls. Wir möchten diese Menschen aus ihrer vertrackten Situation herausholen und ihnen den Weg zu einem besseren Leben ebnen, darum bemühen wir uns“.
Eins der aufgegriffenen Mädchen hat zwar ihr Alter verschwiegen, aber das Team der Sozialhelfer schätzt, dass sie höchstens vierzehn Jahre alt ist. Voller Misstrauen, zeigte sie sich gegenüber dem Reporter nicht besonders gesprächig, liess jedoch durchblicken, dass sie trotz der Gewalt auf den Strassen sich nicht fürchtet.
Mit dem Beginn des Trubels um die Weltmeisterschafts-Partien befürchtet man, dass das Problem mit der Zirkulation von mehr als 400.000 Besuchern – darunter 65.000 Ausländer – die man laut Tourismus-Ministerium in der cearensischen Hauptstadt erwartet, noch gewaltig zunehmen wird.
Magnólia Said, vom “Comitê Popular da Copa de Fortaleza” (WM-Komitee), ist der Meinung, dass Staat und Gesellschaft zusammenarbeiten sollten, um die Ausbeutung zu bekämpfen. Wie sie sagt, kommen viele Mädchen aus dem Hinterland zur WM nach Fortaleza, um während dieses Events ihren Traumprinzen zu finden. Dahinter steht der Wunsch nach einem besseren Leben mit mehr Möglichkeiten.
“Und weil viele Touristen anwesend sein werden, ist die Fussball-Weltmeisterschaft eine Einladung an alle unverheirateten Frauen zwischen 12 und 30 Jahren. Jetzt könnte ihr Traum in Erfüllung gehen, endlich den bezaubernden Prinzen zu finden“, erklärt Magnolia.
Die Präfektur von Fortaleza hat eine Aktion geplant, wie sie dem Problem während der WM begegnen will. Sie wird “120 Erzieher“ auf die Strassen schicken, um mit Touristen und Einwohnern zu reden. Die Präsidentin der “Fundação Municipal da Criança“ (Kinder-Stiftung), Tânia Gurgel, erklärt, dass es während der dreissig WM-Tage eine Zentrale geben wird, in der Anzeigen von sexueller Ausbeutung Jugendlicher aufgenommen werden. Deshalb bitten ihre Mitarbeiter um die Mithilfe der Bevölkerung.
“Wir müssen uns den freiwilligen Helfern auf der Strasse verständlich machen. Taxifahrer, Strassenhändler im Zentrum und an den Stränden, all diese Leute müssen sensibilisiert und motiviert werden, um diese Kinder vor sexueller Ausbeutung zu bewahren“, sagt Tânia.
Mitstreiter in dieser Situation ist die “Associação Recreativa e Esportiva para Crianças (Arca) – diese Organisation lehrt die Kinder durch den Sport. Hier können sie zum Beispiel Portugiesisch und Mathematik auf spielerische Art und Weise lernen. Ausserdem lernen die mehr als 170 Teilnehmer an diesem Projekt, die an der Peripherie von Fortaleza leben, alles über ihre Rechte und Verpflichtungen. Milza, die Koordinatorin der Institution, erklärt, dass man die Ausbeutung in den Griff bekommt, wenn man den Familien Alternativen anbietet. Und sie bezeichnet den Sport als einen der Wege zum Erfolg.
“Ich hoffe, dass das brasilianische Volk begreift, dass mit dem “Recht auf Sport“ nicht allein das Recht auf Fussballspielen gemeint ist, sondern auch das Recht auf Freizeit, ihr Recht auf einen Tag im Park mit den Kindern, das Recht auf einen Kinobesuch – das Recht auf ein menschenwürdiges Leben“.
Raiane, sie ist zwölf Jahre alt, hat als Teilnehmerin dieses Projekts bereits gelernt, dass Kinder das Recht haben zu spielen und zu lernen. Das Mädchen, die von einem Schönheitssalon träumt, den sie einmal später leiten möchte, erscheint in der Arca stets wie aus dem Ei gepellt – frisch gewaschen und sorgfältig gekleidet. Sie sagt, dass es ihr Freude macht, zur Arco zu kommen, wo sie Neues lernt und Freunde trifft.