Am Oberen Xingu werden die Dörfer von kommunalen Häusern gebildet, welche in einem ovalen Rund um einen Platz mit festgestampftem Boden angeordnet sind. Im Zentrum dieses Platzes befindet sich das “Männerhaus“. Über seine Bestimmung als Treff und Versammlungsraum der Männer, beherbergt dieses Haus auch die so genannten “heiligen Flöten“, die vor den weiblichen Blicken versteckt werden müssen, und die deshalb im Innern des Hauses gespielt werden oder bei Nacht im Hof, wenn die Frauen sich bereits zurückgezogen haben.
Das Zentrum des Platzes ist auch der Ort, an dem die Toten begraben werden, wo die Rituale stattfinden, wo zeremonielle “Bezahlungen“ entrichtet werden, wo der Häuptling Boten von anderen Dörfern empfängt, und wo er seine Reden an sein Volk hält. Darüber hinaus ist der Dorfplatz auch Austragungsort der Ringkämpfe “Huka-Huka“ (beschrieben im Text über das Ritual “Kwarup“) zwischen den Mitgliedern benachbarter Dorfgemeinschaften während aller formellen Meetings.
Die Häuser sind mit einem Material aus Palmstroh gedeckt, das “Sapé“ heisst. Die Bewohner-Gruppe eines jeden Hauses besteht aus einem Kern von männlichen Geschwistern und ihren dazu gehörigen Familien, zu denen sich noch deren parallele Cousins und eventuelle Nachkommen gesellen. Der Führer dieser Hausbewohner ist der designierte “Hausherr“, verantwortlich für die Koordination der produktiven Aktivitäten und anderen täglichen Aufgaben, die von der Zusammenarbeit aller Hausbewohner abhängen.
Im Idealfall bestimmen die Regeln des Zusammenlebens, dass ein Ehemann während der ersten Jahre seiner Ehe im Haus der Schwiegereltern wohnen sollte, um das Geschenk ihrer Tochter mit seiner Arbeit zu bezahlen. Wenn diese “Dienstzeit“ dann vorbei ist, kann das Paar sich eine neue Wohnung aussuchen, in der Regel ziehen sie dann ins Elternhaus des Mannes um. Diese Regel gilt nicht für einen “Hausherrn“, für den Führer eines Dorfes oder jene, die schon mit einer anderen Frau verheiratet sind. In einer solchen Situation wohnt die Frau von Anfang an im Haus des Ehemannes und ihre „Bezahlung“ wird mit persönlichem Eigentum des Mannes oder Jagdbeute-Abgaben geregelt. Die Verbindung zwischen den einzelnen Häusern wird durch Heiraten und durch die gemeinsame Unterstützung eines Dorfhäuptlings stabilisiert.
Der innere Raum des Gemeinschaftshauses hat keine Divisoren, mit Ausnahme von kleinen “Kabinetts“, in dem sich die Jugendlichen während ihrer “Reklusion“ in der Pubertät befinden, Paare mit Neugeborenen und Hinterbliebene während der Zeit ihrer Trauer. Die Erziehung des Indianers vom Oberen Xingu verlangt solchen periodischen Rückzug von der Gesellschaft. Im Fall der Männer erhalten sie während dieser Zeit eine systematische Erziehung, welche die typisch männlichen Arbeiten lehrt und den Ringkampf Huka-Huka trainiert. Je grösser die Verantwortung eines Mannes innerhalb seiner Gesellschaft, umso länger seine Periode der “Reklusion“.
Für das junge Mädchen dagegen, ist ihre erste Menstruation das Signal zur “Reklusion”. Jetzt lernt sie Matten zu flechten, eine Hängematte zu knüpfen und sämtliche feminine Arbeiten der Zubereitung der Nahrungsmittel auszuführen. Ihre Absonderung aus der Gesellschaft dauert nicht länger als ein Jahr, während dieser Zeit dürfen ihr die Haare nicht geschnitten werden (die Stirnfransen wachsen ihr dann über die Augen). Wenn die Zeit um ist, kommt sie mit einem neuen Namen hervor und ist von nun an eine erwachsene Frau, bereit zur Heirat.
Die politische Einheit am Oberen Xingu ist das Dorf, dessen Führer auch als Sachverständiger und Richter eventueller Konflikte fungiert, er bewahrt die innere Harmonie der Gruppe und verhält sich in der Regel grosszügig und hilfsbereit. Seine Macht, von ausgesprochen friedlicher Natur, übt er unter Rücksichtnahme auf die Akzeptanz der Gruppe aus, die wiederum die Unterstützung der Familienoberhäupter braucht. Seine politische Geschicklichkeit drückt sich im gesprochenen Wort aus, welches gleichzeitig das Symbol seines Status ist. Die Regeln zur Nachfolge eines Stammesführers sind flexibel und provozieren im Allgemeinen einen regen Wettbewerb um diese Position.
Die Position des “Hausherrn“ gebührt jenem, der die Initiative zur Konstruktion des entsprechenden Hauses ergriff. Im Idealfall ist es sein erstgeborener Sohn, der seine Position dann übernimmt.
Die wichtigsten Aufgaben des Hausherrn sind: seinen Anverwandten jene Auflagen zu wiederholen, die er vom Häuptling des Dorfes bekommen hat.
Im Haus ist die kleinste Einheit, gemessen am Platz, den sie braucht, ein Paar mit seinen unverheirateten Kindern – die Hängematten dieser Einheit definieren ein virtuelles Territorium, rund um ein Kochfeuer (abseits vom gemeinschaftlichen Feuer für die Produktion des “Beiju-Fladenbrotes“ im Zentrum des Hauses), und jede Familie benutzt in der Regel ein und denselben Mittelpfosten ihrer “Wohnecke“, um dort das innere Ende der Hängematte zu befestigen. Der mittlere Raum des Gemeinschaftshauses dient der Zirkulation. Es gibt zwei Eingänge, welche sich im Zentrum des höchsten Teils der Hauswand befinden – einer führt zum Dorfplatz, der andere hinten hinaus ins angrenzende Gebüsch. In der Nähe dieser Eingänge platzieren sich die Personen, welche Licht für irgendeine Hausarbeit brauchen, denn das Innere des Hauses ist dämmrig bis dunkel.
Jedes Haus beherbergt eine kooperative wirtschaftliche Einheit, die relativ unabhängig von den Nachbarn funktioniert – besonders hinsichtlich der weiblichen Aktivitäten. Mit Einbruch der Dämmerung, nach der täglichen Arbeit, pflegen sich die Familien in den Eingängen zu ihren Häusern aufzuhalten, sie sprechen miteinander, geben sich der gegenseitigen Körperpflege hin (Haare aus dem Gesicht entfernen, Läuse fangen, die Haare kämmen etc.). Die jüngeren Leute bemalen oder schmücken sich. Die älteren Männer sitzen im Männerhaus zusammen, rauchen und reden miteinander. Bei Einbruch der Nacht ziehen sich alle zurück – die Kern-Familien versammeln sich um ihr Kochfeuer, wo sie die letzte Mahlzeit des Tages zubereiten, und danach gehen sie schlafen.
Dorfleben und gesellschaftliche Organisation unterschiedlicher Völker des Parks, entsprechend ihren kulturellen Eigenheiten, bringen wir unter den diesen Völkern zugeordneten Texten im Anschluss an diese allgemeine Beschreibung des Parks.