Gegen Ende des 17. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden die ersten Siedlungen in der von den „Bandeirantes Paulistas“ (Pioniere aus São Paulo abstammende Bürger) entdeckten mineralhaltigen Gebirgsregion – einem Gebiet, das sich innerhalb kurzer Zeit zum Herzen der neuen „Capitania Minas Gerais“ entwickeln sollte. Solche Siedlungen bildeten sich in der Regel, rund um die Goldfundstätten und bestanden aus primitiven, mit Palmwedeln oder Schilf gedeckten Hütten, die sich in einer Talsohle gruppierten, während auf den Gipfeln die ersten Kapellen aus „Taipa“ (Holzgerüst, das mit Lehm und Häcksel verschmiert wurde) errichtet wurden.
Erst nach 1712 erschienen die ersten Häuser mit Ziegeldächern – im Vergleich mit den Capitanias der Küste, hat sich Minas Gerais erst recht spät entwickelt. Das erklärt sich auch aus seiner geografischen Lage hinter dem Meeresgebirge „Serra do Mar“ und der „Serra da Mantiqueira“. Der Zugang zu diesen bergigen Regionen war, in jener Epoche, äusserst schwierig und lässt die Expeditionen der Bandeirantes als kühne und überaus anstrengende Unternehmungen erscheinen: fast immer zu Fuss, wenn möglich zu Pferd oder auf Maultieren – während der Wanderung legte man schnellwachsende Felder an, als Proviant für den Rückweg. Fluss aufwärts und Fluss abwärts bewegte man sich mit Hilfe von Kanus – benutzte die Erfahrung der Indianer, die man eingefangen hatte und als Führer einsetzte – orientierte sich nach der Sonne und den Sternen und benutzte die höheren Gipfel zur weiteren Orientierung.
Solche gut ausgerüsteten und bewaffneten „Bandeiras“ durchquerten das Land nach allen Richtungen und ihnen ist letztlich die Erschliessung der Ländereien im Interieur Brasiliens zu verdanken. Unter ihnen kommt den Bandeiras aus São Paulo eine besondere Bedeutung zu, denn sie haben Marschleistungen von vielen Tausend Kilometern vollbracht, mit schwerer Ausrüstung, unter glühender Sonne und ohne Weg und Steg. Unter ihnen sind die Bandeiras des „Fernão Dias Pais“ und seines Schwiegersohns „Borba Gato“ besonders bekannt geworden, sie entdeckten die Goldlager in der Gegend von „Sabarabuçu“. Andere marschierten über die Quellen des Rio São Francisco hinaus und entdeckten die Minen von Goiás und Mato Grosso, wo sie die weite, verlassene Ebene des „Planalto Central“ dem brasilianischen Territorium einverleibten – auf der heute Brasiliens neue Hauptstadt steht.
Die Kolonisation
Weit weg vom Meer und von allem, was mit dem Meer zu tun hat, entwickelten sich die Capitanias des „Centro-Sul“ (Minas, Goiás und Mato Grosso) ganz anders als jene an der Küste – und ganz besonders Minas Gerais. Emigranten und Abenteurer, inklusive Kriminelle und Vagabunden, drängten in dieses Gebiet, hypnotisiert durch die vermeintliche Aussicht, dort schnell reich zu werden, denn die Gold- und Edelsteinfunde der Bandeirantes in Minas Gerais hatten sich schnell herumgesprochen.
Im Südosten des Bundesstaates befand sich die Zone mit der grössten Konzentration an Gold-Fundstätten, die man als „Schauplatz des Goldes und des Blutes“ hätte bezeichnen können. Hier entstanden die ersten Siedlungen: „Vila Rica“ (Ouro Preto), „Vila do Carmo“ (Mariana), „Vila Real“ (Sabará), „Vila Nova da Rainha“ (Caeté). Bald gefolgt von „São João del-Rey“, „Pitangui“, „Serro do Frio“ (Serro), „Diamantina“ und anderen. Alle waren Ergebnisse der Förderung von Gold und Edelsteinen, einer Aktivität, die soviel Gier und Rücksichtslosigkeit in allen Beteiligten zutage brachte, dass in den Minengebieten bald ein heilloses Chaos mit Mord und Totschlag herrschte.
