Jorginho Amorim de Oliveira

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

Jorginho_StartKünstlername: Jorginho
Kompletter Name: Jorge Amorim de Oliveira Campos
Geburtsdatum: 17/08/1964
Geboren in: Rio de Janeiro (RJ)
Position: Rechts-Aussen

Vereine:
2002 bis 2004: Fluminense (RJ)
2000 bis 2002: Vasco de Gama (RJ)
1999: FC São Paulo
1995 bis 1998: Kashima Antlers
1993 bis 1995: Bayern München
1989 bis 1992: Bayer Leverkusen
1984 bis 1989: Flamengo (RJ)
1978 bis 1983: América (RJ)

WM-Einsätze Seleção:
WM 1994 USA
WM 1990 Italien

Spiele für die Seleção: 68
Tore für die Seleção: 4

Jorginho ist nicht nur ein ganz grosser Fussballer in Brasilien, sondern auch in Deutschland – die vielen Jahre aktiven Fussballs bei Bayer Leverkusen und dem FC Bayern München brachten ihn dem deutschen und europäischen Publikum näher. Nicht zuletzt durch sein öffentlich vorgetragenes Bekenntnis zu Jesus und Gott mit beschrifteten T-Shirts unter dem Trikot wird er allen noch in Erinnerung sein. Jorginho lebt seine Religion und liebt danach.

Dies war jedoch nicht immer so. Jorginho wurde am 17.August 1964 in einem Armenviertel von Rio de Janeiro geboren. In Guadalup sucht man lange nach dem Zauber der Stadt des Sambas, nach der Schönheit der Natur und den Vorzügen der “Cidade maravilhosa“ – eingedrängt zwischen zwei Favelas wuchs Jorginho in einem schäbigen Haus mit der Nummer 302 auf. Das Haus 302 liegt in einem Viertel, in dem sich Stromleitungen wie Spinnennetze über die Kreuzungen der Schlaglochpisten legen, es riecht nach Abfall, Menschen betteln oder streunen scheinbar tatenlos herum und ein rottendes Betonungeheuer windet sich wie ein windschiefes, flachgelegtes Hochhaus um die Fussballplätze herum.

„Da oben“, sagt Jorginho, „habe ich gewohnt, gleich da im sechsten Stock neben dem Wasserrohr“, und zeigt auf die überaus schäbige Häuserfassade, die die vier Kleinfeld-Fussballplätze an zwei Seiten umschliesst. Jorginho ist zurückgekehrt an den Ort seiner Jugend: “Ich bin zusammen mit meinen sechs Geschwistern in einem kleinen Ort bei Rio de Janeiro aufgewachsen. Wir waren ganz normale Kinder, wir waren arm, hatten aber eine sehr schöne Kindheit. Dennoch waren wir oft traurig, weil unser Vater so oft weg war.

Ich war ein lebhaftes Kind. Wir haben bis zu meinem achten Lebensjahr in einem Holzhaus gewohnt und hatten bei der WM 1974 noch nicht einmal einen Fernseher.“ Sein Vater starb als er 11 war, ebenso seine ältere Schwester. Mit 13 sein „grösster, väterlicher Freund“, als dieser ein eisernes Fussballtor quer durch Rio hierher getragen hat, damit man besser bolzen konnte. Der Mann nahm eine Abkürzung über die Autobahn und wurde überfahren. Viele weitere Freunde und Bekannte verlor Jorginho in frühen Jahren, alltäglich in Rio de Janeiro, der Stadt der Bandenkriege, Drogen und sich gegenseitig bekämpfenden Mafiagruppen in den einzelnen Favelas. Er hatte Glück, davon ist er nach wie vor überzeugt, und sein Glück lag vor allem darin, dass er schon früh lesen und schreiben lernte.

Er liess sich nicht zur Kriminalität hinreissen, wie so viele seiner Freunde, sondern ging von frühester Jugend an zum Strasse kehren und putzen und verdiente so etwas zum Lebensunterhalt der Familie bei. Auch Jorginho war neben dem Fussballspielen auf dem nahe gelegenen Fussballplatz mit Rauchen und Trinken unterwegs. Doch rechtzeitig kam die Erleuchtung: „Ich habe geraucht, ich habe getrunken. Aber ich hatte ein Ziel: Ich wollte unbedingt Fussballer werden. Irgendwann habe ich eingesehen, dass ich dieses Ziel nie erreichen würde, wenn ich so weitermache wie bisher. Um ein richtig guter Sportler zu werden, braucht man einen gesunden Körper. Also musste ich alle Laster aufgeben.“ So konzentrierte sich der junge Jorginho auf den Fussball, neben den kleinen Arbeiten im Viertel war dies der einzige Freizeitausgleich, den der kleine Junge hatte.

