Eigentlich war Begorotire ein zufriedener Kaiapó (brasilianischer Indianerstamm) – jedoch mit einem “pavio curto”, wie wir hier in Brasilien sagen, wenn jemand schnell zornig wird und sich dann nicht mehr unter Kontrolle hat: Er hat einen “kurzen Docht”, man könnte auch sagen: “eine kurze Zündschnur“. Und das zeigte sich bei Begorotire besonders dann, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte – Ungerechtigkeiten brachten ihn schnell in Rage.
Seit mehreren Monden hatte es nicht geregnet, die Natur war ausgetrocknet, und die wenigen wilden Tiere schwer aufzustöbern, weil sich die meisten in feuchtere Gebiete zurück gezogen hatten. Eines Nachmittags, als eine Jagdgruppe des Kaiapó-Dorfes wie üblich das wenige erlegte Wild unter den Bewohnern aufteilte, drehte Begorotire durch: Durch die Innereien eines Hirsches, die für ihn und seine Familie von der Jagdbeute abfielen, fühlte er sich gedemütigt – das hatte er nicht nötig, er, einer der besten Jäger seines Volkes, der mit seiner Gruppe immer so viel Jagdbeute mitbrachte, dass man die Innereien sogar den Hunden überliess, weil für alle Mitglieder des Clans genügend Fleisch vorhanden war – zornig schleuderte er die Innereien auf den Boden, wo sich sofort die Hunde daraufstürzten. Begorotire verschwand mit finsterer Miene in seiner Hütte.
So gross war sein Zorn über die empfundene Demütigung, dass er sich noch am gleichen Abend entschloss, das Dorf zu verlassen. Seiner Frau und seiner Tochter schnitt er die langen Haare ab und bemalte ihre und auch seinen eigenen Körper mit schwarzer Farbe aus der Jenipapo-Frucht – zum Zeichen der Trauer. Dann nahm er seinen Bogen, die Pfeile und seine Jagdkeule auf, deren Griffstück mit Palmbast umflochten und ihre Spitze vom Blut der wilden Tiere durchwirkt war. Noch ehe der Morgen graute, hatten sie ihr Dorf verlassen und strebten der nahen Gebirgskette zu.
Oben auf einem Berggipfel reckte er seine Keule in die Luft und begann zu brüllen – ein Gebrüll wie Donnergrollen, das bis ins Dorf zu hören war – und die Bewohner erkannten seine Silhouette auf dem Gipfel, sahen, wie er seine Keule dicht unter den Wolken kreisen liess, und wie die Blitze aus ihrer Spitze hervor zuckten. Nachdem ihn eine dicke Wolke eingehüllt hatte, die dann schliesslich den Gipfel wieder freigab, war Begorotire verschwunden. Und dann kam der Regen . . . alle Schleusen des Himmels schienen sich plötzlich geöffnet zu haben – nach Monaten der Trockenheit und Dürre strömte das Wasser herab und die Kaiapó gaben ihrer Freude und Dankbarkeit über den Regen Ausdruck in Gesang und Tanz – Begorotire hatte ihnen Regen gebracht, und sie nannten ihn den “Regenmann“ und huldigten ihm.
Einige Zeit später, Begorotires Familie war im Himmel gut aufgenommen worden und ihnen fehlte es an nichts, hatte sich auch sein Zorn längst gelegt – nun trachtete er danach, wie er wohl seinen ehemaligen Nachbarn etwas Gutes tun könnte, um ihnen zu zeigen, dass er nicht nachtragend war. Also sammelte er die Samen seiner ausgedehnten Felder, trocknete sie und übergab sie schliesslich seiner Tochter, die zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen war, um sie auf die Erde hinunter zu bringen – in einer grossen “Cabaça“ (Kürbisschale), die an einer langen Liane befestigt war, liess er seine Tochter auf die Erde hinab. Dort wurde sie von einer Gruppe Jäger entdeckt und ins Dorf begleitet – ehrfürchtig verneigten sich die Dorfbewohner vor der “Tochter des Regenmannes“.
Nachdem sie ihr die besten Speisen vorgesetzt hatten, erklärte die junge Indianerin ihren Auftrag und übergab ihren Gastgebern die vom Vater in einem Körbchen gesammelten Samenkerne – die Dorfbewohner waren erfreut und glücklich über dieses Geschenk, sie sangen und tanzten zu Ehren des Regenmannnes und seiner Tochter.
Der junge Mann, der sie in ihrer Kürbisschale zuerst entdeckt hatte, heiratete sie – und sie wohnte nun wieder auf der Erde. Schliesslich entschloss sie sich, ihre Eltern im Himmel zu besuchen. Also bat sie ihren Ehemann, einen jungen, elastischen Pindaíba-Baum mit der Krone bis auf den Boden zu biegen – setzte sich darauf, und als die Männer losliessen, wurde sie von der zurückschnellenden Baumkrone weit hinauf in den Himmel katapultiert.
Als sie zurück auf die Erde kam, war sie in Begleitung ihrer ganzen Familie – auch ein paar im Himmel geborene Geschwister waren dabei, und die trugen schwer beladene Körbe mit Bananen, Ananas, Mangos und vielen anderen Früchten mit sich. Begorotire, der Regenmann, lehrte nun seine Nachbarn, wie man ein Feld anlegt und bearbeitet, und wie man solche Früchte kultiviert. Und alle halfen sie ihm, sich unter ihnen ein neues Heim zu bauen – und sie verehrten ihn.
Denn fortan fehlte es niemals mehr an Wasser im Land der Kaiapó. Immer wenn die Natur den Regen brauchte, stieg der Regenmann auf einen Berg, schwang seine Keule in der Luft und rief die dicken, dunklen Wolken mit seiner Donnerstimme herbei. Dann schossen Blitze aus seiner Keule und wenig später rauschte der Regen herab . . . und die Kaiapó sangen und tanzten vor Freude, denn ihre Felder waren fortan stets grün und sie litten weder Hunger noch Durst.