Der Karneval von Olinda wird hier in Brasilien inzwischen nicht mehr als Geheimtipp von Mund zu Mund weitergegeben – dafür ist er längst zu berühmt – aber er gehört zweifellos immer noch zu den exklusivsten und begehrtesten Festen in Brasilien. Ein Fest, an dem die ganze Stadt teilnimmt. Die historische Stadtkulisse und die Tatsache, dass sich hier die Einwohner alle gut kennen, schafft eine Intimität, die man in den Millionenstädten Brasiliens vergeblich suchen wird. Inzwischen nehmen zwar auch Tausende von Besuchern an dem Ereignis teil, aber auch auf die Menschen von ausserhalb scheint das exklusive Flair der historischen Gebäude, Gassen und Plätze, zusammen mit den sich dazwischen im Tanz drehenden bunten Kostümen und den gutmütigen „Bonecos Gigantes“, eine besondere Wirkung zu haben:
berührt vom Zauber des Ambiente, wie von einem lebenden Kunstwerk, in dem sie selbst ein Teil sein dürfen, fällt die Fremdheit von ihnen ab, und sie gehen ganz auf in der Musik, dem Rhythmus, den Farben und der ausgelassenen Freude ihrer neuen Freunde aus Olinda.
Die BONECOS GIGANTES (Puppen-Riesen)
Sind das besondere Markenzeichen des Karnevals von Olinda. Jene über drei Meter grossen Riesenfiguren – aus Papier, Stoff und Plastik – werden von einem kräftigen Angehörigen eines „Bloco“, mittels eines Stützskeletts, auf den Schultern getragen, der Träger selbst hat einen Sehschlitz zwischen dem Beinansatz der Riesenpuppe, deren lange, bis auf den Boden reichende Bekleidung den Träger völlig verdeckt. So ist die Täuschung komplett: jeder dieser Riesen hat sein Eigenleben und wenn man in ihre hoch über der Menge ragenden freundlich lächelnden oder auch säuerlich grinsenden Gesichtszüge blickt, meint man im Schein der schon etwas schräg stehenden Sonne tatsächlich, einen mit dem Auge zwinkern gesehen zu haben.
Der HOMEM DA MEIA NOITE (Mitternachts-Mann)
Ist der bekannteste der Puppen-Riesen, sein Erscheinen wurde zum ersten Mal im Jahr 1932 registriert. Ein weisshaariger alter Herr im dunklen Nadelstreifen-Anzug, ernste würdige Miene, drei Meter und zwanzig gross. Ihm gebührt die ehrenvolle Aufgabe, den „Carnaval de Olinda“ offiziell zu eröffnen – genau um Mitternacht, Null Uhr, des Karnevalsamstags, der hier „Sábado de Zé Pereira“ heisst. Bis 1967 führte der „Mitternachtsmann“ ein Junggesellendasein. Dann schuf jemand die „Mulher do Dia“ – die „Frau des Tages“ – und inzwischen sind die beiden unzertrennlich. Zusammen sind sie das stadtbekannteste und beliebteste Paar während der tollen Tage von Olinda.
11 Tage lang dauert dieses rauschende Fest! Hier wird der „Aschermittwoch“ einfach nicht respektiert, den man kurzerhand in „Quarta-feira-do-Batata“ umbenannt hat, nach einer lokalen Episode, in der sich der Kellner, mit Spitznamen „Batata“ (Kartoffel), beschwert, dass er nach seiner aufreibenden Arbeit über die Festtage nunmehr auch seinen Karneval feiern möchte. Aber das kann er ja nicht alleine – also feiern die andern alle noch einmal mit!
Alles spielt sich vornehmlich auf den Strassen und Plätzen ab. Das ist das Schönste dabei, besonders für den Besucher von ausserhalb. Und damit der auch in die richtige Stimmung, und vor allem, in die nötige Kondition findet, um wenigstens einige Tage und Nächte durchzuhalten, bietet man ihm erst einmal einen „Capeta“ an – den lokalen Marathon-Fest-Cocktail, von dem unser englischer Mitbesucher respektvoll sagte: „That stuff keeps you going!“ Das „Teufelchen“, so heisst der Cocktail, wird aus Guaraná-Pulver, Kondensmilch und Wodka gemixt – gerührt oder geschüttelt – die Wirkung bleibt die Gleiche, besonders am nächsten Morgen.
Einfach jeder verkleidet sich in Olinda – auch die Besucher. Die offizielle Eröffnungsfeier ist fast so pompös wie die bei den olympischen Spielen: Ein „Bloco“ von „mehr als 400 Jungfrauen“ (das sind verkleidete Männer) tritt in Szene. Preise werden für die gewagtesten Kostüme vergeben, aber auch für die prüdesten.
Die kostümierten „Blocos“ – hier gibt es mehr als 500 Vereine – ziehen, zur Musik des „Frevo“ tanzend, Sonnenschirmchen schwenkend, durch die Stadt, und jedermann folgt dem wirbelnden Strom, der sich wie ein tanzender, farbenglitzernder Lindwurm durch die schmalen Gassen wälzt.