Inês Hoffmann

Zuletzt bearbeitet: 4. Januar 2013
PARTO
Die ersten Schritte von Inês Hoffmann in der Literatur

Von: Tânia Gabrielli-Pohlmann ©
Deutsche Version: Tânia Gabrielli-Pohlmann + Clemens Maria Pohlmann ©
Kontakt Inês Hoffmann: ineshoffmann(a)uol.com.br

Kurz nach der Rückkehr aus Brasilien erreichte mich auch ein vor Kurzem veröffentlichtes Buch aus Rio Grande do Sul, oder um genauer zu sein, aus Roque Gonzales. Schon des dichotomischen Einbandes wegen fühle ich mich verleitet. Der  Umschlag schwarz mit dem Bild einer Maske aus Gips – weiss und abscheulich, Blut aus den Augen fliessend. Titel: “Parto“ (“Entbindung“ oder das Verb “weggehen“, erste Person Singular im Indikativ Präsens). Meine Neugier fischt die Herausforderung. Und das Buch ruft mich weiter dazu, da einzutauchen…

parto“Parto” von Inês Hoffmann wurde vor ein paar Monaten vom Verlag EDIURI aus Santo Ângelo (Rio Grande do Sul) veröffentlicht. Das Buch wurde auch in Italienisch herausgegeben. Es hat 66 Seiten, mit 24 Gedichten, mittels denen Inês das Recht dafür übt, Bedeutungen, Bilder und innerliche Rebellionen in freien Versen zu modellieren. Frei auch von irgendeiner Kette oder Tendenzen. Die Autorin eröffnet ihr Buch, und sagt schon wofür sie gekommen sei:

“Obwohl ich seit 20 Jahren schreibe, lies  meine Texte geschlossen, genau wie mich.“

Diese erste Wahrnehmung bringt mir den Eindruck, es geht um eine katharsische Erfahrung, in einem Versuch, die sich ausbreiten wird. Es ist ein erster Register, eine Tür- und Seelenöffnung. Entbindung als Ausgang von sich selbst oder Wiedergeburt? Beides. Das Ergebnis von einem anthropofasischen Prozess, nach dem sich die Versen selber befreien und sich auf den Leser so projektieren, ohne ihm es zu erlauben, von sich selbst zu fliehen. Stark. Für diejenigen, die sich nicht wagen…

Die Eröffnungs-Gedichte wirken so, als ob sie den Lesern auf ein emotionales “Crescendum“ vorbereiten, aber gleichzeitig geben sie schon ein Alarm-Signal, wie in “Mundo Novo“ (“Neue Welt“):

“In der zahmen Strömung
deiner vertrauten
Haaren
entdeckte ich die Rose,
die in deinen Augen trieb
Ein mildes, trauriges Parfüm,
ist durch die Tür hereingekommen
hat meinen Körper eingeschaltet.
…“

also, Hinweise darauf, dass sich der Leser nicht irrt, wenn er glaubt, es ginge um ein lyrisches und “die ganze Zeit nur gezuckertes“ Buch. Die Lyrik hat doch ihren Platz, wie Fábio Lucas  selber es erwähnt, als er schrieb, er sehe in Inês Hoffmann „einen vielversprechenden lyrischen Ausdruck“. Es bezieht sich insbesondere auf die letzten Verse des Gedichtes “Alvição“:

“…
Mein Qual heisst, von mir zu wissen.
Die Last, die ich trage heisst,
was ich nicht gemacht habe,
was ich nicht zusammengestellt habe,
was ich nicht gebaut habe.
Der Last ist die Leere.
Ich habe Angst davor, mich zu verlieren
die Rückkehr zur Vernunft
nicht zu finden.
Ich spüre, ich fliehe aus meinem Körper,
aus dem Bewusstsein..
Ich gelange in den Platz, wo es
keine Konsequenzen gibt,
keine Kämpfe zu kämpfen,
es ist nicht nötig auf
unüberlegten Taten zu verantworten.
Dort bin ich wahnsinnig und frei…
Und was, wenn ich nicht wiederkehre?“

Lyrik, aber von durchgesetzten Grenzen abgehalten,  sich so zeigt: bissig, nackt und ohne irgendwelche Selbst-Gnaden. Wie im Gedicht “Assepsia”, in welchem sich die gesellschaftlichen Masken als abgezogen und in Schach gesehen werden:

“Hier bin ich
den Händen der Anderen
ausgeliefert,
der Anderen, die gehen und kommen:
die pflegen
schauen
tasten.
Sie tasten
meinen Körper,
meinen Puls.
Sie tasten
Aber sie berühren mich nicht.
So pflegen sie mich:
Lebens-Lumpenpuppe,
Lumpenmensch
menschlichen Lumpen
zu denen ausgeliefert
den weissen Händen,
weissen Kleidungen,
weissen Wänden,
zu der Indifferenz
der indifferenten Pflege.
…”

Und die redundanten Bilder bauen, noch im gleichen Gedicht, der beschleunigte Rhythmus, in welchem noch weitere Masken unerwartet abgezogen und nochmals in Frage gestellt werden:

“…
Sie hören mein Herz,
aber sie sehen nicht,
wie es zerrissen ist.
Sie messen meinen Puls
aber sie merken
das faule Blut nicht,
welches die Venen entlang fliesst.
Sie tasten meinen Körper
aber sie sehen nicht
die tote Seele, die er in sich trägt.
…”

parto1Nach dem ich “Parto”, von Inês Hoffmann las, war es mir unvermeidlich: es kommt mir die Antwort zu der (jetzt umgekehrten) Frage, mit welcher ich meine Interviews beende. Anstatt der Meinung des Interviewten im Bezug zur sozialen Rolle des Künstlers kennen zu wünschen, gibt mir Inês die Antwort zu dem, welches die soziale Rolle der Literatur sein könne – nicht nur den Leser gegenüber, sondern (und insbesondere) gegenüber dem Autor. Und des Schreibens.

Inês Hoffmann ist städtische Beamtin in Roque Gonzales, ihrem Geburtsort. Zwei Studien angefangen: Buchhaltung und Jura. Zur Zeit studiert sie Sprachwissenschaft und entsprechende Literatur an der Universität CNEC/UNOPAR, São Luiz Gonzaga, RS.

Teile ihres Werkes sind in den folgenden Anthologien zu lesen: “Letras Contemporâneas”, von  João W. Griebeler koordiniert, Verlag Igaçaba, R. Gonzales, RS, 2005; “Vilmar Pudell & Amigos”, von  Luiz Henrique Borck koordiniert, Verlag Borck, São Luiz Gonzaga, RS, 2005. Und in folgenden Zeitungen: “Igaçaba”, eine in Brasilien und im Ausland erhaltbare Kultur-Zeitung aus der Stadt Roque Gonzales, RS, Zeitschrift “Literatura – a Revista do Escritor Brasileiro”, Brasília, DF; Zeitung “O Boêmio”, Matão, SP und Zeitschrift “Papangu” – Mossoró, RN.

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