Die Krone versuchte, mittels administrativer Organisation und durch Ausstellung von königlichen Urkunden und gesetzlichen Erlassen etwas Ordnung in dieses Chaos zu bringen, hatte damit aber nur wenig Erfolg. Und der grosse „Run“ zum Gold verschob die wirtschaftliche Achse der gesamten Kolonie. Die Rivalität zwischen den „Paulistas“ (in São Paulo Geborenen) und den eingewanderten, königstreuen Portugiesen (denen man den Schimpfnamen „Emboabas“ angehängt hatte) eskalierte in täglichen gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die permanente Präsenz des Goldes verlieh den Gebieten um die Minen, zwischen all den exaltierten Abenteurern, ein drohendes Klima der Unsicherheit. In einer historischen Ansprache, betreffs der „Ausschreitungen in Minas Gerais im Jahr 1720“, deren Verfassung dem „Conde de Assumar“ (Dom Pedro de Almeida) zugesprochen wird, kann man nachlesen:
„Aufstände in den Minen sind an der Tagesordnung und die Folge einer Reaktion, mit der die Erde ihrerseits auf die andauernden Grabungen, Hammerschläge und Spaltungen antwortet und ihre Reaktion schlägt sich auf die Gemüter der Schürfer und Bewohner nieder“. Und ein wenig weiter steht im gleichen Text, bezugnehmend auf die Zustände in der Siedlung „Vila Rica“, zu lesen:“ Sehr oft hört man mitten in der tiefsten Stille der Nacht, Explosionen und Schläge, die aus der Erde kommen.
Geräusche, wie von Minen-Gerätschaften verursacht, deutlich hört man das Rollen von Steinen, das Rieseln von Schutt“. Offensichtlich waren da ein paar Geister aus der Unterwelt über das angerichtete Chaos erbost.
Der „Conde“ war bekannt als einer der erfahrensten und energischsten Gouverneure seiner Zeit. Im selben Dokument, das sich im „Arquivo Público Mineiro“ befindet, verteidigt er auch seine Entscheidung, „den Führer eines Volksaufstands, Filipe dos Santos, summarisch exekutiert zu haben“. Diese Revolte basierte auf ähnlichen sozialen Ungerechtigkeiten, wie die der „Inconfidência Mineira“, rund 70 Jahre später. Weil sie von Männern eines gewissen intellektuellen Niveaus angeführt wurde, schrieb der „Conde“ kurz und bündig: „Die Zustände in den Minen sind noch wesentlich schlimmer geworden, seit in ihnen geschriebene Plakate aufgehängt werden“!
Das Goldfieber führte zu einer schlimmen Desorganisation der kolonialen Wirtschaft. Sämtliche Ufer von Bächen und Flüssen füllten sich plötzlich mit Leuten, die hinter dem goldhaltigen Kies her waren. Die meisten waren Siedler aus den Küstengebieten – viele von ihnen Mitglieder der Kirche – und selbst falsche Priester stürzten sich in das Abenteuer. Keiner wollte die Erde bearbeiten. Sie alle wollten die Erde nur nach Gold durchwühlen.