Und schon bald wurde er entdeckt, ein Funktionär vom ansässigen Club FC America Rio. Er spielte ab 1984 bei Rot- Schwarz-Flamengo und bereits dort begann er nach den Titeln zu greifen. Er reifte zu einem hervorragend agierenden Rechts-Aussen und in 5 Jahren Spielzeit erreichte er die Carioca Meisterschaft 1986 und die brasilianische Meisterschaft 1987. Reiner Calmund holte im Jahre 1989 Jorginho zu Bayer Leverkusen; auf einer seiner vielen Reisen durch Brasilien entdeckte er den jungen Spieler und dessen ungeschliffenes Potential. In Bayer Leverkusen fand sich Jorginho schnell zurecht, er lernte die Sprache und fand sich schnell in der deutschen Kultur und im Leben zurecht. “Ich empfand es als Brasilianer natürlich sehr kalt in Europa. Prima ist, dass hier alles gut organisiert ist. Meine ersten Freunde waren der Masseur Trzolek, die Spieler Heiko Herrlich und Oliver Pagé und natürlich der Dolmetscher“.

JorginhoVon 1989 bis 1992 spielte Jorginho also beim 3-fachen deutschen Vizemeister, dann wechselte er in den Süden nach München. Mit dem FC Bayern München, dem erfolgreichsten Verein der deutschen Bundesliga, holte sich Jorginho dann auch seinen ersten Titel in Deutschland. 1994 wurde er Deutscher Meister und zugleich mit der brasilianischen Nationalmannschaft Weltmeister in den USA. Nach einem schlechten Start im Team der Nationalmannschaft 4 Jahre zuvor – bei der WM in Italien hatte Brasilien einen schlechten Stand, schied gegen Argentinien aus – kam es im Zitterfinale gegen Italien durch Strafstoss zum grossen Sieg der Brasilianer und natürlich auch Jorginho im Kreise seiner Mitspieler und Fighter wie Cafú, Dunga, Romário und viele mehr.

Vom FC Bayern München ging es 1994 dann direkt in den Fernen Osten, mit dem Club Kashima Antleres wurde er schliesslich noch Japanischer Meister, bevor es wieder zurück nach Brasilien verschlug. Auch hier fiel ihm die Eingewöhnung trotz langer Abwesenheit sehr einfach und er fühlte sich wieder am richtigen Platz auf der Welt. Seine fussballerischen Stationen in Brasilien waren dann noch São Paulo, in Rio de Janeiro Vasco da Gama und Fluminense. Nach Beendigung seiner aktiven Karriere dachte Jorginho zunächst an einen Einstieg zusammen mit seinem Freund und Mitspieler Bebeto in den Spielermarkt und Transfergeschäfte, er sass mit Hoeness und Calmud zusammen, “Aber ich habe gemerkt, das ist nicht mehr meine Sache. Mein Herz war nicht dabei. Ich investiere lieber in Sozialarbeit.“ Ja und hier sind wir wohl bei der bedeutungsvollsten Aufgabe, der sich Jorginho in seinem Leben stellt. Doch ein bisschen ausholen muss man schon, um all den Einsatz, die Sorge, Liebe und die Aufopferung von ihm für seine Mitmenschen verstehen zu können. All das was er auf dem Fussballplatz mit aller Passion und Einsatz jahrelang für Vereine und Fans gab, legte er jetzt seinem sozialen Projekt nahe.

Jorginho durchlebte in jungen Jahren einen Wandel, der ihn zum ersten Fussball-Missionar auf der Welt machte. Jorginho kam zum Glauben, zum Glauben an Gott und Jesus Christus. “Durch die Lebensveränderung meines Bruders bin ich zum Glauben gekommen. Er war Alkoholiker und Jesus hat ihn davon befreit. Ich habe eine Bibel bekommen und viel darin gelesen. Drei Punkte waren entscheidend. Im September 1985 wurde ich augenblicklich von einer Oberschenkelverletzung geheilt, mit der ich mich schon lange herumgeschlagen hatte. Mein Umfeld ging davon aus, dass die Verletzung auf eine bekannte Zauberei aus Brasilien (Macumba) zurückzuführen sei. Als für mich im Bibelkreis gebetet wurde, war ich sofort geheilt. Im Januar 1986 erhörte Gott mein Gebet und ich schaffte es, meiner Verlobten treu zu sein. Drittens verglich ich mich mit meinem Bruder, der voller Frieden in seinem Herzen und glücklich war.

