Brasiliens absurde Bürokratie im 21. Jahrhundert

Zuletzt bearbeitet: 14. Dezember 2020

Bruna – so wollen wir die Protagonistin dieser wahren Geschichte einmal nennen – wollte lediglich ihren Pass erneuern und wurde damit mit der absurden brasilianischen Bürokratie konfrontiert.

Beginnen wir im Frühjahr 2013. Bruna freut sich darauf, nach zwei Jahren wieder ihre Familie und Freunde in Brasilien zu besuchen. Den Flug hat sie schon gebucht, ihr Schweizer-Pass, den sie als doppelstaatliche Bürgerin ebenfalls besitzt, wurde, wie in einem geordneten Staat der zivilisierten Welt üblich, mit ein paar Klicks innerhalb von drei Minuten im Internet verlängert und konnte am nächsten Tag mit Foto, Fingerabdruck und Unterschrift vervollständig und bezahlt werden. Zugestellt wurde er per Post innerhalb 4 Tagen.

passaporteAber auch ihr brasilianischer Pass, mit dem Bruna in Brasilien einreisen muss, ist in acht Monaten abgelaufen und muss deshalb erneuert werden. Sie ahnt Schlimmes (alles was sie von ihren Landsleuten zu hören bekam) und sollte damit leider Recht behalten.

Der Beginn der Passerneuerung war vielversprechend. Denn auch ein brasilianischer Pass kann neuerdings online erneuert und bestellt werden. Jedoch im Gegensatz zu einem modernen europäischen Staat werden in Brasilien immer noch Papiere, Dokumente, Urkunden und Kopien von Auszügen – die im 18. Jahrhundert wohl ihre Berechtigung hatten, in der heutigen Zeit aber einfach lächerlich und nervtötend sind – für die simple Erneuerung eines bestehenden Passes verlangt – und alle müssen sie in die dafür vorgesehenen Rubriken eingetragen werden.

Aus dem geplanten Sonntagnachmittag, um das Monsterformular auszufüllen, wurde nichts, denn nachdem mehrere Links sich nicht öffneten, einige Formularfelder es nicht akzeptierten, wenn nichts ausgefüllt wurde, und die Seite sich irgendwann mit einem 404 Fehler präsentierte und anzeigte, dass der Server nicht erreichbar sei, brach Bruna diesen ersten Versuch genervt ab.

Der zweite Anlauf verlief besser, die Seite war stabil, die Daten konnten ausgefüllt werden, jedoch stellte sich heraus, dass auf der zweitletzten Seite, zu der Bruna beim ersten Versuch gar nicht vortossen konnte, zwei Originaldokumente verlangt wurden, von denen sie in der Schweiz nur eine Kopie besitzt. Fazit: die Übung abbrechen, und die verlangten Dokumente per Express aus Brasilien anfordern.

Um die lange, ermüdende und nervtötende Story abzukürzen: Beim dritten Anlauf gelang es ihr, das Onlineformular, wie verlangt auszufüllen und sogar Terminvorschläge einzugeben – allerdings nicht innerhalb weniger Tage, sondern im Verlauf von Monaten. Ausserdem musste die Bearbeitungsgebühr für die Passerneuerung in diesem Fall im Voraus bezahlt werden. Wenn das nur gut geht, und der Pass noch vor dem Abflugstermin Mitte Dezember erneuert ist, dachte sich Bruna nun etwas erleichteter. Der administrative Aufwand für die Erneuerung eines brasilianischen Passes hat sie gegenwärtig mit rund 7 Stunden angegeben.

Spontan ging ihr durch den Kopf, was wohl die vielen Analphabeten in Brasilien machen, wenn sie ein Dokument benötigen, wenn sich selbst studierte und gut ausgebildete Menschen die Zähne ausbeissen an diesem unverständlichen Verwirrspiel? Oder die Millionen von Personen ohne Computer oder Internetanschluss?

Brunas Abholtermin auf dem brasilianischen Konsulat rückte langsam näher. Sie ist ganztags berufstätig und musste sich einen halben Tag frei nehmen, um persönlich im Konsulat vorsprechen zu können. Die ihr mitgeteilte Zeit für den Abholtermin wurde, wie geahnt, um eine halbe Stunde verschoben. Schliesslich wurde ihr Name aufgerufen, und sie verschwand in einem kargen Büro, mit einem noch “kargeren“ Beamten. Nach rund 15 Minuten stand Bruna erneut draussen an, um sich eine Nummer für einen anderen Schalter zu holen, weil drei zusätzlich verlangte Dokumente fehlten. Eines kann an einem Konsulatsschalter bezogen werden, ein anderes muss von einem Notar beglaubigt werden, weil es in der Schweiz auf Deutsch ausgestellt wurde, was ja normal ist, und ein drittes Dokument gibt es so gar nicht in der Schweiz.

