Die unsichtbare Bedrohung des größten Tropenwaldes

Zuletzt bearbeitet: 31. März 2021

Kleinräumige Umweltveränderungen könnten den Erhalt des größten Tropenwaldes der Erde gefährden

Alles ist großartig in Amazonien, dem größten verbliebenen Block tropischen Regenwaldes auf unserem Planeten. Mit etwas mehr als 6,8 Millionen Quadratkilometern erstreckt er sich über neun Länder Südamerikas – der größte Teil davon liegt in Brasilien, mit 69 % der Waldfläche. Man schätzt, dass dieses Gebiet fast 25 % aller Arten von Lebewesen auf der Erde beherbergt, außerdem 35 Millionen Menschen (20 Millionen allein in Brasilien). Der Amazonasstrom bildet mit 6,6 Mio. Quadratkilometern das größte Flusseinzugsgebiet der Welt, das für die Bewässerung mehrerer Länder und für die Erzeugung von Regen unerlässlich ist.

Amazonas von oben – Foto: Luciana Macedo FotosPublicas

Es ist das größte Süßwasserreservoir der Erde, in dem etwa 20 % des gesamten Trinkwassers gespeichert sind. Aus diesem Grund ist der Amazonas einer der Regulatoren des Klimas und des Wasserhaushalts unseres Planeten. Trotz solcher Großartigkeit sind es die kleinräumigen Veränderungen, wie die Erschließung von Lichtungen zur Holzgewinnung, die eine der größten Bedrohungen für die Erhaltung des Ökosystems darstellen können, betont der Biologe Helder Queiroz, Direktor des “Instituts für nachhaltige Entwicklung” in Mamirauá (Bundesstaat Amazonas).

Generell, so Queiroz, sind die Hauptbedrohungen für den Amazonas heute mit Praktiken verbunden, die direkt oder indirekt zum Verlust von Lebensräumen und zur Reduzierung von Pflanzen- und Tierpopulationen führen. Laut dem Biologen lassen sich diese Bedrohungen in zwei Gruppen einteilen.

Die erste sind solche, welche die Landschaft erheblich verändern, wie z.B. Waldbrände und Infrastrukturarbeiten, wie der Bau von Wasserkraftwerken und Autostraßen. Die zweite Gruppe betrifft Veränderungen der Landschaft, die vom Boden aus kaum wahrnehmbar sind, und selbst auf Satellitenbildern nur schwer zu erkennen. Sie können aber erhebliche lokale Veränderungen auslösen. Langfristig werden ihre Auswirkungen der Erhaltung der biologischen Vielfalt entgegenwirken.

Ein Beispiel für eine schwer zu erkennender Veränderung ist die Öffnung kleiner Lichtungen für den selektiven Holzeinschlag, eines der ältesten und schwerwiegendsten Probleme in dieser Region.

Amazonas brennt – Foto: Mayke Toscano-Secom-MT

„Auch die Bäume, deren Holz einen hohen kommerziellen Wert darstellt, sind grundlegend für die Erhaltung und Fütterung verschiedener Tiere“, erklärt Queiroz. Der Bau von kleinen Staudämmen, die den Verlauf von Flüssen und Bächen und den Transport von Sedimenten verändern, erzeugt ebenfalls einen schädlichen Effekt auf das Ökosystem.

Die übermäßige Fischerei hat zu einer Verringerung der Bestände und Fischpopulationen wie dem Tambaqui (Colossoma macropomum) geführt. Eine weitere Form der nicht nachhaltigen Ausbeutung ist der Fang des Piracatinga (Calophysus macropterus). Die regionale Fischerei hat die unregulierte und oft illegale Jagd auf Süßwasserdelfine und Kaimane gefördert, deren Fleisch als Köder verwendet wird. Nach Angaben des Biologen kann der Kadaver eines Kaimans, der für 100 Reais (ca. 18 US-Dollar) verkauft wird, als Köder verwendet, bis zu 300 kg Fisch liefern, der dann im Nordosten Brasiliens konsumiert und in Nachbarländer wie Kolumbien exportiert wird. „Dieses System der Missachtung der Biodiversität ist im Amazonasgebiet gang und gebe“, führt der Biologe fort.

