Der Stadtteil Itaquera, in dem sich das neu erbaute Stadion “Estádio do Corinthians oder kurz Itaquera“ befindet – die Bühne der Eröffnungsveranstaltung für die Fussball-Weltmeisterschaft 2014 – hat Fälle von sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen bereits während dem Bau des Stadions registriert. Aussagen einer Mädchengruppe, die Anfang April gegenüber einem Komitees zur Verteidigung der Kinderrechte gemacht wurden, beweisen, dass die Bauarbeiten des Stadions die Ausbeutung in dieser Region der Grossstadt angeregt haben.
“Wir haben Aussagen von Mädchen gesammelt, die zu Opfern während der Bauperiode des Stadions wurden, die im Jahr 2011 begann. Es ist eine Tatsache, dass die sexuelle Ausbeutung in dieser Periode im Umfeld des “Itaquerão“ existierte und noch existiert“, hebt Patrícia hervor, eine der Mitarbeiterinnen der Delegation, die diese Aussagen aufgenommen hat. Sie war Sprecherin einer parlamentarischen Untersuchungs-Komission (CPI) der Stadtverordneten-Kammer von São Paulo, die die Ausbeutung von Kindern im Munizip untersuchte und im Dezember 2013 beendet wurde.
In einer dieser Unterredungen erzählt das Mädchen B., 13 Jahre alt, dass sie von einem der Bauarbeiter in einem dunklen Winkel des Stadions bedrängt und sexuell missbraucht wurde und jetzt schwanger ist.
“Ein Bursche hat mich immer auf der Strasse verfolgt, wenn ich vorbeikam. Das hat mich beunruhigt, weil er vielälter war als ich. Mein Vater wusste, dass der mich immer verfolgt, hat aber nichts unternommen. Der Kerl versuchte mehrere Male sich mir zu nähern. Schliesslich bin ich mit ihm mal ausgegangen, und da hat er mich vergewaltigt. Bin schwanger geworden. Nach einer Zeit hat er gesagt, dass er die Verantwortung übernähme. Meinen Vater hat das alles nicht besonders berührt. Es scheint mir sogar, dass es ihm recht war, weil er dann ein Kind weniger zu ernähren hatte. Vielleicht war es gut für ihn, weniger für mich“, sagte das Mädchen, das in einer Kommune in der Nähe des Stadions wohnt.
Die Reporter der Nachrichtenagentur “Agência Brasil“ waren im Mai im Umkreis des Stadions und brauchten nicht lange zu suchen, um auf Aussagen von Personen zu stossen, die in dieser Region arbeiten und die Realität der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen kennen. Ein Arbeiter, der seinen Namen nicht nennen wollte, berichtete, dass diese Verbrechen im Umkreis einer Favela geschehen und bis zum heutigen Tag passieren. “Ich habe es selbst erlebt. Nach ihrem Aussehen kann man feststellen, dass es junge Mädchen sind.“
Die Präfektur von São Paulo anerkennt die Region des Stadions als einen der verletzlichen Orte für diese Art von Verbrechen und hat ein Netz zum Schutz der Kinder und Jugendlichen geschaffen, in dem Sozialhelfer, Vormundschaftsorgane und Schulen in Bereitschaft versetzt wurden. Diese Massnahme enthält eine Konvergenz-Agenda, eine Strategie der Landesregierung, mittels des Sekretariats für Menschenrechte des Präsidenten der Republik, zur Bekämpfung der Rechtsverletzung von Kindern und Jugendlichen während grosser Veranstaltungen wie der Fussball-Weltmeisterschaft.
“Diese Aktion mobilisiert die Sozial-Akteure der lokalen Netze und wurde auch in der Hauptstadt São Paulo implantiert. Nicht nur in der Region von Itaquera, sondern auch an anderen Orten der Konzentration von Menschen, die die Spiele verfolgen“, erklärte Fábio Silvestre, politischer Koordinator für Kinder und Jugendliche des Sekretariats für Menschenrechte.
Silvestre hob hervor, dass die Präfektur auch die Kampagne zur Verbreitung des “Disque Direitos Humanos – Disque 100“ verstärkt habe – eines Telefon-Service, der entsprechende Denunzierungen entgegennimmt.
Für die nicht-staatliche Organisation “Plan Internacional“, die sich mit Themen zum Schutz der Kinder beschäftigt, ist die Bewusstmachung der Bürger, hinsichtlich einer Denunzierung, immer noch ein schwieriges Unterfangen. “Die Zahl der Denunzierungen in Bezug auf Sextourismus und sexuelle Ausbeutung ist verschwindend gering. Obwohl die Kampagne verstärkt worden ist, muss die Regierung eine intensivere Aufklärungsarbeit direkt in den betroffenen Kommunen durchführen“, bestätigt Mônica Souza, Marketing-Chefin der NGO.
Die grösste Sorge der “Plan Internacional“ ist die, dass mit dem Touristenstrom zur WM, besonders durch die Männer, die Fälle der Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in den Regionen zunehmen werden, in denen jetzt schon Fälle solcher Verbrechen bekannt sind.
Nach Meinung der Stadtverordneten Patrícia Bezerra hat dieses Thema die Regierung noch nicht im wünschenswerten Umfang mobilisiert. “Das Problem ist, dass es kein Thema der Agenda ist und bis heute auch nicht als Priorität eingestuft wird. Solange aber diese Thematik nicht ernst genommen wird, wird es auch schwer sein, am Ende des Tunnels endlich ein Licht hinsichtlich der sexuellen Ausbeutung von Kindern zu entdecken.“
Der Koordinator Fábio Silvestre fügte hinzu, dass die Entscheidung der Munizipal- und Staatsregierungen, während der WM schulfrei zu erklären, diesem Szenario nicht förderlich gewesen sei, denn dadurch sind die Kinder ausserhalb der Klassenräume noch verwundbarer. “Unglücklicherweise war das für uns eine Fehlentscheidung. Jedoch haben wir etwas dagegen zu setzen mit einem Angebot von Aktivitäten in den “Centros Educacionais Unificados (CEUs)“ – den “Vereinten Erziehungs-Zentren“, die von der “Secretaria de Educação“ organisiert werden, um die Kinder zu beschäftigen“, sagte er.
Daten des schon erwähnten Telefons “Disque 100“, des Sonderdezernats für Menschenrechte der Landesregierung zeigen, dass der Bundesstaat São Paulo, im Jahr 2013, die meisten Denunzierungen bezüglich sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche erhielt – 3.889 registrierte Fälle. Im Jahr davor waren es 3.739 Fälle.