Die Folge war eine derartige Lebensmittelknappheit, dass viele Goldsucher, mit den Taschen voller Gold-Pepitas oder Diamanten, Hunger litten. Die Ambition, schnell reich zu werden, hatte alle Vernunft verdrängt. Moralische Skrupel, die Furcht vor dem Gesetz, waren inzwischen unbequeme Begleiter geworden, und vor allem hinderlich auf dem Weg des schnellen Reichtums. Die Gesetze, aus dem Blickwinkel der Minenschürfer, schienen jetzt weniger gemacht, um eine zivilisierte Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten, als vielmehr der portugiesischen Krone grössere Steuerabgaben aus ihrem Gold zu bescheren. Und wenn der mässigende Einfluss der Jesuiten nicht gewesen wäre, hätte das vergiftete Klima der Ausbeutung und Korruption sicher eine fatale Klimax erreicht. Die allgemein verbreitete Idee war: „Ultra aequinoctialem non peccari“ – unterhalb des Äquators gibt es keine zu bestrafenden Sünden“!
Gold und Diamanten
In der Mitte des 18. Jahrhunderts bekamen jene Abenteurer-Quartiere, rund um die Minen, eine definierte soziale Struktur. Zuerst installierte sich der zivilgerichtliche Apparat, gefolgt von der Kirche, die mit grossem Pomp auftrat und ihre spirituelle Rolle voll ausspielte. Genau zu dieser Zeit wurden an anderen Orten der Capitania Minas Gerais neue Minen entdeckt – wieder durch die Bandeirantes. Diesmal handelte es sich um Gold- und Diamantenminen, möglicherweise noch ergiebiger als die bisherigen. Unter ihnen auch die später berühmten Diamantenadern der Region „Diamantina“ und „Serro do Frio“.
Die Zuckerwirtschaft verlor ihre Spitzenstellung in der Kolonie an die Diamanten- und Goldförderung. Kontingente von Sklaven wurden in die Minengebiete transportiert, wo die demokratische Art und Weise, wie sie mit ihren Herren und Besitzern zusammenarbeiteten, viel dazu beitrug, die soziale Distanz zwischen ihnen zu verkürzen.
Die weissen Kolonisatoren, in der Regel ohne ihre Ehefrauen in den Minen tätig, trösteten sich mit Indianerinnen und schwarzen Sklavinnen und schufen so die Voraussetzungen für eine zukünftige Rassen-Demokratie in Brasilien. Wo Gold oder Diamanten in grösseren Mengen vorkamen, errichtete man Camps, die sich mit der Zeit zu Dörfern und einige sogar zu Städten entwickelten.
Aus dieser „Gold- und Diamanten-Epoche“ findet man in den antiken Städtchen in Minas Gerais heute nur noch die Reste ihres ehemaligen Reichtums: in ihren Kirchen-Ausstattungen, den Inneneinrichtungen ihrer Prachtvillen und den kunstvollen Kreationen ihrer Dorfbrunnen. In einigen dieser Städte, wie zum Beispiel in „São João del Rei“ und in „Sabará“, kann man die Kirchenglocken im Dialog mit den Fabriksirenen erleben.
Ende des 17. Jahrhunderts gehen die Goldvorkommen auf der Oberfläche und im Kies der Flussbette zu Ende. Um zu den Goldadern im Fels vorzudringen fehlen diesen Zeitgenossen die technischen Hilfsmittel, deshalb bleibt deren Ausbeutung einer späteren Zeit vorbehalten.
Dekadenz
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnt der wirtschaftliche Verfall der Capitania Minas Gerais. Die Konflikte zwischen Schürfern und Steuereintreibern nehmen zu. Der Rückgang der Produktion ist Wasser auf die Mühlen der Revolte gegen die Forderungen von Lissabon. Portugal experimentiert mit verschiedenen Systemen der Steuereintreibung und findet keine Lösung, dem Schmuggel und der Steuerhinterziehung beizukommen. Man fängt an, die Strassen nach Minas Gerais zu bewachen. Man erfindet extravagante Steuerabgaben, wie die Steuer „für die Hochzeit der englischen Königin“ oder für die „Renovierung von Lissabon“. Obwohl der portugiesische Hof, allein im Jahr 1720, zum Beispiel, zirka 25.000 Kilogramm des wertvollen Metalls aus Abgaben erhalten hatte.