Ich hatte diesen Frieden nicht, obwohl ich viel Geld besass. Da erkannte ich, dass ich Gott brauche.“ Von Anfang an fand Jorginho einen für ihn perfekten Start in die Bibel und bis heute ist sie der ständige Begleiter. Während seiner aktiven Fussballzeit in Deutschland war er der erste, der sich outete, der einen Sportlerbibelkreis in Leverkusen startete – in München war es gar eine eigene Gemeinde, die nach wie vor existiert und neben vielen Brasilianern auch einige Deutsche angesprochen hat. Weiter in Japan entstand eine Gemeinde, deren Mitglieder bis zu 50% davor noch nie etwas von Jesus hörten. All dies erfüllt ihn mit Stolz und bei seinen regelmässigen Besuchen in Europa schaut er immer wieder mal in den Gemeinden vorbei, spricht und redet mit den Mitgliedern und verfolgt weitere Ziele.

Zurück in Rio de Janeiro und seinem Stadtviertel Guadalup begann Jorginho dann sein soziales Projekt – es heisst “Fussball nach vorn“ oder “Bola pra frente“. Mit Bebeto zusammen kümmert er sich seit dem Jahr 2000 um Strassenkinder, gibt ihnen die Möglichkeit Fussball zu spielen, aber und vor allem eine gute Ausbildung zu beenden. Das ganze hat den spielerischen Charakter eines Vergnügungsparks, ca. 950 Kinder, die derzeit in dem Projekt sind, können in einer Mischung aus Strassenfussball und Schule eine neue Basis für ihr Leben schaffen. Aber die Umgebung zeigt schnell, dass es definitiv nichts mit Vergnügungspark zu tun hat. Rundum herrscht Armut, Not, Dreck und Analphabetismus.

Jorginho1Fussball ist den Kleinen sehr wichtig, aber alles andere als Fussball ist wichtiger: Pflichtunterricht in der kostenfreien privaten Schule von Bola Pra Frente. Jorginho will die Kinder zu „Champions des Bürgerlebens“ qualifizieren. Sechs Minis von sechs und sieben Jahren sitzen in einem Klassenraum an eigenen winzigen Schulbänken. Strahlend stolz zeigen sie ihre ersten Schreibkünste. Die Tafel an der Wand ist wie ein Fussballplatz gestaltet. Eine der vielen Kinderzeichnungen an der Wand zeigt ein grosses rotes Herz, gespickt mit Amorpfeilen und mittendrin ein Fussballplatz.

„Die Kinder müssen lernen, sitzen zu bleiben“, sagt Jorginho leicht doppeldeutig, „nicht zanken, schimpfen und alles voll kritzeln. Also ganz normale Erziehung.“ Bei Verstössen gibt es die gelbe Karte, im Wortsinn. Und rote Karte heisst: an diesem Tag gesperrt fürs Fussballtraining. Das ist die Höchststrafe. Aus der alten Wohnung der Familie Jorginho hat man einen Logenblick über die Anlage. Unten auf dem Platz tritt einer am Ball vorbei, einem anderen verspringt schmählich eine Flanke, als hätte er deutsche Holzfüsse. „Anfangs haben wir zu sehr auf Fussball geachtet, wir wollten vielleicht Talente entdecken“, sagt Jorgingo. „Aber wir haben gelernt: Darauf kommt es gar nicht so sehr an.“ Sondern auf Schule:

Wer mit acht noch nicht lesen kann, ist fast schon verloren. Denn schon Kinder sind in Brasilien leicht Opfer der Machogesellschaft: Mit acht Jahren noch anzufangen, gilt als kindisch und weibisch. Eine kleine Bibliothek und der Computerraum mit sieben Rechnern sind ein grosser Luxus in diesem Stück Welt. Den Unterricht gibt es schichtweise, dann geht es als Belohnung nach draussen, an die Bälle. Die Stehtribüne reicht für 700 Eltern. Überall stehen überdimensionierte blaue Mülleimer in Form eines aufklappbaren Fussballs. Jorginho hat sich viel vorgenommen, er plant unter anderem noch andere soziale Projekte in Thailand, Äthiopien oder Indien.

Und den Fussball hat er auch nicht ganz abgeschrieben: während der Ära Dunga unterstützte Jorginho den Nationalcoach der Seleção als Assistent bis er zusammen mit Dunga 2010 gehen musste.

Seine persönlichen Ziele sind nicht minder gesetzt – er möchte Gott noch mehr lieben, noch mehr gute Dinge tun und ein echter Christ sein – ganz ehrlich, wer ist auf besserem Wege dazu!

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AutorIn: Monika Gerle

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