In Brasilia erwartet man zirka 400.000 brasilianische und 200.000 ausländische Touristen. Die Hauptstadt Brasiliens ist eine der zwölf Austragungsorte des diesjährigen WM-Turniers – die Touristenzahlen wurden vom Sekretariat für Tourismus des Regierungsbezirks geschätzt.
Die Behörden befürchten, dass der erwartete grosse Touristenstrom sich in einer Zunahme sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen niederschlagen könnte. In der Umgebung des Regierungsbezirks hat man einige bekannte Orte solcher Ausbeutung bereits registriert – der sich nähernde WM-Event verunsichert die Bewohner.
“Hier im Stadtteil Valparaiso, an der Bundesstrasse BR-40, fahren viele LKWs vorbei, und es gibt Strassen, die zu Stundenhotels führen. Wenn man dort nachts vorbeigeht, sieht man tatsächlich viele Kinder und Teenager. Ich finde, dass die Bevölkerung sich viel zu wenig um diese sexuelle Ausbeutung von Kindern kümmert“, meint Rosângela Ferreira, eine Bewohnerin der Region.
Die BR-40 ist eine der bedeutendsten Fernstrassen des Mittleren Westens. Und genau auf ihr wird ein Teil der erwarteten Touristen die Hauptstadt anfahren – aber auch andere Austragungsorte der WM in Brasilien. Die “Polícia Rodoviária Federal (PRF)“, das ist die Strassenpolizei – hat bestimmte Kontrollpunkte markiert, um beim Schutz der Kinder und Jugendlichen mitzuwirken. Wie ein Inspekteur erklärt, ist die Polizei über dieses Problem im Bilde. “Es ist tatsächlich besorgniserregend, wenn man die grosse Zahl der Kinder kennt, die sich in einer solchen Situation befinden. Eine riskante Situation, eine verletzliche Situation. Und wir von der “Polícia Rodoviária Federal“ werden ein besonderes Auge auf Kinder und Jugendliche während dieser WM haben, um ihre sexuelle Ausbeutung zu verhindern“.
Um die Sicherheit zu erhöhen, hat die Landesregierung das “Komitee zum Schutz der Kinder“ geschaffen, das bereits beim vergangenen Confederations-Cup in Aktion war. Trotzdem hat die Sekretärin für Kinderpolitik, Maura Souza, verschiedene Fälle von Menschenrechtsverletzungen während jenes Turniers feststellen müssen.
“Es gab zahlreiche Registrierungen von Nachlässigkeit, einige Fälle von vermissten Personen und Alkoholmissbrauch. Ich musste diese Jugendlichen in ärztliche Behandlung bringen, Kontakte mit ihren Familien aufnehmen und auch unseren Vormundschaftsrat einschalten.“
Während des Confederations-Cup wurde auch eine andere Art von Gewalt gegenüber Personen registriert, die ihr armes Leben auf der Strasse fristen. Vor Beginn des Events waren sie von der Polizei aus der Umgebung des Stadions, im Zentrum Brasilias, vertrieben worden, um den Schein zu wahren. Ein Jugendlicher von 15 Jahren, der auf der Strasse lebt, seit er sich mit seinem Stiefvater gestritten hat, erzählt von Situationen polizeilicher Gewalt und fürchtet, dass sich die Situation während der WM in diesem Jahr wiederholen könnte.
“Die Polizei hat mich von der Brücke ins Wasser geschmissen, weil ich auf der Strasse war. Haben mich erst gefragt, ob ich schwimmen kann – ich hab ja gesagt, und da haben sie mich kopfüber von der Brücke geschmissen. Ich hab mich nur nicht verletzt, weil ich im Fallen meinen Körper drehen konnte, sonst hätte ich mir vielleicht das Genick gebrochen und wäre jetzt nicht hier“.
Die Ausbeutung von Kinderarbeit während der WM ist ein anderes Problem. Der umstrittenste Fall ist eine Entscheidung des Nationalen Rates der Justiz, der Kinder ab 12 Jahren erlaubt hat, am Rand des Fussballfeldes als Balljungen zu arbeiten. Und ein Sponsor-Unternehmen der “Copa“ hat Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren trainiert, als Balljungen während der WM-Turniere zu arbeiten.
Die Lust der Jugendlichen, an der WM teilnehmen zu können, ist kaum zu zügeln. “Toll, an einer Weltmeisterschaft teilnehmen zu können – wer möchte nicht an unserer Stelle sein. Ich finde, dass diese Polemik bezüglich des Alters der Kinder Quatsch ist – nur nicht jünger als acht Jahre sollten sie sein. Man muss das Spiel stets aufmerksam verfolgen, denn wenn der Ball rausfliegt und man ist eingeschlafen, bekommt man Ärger – und fliegt raus.“
Der nationale Koordinator gegen die Ausbeutung der Arbeitskraft von Kindern und Jugendlichen, Staatsanwalt Rafael Dias, kritisiert die Entscheidung.
Die Aktivität als Balljunge gehört zu den schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Das ist eine Aktivität, die mit grossen Risiken für die Kindheit einhergeht. Sie setzt das Kind über die Massen den ultravioletten Strahlen der Sonne aus, es kann von einem Ballschuss getroffen werden, der psychologische Druck des johlenden Publikums…“ kritisiert er.
Anstatt Arbeit, lieber Sport. Für die Koordinatorin des Olympischen Zentrums des Regierungsdistrikts, Ricarda Lima, ist der Sport ein bedeutendes Instrument im Leben der Kinder – und ein Recht, das im Grundgesetz verankert ist.
“Ich habe nicht die mindesten Zweifel, dass der Sport die Bereitwilligkeit für Drogen mindert, dass er zu einer Verbesserungen der schulischen Leistungen beiträgt, und dass er der Selbstachtung förderlich ist. Nicht zu vergessen, die körperliche und emotionale Gesundheit.“
In der Landeshauptstadt gibt es 11 Olympische Zentren, in denen 40.000 Personen pro Jahr trainieren – darunter Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren und Behinderte – manche auch nur an den Wochenenden.