Mit dem Rückgang der Minenproduktion und folglich auch der Schürfungs-Aktivitäten, wurde es unmöglich, die Forderungen des Fiskus zu erfüllen. Und angesichts der Drohung, sämtliche verspäteten Steuern ebenfalls einzutreiben, wird das Volk unruhig und rottet sich zum Widerstand zusammen.
Revolte
Und man fing an, sich gegen die Krone aufzulehnen. Der unabhängige Geist suchte seinem eingeborenen brasilianischen Gefühl politischen Ausdruck zu verschaffen – etwas, das schon im Unterbewusstsein des Volkes schlummerte, suchte nach einem Ventil. Geografische Einflüsse und die Stimme des Blutes, gestärkt durch die Unzufriedenheit mit der Krone, kanalisierten sich in einem brasilianischen Zugehörigkeitsgefühl, welches die intellektuelle Elite in politische Formulierungen fasste. Söhne der besser gestellten Familien wurden zum Studieren nach Europa geschickt und stopften sich dort mit liberalen Ideen voll, mit denen sie dann die Kolonie entflammten. Die Revoluzzer von „Vila Rica“ hatten sogar eine Kopie der nordamerikanischen Verfassung in Händen, nach der sie ihre Forderungen formulierten.
Obwohl misslungen, hat die Bewegung der „Inconfidência Mineira“ (1789) doch ihren Wert für die zukünftigen Versuche eines politischen Aufstandes bewiesen. Mit dieser Revolte kompromittierten sich einige der angesehensten Persönlichkeiten von „Vila Rica“ – Richter, Priester, Militärs und Dichter, wie „Tomás Antônio Gonzaga“, „Cláudio Manuel da Costa“ oder „Alvarengo Peixoto“ – alle wurden verurteilt und hingerichtet.
Ein Mann von wenigen Worten und bescheidener Herkunft war die Seele dieser Geschehnisse: „Joaquim José da Silva Xavier“, genannt der „Zahnzieher“ (Tiradentes), war in seinem Beruf bei der Truppe tätig. Als er in Rio de Janeiro zu einer Versammlung unterwegs war, wurde er in der „Rua dos Latoeiros“ – heute „Gonçalves Dias“ – festgenommen. Vor dem Richter übernahm er die Verantwortung für die gesamte Bewegung. Verurteilt zum Tod am Galgen, zeigte er bis zuletzt eine beispielhafte, heroische Haltung und Würde (21. April 1792). Nachdem man ihn gevierteilt hatte, wurden seine einzelnen Körperteile auf Pfosten zu den Minen und auf dem Platz im Zentrum von „Vila Rica“ zur Abschreckung aufgehängt. Diese spektakuläre und grausame Art der Hinrichtung erreichte aber genau das Gegenteil des Beabsichtigten – es stärkte den unabhängigen Geist der Kolonie.
Edelsteine
Man schreibt das 19. Jahrhundert, und Minas Gerais erlebt noch einmal eine kurze, aber brillante Epoche seiner Geschichte: die Produktion von Diamanten und anderen Edelsteinen – nicht mehr das Gold – wird überraschend zur Basis der gesamten Wirtschaft.
Demzufolge entwickelt sich die Stadt „Diamantina“ (ehemals „Arraial do Tijuco“) zur zweitwichtigsten Stadt der Capitania – sowohl wirtschaftlich, wie auch gesellschaftlich. In ihr blüht eine Gesellschaft von gutem intellektuellem Niveau, mit europäischem Habitus – ein erstaunliches Phänomen in dieser abgelegenen Gegend des trockenen „Sertão“.
Solch enorme Mengen von Edelsteinen und die Leichtigkeit, mit der man diese Steinchen verstecken konnte, bescherten dem Hof in Portugal schlaflose Nächte und schon brüteten die königlichen Steuereintreiber wieder über Methoden, mit denen man den Schmuggel verhindern und dem Verstecken der Steine zuvorkommen könne. Aber schon war auch die Produktion rückgängig – es geschah genau das Gleiche wie mit dem Gold: die Oberflächen waren abgesucht und für das tiefere Vordringen in den Fels fehlten die technischen Hilfsmittel.
