Die Geschichte von Piauí beruht eigentlich auf einer Reihe von Rinderfarmen, als den ersten menschlichen Gemeinschaften in einer gottverlassenen Gegend, die sich später in Dörfer, und einige auch in Städte, wandelten – mit Namen, die auf die lusitanischen Eroberer hindeuten, wie „Valença, Marvão, Amarante und Campo Maior.“
So eine Rinderfarm war ein autarkes Unternehmen – mit einem grossen Wohngebäude im Schatten breiter Baumkronen und einem weit ausladenden Vordach für die Siesta in der Hängematte – umgeben von den Koppeln für das Vieh und einigen Stallungsgebäuden.
Die Möbel im Haus waren grob behauene Stücke, mit Leder überzogen. „Aus Leder,“ so bemerkt der brasilianische Historiker Capistrano de Abreu“, war auch die grobe Liegestatt auf dem Boden, welche ebenfalls für Geburten Verwendung fand.“ Aus Leder waren die Bänke und Schemel, die Lassos zum Einfangen von Tieren, die Sättel und Taschen der „Vaqueiros“ (Cowboys), ihre Leggins und Gürtel, ihre Stiefel und Hüte, sogar ihre Messerscheiden – die Zivilisation des Leders, deren Reichtum auf der wachsenden Zahl der Herden beruhte und sich über drei Jahrhunderte lang halten konnte.
In den „Várzeas“ (Flusstälern) von Piauí wurde das Fleisch-Rind gezüchtet und dann in andere Provinzen exportiert. Der „Boi“ (Ochse) wurde im Leben der „Sertanejos“ (Inlandbewohner) integriert – verwandelte sich in lokale Folklore. Man sang die Moritaten des „Barbatão“ und des Ochsen „Espácio“, und wenn der Ochse in der Geschichte endlich starb, tröstete der Refrain die Zuhörer: „Wir werden einen andern Ochsen kaufen, Schwesterlein, dort in Piauí!“ Dem „Vaqueiro“ von Piauí – einem Mestizen aus Weissen und Indianern – gehört der eigentliche Verdienst der Kolonisation der Provinz. Er trieb das Vieh über die Hochplateaus der Caatinga und durch die grasbewachsenen Ebenen, er legte neue Wege an und erweiterte so den Landbesitz seines Herrn.
Man schrieb das Jahr 1674, als die Rinderfarmer des „Rio São Francisco“ eine Expedition zur Erschliessung neuer Weidegebiete für ihr Vieh zusammenstellten – was ihnen vorschwebte waren grasbedeckte Savannen im Gebiet der Gurguas-Indianer. Also wurden Francisco Dias D’Avila, als erster Offizier, Domingos Afonso Mafrense, als zweiter und Domingos de Carvalho, als dritter Offizier, beauftragt, mit den Indianern zu verhandeln.
D’AVILA, MAFRENSE und CARVALHO – jene ersten Pioniere, die ins Territorium von Piauí eindrangen und schliesslich den Erfolg ihrer Mission melden konnten – waren auch die ersten, denen von der Regierung in Pernambuco für ihre Verdienste je eine „Carta de Sesmaria“ (Schenkungsurkunde) ausgehändigt wurde, die jedem von ihnen „Dez Leguas de Terras em Quadro“ (43.560 km²) als Landbesitz zusprach – und zwar am Ufer des „Rio Gurgueia“. Es entstand der Name des zukünftigen Bundesstaates: „Piagûi, Piagoí, Piauí“ ein Name der von einem Fluss stammt, von dem der bahianische Schriftsteller „Rocha Pita“ sagt: „Ein Name, der fast nicht zustande gekommen wäre, denn dieser Fluss führt nur Wasser, wenn es einmal regnet in dieser trockenen Gegend – im Sommer besteht der Fluss nur aus vereinzelten Tümpeln“.
Nachdem die drei den Anfang gemacht hatten, fanden sich immer mehr Interessenten, die auf einem Stück Land in der neuen Provinz Piauí ihr Glück versuchen wollten – sie alle bekamen ihre „Carta de Sesmaria“ – und die Besiedelung vollzog sich von Südwesten nach dem Norden, entlang des „Rio Parnaíba“.
Mafrense, den man im Volksmund auch Domingos Sertão nannte, entwickelte sich als der wahrhafte Kolonisator der neuen Provinz – „ein Gebiet, das ich entdeckt und bevölkert habe unter grossem Risiko für meine Person und unter beachtlichen Ausgaben“ – er gründete insgesamt dreissig Rinderfarmen in diesem Gebiet.
Die Rinder
Mafrense überschrieb seine dreissig „Fazendas“ später den Jesuiten, unter der Bedingung, dass diese nicht zusammengefasst würden und dass der Gewinn folgendermassen verwendet würde:
1. Für die Mitgift der Jungfrauen
2. Die Bekleidung der Witwen und Waisen
3. Almosen für die Armen und
4. Der Rest für die Einrichtung neuer „Fazendas“
Der alte Eroberer fühlte sich quitt mit dem Himmel, als er den Jesuiten die Administration seiner Viehgeschäfte auf Erden übergeben hatte. Und die pfiffigen Pater der Gesellschaft Jesu, geschickte Geschäftsleute, erhöhten die Zahl der „Fazendas“ auf neununddreissig und die Zahl der Landsitze auf fünfzig!