Heute ist der Verlust der natürlichen Umwelt am größten in einer Region, die als “Bogen der Entwaldung” bekannt ist und sich vom Süden bis zum Osten des legalen Amazoniens erstreckt – ein Gebiet von etwa 5 Millionen Quadratkilometern, das acht Bundesstaaten umfasst (Acre, Amapá, Amazonas, Pará, Rondônia, Roraima und Tocantins, im Norden – Mato Grosso, im mittleren Westen und einen Teil von Maranhão, im Nordosten). Der “Bogen der Entwaldung”, definiert durch die Expansionsgrenze von Landwirtschaft und Viehzucht, die große Flächen des Waldes in Weideland umgewandelt hat – und er konzentriert etwa 56% der gesamten indigenen Bevölkerung des Landes.

Das Amazonas-Auengebiet

Die Regionen auf tiefliegendem Gelände weiter landeinwärts im Amazonas-Regenwald,
die “Varzeas” (Auen) genannt werden, haben ebenfalls die Aufmerksamkeit der Behörden bei der Ausarbeitung von Strategien zur Erhaltung des Ökosystems auf sich gezogen. Bis vor kurzem hatte man geschätzt, dass dieses Tiefland nur 6 % des Waldes ausmache. Heute, so der Biologe, geht man davon aus, dass die “Varzeas” bis zu 25 % der Walddomäne einnehmen.

Der Biologe erklärte, dass diese Gebiete ständig Überschwemmungen ausgesetzt sind, und dass sie in Küstennähe unter dem Einfluss der Gezeiten stehen, mit täglichen Schwankungen des Hochwassers. „Der größte Teil der “Várzea” befindet sich jedoch weiter landeinwärts im Wald, im Umfeld des Amazonasstroms, und unterliegt saisonalen Überschwemmungen, die völlig unvorhersehbar sind, weil sie von den Niederschlägen im Gebiet der kleineren Zuflüsse abhängen.“

Schwemmland – Foto: Nici Keil auf Pixabay

Ein großer Teil der Überschwemmungsgebiete im Amazonas wird von den so genannten Wildwassern überflutet, die aus den Anden stammen und reich an Sedimenten und Nährstoffen sind. In diesen Abschnitten ist die Vegetation tendenziell üppiger. „Aufgrund dieser Produktivität und des Reichtums an natürlichen Ressourcen leiden die Auenwälder ganz besonders unter der ständigen menschlichen Nutzung“, sagte der Biologe.

Alle großen Amazonas-Städte, und ein guter Teil der kleineren Siedlungen, befinden sich in diesen Gebieten. Derzeit leben 75 Prozent der lokalen Bevölkerung, also 8 Millionen Menschen, in den Amazonas-Auen und verändern täglich ihre Umwelt. „Das erschwert die Erhaltung dieser Wälder“, sagt Queiroz. Darüber hinaus gibt es nur wenige Gebiete, die tatsächlich durch Naturschutzeinheiten geschützt sind. „Selbst außerhalb des “Entwaldungs-Bogens” ist das Amazonas-Auengebiet die am meisten bedrohte Umwelt“, fügt er hinzu.

Zeichen der Hoffnung

Trotz des Szenarios einer offensichtlichen Degradierung sind die Entwaldungsraten im Amazonasgebiet in den letzten acht Jahren zurückgegangen. Laut der Forscherin Maria Lúcia – vom “Nationalen Institut für Amazonas-Forschung” (Inpa) – gab es zwischen 2004 und 2012 einen Rückgang der jährlichen Entwaldungsraten im brasilianischen Amazonasgebiet um 84 %. Allein zwischen 2011 und 2012 betrug dieser Rückgang 29 %, so die Daten von “Prodes”, einem Projekt zur Überwachung des brasilianischen Amazonaswaldes mittels Satellitenaufnahmen.