Landleben
Die Diamanten- und Edelsteinsuche an der Oberfläche stagnierte zwar – ganz vergessen wurde sie niemals. (Bis heute findet man an den schon vor zwei Jahrhunderten abgesuchten Bächen und Flüssen den einen oder anderen Gold- oder Diamantensucher mit der Wasch-Pfanne in der Hand – und manchmal entdeckt er tatsächlich ein vergessenes Steinchen.)
Die Minenschürfer suchten jetzt ihr Auskommen in der Landwirtschaft und der Viehzucht. Letztere entwickelte sich gut in der Region um den Rio São Francisco und neue Siedlungen entstanden an seinen Ufern. Die Indianer stellten sich den weissen Eindringlingen in diesen Gebieten kaum entgegen, sondern zogen die Flucht vor. Als im Jahr 1822 die Unabhängigkeit von Portugal ausgerufen wurde, waren in Minas Gerais schon einige Dutzend Dörfer und Städtchen aus den ehemaligen Camps der Bandeirantes entstanden. Die schmalen Kommunikations-Pfade wurden von Truppen und Viehherden erweitert. Minas Gerais bevölkerte sich überraschend schnell und entwickelte sich zu einer der bedeutendsten Provinzen des Imperiums. Durch seine besondere geografische Lage, durch seine natürlichen Reichtümer, durch seine unterschiedlichen Sitten und durch die unterschiedliche Art der Arbeit seiner Bewohner, nicht zu vergleichen mit den anderen Provinzen.
Nachdem die dramatisch Phase der Gold- und Diamantensuche vorbei ist, stabilisiert sich das gesellschaftliche Leben. Anstatt der vier Artillerie-Kanonen, mit denen einst der „Conde de Assumar“ die Aufständischen einschüchtern wollte, werden jetzt Pianos durch die „Serra da Mantequeira“ transportiert. Pianos und feine Stilmöbel, Seiden, Porzellan-Geschirr, französische Parfums und andere Luxusartikel, die sich die besser gestellten Familien leisten können. Und eine Menge unterschiedliche Musikinstrumente werden geliefert, um die Feste entsprechend zu animieren.
Die schwarzen Einwohner tragen auf ihre Weise zum gesellschaftlichen Leben bei, indem sie ihre afrikanischen Tänze und Rhythmen wiederbeleben und mit Rhythmus-Instrumenten unterlegen.
Sie haben sich zu eigenen Gemeinschaften zusammengeschlossen und sogar Kirchen mit eigener Hand für ihre Gottesdienste erbaut. Ihrer Initiative sind sowohl die wunderbare Architektur der alten Kirchen zu verdanken, als auch ihre Inneneinrichtungen von grossem künstlerischem Wert – und nicht zuletzt die Musik, die in diesen Tempeln gesungen und gespielt wurde. In Ouro Preto wie in Diamantina, in São João del Rei, Sabará, Pitangui und anderen kolonialen Städten findet man Sitten und Gebräuche, die den europäischen Einfluss deutlich widerspiegeln – ergänzt von einer originellen Note und dem speziellen Colorit der Sklaven.
Musik
Die besondere Begabung der Schwarzen und Mulatten für die Musik und die bildenden Künste beweist sich in den Werken, die sie hinterlassen haben. „Curt Lange“, Professor am „Instituto Interamericano de Musicologia“, in Montevideo/Uruguay, hat die „Existenz einer Schule von Komponisten in der Capitania Geral das Minas Gerais“ bestätigt, auf die er während seiner Untersuchungen in Kirchenarchiven gestossen ist. Er fand zahlreiche musikalische Werke, deren „hohe künstlerische Qualität“ ihn entzückten – und Lange hat einen dieser Laien-Komponisten mit den grossen Meistern religiöser Musik auf eine Stufe gestellt: „Lobo de Mesquita“.