In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Viehwirtschaft in Piauí ihre absolute Bestmarke erreicht. Die Herde bestand aus 60.000 Stück Vieh. Die Provinz exportierte Rinder in alle Bundesstaaten des Nordostens, nach Maranhão und Provinzen des Südens. Nach der Ausweisung der Jesuiten, während der Ära des Marquês de Pombal, wurden die Fazendas von Mafrense der portugiesischen Krone einverleibt.
Das Land
Inzwischen verschärften sich Konflikte zwischen Landbesetzern (Viehhirten und Bauern) und den Grossgrundbesitzern, die ihr Land durch jene Schenkungsurkunde zugesprochen bekommen hatten. Letztere blieben einfach zuhause, in Bahia oder Pernambuco, ohne jemals ihre riesigen Ländereien überhaupt persönlich kennen gelernt zu haben. Daraufhin erschien ein königlicher Erlass, der bestimmte, dass „alle Landbesitzer, welche ihre Ländereien nicht persönlich oder durch ihre Bediensteten, Kolonisten oder Vertreter bearbeiten, diese verlieren, und zwar an denjenigen, welcher solche Unterlassung denunziert“. Ein anderer Erlass bestimmte einen Zeitraum von 2 Jahren als Frist zur Vermessung der erhaltenen Ländereien, andernfalls diese an die Krone zurückfielen.
Der erste Gouverneur
Im Jahr 1758 wurde die Provinz Piauí von der administrativen Vormundschaft in Maranhão abgenabelt und João Pereira Caldas per königliches Dekret als sein erster Gouverneur eingesetzt. Als Amtssitz hatte er den kleinen Ort „Vila da Mocha“ ausgesucht, eine von „Mafrenses“ Rinderfarmen, die bei dieser Gelegenheit (1759) in den Status einer „Cidade“ (Stadt) erhoben wurde. Der Distrikt unter Pereira Caldas wurde in „São José do Piauí“ umbenannt und „Mocha“ in „Oeiras“, zu Ehren des ersten Ministers Seiner Majestät, des Marquês de Pombal.
Als geschickter Politiker – wie jene Schachzüge beweisen – und geschickter Administrator, konstruierte der Gouverneur die ersten öffentlichen Gebäude der Stadt und bereiste in nur einem Jahr den gesamten Bundesstaat vom extremen Süden bis zum äussersten Norden und gründete unterwegs die Orte „Parnaguá, Jerumenha, Valença, Campo Maior, Marvão“ und „Parnaíba“.
Die Unabhängigkeit
Der 7. September 1822 (Dom Pedro I. erklärt die Unabhängigkeit Brasiliens von der portugiesischen Krone) setzt die Provinz in Flammen – längst gibt es hier eine separatistische Bewegung unter Manuel de Sousa Martins, in der Stadt „Oeiras“. Und in „Campo Maior“ ist ein anderer Bürger, Lourenço de Araújo Barbosa, bereits dabei, Schiesspulver für den Ernstfall zu fabrizieren.
Die Bewegung explodiert schliesslich in der Stadt „Parnaíba“, die ihre Unabhängigkeit am 19. Oktober öffentlich erklärt. Der Schrei aus Parnaíba findet sein Echo in „Campo Maior“ und „Piracuruca“, die ebenfalls den Prinzen Dom Pedro ihrer Treue versichern.
Die Regierung in „Oeiras“ schickt ihren berüchtigtsten Haudegen, den Major João José da Cunha Fidié, der mit seiner Truppe zur Küste marschiert, um Parnaíba in die Knie zu zwingen und, weil er vergisst, in Oeiras Soldaten zurückzulassen, schliessen sich dort die erleichterten Bürger ebenfalls der neuen Unabhängigkeitsbewegung an und erklären Dom Pedro I. ihre Treue (24. Januar 1823). Fidié findet Parnaíba verlassen – die Separatisten haben sich in den Nachbarstaat Ceará geflüchtet, um Hilfe herbeizuholen – also marschiert er wieder zurück, denn Oeiras hat dringend seine Anwesenheit verlangt. In „Campo Maior“ schneiden ihm die Bürger aus Ceará und Piauí den Weg ab. Auf den „Jenipapo-Feldern“ stürzen sich 3.000 brasilianische Patrioten auf die Soldaten der verhassten portugiesischen Besatzungsarmee. Sie sind zwar in der Überzahl, aber es mangelt ihnen an militärischer Strategie und ihr erster taktischer Fehler ist, Fidiés Regiment auf offenem Feld anzugreifen – es wird eine blutige Schlacht – die „Unabhängigen“ verlieren mehr als 200 Männer und werden geschlagen.
Doch der Sieg nützt Fidié nichts. Während der Schlacht haben ihm die Bürger von Campo Maior sämtliche Ersatzmunition geklaut. Und der Major, ohne Munition, macht einen Bogen um Oeiras und marschiert nach „Caxias“ in Maranhão, um sich dort zu verstecken – Piauí war unabhängig.
