Capoeira ist ein brasilianischer Kampftanz mit einer langen Tradition. Ursprünglich von den Sklaven aus ihrer afrikanischen Heimat nach Brasilien mitgebracht, ist er heute nationales Erbe des größten südamerikanischen Landes. Wir stellen die Mischung aus Kampfspiel, Musik und Akrobatik genauer vor.
WOHER KOMMT DIE BEZEICHNUNG CAPOEIRA?
Über die Herkunft des Namens für diesen brasilianischen Kampfsport schreibt Francisco Pereira da Silva:
“Stets müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass dieses Spiel mit der Flexibilität des Körpers sich in vergangenen Zeiten als einzige wirksame Waffe der Sklaven erwiesen hat, mit der sie sich auf der Flucht vor ihren natürlichen Feinden und Verfolgern, den Sklavenhaltern und den Sklavenjägern, jenen “Capitôes-do-mato“ (Kapitänen des Waldes), wirkungsvoll zur Wehr setzten. Der Kampf fand in der Regel im Wald statt, in den sich die Schwarzen verbargen. Welche Art von Wald war das? Man bezeichnete ihn mit “Capoeira“ (aus der indianischen Tupi-Sprache “Caá-puêra“: caá = Wald, puêra = der schon mal war) – eine treffende Version ist auch die von Amadeu Amaral aus dem “Caipira-Dialekt“ (der Bauernsprache) stammende Bezeichnung “Capuêra“ – was übersetzt bedeutet: “Wald, der über einem anderen abgebrannten oder gerodeten gewachsen ist“ – also eine Art Sekundär-Wald“.
Auf diese Weise entstand der “Capoeira“ (kultivierte Form des “Capuêra“, Wald), aus der Kampf-Arena der rebellierenden Sklaven gegen die Unterdrückung ihrer weissen Herren. Und die Bezeichnung wurde übernommen, um mit ihr den späteren brasilianischen Nationalkampfsport zu bezeichnen – den Capoeira.
“Jedoch ist es eine Tatsache, dass es sich dabei um ein Wort mit multipler Bedeutung handelt – eine davon bezeichnet auch eine Art Korb oder Käfig mit dem man Hühner transportierte, als “Capoeira“. Man sagt, dass die Sklaven solche Hühnerkörbe auf die Märkte transportierten, und solange sich die Pforten der Markthallen noch nicht öffneten, unterhielten sich die Schwarzen im Hof, indem sie ihre Körper in gymnastischen Übungen trainierten, in einem “Spiel“, das sich als eine schreckliche Waffe erweisen sollte. Dies geschah in Rio de Janeiro, und der Philologe Antenor Nascentes ist der Meinung, dass man aus Gründen der Geheimhaltung den Namen jenes Hühnerkorbes einfach auf das “athletische Spiel“ und seine Adepten übertragen haben könnte. Heute verstehen wir folgende Zusammenhänge: Capoeira (antik) = Capoeirista (modern) der Kämpfer; Capoeira (modern) = der Kampf, das agile Körperspiel. Capoeiragem (antik) = der Kampf, der Akt des Capoeira-Spiels.
Diese beiden Alternativen für die Herkunft des Capoeira-Namens sind die meist zitierten – es steht dem werten Leser frei, sich der einen oder auch anderen anzuschliessen.
DAS SPIEL
Sitzend, oder auf den Beinen, die Musikanten des Berimbau, Pandeiro, Atabaque, Agogô. Der Chor und die übrigen Capoeiristas postieren sich rund um die beiden Gegner – die in geduckter Stellung, mit hin und her schwingendem Oberkörper direkt vor den Musikern verharren, angesichts des den Rhythmus bestimmenden Berimbau – aufmerksam lauschen sie der “Ladainha“, einem einleitenden musikalischen Vorspiel, das zu Ehren der legendären Capoeiristas erklingt, ihre Qualitäten werden vom Chor präsentiert – manchmal erklingt auch ein Lob auf den Gegner gegenüber oder eine versteckte ironische Provokation, ein Willkommensgesang auf die Anwesenden oder eine Danksagung an den Hausherrn. Jedenfalls enthalten die “Ladainhas“ stets eine Lektion fürs Leben und vermitteln die Philosophie des Capoeira, dienen der Inspiration für den bevorstehenden Kampf.
Bevor sie dann beginnen, reichen sich die Gegner die Hand, demonstrieren damit Freundschaft und Respekt, bekräftigen damit auch, dass ihre Auseinandersetzung lediglich ein “Spiel“ sein soll und kein ernst zu nehmender Kampf.
Das Spiel des Capoeira entwickelt sich aus der “Ginga“ (oder dem “Gingado“) – einer kontinuierlichen Bewegung des Körpers von einer Seite zur andern, in der Absicht, den Gegner zu verunsichern und zu verhindern, das dieser einen effizienten, gezielten Tritt anbringen kann. Zur gleichen Zeit, “gingando“ (hin und her schwingend) sucht man nach der besten Position, um einen eigenen tritt zu landen. Mittels dieser Bewegungen – stets dirigiert vom Rhythmus des Berimbau – involviert der Capoeirista seinen Gegner und versucht, niemals seine Angriffe direkt abzufangen, sondern sich ihnen zu entziehen und gleichzeitig seine Gegenangriffe anzubringen, wenn möglich in synchronisierten Bewegungen mit denen des Gegners. Die Schläge (oder besser Tritte) werden ausgeführt, ohne sich vom Ziel abbringen zu lassen – oder besser: mit der Absicht, den Gegner zu treffen, aber unter stetiger Kontrolle der Dauer der Bewegungen, um damit dem Gegner Zeit für eine entsprechende “Antwort“ zu lassen, was der Kontinuität des Kampfspiels förderlich ist.