Religiöse Kunst
Die grösste Bewunderung jedoch gebührt der bildenden Kunst in Minas Gerais – besonders den religiösen Monumenten. Ihre Künstler wurden in der Regel von den Bruder- oder Schwesternschaften unter Vertrag genommen. Einem von ihnen verdankt der mineirische Barock seine grössten Kostbarkeiten der Skulptur und Architektur – „Antônio Francisco Lisboa“, den das Volk „Aleijadinho“ (Krüppelchen) nannte, weil er von der Lepra verstümmelt war. Durch seinen unvergleichlich plastischen Stil fand sein Werk Aufnahme im Orbit des universalen Barock, während er zu seinen Lebzeiten fast unbemerkt geblieben war.
Nicht wenige Werke religiöser Kunst in Minas Gerais tragen die Handschrift dieses fremdartigen Künstlers – entweder in den Werken, die er persönlich angefertigt, oder in den Arbeiten seiner Schüler, denen er assistiert oder die er inspiriert hat. Auf diese Weise sieht man ihn nicht nur als Künstler oder Mitarbeiter an der Architektur eines der schönsten barocken Gotteshäuser Brasiliens, sondern auch an diversen Fronten, Portalen, Erkern, Kanzeln, Altären und Weihbecken vieler anderer Kirchen in den historischen Städten von Minas Gerais.
126 km von Ouro Preto entfernt erhebt sich das „Santuário de Congonhas“ (Heiligtum von Congonhas) – hier hat „Aleijadinho“ sein insgesamt vollständigstes und überraschendstes Werk hinterlassen – die Kirche „Bom Jesus de Matozinhos“. Rechts und links der Stufen zum Vorgarten der Kirche stehen seine berühmten zwölf Apostel – lebensgross, aus Seifenstein geschnitten. Steigt man den Hügel zur Kirche hinauf, bekommt die erste Begegnung mit den bewegungsstarken, fast lebendig erscheinenden Figuren – man blickt zu ihnen auf, über ihnen nur der Himmel – die Kraft einer biblischen Erscheinung. Am Fuss des Hügels, unterhalb des Vorgartens zur Kirche, stehen sechs kleine Kapellen mit insgesamt 66 Figuren – jeweils sechs szenographisch zusammengesetzte Skulpturen, die den Leidensweg Christi darstellen. Sie sind aus Holz geschnitzt und bemalt und erinnern an die Kunst der Expressionisten. Deutlich ist an den Hauptfiguren – Christus, Jungfrau Maria u.a. – die Hand des Meisters zu erkennen, während die anderen Figuren von seinen Schülern, unter seiner Regie, ausgeführt wurden.
Die meisten alten Kirchen in Minas Gerais – angefangen bei den primitivsten, in jesuitisch-missionarischem Stil, bis zu denen, die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konstruiert wurden – haben durch die mineirischen Architekten unverwechselbare Fassaden bekommen, mit einfachen Linien, Aussenansichten ohne exzessive Ornamente. Es entstand der mineirische Barock, mit seinen persönlichen Charakteristika. Die Kirchen der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts in Minas sind „klar, von fröhlichem Aussehen – fast glücklich“, so hat sich der in Brasilien berühmte Städteplaner „Lúcio Costa“ (Pilot-Plan von Brasília) über sie ausgelassen. Kurios ist, das Minas Gerais einerseits in seinem Innern einige der besten Exemplare kolonialer Baukunst bewahrt hat, andererseits aber auch der erste Bundesstaat war, der die moderne Architektur nicht nur akzeptiert, sondern sie auch in öffentlichen Gebäuden und privaten Residenzen integriert hat.