Wohlgemerkt, es ging hier nicht um einen neuen Pass, sondern um eine Erneuerung des abgelaufenen brasilianischen Passes, der vor ein paar Jahren mit allen vorliegenden Dokumenten ausgestellt worden war. Eine brauchbare Erklärung über das Wo und Wie jenes dritten, unbekannten Dokumentes, und wie es wohl aufzutreiben sei, gab es bei beim zuständigen Schalterbeamten nicht, er erklärte nur lapidar, dass er dafür nicht zuständig sei. Für jeden Bereich, der ein bestimmtes Dokument betrifft, gibt es im Konsulat einen zuständigen Beamten… gezählt hat Bruna 16 Personen, jedoch werden oder müssen es wohl weit mehr sein, denn allein für die Erneuerung ihres Passes benötigte sie 12 Dokumente!

Der administrative und persönliche Aufwand für die Erneuerung eines brasilianischen Passes beläuft sich im Fall von Bruna bis jetzt auf rund 10 Stunden – aber ein Ende ist noch nicht abzusehen!

Worin besteht eigentlich die Aufgabe eines Konsulats?

Es vertritt die staatliche Verwaltung eines Landes im Ausland. Es ist zuständig für die Ausfertigung von amtlichen Dokumenten, wie zum Beispiel die Ausstellung von Ausweisen, Reisepässen, Visa und anderen, oder für die amtliche Registrierung von Geburten, Eheschliessungen, Scheidungen, Adoptionen, Todesfällen etc. seiner Staatsbürger im Ausland. Darüber hinaus ist es die Aufgabe eines Konsulats, über die Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen seines Landes zu informieren – es ist ebenfalls zuständig für Militärfragen der im Gastland lebenden Wehrpflichtigen, sowie für Betreuung und Assistenz seiner Staatsbürger im Ausland bei eventuellen sozialen oder wirtschaftlichen Notlagen.

Die Konsulats-Mitarbeiter sollten, ihrer verantwortungsvollen Stellung entsprechend, vorbildliche Beamte sein und bestrebt, nach bestem Wissen und Gewissen dazu beizutragen, die sozialen und wirtschaftlichen Interessen ihres Heimatlandes im Ausland würdig und tatkräftig zu repräsentieren und zu fördern.

Was sollte nun ein anständiger Bürger tun, wenn die Botschaft seines Landes keine Lust auf Beratung oder Hilfe zeigt? Wenn er zum Beispiel ohne ein bestimmtes Dokument nicht heiraten kann, weil die Beamten sich nicht rühren? Wenn er seinen Pass oder sein Visum nicht rechtzeitig vor Reiseantritt von ihnen ausgestellt bekommt, weil Dokumente fehlen oder gar nicht in einem anderen Land vorhanden sind oder weil kein passender Internettermin frei ist? Wenn er monatelang hinter seinem Scheidungspapier herläuft und von Konsulatsseite keinerlei Informationen über die Gründe dieser Verzögerung erhält? Wenn er als künftiger Gast/Student/Fachmitarbeiter in Brasilien auf ein Einreisevisum, eine Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligung, Monate warten muss und dadurch sogar den Antrittstermin in seinem Gastunternehmen verpasst?

Bruna blieb nichts anderes übrig, als sich weiter durchzufragen, bis sie am Ende alle Dokumente zusammen hatte, endlich auch ihren Pass bekam, und nun ihre Angehörigen besuchen kann. Da sie die doppelte Staatsangehörigkeit besitzt (man kann nämlich die brasilianische nicht abtreten, unter dem Motto: “Einmal Brasilianer immer Brasilianer“) gelten für sie, wenn sie sich auf brasilianischem Territorium aufhält, die brasilianischen Gesetze.

Wir wünschen ihr alles Gute!

Ach ja, sie teilte uns noch mit, dass sie sich insgesamt drei halbe Tage am Arbeitsplatz frei nehmen musste, und sich ihr totaler administrativer Aufwand auf 13 Stunden erhöhte. Dem möchten wir nichts mehr hinzufügen…

Brunas Geschichte ist aber kein Einzelfall. Mit solchen Storys ihrer Landsleute und Brasilienbesuchern aller Art, werden wir immer wieder kontaktiert. Aber was können wir in solchen Fällen anderes tun, als zuhören, diese gestressten und überforderten Menschen ernst nehmen und ermuntern, mit noch mehr Geduld es immer wieder zu versuchen…?

Während und nach dem Confed-Cup protestierten hunderttausende Brasilianer auf den Strassen gegen die Korruption und sozialen Missstände im eigenen Land. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat als Antwort auf die Massenproteste eine Volksabstimmung über die Einberufung einer Verfassungsversammlung vorgeschlagen. Ziel sei eine Politikreform. “Brasilien ist reif, um weiter zu gehen, und hat bereits klar gemacht, dass es nicht stehenbleiben wird“, sagte sie.

Nebst seiner allgegenwärtiger Korruption, Vetternwirtschaft und sozialen Ungerechtigkeit, wird Brasilien auch mit einer solch absurden Bürokratie “stehenbleiben“. Ohne eine schnelle Vereinfachung und praktische Anpassung des administrativen Aufwandes für die einfachsten Sachen oder den Bedingungen für Unternehmen aller Art, verpasst Brasilien die Chance, “weiter zu gehen“. Vielleicht muss es erst weitere Massenproteste geben, um die Regierung endlich wachzurütteln – am besten zu Beginn der nächsten Wahlen, wenn es darum geht, über eine neue politische Führung dieses schönen Landes abzustimmen.

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