Wie der Mestre Decânio zu sagen pflegte: “Wenn es während des Spiels einen traumatischen Schock geben sollte, so ist der ein Irrtum von beiden Gegnern – des einen, weil er seinen Fuss nicht im richtigen Moment in der Gewalt hatte, und des andern, weil er sich nicht im richtigen Moment abgedreht hat“.
Besondere Beachtung verdienen solche Bewegungen, mit denen man sehr leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann, wie “Scheren“ und “Kopfschläge“ oder “Kriechstellungen“ unter anderen, Bewegungen, die zum Beispiel Schülern erst demonstriert werden sollten, wenn sie einen gewissen Grad eines Capoeira-Kurses erreicht haben – wenn sie bereits zu “fallen“ verstehen, ohne sich gleich zu verletzen. Wenn ein Capoeirista aus einer solchen Bewegung heraus zu Boden fällt, wird er aufgefordert, sich zu erheben und das “Spiel“ fortzusetzen.
In Übereinstimmung mit den grossen Meistern liegt die Effizienz und die Schönheit des Capoeira in der Tatsache, dass die beiden Gegner in unmittelbarer Nähe zueinander kämpfen – mit äusserster Präzision die Sequenzen der Schläge, Gegenschläge, Abwehrschläge und katzenhaften Sprünge ausführen, welche die Komposition des Kampfes ausmachen – in perfekter Synchronisation der Bewegungen, ohne sich auch nur zu berühren, es sei denn im Fall einer Gleichgewichtsstörung, rigoros dem markierenden Rhythmus des Berimbaus folgend. Die Capoeiristas berühren den Boden nur mit Händen und Füssen (und manchmal auch mit dem Kopf, bei den so genannten “Piões“ oder “Aús-de-cabeça“).
In der Vergangenheit benutzten die Capoeiristas nicht selten auch eine versteckte Waffe zum Aufschlitzen oder Stechen des Gegners. Besonders die “Navalha“ (Rasiermesser) ängstigte die Adepten jener Zeit In Pernambuco pflegten die Capoeiristas die “Quiri“ zu benutzen, ein Stück Hartholz, das wie eine Art Knüppel oder Keule gearbeitet war. Von den Capoeiristas aus Rio de Janeiro wurde eine ähnliche, noch mächtigere, etwas groteske Keule eingeführt, die unter dem Namen “Petrópolis“ bekannt und besonders gefürchtet war – der Stadt, in der sie angefertigt wurde. “Das grösste Vertrauen aber hatte der Capoeirista im Moment des Angriffs und der Verteidigung in seinen eigenen Körper, besonders seine Beine. Dieselbe scharfe Klinge (Navalha), die man leicht im Aufschlag einer Hose verbergen konnte, wurde manchmal auch im dichten Kraushaar der Freundin mitgebracht, von wo sie der Kämpfer in einem unbeobachteten Moment herausnahm. In Bahia benutzte man noch eine Waffe, der man gewisse magische Kraft gegen den “Corpo fechado“ (wörtlich: verschlossener Körper – gemeint ist ein unverwundbarer Körper) nachsagte: das Ticum- oder Tucum-Messer, welches nach der Legende die Waffe war, welche “Besouro Mangangá“, einen berühmten Capoeirista der Antike, tötete. Der “Tucunzeiro“ ist eine Palmenart, deren Kernholz so hart wie Eisen ist.
ERKLÄRUNGEN DER EINZELNEN BEGRIFFE
TOQUES
Unter einem “Toque” versteht man einerseits eine “Berührung” und andererseits auch einen “Trommelschlag” oder Rhythmus – beides ist auch mit dem Capoeira zu assoziieren – und so hat man seine einzelnen „Spielarten“, mit unterschiedlichen Rhythmus-Varianten gekoppelt – der Capoeira-Schüler lernt allein an der vorgegebenen Rhythmus-Variante die Art des bevorstehenden Kampfes, und damit die von ihm verlangten Sprung- und Schlag-Kombinationen zu erkennen.
ANGOLA
Langsamer “Toque“ – für ein “Spiel“ mit viel Umsicht und Raum für Überraschungen aus dem Hinterhalt.
SÃO BENTO PEQUENO
Nennt man auch “umgedrehtes Angola” – denn hierbei handelt es sich um einen freundschaftlichen Wettkampf, technisch möglichst raffiniert.
SÃO BENTO GRANDE DE ANGOLA
Sehr rhythmisch abgemessenes Spiel – etwas schneller als beim “Capoeira Angola”, aber sonst sehr ähnlich.
BENGUELA
Ist der “Toque” für ein etwas vermesseneres, ausgefeiltes, hinterhältiges und kreatives Spiel mit dem Körper und dem Gegner.
SÃO BENTO GRANDE DE BIMBA
Nach Mestre Bimba benanntes, ausdrucksstarkes Spiel – sehr schnell, mehr zum Kampf ausgerichtet als zum Exhibitionismus – viril und hinterhältig.
IUNÃ
Hinterhältige, tückische Variante, scharfsinnig, listig, choreografisch exhibitionistisch – nur für Schüler und Meister mit Bewegungen von Ballons.
SANTA MARIA
Capoeira-Kampf unter Benutzung von Messerklingen (Rio de Janeiro).
CAVALARIA
Dieser Rhythmus signalisierte im vergangenen Jahrhundert den Capoeiristas die Ankunft oder Anwesenheit der Kavallerie der “Guarda Nacional“ – in diesem Fall gingen die Beteiligten schnell in eine harmlos wirkende Rangelei über oder lösten die Gruppe auf.