Ouro Preto
Ohne die Ausdruckskraft und historische Grösse Bahias, wäre es Ouro Preto, dessen exzellent erhaltener Architektur der Ruhm gebührte, die koloniale Vergangenheit am Unverfälschtesten zu reflektieren. Die wunderbare Einheit seiner Architektur ist teilweise auf die plötzliche Armut zurückzuführen, der sich seine Bewohner nach Versiegen der Goldfunde ausgesetzt sahen – es fehlte an Geld für Neubauten. Zusätzlich war es für die Erhaltung der historischen Gebäude ein Glücksfall, dass die Hauptstadt 1897 nach Belo Horizonte verlegt wurde. In Ouro Preto lebte eine Gesellschaft mit erlesenem Geschmack, von dem der englischen Geologe „John Mawe“, bei seinem Besuch 1810, sagte: „die Residenzen der wohlhabenden Bürger von Ouro Preto sind wesentlich besser gehalten und möbliert, als jene, die ich in Rio de Janeiro oder São Paulo sehen durfte“.
Diamantina
In Bezug auf Diamantina bekundeten illustre Reisende wie „Saint-Hilaire“, „Spix“ und „Martius“, „George Gardner“ und andere, ihr Erstaunen über das hohe kulturelle Niveau der Stadt.
Der Globetrotter „Captain Richard Burton“ (Explorations of the Highlands of Brazil) berichtet, dass ihm von den drei Tagen in Diamantina „der bestmögliche Eindruck von seiner Gesellschaft verblieben ist. Die Männer sind offen, und die Frauen die schönsten und liebenswertesten, die ich die Ehre hatte in Brasilien kennen zu lernen“. In dieser, wie auch in einigen anderen Städten von Minas, überwog der europäische Einfluss. Hier tanzte man das Menuett und einige reiche Familien engagierten sogar Etikette-Lehrer. Das waren die letzten Auswüchse des Goldfiebers – und des Goldes, das sich jetzt in den Abgründen der Erde verbarg – bis zu dem Tag, an dem man es mit teuerstem technischem Gerät auch dort unten herausholen wird.
Der „Mineiro“
Im Jahr 1897 zieht die Hauptstadt von Ouro Preto nach Belo Horizonte um – unter Protest der üblichen konservativen Opposition. Ouro Preto wird „Cidade Monumento“ (Denkmalstadt). Durch die Schaffung des „Serviço do Patrimônio Histórico“ wird Ouro Preto am 20. Juni 1938 in seinem Gesamt unter Denkmalschutz gestellt.
Belo Horizonte ist heute grosses Industrie-, Kommerz- und Universitätszentrum. Im Volk, das sich aus verschiedenen Ethnien zusammensetzt, haben sich einige Charakteristika des Mineiro aus dem 18. Jahrhundert aufgelöst, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Und es mag durchaus sein, dass irgendwo in den Tiefen seines Unterbewusstseins noch jener abenteuerliche, romantische Geist schlummert, in Erwartung unvorhergesehener Entdeckungen und plötzlichen Reichtums.
Enttäuscht durch das Zu Ende gehen der einstmals auf dem Boden blühenden Reichtümer, begann der Mensch aus Minas Gerais weniger vom Zufall zu erwarten. Umgeben von Gebirgen, bildete sich in ihm ein nüchterner und zielgerichteter Charakter. Ein Mensch ohne Eile, der jeden seiner Schritte genau abwägt und unglaublich misstrauisch ist. Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man für die Geschicklichkeit und Vorsicht, mit der die Mineiros mit ihrem Geld umgehen, das teilweise semitische Blut ihrer Vorfahren verantwortlich macht. Zahlreiche Bankdirektoren in Rio und São Paulo sind Mineiros oder stammen von Mineiros ab.