Das Projekt wird vom “Nationalen Institut für Weltraumforschung” (INPE), in Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium (MMA) und der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA, durchgeführt und vom Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation (MCTI) durch die Aktion „Amazon Environmental Monitoring“ finanziert.

Ergänzend zu “Prodes” stützen sich die Maßnahmen zur Reduzierung der Entwaldungsraten auf eine weitere Hilfe, die auf Satellitenauswertungen basiert: das “Real-Time Deforestation Detection System” (Deter), eine schnelle Erhebung, die seit 2004 monatlich von INPE und MCTI durchgeführt wird, ebenfalls mit Unterstützung des MMA und IBAMA. Dieses System liefert den Vollzugsbehörden die Positionen der kürzlich abgeholzten Gebiete. „Es besteht kein Zweifel, dass sowohl “Prodes” als auch “Deter” wertvolle Werkzeuge zur Überwachung und Kontrolle der Abholzung im Amazonasgebiet sind“, so Maria Lúcia Absy.

Schwemmland -Foto: Peter H auf Pixabay

“Es gibt zwei mögliche Gründe für den Rückgang der Abholzung”, sinniert der Biologe Helder Queiroz. Eine davon ist auf die gemeinsame Aktion der vor fast 10 Jahren geschaffenen interministeriellen Kommissionen gegen den Holzeinschlag im Amazonasgebiet zurückzuführen, die eine Reihe von Regierungsaktionen zum Erhalt des Waldes hervorgebracht hat. Das andere, so der Biologe”, kann mit dem Wirtschaftswachstum der letzten Jahre im Land zusammenhängen, begleitet von der Umleitung von Investitionen aus dem Privatsektor in Aktionen, die nicht so eng mit dem Extraktivismus (Nutzung herrenloser Güter) zusammenhängen, was auch zu diesem Szenario beigetragen haben kann.

In einem Punkt sind sich beide Forscher einig: Die menschlichen Aktivitäten in diesen Regionen müssen richtig gemanagt werden, um die Produktionsketten einzuhalten, die für die Bundesstaaten der Nordregion von großer Bedeutung sind. Aber ohne signifikante Schäden auf die biologische Vielfalt und den Erhalt der Ökosysteme zu bewirken.

„Diese produktiven Ketten können bis zu 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einiger nördlicher Bundesstaaten ausmachen“, so Queiroz. „Es ist nicht falsch, eine Fläche, solange sie nicht groß ist, für produktive Zwecke abzuholzen. Falsch ist es, dies wahllos zu tun, ohne Methodik und angemessene Techniken der Waldbewirtschaftung“, fügt Maria Lúcia hinzu.

Vor einigen Jahren führte das “Instituto Mamirauá” Initiativen zur Waldbewirtschaftung ein, die zu bedeutsamen Ergebnissen geführt haben. Nach 10 Jahren und mit der gut geführten Gewinnung von Holzarten sind die Marktwerte von leichtem und schwerem Holz um mehr als 250% gestiegen. Auch die gut geführte Fischerei, ohne Überfischung und den Schonzeiten der Art entsprechend, begünstigte die Zunahme des Pirarucu (Arapaima gigas), der lokal viel verzehrt wird.

In den letzten Jahren hat die durchschnittliche Größe der in den verwalteten Gewässern gefangenen Fische die gesetzliche Untergrenze von 150 Zentimetern überschritten, und die gesamten Fischbestände haben ebenfalls um mehr als 300 Prozent zugenommen. „Damit ist das durchschnittliche Monatseinkommen der Fischer um 130 Prozent gestiegen“, so Queiroz. Es sei aber notwendig, den Umfang dieser Maßnahmen zu erweitern. „Schließlich sind die Probleme im größten Regenwald der Erde immens!“

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