Manuel de Sousa Martins wurde Gouverneur und stand während vieler Jahre die folgten, an der Spitze der Politik – er erhielt den Titel „Visconde da Parnaíba“.
Die neue Hauptstadt
Im Jahr 1852 bekommt die Provinz eine neue Hauptstadt mit dem Namen „Teresina“ – ehemals „Vila do Poti“ – zwischen den Flüssen „Parnaíba“ und „Poti“. Schon Antônio de Noronha (1792) dachte daran, die Hauptstadt von Oeiras an einen Ort am Ufer des „Rio Parnaíba“ zu verlegen, oder nach „Parnaíba“ selbst, denn die Stadt hatte sich damals schon zu einem wichtigeren Handelsplatz entwickelt als die Hauptstadt Oeiras selbst. In die Tat umgesetzt wurde die Idee allerdings erst durch den Dr. Antônio José Saraiva, als dieser, in seiner Funktion als „Präsident Saraiva“, im Januar 1852 das Umzugsprojekt in ein Gesetz verwandelte. Im August desselben Jahres installierte er sich bereits in der neuen Hauptstadt, die ihren Namen zu Ehren der Imperatriz (Kaiserin) Teresa Cristina erhielt.
Aufhebung der Sklaverei
In Teresina begann die Bewegung zur Befreiung der Sklaven im Jahr 1870 (während die offizielle „Abolição“ in Brasilien erst 1888 in Kraft trat) – als man in der Hauptstadt eine entsprechende emanzipierte Gesellschaft gründete. Deren erste gemeinsame Aktion war die Freilassung von zehn jungen Sklavinnen. In die Kostenaufstellung der Provinz wurde ein Betrag inkludiert, der für die Freilassung gefangener Sklaven bestimmt war. Im Jahr 1871 wurden alle Sklaven auf den alten Mafrense-Fazendas für frei erklärt. Andere Orte, wie zum Beispiel „Barras“ und „Jaicós“ hatten ähnliche emanzipierte Gesellschaften. Am 13. Juli 1844, 44 Jahre vor der offiziellen brasilianischen Freiheitserklärung, erklärte „Jaicós“ alle seine Sklaven für freie Bürger.
Die Republik
„Die Nachricht von der Proklamation der Republik (15. November 1889) überraschte die Gesellschaft von Teresina im Concordia-Theater, mitten in der Aufführung eines dramatischen Spektakels“, so ein zeitgenössischer Chronist. Die Menschen strömten aus dem Theater und hinein zum Telegrafen, der ersten Quelle aller Nachrichten. Am nächsten Tag, dem 16. November, sah man durch das offene Fenster der Telegrafenstation den Telegrafisten mit einem Kapitän gestikulieren und diskutieren – bis sich beide plötzlich zum versammelten Volk wenden und die Republik von Piauí proklamieren. Man ersetzt den Präsidenten durch eine provisorische Administration. Und dann wechselt Piauí – mit Diskussionen, Blumen und vor allem ohne brüderliches Blutvergiessen – in die Republik hinüber. Die Provinz wird ein Bundesstaat, der erarbeitet seine Konstitution (1891) und wählt Gabriel Ferreira zu seinem ersten Präsidenten.
Der „Piauiense“ – ist von Natur aus misstrauisch und versucht, mit übertriebener Scheu, die Armut zu verbergen, in der sich sein Bundesstaat heutzutage befindet. Die wiederholten Trockenperioden, die den Nordosten heimsuchen, haben seine Viehwirtschaft liquidiert. Man sieht sie kaum noch, jene Herden, die den Ruhm und den Reichtum des Bundesstaates einst begründet haben. Der ihm verbliebene Reichtum ist jetzt das Carnaúba-Wachs.
Und doch zählt er auf seinen „Rio Parnaíba“ – einst der grosse Fluss der Tapuias, der Punaré und der Paraguaçu – vielleicht mit einem Wasserkraftwerk, eines Tages, das seinen Bundesstaat rehabilitiert. Er beschwert sich nicht über die Isolation in der er lebt. Er reklamiert schon manchmal, aber dann ist es wegen der Hitze – ob es nicht bald mal ein bisschen regnet, um die Landschaft zu erfrischen. Und er wartet darauf, dass es einen „guten Winter“ geben möge, damit sein Feld sich entwickelt und er Weide findet, für seine Rinderchen.
Jedoch nicht nur der Fluss und der trockene Sertão allein gehen ihm im Kopf herum. Der „Piauiense“ wollte auch gern einen Hafen – oder noch besser – ein Meer. Einen Ozean und einen Strand mit weissem Sand, ein paar Dünen und einige Kokospalmen. Also hat er mit Ceará einen bescheidenen Küstenstreifen ausgehandelt und der erschien erstmals auf der Karte von 1880 als „Vila da Amarração“, eingetauscht gegen den Distrikt „Crateus“, den Ceará dafür annektierte. Einige seiner Landsleute bedauerten den Deal. Andere wieder fanden es wunderbar, jetzt in einem Bundesstaat zu leben, der „vom Atlantischen Ozean umspült“ ist.