Mit einem lauten Knall sackte die Straße plötzlich ab, rutschte mehrere Meter den Steilhang hinunter. Ein paar Kilometer weiter rissen die Wassermassen Brücken mit sich. Das Meer peitschte gegen Hauswände, Hänge vom Regenwasser unterspült rutschten ab, rissen Bäume, Häuser und Menschen mit sich. In wenigen Stunden wurden Siedlungen und Verkehrsadern zerstört, wurde die Küste Paranás vom Rest Brasiliens abgeschnitten. Das Szenario ereignete sich im März 2011. Seitdem hat es sich etliche Male in anderen Bundesstaaten Brasiliens wiederholt, in Santa Catarina, Minas Gerais, Rio de Janeiro, São Paulo, Espírito Santo. Noch nie wurden so viele Katastrophen entlang und nahe der Küste Brasiliens gezählt wie in den vergangenen zehn Jahren.
Neueste Studien im Bereich des Atlantischen Regenwaldes, der Mata Atlântica, zeigen es, Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen, starke Niederschläge, Stürme und auch extreme Trockenperioden haben im vergangenen Jahrzehnt stark zugenommen. Nach dem brasilianischen Atlas für Naturkatastrophen entfallen 73 Prozent aller verzeichneten Klimaereignisse zwischen 1990 und 2000 auf den jüngeren Zeitraum. Auf eben jenen Abschnitt, in dem auch ein leichter Anstieg der Durchschnittstemperatur von 0,5 bis 1 Grad Celsius verzeichnet wurde. Überschwemmungen, Erdrutsche und Hochwasser zeichnen die Natur, hinterlassen braune Narben im Regenwald des Küstengebirges und treffen die Menschen.
Alljährlich neue Todesopfer
Allein die jüngsten starken Regenfälle in der Woche vor Weihnachten in Minas Gerais und Espírito Santo forderten 19 Todesopfer und zahlreiche Verletzte. 50.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen und in eiligst eingerichteten Notunterkünften in Schulturnhallen und Kirchen Unterschlupf suchen. In 24 Stunden wurden 130 Millimeter gemessen. Doch es regnete Tage lang und fast über zwei Wochen hinweg ohne Unterlass. Wenige Wochen später traf das gleiche Ereignis die Menschen im Süden von São Paulo, ebenso in einer Region der Mata Atlântica. Stürme und starke Regenfälle treten gehäuft auf. Vor allem aber steigen auch die Niederschlagsmengen. Bei den Unwettern in der Küstenregion von Rio de Janeiro (Região Serrana Fluminense) im Jahr 2011 etwa wurden in nur drei Tagen 450 Millimeter Regen verzeichnet. Das ist mehr als die Hälfte der gesamten Niederschlagsmenge Deutschlands in einem Jahr (790 mm).
Die Statistiken zeigen aber noch einen erschütternden Fakt auf. Immer mehr Menschen sind von den Katastrophen betroffen. Im Jahr 2007 waren es in dem dünn besiedelten Brasilien 1,5 Millionen Menschen. Nur drei Jahre später, im Jahr 2010, traf es bereits 10 Millionen Menschen, etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung. Betroffen sind häufig vor allem die Familien der unteren Einkommensschichten, die ohnehin schon ums Überleben kämpfen müssen. Weil sie sich keine Wohnplätze im eigentlichen Stadtgebiet leisten können, suchen sie billigere Unterkünfte am Stadtrand, am Fusse der Hügel, am Ufer der Bäche, in Talmulden – Flächen, die eigentlich aus Sicherheitsgründen gar nicht erst bebaut werden dürften. Kommt es zu Hochwasser oder Erdrutschen sind sie die ersten, die ihr Hab und Gut verlieren. In einem Land, in dem über fünf Millionen Wohnungen fehlen, bekommen Naturkatastrophen eine andere Dimension.
Die Auswirkungen der Katastrophen sind gewaltig, für die Menschen, die Natur und auch die Wirtschaft. Millionen von Euro sind notwendig, um die Siedlungen wieder vom Schlamm zu befreien, um Häuser für die Menschen zu bauen, die ihr zu Hause verloren haben, um Brücken zu errichten, Straßen von den Erdmassen der Muren zu befreien, Verkehrswege wieder herzustellen. Dazu kommen die Ausgaben für Vorsorgemaßnahmen. Steilhänge entlang der wichtigsten Verkehrsadern müssen abgetragen, terrasiert und mit Drainagen versehen werden, um zu vermeiden, dass sie bei ähnlichen Ereignissen wieder abrutschen. Rückhaltebecken und Dämme müssen angelegt und Familien, die entlang von Flüssen und Bächen wohnen oder deren Häuser an Hängen stehen, nach und nach umgesiedelt werden.
Milliardenhaushalt für den Katastrophenschutz
Wie all dies zu bewältigen ist, hat die brasilianische Regierung im Jahr 2012 im nationalen Katastrophenschutzplan festgelegt, den Plano Nacional de Gestão de Riscos e Respostas a Desastres Natureis. Darin enthalten ist das zentrale Monitoringsystem mit Supercomputer, das mit Radar, Sensoren in von Erdrutschen gefährdeten Gebieten, Regenmesser und andere Messgeräten in bedrohten Regionen Daten sammelt, auswertet und Warnungen herausgibt. Seit Anfang 2013 wird zudem ein umfassendes geologisches Gutachten erarbeitet, das neben dem Relief auch die Gesteins- und Bodenbeschaffenheit beinhaltet und Daten darüber wie der Boden die Niederschläge aufnimmt. Es ist die größte Bestandsaufnahme dieser Art, die je in Brasilien gemacht wurde. Sie dient dazu, Gefahrenzonen herauszufinden und den Gemeinden für die Stadtplanung wichtige Informationen an die Hand zu geben. Bisher wurden 286 Munizipien untersucht. Allerdings umfasst der Katastrophenschutzplan 821 Munizipien, in denen in den vergangenen Jahren gehäuft Katastrophen auftraten. Die meisten von ihnen liegen im Küstenbereich des Landes und im Gebiet der Mata Atlântica.