In den grösseren urbanen Zentren verändert die industrielle Zivilisation das gesellschaftliche Panorama der Mineiros. Der ehemalige Lateiner ist heute Techniker in einer Fabrik oder Elektroingenieur. Aber in den Mittelschulen und Gymnasien vertragen sich Sport und Technologie wunderbar mit dem Studium der Klassiker. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Minas Gerais haben hohe Stellungen in den Kabinetts des Imperiums besetzt – und nicht wenige sind später ins Präsidentenamt der Republik berufen worden. Man schreibt dem Präsidenten „Antônio Carlos“ den bekannten Spruch zu: „Machen wir die Revolution, bevor das Volk sie macht“!
Die bekannte Ehrlichkeit und Transparenz ihrer Vorschläge und Vorhaben, die stets charakteristisch für die Mineiros des öffentlichen Lebens gewesen sind, haben sich in den folgenden Jahrzehnten der „Neuen Republik“ klar und deutlich bewährt.
Das so genannte „Manifesto dos Mineiros“ von 1943 – verfasst von „Luís Camilo de Oliveira Neto“ und „Virgílio de Melo Franco“ – akzentuiert, dass es ausserhalb einer Demokratie keine Rettung für die Menschheit gebe, und drückt damit ihre Abscheu gegen totalitäre Praktiken aus, die in profundem Gegensatz zum Charakter des mineirischen Volkes stünden.
Durch ihre bekannte politische Geschicklichkeit verstanden es die Männer aus Minas Gerais, die Gunst der Stunde zu nutzen, um ihrem Bundesstaat den wirtschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen – er kam, überraschenderweise wieder mit Bodenschätzen, diesmal mit Eisenerz und dessen Weiterverarbeitung zu Stahl.
Die Industrie
Landwirtschaft und Viehzucht wurden durch diese neuen Perspektiven aus ihrer wirtschaftlichen Quellen-Position gedrängt und gehörten fortan auch nicht mehr zu den ersten Sorgen des Bundesstaates – so, wie man eines Tages das Interesse an Gold und Edelsteinen verloren hatte.
Die Stadt „Juiz de Fora“ ist ein gutes Beispiel der industriellen Produktion von Minas Gerais. Sie hat sich seit 1865 konstant entwickelt und wurde von „Rui Barbosa“ (brasilianischer Staatsmann) als das „Manchester von Minas Gerais“ bezeichnet, wegen der verschiedenen Schwerindustrien, die sich in dieser Stadt installiert hatten. In Juiz de Fora entstanden auch die erste Zementfabrik Brasiliens und die erste Fabrik zur Laminierung von Stahlplatten für armierten Beton. Einer der wichtigsten Faktoren für den Fortschritt der Stadt war der Bau von Strassen, wie die 1861 als „Vorbild brasilianischer Strassen“ eingeweihte Verbindung zwischen Juiz de Fora und Petrópolis (im Bundesstaat Rio de Janeiro).
In der Hauptstadt Belo Horizonte hat sich der grösste Industrie-Park des Bundesstaates entwickelt – die so genannte „Cidade Industrial“ (Industriestadt) – nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, mit vielen Schwerindustrien. Die Firma Mannesmann ist eine davon, sie produziert in Belo Horizonte nahtlose Stahlrohre und ihre Betriebsanlagen besetzen ein Areal von 2.000.000 m².
Das zweitgrösste Produktionszentrum Brasiliens (nach „Volta Redonda“ im Bundesstaat São Paulo) von Gusseisen, Stahl und Laminaten, befindet sich im mineirischen Distrikt von „Rio Piracicaba“. Die belgisch-mineirische Eisenhütte „Usina Monlevade“ verfügt über zwei Stahlkocher und vier Hochöfen für Eisenguss.
Die metallverarbeitende Industrie ist auch eine der wichtigsten Quellen zur Entwicklung des Städtchens „Sabará“ geworden. Andere bedeutende Projekte zur Entwicklung der Wirtschaft entstanden im Bundesstaat Minas Gerais – zum Beispiel das Wasserkraftwerk von „Três Marias“, am Rio São Francisco, mit dem man das Energieproblem im Bundesstaat gelöst hat.